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1. VII. 14

In bezug auf Taten blieb die Menschheit unabänderlich dieselbe die selbe. Akte der Nächstenliebe gab es wohl auch unter den Heiden, ebenso wie es heute welche gibt. Was im Laufe der Geschichte hinzugekommen ist, sind nur immer wieder neue Bezeichnungen für Tugenden, die indessen nicht so sehr in Taten, als leider nur in Worten geübt werden. Die neue Nomenklatur täuscht aber über den angeblichen Fortschritt auch in bezug auf Taten.

*

In der Sucht nach Geld drückt sich vor Allem der Wunsch nach Unabhängigkeit aus. In diesem Wunsch drückt sich aber die Verachtung der Menschen aus: In der Tat steht der Mensch niemals so tief da, als im Augenblicke, da er einem Aermeren etwas geben soll! Die Unabhängigkeit von den Menschen ist somit das Glück des Ausweichen-könnens vor der Niedrigkeit gebender Menschen.

*

Die Leichtigkeit mit der Geld erworben wird, verleitet zur Annahme, daß ebenso leicht wohl auch die höheren Güter gewonnen werden können. Geld zu erwerben verstehen wohl Millionen Menschen, aber nur vereinzelt sind diejenigen, die auf mühsamere Weise hohe Güter sich u. den Anderen erworben haben, u. dies ist denn auch der Grund, weshalb gerade diese Einzelnen hoch verehrt werden!

*

Schnitzler’s „Beate“ gelesen. 1 Der eigene Widerspruch des im Dichters selbst tritt krass auch in seinem Werke hervor; seine mangelhafte Auffassung des Lebens, namentlich in erotischer Hinsicht, dringt in die Hauptgestalt der Novelle. Im Grunde ist Beate eine höchst ehrbare, reine Frauennatur u. Aehnliches wollte ja der Dichter selbst von ihr aussagen, wenn man bedenkt, daß er sie aus einem einfachen bürgerlichen Kreise hervorgehen läßt. Eben Diese [recte diese] Herkunft schützt sie in der Ehe vor allen Versuchungen, was viel heißen will, da sie einen ( übrigens nicht einmal einwandfreien ) Schauspieler heiratet. (Allerdings müßte man die Reinheit, die der Autor ihr andichtet, für sehr unwahrscheinlich erklären, sofern der Grad der Reinheit ein {605} solcher ist, wie ihm der Dichter angibt.) So ist denn schon gegen diese Reinheit ein Widerspruch, wenn der Autor anderseits Gedankengänge ihr zumutet, die beinahe auf eine krankhaft erotische Natur schließen lassen müßten. Für den Grund-Charakter der Beate, als einer ehrbaren Frau spricht der Umstand, daß sie die Pubertät ihres Sohnes aus mehreren Gründen tragisch nimmt; ferner weist darauf nicht minder die Art hin, wie sie ihr eigenes Erlebnis mit Fritz auffaßt, sowie das Bedürfnis nach Sühne überhaupt. Vieles blieb der Dichter schuldig, um den durchgehenden Zug von Reinheit konsequent zu motivieren u. deutlich kenntlich zu machen, u. ich glaube, daß die Darstellung seines Problems ihm desto besser gelungen wäre, je motivierter er die Reinheit Beatens als Grundzug geschildert hätte. Ihr Erlebnis mit Fritz wäre dann aber noch immer kein Widerspruch gegen den Grundzug, vielmehr eher eine Erläuterung durch Kontrast; durch die Pubertätsangelegenheit ihres Sohnes aus ihrer eigenen Reinheit gleichsam aufgescheucht, beginnt sie, was nur zu natürlich ist, ringsumher erotische Beziehungen zum erstenmal überhaupt erst wahrzunehmen, obendrein mit Schrecken u. Entsetzen, da sie sieht, wie bar jeder Weihe die körperlichen bBeziehungen der Geschlechter sind. Von der Athmosphäre nun infiziert u. als Wittwe von bald mehr, bald weniger ernst zu nehmenden Männern u. Jünglingen umworben, läßt sie sich zum Abenteuer hinreißen, das sie freilich nur zu bald in seiner schrecklichen Hohlheit erfaßt u. als unerträglich empfindet. Was Beate entschuldigt ist vor Allem die allüberall im Leben beobachtete Tatsache, daß sie erst nachträglich Veranlassung findet, über ihren geliebten Mann nachzudenken. Die Liebe, die sie in der Ehe empfand, war eine Aeußerung puren noch unerhellten Instinktes; nun tritt sie aus dem Dämmerlicht zustand heraus, gerät ins grelle Licht des Bewußtseins u. der Zweifel, die sdie Frau unsäglich verwirren. Alle Vergangenheit, bis dahin scheinbar definitiv empfunden, wird für sie plötzlich problematisch u. erfährt die denkbar ungünstigste Beleuchtung durch die Unarten der beiden Jungen, die ihre erotischen Erlebnisse einfach als Produkt {606} der Eitelkeit u. Renommisterei gegeneinander austauschen. Am Ende, denkt sie, hat auch ihr Mann sich nur von ihr helfen lassen, sie wirklich betrogen u. in die Liebe Komödie hineingetragen. Im Boot erlebt sie allerdings den delikaten Zug ihres Sohnes, der weder seine eigene Geliebte verrät, noch auch dazu sich entschließt, das über die Mutter Gehörte wiederzugeben. Sie fühlt sich indessen im letzten Augenblick schon dadurch allein befreit, daß ihr Sohn von ihrer Schande weiß, u. daß sie diese gemeinsam mit ihm sühnt.

