7. Schön – heiß.
— 10½h bei Dr. B.: erzählt von der Konferenz; ich berichtige kurz die Einwände; wegen eines Schweizer Klienten muß er weggehn [sic]. — Bei Matzner: weißer wollener Shawl: 1 160000 Kronen. — Bei Bauer Rotenturmstraße: lange wollene Herrnstrümpfe: 250000 Kronen. — Bei Beck: Anzug aus sehr feinem Stoff bestellt: 3.5 Millionen; Angabe 1 Million. — Frau Pairamall bittet, uns Sonntag ins Friedmann-Konzert abholen zu dürfen. — 2 Abends „Gesellschaft“ (Galsworthy). Das Stück zeigt, wie die meisten der lebenden Dichter mehrere Grundideen nebeneinander, schließlich auch gegeneinander laufen lassen, gleichsam nicht eine Urlinie, sondern mehrere auf einmal. Vor allem der reiche Jude weiß von Anbeginn, daß er in gewissen Kreisen nur geduldet ist, drängt sich dennoch in diese ein u. – das der Bruch – ist er der erste, der den Vertretern jener Kreise den Vorwurf ins Gesicht schleudert, daß sie ihn nur dulden. Der Jude {2817} für keinen Fall derjenige sein [sic], der als erster darüber spricht, eher käme das den anderen zu. Der Dichter, der diesen Bruch begeht, hat nicht das Recht, den Juden für das oder für ein Recht kämpfen zu lassen, am allerwenigsten darf er diesen zudringlichen, dann weinerlichen Juden als einen Märtyrer der Gesellschaft hinstellen. Folgerichtig hätte der Jude unter allen Umständen sich fügen u. den Verlust tragen müssen, um das Ansehen der Gesellschaft zu retten, der [er] beigetreten ist. Denn in einer solchen Beschaffenheit, wie sie diesem Juden eignet, darf er vom Dichter nicht ausersehen sein, gegen die Gesellschaft aufzutreten. Hier ist ein zweiter Fehler des Dichters. Was wollte er denn schließlich? Daß der Besitzer des Schlosses u. seine Gäste, vor allem der Oberst, nicht so ohne weiters auf den ersten Verdacht des Juden hin einen der Ihrigen als einen Dieb hinnehmen, ist nur in der Ordnung, entspricht auch an dieser Stelle des Dramas der Auffassung des Zuschauers. Darin liegt eine Tugend der Gesellschaft, nicht eine Untugend. Nicht folgerichtig von Seite des Dichters war es dann, daß er sich für den Juden einsetzt, gegen die Gesellschaft, daß diese schließlich den Juden ausstoßt. 3 Hierin liegt die widerspruchsvolle Führung der Linien. 4 Für diesen Juden gab es nur einen Ausweg, sich in die Gesellschaft zu fügen, das hätte jeder vernünftige Mensch, ob Jude oder Christ, getan, u. es gereicht Galsworthy nicht zur dichterischen Ehre, daß er diesen einfachen Verstand nicht aufbringt. Nicht minder unangenehm sind die Widersprüche, die die Führung im Charakter des Diebes zeigt. Zunächst scheint es, als wäre der Hauptmann ein Lotterbube, – so nach der Auffassung des Juden, hernach mischt der Dichter Züge ein, die den Dieb gewissermaßen entschuldigen, zumindest sein Handeln begreiflich machen. Lag der Fall so, wie es sich später herausstellt, so hätte es dem Juden sehr wohl geziemt, in der Gesellschaft zu bleiben, wenn er schon einmal, trotz seiner inneren Ueberzeug- {2818} ung, beigetreten ist. Der selben Ansicht ist nach zahllosen Widersprüchen schließlich auch der Dichter, weil er den Juden auf die Seite des Hauptmanns bringt: auch der Jude war endlich gerührt von der Not des Hauptmanns, hat sich aber – u. das ist ein neuer Widerspruch – im letzten Moment dennoch geweigert, Schlüsse daraus zu ziehen, nur weil man ihm den Juden vorgeworfen hat. Mit einem Wort: Die Tragödie wegen eines so schäbigen Juden darf nicht Tragödie heißen, nicht einmal ein dichterisches Werk überhaupt. Ein Anderes ist, daß das Stück eben so ist, wie es ist, – ich aber meine: es ist ein verfehlt gedachtes u. verfehlt geführtes Stück, deshalb in jeder Faser unwahr u. irreführend. Das Werk ist so geschrieben, daß es keinen Unterschied bedeuten dürfte, wenn der Bestohlene ein Jude oder Christ, ein Engländer oder anders national wäre. Genau genommen geht es um einen Diebstahl von Geld, wobei der Bestohlene sein Geld sucht. Der gröbste Kunstfehler also, in diese einfache Frage Probleme von Gesellschaft u. Juden u. dgl. hineinzutragen. Der Jude ist kein taugliches Objekt für den Dichter, um höhere Ideen zu exemplifizieren. Es wird nicht klar, ob der Dichter den Juden verurteilt oder nicht u. – damit fällt das Stück. — © Transcription Marko Deisinger. |
