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OJ 10/1, [37] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated June 11, 1919
Wenn 1 ich heute an Sie schreibe, dann kommt der Brief hoffentlich bis zum 19. Juni in Ihre Hände, um Ihnen zu diesem Tage 2 die herzlichsten Glückwünsche von mir und ausschliessend von meiner Frau zu überbringen. Was ich wünsche, wissen Sie – es ist ja nicht nur das Glück des Schaffens und Wirkens für Sie selbst, sondern auch unser Stolz und Glück, die wir an Sie glauben. [Solche] Betrachtungen haben heute keinen Wert mehr. Ich rette mich aus dem deutschen Elend in die reine Welt des Kontrapunktes und erhebe Feststunden in Nietzsche und Kierkegaard und sehe wiederum mit Entsetzen, wie ungeheuer recht diese erlauchten Geister im Verein mit Schopenhauer und anderen Grossen gehabt haben in ihrem Urteil über die Menschheit. {2} Wie sehr wünsche ich, 3 dass es Ihnen in diesem Sommer vergönnt sein möge, in den Bergen neue Kraft zu finden. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, Sie dann einmal für ein paar Stunden aufzusuchen. Aber die Hoffnungen sind wohl leider sehr geringe. Vrieslander, bei dem ich jetzt kontrapunktiere, ist voller Resignation. Ich muss ihm in so vielem Recht geben und doch stimmt es mich jedesmal wieder herunter. Wir sprechen oft von Ihnen und wie Sie sich wohl mit der neuen Zeit der „goldenen Freiheit“ abfinden mögen. Ich selbst bin auch oft nahe daran, die Flinte ins Korn zu werfen: die besten Jahren, die zweite Hälfte der Zwanziger, hat mir der glorreiche Krieg geraubt und der Rest fällt der „Masse“ zum Opfer. Ihr herzlichst grüssender treuergebener [signed:] Walter Dahms © Transcription John Koslovsky, 2009 |
If 1 I write today, then I hope this letter will reach you by June 19 so as to bring you on that day 2 the most cordial best wishes of my wife and myself. What I wish, you know well – it is not just a wish for good fortune in your creative work and activities, but also for the pride and happiness that we take in you. [Such] reflections have no more worth today. I escape from German misery in the pure world of counterpoint, and bury myself for hours in Nietzsche and Kierkegaard. At the same time, I see with horror just how awfully accurate these two illustrious souls were (in addition to Schopenhauer and other great writers) in their judgment of mankind. {2} How greatly I 3 wish that it be granted to you this summer to find renewed strength in the mountains. I had truly looked forward to visiting you for a couple of hours, but such hopes are unfortunately slender. Vrieslander, with whom I now study counterpoint, is full of resignation. I am forced to agree with him every time, but deep down I concur. We speak often of you and how you are able to come to terms with this new time of "golden freedom." Personally, I often come close to throwing in the towel: the best years of my life, the second half of my twenties, were robbed from me by the glorious War, and the rest [of those years] fall victim to the "masses." If you ever have the desire and the good spirits to drop me a line or two, I would be very grateful to hear from you. Yours, with warmest greetings, ever-faithfully, [signed:] Walter Dahms © Translation John Koslovsky, 2009 |
Wenn 1 ich heute an Sie schreibe, dann kommt der Brief hoffentlich bis zum 19. Juni in Ihre Hände, um Ihnen zu diesem Tage 2 die herzlichsten Glückwünsche von mir und ausschliessend von meiner Frau zu überbringen. Was ich wünsche, wissen Sie – es ist ja nicht nur das Glück des Schaffens und Wirkens für Sie selbst, sondern auch unser Stolz und Glück, die wir an Sie glauben. [Solche] Betrachtungen haben heute keinen Wert mehr. Ich rette mich aus dem deutschen Elend in die reine Welt des Kontrapunktes und erhebe Feststunden in Nietzsche und Kierkegaard und sehe wiederum mit Entsetzen, wie ungeheuer recht diese erlauchten Geister im Verein mit Schopenhauer und anderen Grossen gehabt haben in ihrem Urteil über die Menschheit. {2} Wie sehr wünsche ich, 3 dass es Ihnen in diesem Sommer vergönnt sein möge, in den Bergen neue Kraft zu finden. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, Sie dann einmal für ein paar Stunden aufzusuchen. Aber die Hoffnungen sind wohl leider sehr geringe. Vrieslander, bei dem ich jetzt kontrapunktiere, ist voller Resignation. Ich muss ihm in so vielem Recht geben und doch stimmt es mich jedesmal wieder herunter. Wir sprechen oft von Ihnen und wie Sie sich wohl mit der neuen Zeit der „goldenen Freiheit“ abfinden mögen. Ich selbst bin auch oft nahe daran, die Flinte ins Korn zu werfen: die besten Jahren, die zweite Hälfte der Zwanziger, hat mir der glorreiche Krieg geraubt und der Rest fällt der „Masse“ zum Opfer. Ihr herzlichst grüssender treuergebener [signed:] Walter Dahms © Transcription John Koslovsky, 2009 |
If 1 I write today, then I hope this letter will reach you by June 19 so as to bring you on that day 2 the most cordial best wishes of my wife and myself. What I wish, you know well – it is not just a wish for good fortune in your creative work and activities, but also for the pride and happiness that we take in you. [Such] reflections have no more worth today. I escape from German misery in the pure world of counterpoint, and bury myself for hours in Nietzsche and Kierkegaard. At the same time, I see with horror just how awfully accurate these two illustrious souls were (in addition to Schopenhauer and other great writers) in their judgment of mankind. {2} How greatly I 3 wish that it be granted to you this summer to find renewed strength in the mountains. I had truly looked forward to visiting you for a couple of hours, but such hopes are unfortunately slender. Vrieslander, with whom I now study counterpoint, is full of resignation. I am forced to agree with him every time, but deep down I concur. We speak often of you and how you are able to come to terms with this new time of "golden freedom." Personally, I often come close to throwing in the towel: the best years of my life, the second half of my twenties, were robbed from me by the glorious War, and the rest [of those years] fall victim to the "masses." If you ever have the desire and the good spirits to drop me a line or two, I would be very grateful to hear from you. Yours, with warmest greetings, ever-faithfully, [signed:] Walter Dahms © Translation John Koslovsky, 2009 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 2/14, pp. 2080-2081, June 16, 1919: "Von Dahms (Br.): gratuliert zum Geburtstag, bezeichnet sich als Opfer des Krieges früher, der Masse gegenwärtig, äußert überhaupt ernste Besorgnisse wegen der Zukunft; schöpfe Trost aus Nietzsche Kierkegard; erzählt auch von Vrieslanders Resignation." ("From Dahms (letter): sends congratulations on my birthday, calls himself a sacrifice to the war earlier, to the masses now, expresses serious anxieties about the future, draws consolation from Nietzsche and Kierkegaard; tells of Vrieslander's resignation."). 2 June 19, 1919 was Schenker's 51st birthday. 3 "ich": asterisk above. |
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Commentary
Digital version created: 2009-01-30 |