Es kann dem Dichter der Vorwurf nicht erspart werden, daß er mit der Motivierung einer solchen Charakteranlage äußerste Sparsamkeit getrieben. Er gibt uns nichts an die Hand, was uns verstehen machen könnte, wie gerade in Frau Beate eine so strenge Auffassung u. Haltung möglich war, inmitten eines Milieus, das wahrlich andere Grundsätze beobachtete. Und fast hat der Dichter, in Anwandlung eigener tadelnswerter Gesinnung[,] die Hauptfigur mit Gedanken beschmutzt, die er offenbar um der Pikanterie willen unter allen Umständen vorgebracht wissen wollte, ohne zu bedenken, daß sie zur Figur im Widerspruch stehen. Unter allen Umständen war der Autor schuldig, dem [recte den] Leser mehr über den Wert oder Unwert der vorgeführten Lebensarten zu orientieren. Man sage nicht, des Autors Sache wäre gerade dieses nicht, er habe sich vielmehr hinter den Personen u. Handlungen zu verbergen, ohne sie zu erklären. Ich aber meine, des Dichters Pflicht ist es, den Leser besser über den Inhalt aufzuklären, als ihn, ohne Führung des Dichters, das nackte Leben selbst aufklären würde. Das Stoffliche des Lebens blos um einen Stoff zu vermehren, ist sicher nicht Angelegenheit eines Dichters, vielmehr a hat er alle Mittel zu ergreifen, um auch den Leser so sehend zu machen, wie er eben selbst sehend ist. In der Tat begegnete es der vorliegenden Novelle, daß sie von den meisten Rezensenten vollständig falsch aufgefaßt wurde, sicher nicht im Sinne des Autors. Die Verantwortung dafür trägt nur der Dichter, der Dichtung mit Stoffdarstellung verwechselt hat. {607} Nebenbei: Wie kommt es, daß Männer so gerne ihre erotischen Erlebnisse ausplaudern? Kein Zweifel, daß weniger das erlebte Glücksgefühl , es ist, das nach Mitteilung t drängt, als vielmehr gerade jene Eitelkeit, die ja zum Erlebnis geführt hat. Der stärkste Beweis hiefür ist wohl die nicht [illeg]wegzuleugnende Tatsache, daß die Männer, über jegliche Notwendigkeit hinaus, bei solchen Gelegenheiten lügnerisch zu renommieren pflegen, also die Tatsachen fälschen, nur um den Neid des anderen Mannes zu erregen.