7 Nice – hot.
— 10:30 at Dr. Baumgarten''s: he reports on the meeting; I briefly correct the objections; he has to leave because of a Swiss client. — At Matzner's: a white woolen shawl: 1 160,000 Kronen. — At Bauer [on] Rotenturmstraße: long woolen men's socks: 250,000 Kronen. — At Beck: suit from very fine fabric ordered: 3.5 million; 1 million deposit. — Mrs. Pairamall asks for permission to pick us up for the Friedmann concert on Sunday. — 2 "Loyalties" (Galsworthy) in the evening. The piece shows how most living authors have multiple ideas running alongside each other, in the end also against each other, like having not one Urlinie, but rather several at the same time. Especially the wealthy Jew knows from the outset that he is only put up with in certain circles, but pushes his way into these circles anyway and – this is the violation – he is the first to hurl reproaches in the faces of the representatives of these circles, accusing them of only putting up with him. The Jew {2817} under no circumstance be [sic] the one who is the first to talk about it, that falls more likely on the others. The author who commits this violation does not have the right to let the Jew fight for that or for a right, and has the least right of all to position the whining Jew as a martyr of society. Logically, the Jew should have adapted under all circumstances and borne the loss to save the reputation of society [he] joined. With qualities such as those that this Jew possesses, he may not be chosen by the author to take a stand against society. Here is a second error the author made. What did he want in the end? It is only normal that the owner of the castle and his guests, especially the Lieutenant, in response to Jew's first suspicion, do not so automatically accept that one of their own is a thief, and it corresponds to the audience's understanding at this point of the drama. Therein lies a virtue of society, not a vice. It was then not logical on the part of the author to stand up for the Jew and against society for ultimately forcing the Jew out. 3 Herein lies the contradictory leading of the lines. 4 There was only one way out for this Jew, to adapt to society, that is what any reasonable person would have done, whether Jew or Christian, and it is not to the credit of Galsworthy's poetic honor that he was not able to muster this simple wit. The contradictions displayed in the behavior of the character of the thief are no less unpleasant. At first it seems as if the captain were a rake, – in the understanding of the Jew, after that the author adds in traits that to a degree excuse the thief or at least make his actions understandable. If the case had been like that, as it later became apparent, it would have been right and proper for the Jew to remain in society, once he joined it, despite his inner conviction. {2818} In the end, after countless contradictions, the author is of the same opinion because he leads the Jew to the captain's side: the Jew was finally also moved by the captain's desperation, but – and this is a new contradiction – in the last second, he refused to draw conclusions from it, just because he was reproached for being a Jew. In a word: tragedy on account of such a shabby Jew may not be called tragedy, nor even a poetic work. It is something else, that the work is the way it is, – but I uphold: it is an ill-conceived and poorly crafted work, and for that reason untrue and misleading through and through. The work is written in such a way that it cannot make a difference whether the person robbed was a Jew or a Christian, an Englishman or some other nationality. In the strict sense, it has to do with money being stolen, with the person robbed looking for his money. That is, [it is] the most blatant artistic error to bring in problems related to society, to Jews and the like into this simple question. The Jew is not a suitable object for the author in terms of exemplifying higher ideals. It is not clear whether the author condemns the Jew or not and – with that the work collapses. —© Translation Scott Witmer. |