*

Kaufmännische [illeg]Usançen: Der Wirt veranlaßt uns brieflich auf den Transport durch seine Pferde zu reflektieren, läßt aber im gegebenen Augenblick seine Fahrt zur Kirche dem Interesse der Gäste vorangehen, die er bei vollem Bewußtsein mutwillig schädigt. Er ahnt freilich nicht, daß er ein zweitesmal keine Gelegenheit zu solcher Usançe erhalten wird.

*

© Transcription Marko Deisinger.

July 1, 1914.

With respect to deeds, mankind remained immutably themselves. Acts of charity towards one's neighbors must have existed among the heathens, just as they do today. What we additionally see in the course of history are merely ever new labels for virtues, which in the meantime have been practiced not so much in deeds as, unfortunately, in words. The new nomenclature is also deceptive with regard to supposed progress even in respect of deeds.

*

In the obsession with money lies, above all, the desire for independence. In this wish, however, is expressed the contempt of people: in actual fact, man never stands so low as in the moment when he ought to give something to someone who is poor! Thus independence of people is the happiness of being able to evade the baseness of people who give.

*

The ease with which money is acquired deceives one into supposing that the loftier goods can perhaps be gained just as easily. To acquire money is something that millions of people can surely understand; but those who have created lofty goods for themselves and others through greater effort are few and far between, and this is also the reason while these few will be highly revered!

*

Schnitzler's Beate. 1 The contradiction in the author himself is prominent also in his work; his faulty understanding of life, especially in erotic terms, pervades the novella's main character. Beate is basically a thoroughly decent, pure female personality; and the author himself indeed wanted to say something like that about her if one considers that he has her come from a simple peasant society. This very origin protects her in marriage from all temptations: something that says a lot, considering that she marries an actor – and one who, moreover, is by no means flawless. (At any rate, the purity which the author imputes to her seems highly improbable, insofar as the degree of her purity is as high as the author indicates.) {605} Thus there is already a contradiction to this purity when the author, on the other hand, attributes to her thought processes from which one would conclude that she was nearly a pathologically erotic character. That Beate's basic character is that of an honest woman is attested by the fact that she regards her son's puberty as tragic, for various reasons; no less does the way in which she understands her experience with Fritz, and her need for atonement, point in this direction. The author was found wanting in many respects in motivating the overriding characteristic of purity in a logical way, and making it clearly recognizable; and I believe that the representation of the problem would have been the more successful had he portrayed Beate's purity, as a basic character trait, with greater cogency. Her experience with Fritz would then still be no contradiction to that basic trait, but rather more an elucidation by contrast. Roused from her own purity by her son's adolescence, as it were, she begins – as is only too natural – to perceive erotic relationships all around her only for the very first time, moreover with horror and dismay, since she sees how devoid of all blessing are the physical relationships between the sexes. Infected now by this atmosphere, and as a widow surrounded by men and youths to be taken with greater and lesser degrees of seriousness, she lets herself get carried away by an adventure that she can understand only too soon in its terrifying hollowness and perceive as unbearable. What excuses Beate is above all the fact, observed everywhere in life, that she finds occasion to contemplate her beloved husband only afterwards. The love that she felt in marriage was an expression of a hitherto unilluminated instinct; now she emerges from her twilight condition, arrives in the harsh light of consciousness and doubt, which unspeakably confuse the woman. Everything in the past, which she had until then apparently perceived as definitive, suddenly becomes problematic for her and undergoes the most unfavorable elucidation imaginable through the misbehavior of the two youths, who exchange their erotic experiences in competition with each other, as the product {606} of vanity and boastfulness. At the end, she thinks, even her husband only took advantage of her, truly betraying her and introducing comedy into love. In the boat, she at least experiences the delicate trait of her son, who neither betrays his own love nor is determined to reproduce what he heard about his mother. Nonetheless at the last moment she already feels liberated merely because her son knows about her disgrace, and that she can atone for these together with him.