7. Schön – heiß.
— 10½h bei Dr. B.: erzählt von der Konferenz; ich berichtige kurz die Einwände; wegen eines Schweizer Klienten muß er weggehn [sic]. — Bei Matzner: weißer wollener Shawl: 1 160000 Kronen. — Bei Bauer Rotenturmstraße: lange wollene Herrnstrümpfe: 250000 Kronen. — Bei Beck: Anzug aus sehr feinem Stoff bestellt: 3.5 Millionen; Angabe 1 Million. — Frau Pairamall bittet, uns Sonntag ins Friedmann-Konzert abholen zu dürfen. — 2 Abends „Gesellschaft“ (Galsworthy). Das Stück zeigt, wie die meisten der lebenden Dichter mehrere Grundideen nebeneinander, schließlich auch gegeneinander laufen lassen, gleichsam nicht eine Urlinie, sondern mehrere auf einmal. Vor allem der reiche Jude weiß von Anbeginn, daß er in gewissen Kreisen nur geduldet ist, drängt sich dennoch in diese ein u. – das der Bruch – ist er der erste, der den Vertretern jener Kreise den Vorwurf ins Gesicht schleudert, daß sie ihn nur dulden. Der Jude {2817} für keinen Fall derjenige sein [sic], der als erster darüber spricht, eher käme das den anderen zu. Der Dichter, der diesen Bruch begeht, hat nicht das Recht, den Juden für das oder für ein Recht kämpfen zu lassen, am allerwenigsten darf er diesen zudringlichen, dann weinerlichen Juden als einen Märtyrer der Gesellschaft hinstellen. Folgerichtig hätte der Jude unter allen Umständen sich fügen u. den Verlust tragen müssen, um das Ansehen der Gesellschaft zu retten, der [er] beigetreten ist. Denn in einer solchen Beschaffenheit, wie sie diesem Juden eignet, darf er vom Dichter nicht ausersehen sein, gegen die Gesellschaft aufzutreten. Hier ist ein zweiter Fehler des Dichters. Was wollte er denn schließlich? Daß der Besitzer des Schlosses u. seine Gäste, vor allem der Oberst, nicht so ohne weiters auf den ersten Verdacht des Juden hin einen der Ihrigen als einen Dieb hinnehmen, ist nur in der Ordnung, entspricht auch an dieser Stelle des Dramas der Auffassung des Zuschauers. Darin liegt eine Tugend der Gesellschaft, nicht eine Untugend. Nicht folgerichtig von Seite des Dichters war es dann, daß er sich für den Juden einsetzt, gegen die Gesellschaft, daß diese schließlich den Juden ausstoßt. 3 Hierin liegt die widerspruchsvolle Führung der Linien. 4 Für diesen Juden gab es nur einen Ausweg, sich in die Gesellschaft zu fügen, das hätte jeder vernünftige Mensch, ob Jude oder Christ, getan, u. es gereicht Galsworthy nicht zur dichterischen Ehre, daß er diesen einfachen Verstand nicht aufbringt. Nicht minder unangenehm sind die Widersprüche, die die Führung im Charakter des Diebes zeigt. Zunächst scheint es, als wäre der Hauptmann ein Lotterbube, – so nach der Auffassung des Juden, hernach mischt der Dichter Züge ein, die den Dieb gewissermaßen entschuldigen, zumindest sein Handeln begreiflich machen. Lag der Fall so, wie es sich später herausstellt, so hätte es dem Juden sehr wohl geziemt, in der Gesellschaft zu bleiben, wenn er schon einmal, trotz seiner inneren Ueberzeug- {2818} ung, beigetreten ist. Der selben Ansicht ist nach zahllosen Widersprüchen schließlich auch der Dichter, weil er den Juden auf die Seite des Hauptmanns bringt: auch der Jude war endlich gerührt von der Not des Hauptmanns, hat sich aber – u. das ist ein neuer Widerspruch – im letzten Moment dennoch geweigert, Schlüsse daraus zu ziehen, nur weil man ihm den Juden vorgeworfen hat. Mit einem Wort: Die Tragödie wegen eines so schäbigen Juden darf nicht Tragödie heißen, nicht einmal ein dichterisches Werk überhaupt. Ein Anderes ist, daß das Stück eben so ist, wie es ist, – ich aber meine: es ist ein verfehlt gedachtes u. verfehlt geführtes Stück, deshalb in jeder Faser unwahr u. irreführend. Das Werk ist so geschrieben, daß es keinen Unterschied bedeuten dürfte, wenn der Bestohlene ein Jude oder Christ, ein Engländer oder anders national wäre. Genau genommen geht es um einen Diebstahl von Geld, wobei der Bestohlene sein Geld sucht. Der gröbste Kunstfehler also, in diese einfache Frage Probleme von Gesellschaft u. Juden u. dgl. hineinzutragen. Der Jude ist kein taugliches Objekt für den Dichter, um höhere Ideen zu exemplifizieren. Es wird nicht klar, ob der Dichter den Juden verurteilt oder nicht u. – damit fällt das Stück. — © Transcription Marko Deisinger. |