The author cannot be spared the criticism of having exercised extreme frugality in the motivation of such a personal disposition. He provides us with nothing that could make us understand how such a strict concept and attitude was possible in Beate in particular, in the midst of a milieu that, for sure, observed other principles. And the author, on the impulse of his own reprehensible sentiments, soiled his central figure with thoughts that he wished to put forth at all costs, for sake of spicing things up, without realizing that they stood in contradiction to that figure. In any event the author was guilty of orientating the reader more to the worth or worthlessness of the lifestyles portrayed. One should not say that this is precisely not the author's job, but rather that he should hide behind the characters and storyline, without explaining them. But I say that it is the author's duty to enlighten the reader about the content better than life itself can explain on its own without the author's guidance. To increase the stuff of life merely with more stuff is, surely, not the writer's task; rather he must summon every means possible to enable the reader to see as well as he himself can see. In fact this novella was completely misunderstood by most of the critics who reviewed it, and certainly not in the way intended by the other. The responsibility for this rests entirely with the author, who has confused the writing of fiction with the presentation of material. {607} An afterthought. How is it that men like to blab so much about their erotic experiences? No doubt that it is not the feeling of happiness experienced that compels them to communicating their experience, but rather that vanity that has actually led to the experience. The strongest evidence of this is probably the undeniable fact that these men, beyond all necessity, are accustomed on such occasions to boast deceitfully, that is to falsify the facts, merely in order to arouse the envy of other men.

*

Business practices: The innkeeper prompts us in a letter to consider using his horses for transport; when the moment arrives, however, he gives priority to his trip to the church over the interest of his guests, of whom he is fully conscious of maliciously damaging. He clearly does not realize that he will not have a second occasion for such a practice.

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© Translation William Drabkin.

1. VII. 14

In bezug auf Taten blieb die Menschheit unabänderlich dieselbe die selbe. Akte der Nächstenliebe gab es wohl auch unter den Heiden, ebenso wie es heute welche gibt. Was im Laufe der Geschichte hinzugekommen ist, sind nur immer wieder neue Bezeichnungen für Tugenden, die indessen nicht so sehr in Taten, als leider nur in Worten geübt werden. Die neue Nomenklatur täuscht aber über den angeblichen Fortschritt auch in bezug auf Taten.

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In der Sucht nach Geld drückt sich vor Allem der Wunsch nach Unabhängigkeit aus. In diesem Wunsch drückt sich aber die Verachtung der Menschen aus: In der Tat steht der Mensch niemals so tief da, als im Augenblicke, da er einem Aermeren etwas geben soll! Die Unabhängigkeit von den Menschen ist somit das Glück des Ausweichen-könnens vor der Niedrigkeit gebender Menschen.

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Die Leichtigkeit mit der Geld erworben wird, verleitet zur Annahme, daß ebenso leicht wohl auch die höheren Güter gewonnen werden können. Geld zu erwerben verstehen wohl Millionen Menschen, aber nur vereinzelt sind diejenigen, die auf mühsamere Weise hohe Güter sich u. den Anderen erworben haben, u. dies ist denn auch der Grund, weshalb gerade diese Einzelnen hoch verehrt werden!