7 Nice – hot.
— 10:30 at Dr. Baumgarten''s: he reports on the meeting; I briefly correct the objections; he has to leave because of a Swiss client. — At Matzner's: a white woolen shawl: 1 160,000 Kronen. — At Bauer [on] Rotenturmstraße: long woolen men's socks: 250,000 Kronen. — At Beck: suit from very fine fabric ordered: 3.5 million; 1 million deposit. — Mrs. Pairamall asks for permission to pick us up for the Friedmann concert on Sunday. — 2 "Loyalties" (Galsworthy) in the evening. The piece shows how most living authors have multiple ideas running alongside each other, in the end also against each other, like having not one Urlinie, but rather several at the same time. Especially the wealthy Jew knows from the outset that he is only put up with in certain circles, but pushes his way into these circles anyway and – this is the violation – he is the first to hurl reproaches in the faces of the representatives of these circles, accusing them of only putting up with him. The Jew {2817} under no circumstance be [sic] the one who is the first to talk about it, that falls more likely on the others. The author who commits this violation does not have the right to let the Jew fight for that or for a right, and has the least right of all to position the whining Jew as a martyr of society. Logically, the Jew should have adapted under all circumstances and borne the loss to save the reputation of society [he] joined. With qualities such as those that this Jew possesses, he may not be chosen by the author to take a stand against society. Here is a second error the author made. What did he want in the end? It is only normal that the owner of the castle and his guests, especially the Lieutenant, in response to Jew's first suspicion, do not so automatically accept that one of their own is a thief, and it corresponds to the audience's understanding at this point of the drama. Therein lies a virtue of society, not a vice. It was then not logical on the part of the author to stand up for the Jew and against society for ultimately forcing the Jew out. 3 Herein lies the contradictory leading of the lines. 4 There was only one way out for this Jew, to adapt to society, that is what any reasonable person would have done, whether Jew or Christian, and it is not to the credit of Galsworthy's poetic honor that he was not able to muster this simple wit. The contradictions displayed in the behavior of the character of the thief are no less unpleasant. At first it seems as if the captain were a rake, – in the understanding of the Jew, after that the author adds in traits that to a degree excuse the thief or at least make his actions understandable. If the case had been like that, as it later became apparent, it would have been right and proper for the Jew to remain in society, once he joined it, despite his inner conviction. {2818} In the end, after countless contradictions, the author is of the same opinion because he leads the Jew to the captain's side: the Jew was finally also moved by the captain's desperation, but – and this is a new contradiction – in the last second, he refused to draw conclusions from it, just because he was reproached for being a Jew. In a word: tragedy on account of such a shabby Jew may not be called tragedy, nor even a poetic work. It is something else, that the work is the way it is, – but I uphold: it is an ill-conceived and poorly crafted work, and for that reason untrue and misleading through and through. The work is written in such a way that it cannot make a difference whether the person robbed was a Jew or a Christian, an Englishman or some other nationality. In the strict sense, it has to do with money being stolen, with the person robbed looking for his money. That is, [it is] the most blatant artistic error to bring in problems related to society, to Jews and the like into this simple question. The Jew is not a suitable object for the author in terms of exemplifying higher ideals. It is not clear whether the author condemns the Jew or not and – with that the work collapses. —© Translation Scott Witmer. |
Footnotes1 Shawl: a simple item of clothing, loosely worn over the shoulders, upper body and arms, sometimes also over the head. It is usually a rectangular or square piece of cloth. 2 Jeanette inserts emdash and continues writing without paragraph-break. 3 Jeanette writes continuously without paragraph-break. 4 Führung der Linien: Schenker creates a parallelism with voice-leading in music. |