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Schnitzler’s „Beate“ gelesen. 1 Der eigene Widerspruch des im Dichters selbst tritt krass auch in seinem Werke hervor; seine mangelhafte Auffassung des Lebens, namentlich in erotischer Hinsicht, dringt in die Hauptgestalt der Novelle. Im Grunde ist Beate eine höchst ehrbare, reine Frauennatur u. Aehnliches wollte ja der Dichter selbst von ihr aussagen, wenn man bedenkt, daß er sie aus einem einfachen bürgerlichen Kreise hervorgehen läßt. Eben Diese [recte diese] Herkunft schützt sie in der Ehe vor allen Versuchungen, was viel heißen will, da sie einen ( übrigens nicht einmal einwandfreien ) Schauspieler heiratet. (Allerdings müßte man die Reinheit, die der Autor ihr andichtet, für sehr unwahrscheinlich erklären, sofern der Grad der Reinheit ein {605} solcher ist, wie ihm der Dichter angibt.) So ist denn schon gegen diese Reinheit ein Widerspruch, wenn der Autor anderseits Gedankengänge ihr zumutet, die beinahe auf eine krankhaft erotische Natur schließen lassen müßten. Für den Grund-Charakter der Beate, als einer ehrbaren Frau spricht der Umstand, daß sie die Pubertät ihres Sohnes aus mehreren Gründen tragisch nimmt; ferner weist darauf nicht minder die Art hin, wie sie ihr eigenes Erlebnis mit Fritz auffaßt, sowie das Bedürfnis nach Sühne überhaupt. Vieles blieb der Dichter schuldig, um den durchgehenden Zug von Reinheit konsequent zu motivieren u. deutlich kenntlich zu machen, u. ich glaube, daß die Darstellung seines Problems ihm desto besser gelungen wäre, je motivierter er die Reinheit Beatens als Grundzug geschildert hätte. Ihr Erlebnis mit Fritz wäre dann aber noch immer kein Widerspruch gegen den Grundzug, vielmehr eher eine Erläuterung durch Kontrast; durch die Pubertätsangelegenheit ihres Sohnes aus ihrer eigenen Reinheit gleichsam aufgescheucht, beginnt sie, was nur zu natürlich ist, ringsumher erotische Beziehungen zum erstenmal überhaupt erst wahrzunehmen, obendrein mit Schrecken u. Entsetzen, da sie sieht, wie bar jeder Weihe die körperlichen bBeziehungen der Geschlechter sind. Von der Athmosphäre nun infiziert u. als Wittwe von bald mehr, bald weniger ernst zu nehmenden Männern u. Jünglingen umworben, läßt sie sich zum Abenteuer hinreißen, das sie freilich nur zu bald in seiner schrecklichen Hohlheit erfaßt u. als unerträglich empfindet. Was Beate entschuldigt ist vor Allem die allüberall im Leben beobachtete Tatsache, daß sie erst nachträglich Veranlassung findet, über ihren geliebten Mann nachzudenken. Die Liebe, die sie in der Ehe empfand, war eine Aeußerung puren noch unerhellten Instinktes; nun tritt sie aus dem Dämmerlicht zustand heraus, gerät ins grelle Licht des Bewußtseins u. der Zweifel, die sdie Frau unsäglich verwirren. Alle Vergangenheit, bis dahin scheinbar definitiv empfunden, wird für sie plötzlich problematisch u. erfährt die denkbar ungünstigste Beleuchtung durch die Unarten der beiden Jungen, die ihre erotischen Erlebnisse einfach als Produkt {606} der Eitelkeit u. Renommisterei gegeneinander austauschen. Am Ende, denkt sie, hat auch ihr Mann sich nur von ihr helfen lassen, sie wirklich betrogen u. in die Liebe Komödie hineingetragen. Im Boot erlebt sie allerdings den delikaten Zug ihres Sohnes, der weder seine eigene Geliebte verrät, noch auch dazu sich entschließt, das über die Mutter Gehörte wiederzugeben. Sie fühlt sich indessen im letzten Augenblick schon dadurch allein befreit, daß ihr Sohn von ihrer Schande weiß, u. daß sie diese gemeinsam mit ihm sühnt.

Es kann dem Dichter der Vorwurf nicht erspart werden, daß er mit der Motivierung einer solchen Charakteranlage äußerste Sparsamkeit getrieben. Er gibt uns nichts an die Hand, was uns verstehen machen könnte, wie gerade in Frau Beate eine so strenge Auffassung u. Haltung möglich war, inmitten eines Milieus, das wahrlich andere Grundsätze beobachtete. Und fast hat der Dichter, in Anwandlung eigener tadelnswerter Gesinnung[,] die Hauptfigur mit Gedanken beschmutzt, die er offenbar um der Pikanterie willen unter allen Umständen vorgebracht wissen wollte, ohne zu bedenken, daß sie zur Figur im Widerspruch stehen. Unter allen Umständen war der Autor schuldig, dem [recte den] Leser mehr über den Wert oder Unwert der vorgeführten Lebensarten zu orientieren. Man sage nicht, des Autors Sache wäre gerade dieses nicht, er habe sich vielmehr hinter den Personen u. Handlungen zu verbergen, ohne sie zu erklären. Ich aber meine, des Dichters Pflicht ist es, den Leser besser über den Inhalt aufzuklären, als ihn, ohne Führung des Dichters, das nackte Leben selbst aufklären würde. Das Stoffliche des Lebens blos um einen Stoff zu vermehren, ist sicher nicht Angelegenheit eines Dichters, vielmehr a hat er alle Mittel zu ergreifen, um auch den Leser so sehend zu machen, wie er eben selbst sehend ist. In der Tat begegnete es der vorliegenden Novelle, daß sie von den meisten Rezensenten vollständig falsch aufgefaßt wurde, sicher nicht im Sinne des Autors. Die Verantwortung dafür trägt nur der Dichter, der Dichtung mit Stoffdarstellung verwechselt hat. {607} Nebenbei: Wie kommt es, daß Männer so gerne ihre erotischen Erlebnisse ausplaudern? Kein Zweifel, daß weniger das erlebte Glücksgefühl , es ist, das nach Mitteilung t drängt, als vielmehr gerade jene Eitelkeit, die ja zum Erlebnis geführt hat. Der stärkste Beweis hiefür ist wohl die nicht [illeg]wegzuleugnende Tatsache, daß die Männer, über jegliche Notwendigkeit hinaus, bei solchen Gelegenheiten lügnerisch zu renommieren pflegen, also die Tatsachen fälschen, nur um den Neid des anderen Mannes zu erregen.

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Kaufmännische [illeg]Usançen: Der Wirt veranlaßt uns brieflich auf den Transport durch seine Pferde zu reflektieren, läßt aber im gegebenen Augenblick seine Fahrt zur Kirche dem Interesse der Gäste vorangehen, die er bei vollem Bewußtsein mutwillig schädigt. Er ahnt freilich nicht, daß er ein zweitesmal keine Gelegenheit zu solcher Usançe erhalten wird.

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© Transcription Marko Deisinger.

July 1, 1914.

With respect to deeds, mankind remained immutably themselves. Acts of charity towards one's neighbors must have existed among the heathens, just as they do today. What we additionally see in the course of history are merely ever new labels for virtues, which in the meantime have been practiced not so much in deeds as, unfortunately, in words. The new nomenclature is also deceptive with regard to supposed progress even in respect of deeds.

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In the obsession with money lies, above all, the desire for independence. In this wish, however, is expressed the contempt of people: in actual fact, man never stands so low as in the moment when he ought to give something to someone who is poor! Thus independence of people is the happiness of being able to evade the baseness of people who give.

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The ease with which money is acquired deceives one into supposing that the loftier goods can perhaps be gained just as easily. To acquire money is something that millions of people can surely understand; but those who have created lofty goods for themselves and others through greater effort are few and far between, and this is also the reason while these few will be highly revered!

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Schnitzler's Beate. 1 The contradiction in the author himself is prominent also in his work; his faulty understanding of life, especially in erotic terms, pervades the novella's main character. Beate is basically a thoroughly decent, pure female personality; and the author himself indeed wanted to say something like that about her if one considers that he has her come from a simple peasant society. This very origin protects her in marriage from all temptations: something that says a lot, considering that she marries an actor – and one who, moreover, is by no means flawless. (At any rate, the purity which the author imputes to her seems highly improbable, insofar as the degree of her purity is as high as the author indicates.) {605} Thus there is already a contradiction to this purity when the author, on the other hand, attributes to her thought processes from which one would conclude that she was nearly a pathologically erotic character. That Beate's basic character is that of an honest woman is attested by the fact that she regards her son's puberty as tragic, for various reasons; no less does the way in which she understands her experience with Fritz, and her need for atonement, point in this direction. The author was found wanting in many respects in motivating the overriding characteristic of purity in a logical way, and making it clearly recognizable; and I believe that the representation of the problem would have been the more successful had he portrayed Beate's purity, as a basic character trait, with greater cogency. Her experience with Fritz would then still be no contradiction to that basic trait, but rather more an elucidation by contrast. Roused from her own purity by her son's adolescence, as it were, she begins – as is only too natural – to perceive erotic relationships all around her only for the very first time, moreover with horror and dismay, since she sees how devoid of all blessing are the physical relationships between the sexes. Infected now by this atmosphere, and as a widow surrounded by men and youths to be taken with greater and lesser degrees of seriousness, she lets herself get carried away by an adventure that she can understand only too soon in its terrifying hollowness and perceive as unbearable. What excuses Beate is above all the fact, observed everywhere in life, that she finds occasion to contemplate her beloved husband only afterwards. The love that she felt in marriage was an expression of a hitherto unilluminated instinct; now she emerges from her twilight condition, arrives in the harsh light of consciousness and doubt, which unspeakably confuse the woman. Everything in the past, which she had until then apparently perceived as definitive, suddenly becomes problematic for her and undergoes the most unfavorable elucidation imaginable through the misbehavior of the two youths, who exchange their erotic experiences in competition with each other, as the product {606} of vanity and boastfulness. At the end, she thinks, even her husband only took advantage of her, truly betraying her and introducing comedy into love. In the boat, she at least experiences the delicate trait of her son, who neither betrays his own love nor is determined to reproduce what he heard about his mother. Nonetheless at the last moment she already feels liberated merely because her son knows about her disgrace, and that she can atone for these together with him.

The author cannot be spared the criticism of having exercised extreme frugality in the motivation of such a personal disposition. He provides us with nothing that could make us understand how such a strict concept and attitude was possible in Beate in particular, in the midst of a milieu that, for sure, observed other principles. And the author, on the impulse of his own reprehensible sentiments, soiled his central figure with thoughts that he wished to put forth at all costs, for sake of spicing things up, without realizing that they stood in contradiction to that figure. In any event the author was guilty of orientating the reader more to the worth or worthlessness of the lifestyles portrayed. One should not say that this is precisely not the author's job, but rather that he should hide behind the characters and storyline, without explaining them. But I say that it is the author's duty to enlighten the reader about the content better than life itself can explain on its own without the author's guidance. To increase the stuff of life merely with more stuff is, surely, not the writer's task; rather he must summon every means possible to enable the reader to see as well as he himself can see. In fact this novella was completely misunderstood by most of the critics who reviewed it, and certainly not in the way intended by the other. The responsibility for this rests entirely with the author, who has confused the writing of fiction with the presentation of material. {607} An afterthought. How is it that men like to blab so much about their erotic experiences? No doubt that it is not the feeling of happiness experienced that compels them to communicating their experience, but rather that vanity that has actually led to the experience. The strongest evidence of this is probably the undeniable fact that these men, beyond all necessity, are accustomed on such occasions to boast deceitfully, that is to falsify the facts, merely in order to arouse the envy of other men.

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Business practices: The innkeeper prompts us in a letter to consider using his horses for transport; when the moment arrives, however, he gives priority to his trip to the church over the interest of his guests, of whom he is fully conscious of maliciously damaging. He clearly does not realize that he will not have a second occasion for such a practice.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Arthur Schnitzler's story Frau Beate und ihr Sohn appeared between February and April 1913 in the Berlin literary magazine Die neue Rundschau; that same year the publishers of the magazine, S. Fischer, brought it out as a book.