15.
Amtliche Meldung der Einnahme von Schabac, womit der Einmarsch in Serbien eröffnet wurde. 1 Es wäre zu wünschen, daß Oesterreich rasch zum Ziele in Serbien gelangen könnte, um Teile der Armee für wichtige nördliche Aufgaben frei zur Verfügung zu erhalten. Da indessen die Serben nichts mehr zu verlieren haben, so ist zu erwarten, daß sie sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werden. Deutlich aber zeigt der Fall Serbiens, welch’ windige Politik Rußland trieb: eine Politik ohne jede sachliche Fundierung, man möchte beinahe sagen eine Politik des Konkurses, bei der Menschen wie Waren verschleudert werden! Man denke nur: Serbien als verbündeter Kleinstaat ist nicht einmal in der Lage, von Rußland Hilfe erlangen zu können; welche unnatürliche Verbindung! Ebensowenig vermögen ja die Franzosen den Russen unmittelbar Hilfe zu leisten. – Die amtlichen Berichte mahnen immer wieder zur Ruhe u. Geduld. Glücklicherweise ist anzunehmen, daß sich die Heeresleitung nicht durch Wünsche des [recte der] völlig sachunverständigen Publikums Bevölkerung leiten, bezw. drängen lassen werde. Und es wäre nur zu wünschen, daß auch auf dem Gebiete der Kunst die Führenden, seien es Schriftsteller, Verleger, Theater-Direktoren, dem Publikum ähnlich tapfer standhalten mögen. Es ist klar, daß das Publikum die Bevölkerung, sowohl der Armee gegenüber, als in den übrigen hier angeführten Fällen blos maulmachend dasteht u. Wünsche äußert, weil nichts einfacher ist, als eben nur Wünsche zu äußern, namentlich – wenn man Geld zahlt. Mindestens das Recht auf Wünsche glaubt das Publikum die Bevölkerung mit seinem ihrem Gelde zu erkaufen. Und wenn man den {650} Wünschen des Publikums nachgibt, so geschieht das vielfach von dem Standpunkte aus, daß es für sein Geld das haben solle, was es verlange. Dazu tritt der 2. Standpunkt eines Respektes vor den Wünschen des Publikums als der Aeußerung einer wenn noch ungeduldigen, dennoch berechtigten Fantasie des Volkes. Indessen sind beide Standpunkte völlig falsch. Man sehe doch, wie die Armeeleitung keine Rücksicht auf die Wünsche nimmt u. frage sich, wie diese Nichtbeachtung möglich sei; . sSie erklärt sich einfach aus dem Umstand, daß die Erreichung des Zieles gefährdet wäre. Die Armeeleitung weiß, daß das Publikum vom Ziel nichts weiß u. läßt sich daher konsequenterweise in die Mittel nichts dreinreden, mit denen sie das Ziel zu erreichen sucht. (Diese Verhältnisse waren wären ohneweiter ses auch auf die Kunst zu übertragen: auch in der Kunst müßten die Führenden, die Ziele vor Augen haben, das Publikum dazu bringen, nicht dreinzureden in die Mittel, die zur Erreichung der Ziele notwendig sind.) Daraus ergäben sich segenreiche volkswirtschaftliche Folgen, die namentlich in Kriegszeiten in Erscheinung treten könnten. Während z. B. in gegenwärtiger Zeit die Theater schließen müssen, weil sie ernstes Repertoire der zuhausegebliebenen Menge nicht vorlegen, andererseits aber aus Gründen des Taktes das tägliche Brot der Menge wie Operette, Posse u. s. w. nicht vorsetzen können, würde bei strammer Leitung des Publikums – worunter eine dauernde Nichtberücksichtigung der allzu billigen Wünsche zu verstehen ist – das Theater sehr wohl auch in Kriegszeiten in der Lage sein zu spielen u. gute Literatur zu kredenzen. Was aber die angebliche Fantasie des Volkes anlangt, die in Wünschen den Tatsachen so kühn voraneilt, so ist das wahrhaftig nichts weniger als Fantasie im wahren Sinne des Wortes zu nennen; als Fantasie könnte vielmehr nur die Fähigkeit bezeichnet werden, die Aufgaben einer Armee zu erfassen u. zu verstehen, wie mühsam von Stelle zu Stelle gegangen werden kann. Ein Gehirn, das all’ alle diese Punkte ignoriert, zeigt nur Mangel an Vorstellungsvermögen u. es entspricht nur der allgemeinen Untüchtigkeit der im , bezw. oder unter dem Durchschnitt stehenden Menschen, daß sie auch diese Unfähigkeit sich gutschreiben unter dem Titel Fantasie, wo in Wahrheit absurde Lippenexkremente in Form billigsten Denkens, bezw. Nichtdenkens u. Schwätzens vorliegt. {651} Doch wer würde wagen, die Fantasie des Volkes anzutasten? Dieser traurige Sachverhalt zeigt leider wieder nur, wie wenig Sinn der Menschheit dafür innewohnt, was als Aufgabe bezeichnet werden muß. Was zur Erfüllung einer Sache gehört, das alles zu bedenken fällt der Menschheit immer noch am schwersten. *
© Transcription Marko Deisinger. |
15.
Official report of the capture of Schabatz, from which the advance into Serbia was launched. 1 It would be desirable for Austria to achieve its goal in Serbia quickly, so that it could free up parts of its army for important assignments in the north. Since, however, the Serbs have nothing more to lose, it is expected that they will defend themselves to the last drop of blood. But the Serbian case clearly shows what a meandering political course Russia has been pursuing: a politics without any objective foundation, one might almost call it a politics of bankruptcy in which people are sold off like goods! Just think: Serbia, as a confederate micro-state, is not even in a position to gain help from Russia: what an unnatural alliance! Least of all can the French offer the Russians help immediately. – The official reports continue to advise calm and patience. Fortunately, it may be presumed that the military command will not be led, or goaded, by the wishes of a populace completely lacking in expertise. And it is only to be desired that in the field of art, too, the leading figures, be they writers, publishers, or theater directors, can similarly stand up bravely before their audiences. It is clear that the populace is just standing there making noises, whether in front of the army or in the other instances indicated here, and expresses wishes because nothing is easier than just to express wishes, especially if one is paying money. The populace believes that it at least has the right to purchase wishes with its money. And if one gives in to the {650} wishes of the public, that is often made from the standpoint that it ought to have that which it demands for its money. To this a second standpoint of a respect for the wishes of the public, as the expression of a fantasy on the part of the people, one which though still impatient, is nonetheless justified. However, both standpoints are completely wrong. And one can see how the military command takes no notice of these wishes and asks itself how this disregard is possible. It may be explained simply from the circumstance that the achieving of its goal would be put at risk. The military command understands that the public knows nothing of its goal and thus logically reveals nothing about the means by which it seeks to achieve that goal. (These circumstances may, without further ado, also be transferred to art: in art, too, the leaders, who have goals in mind, ought to persuade the public not to meddle in the measures that are necessary for achieving these goals.) From this would emerge beneficent consequences for the national economy, which could make an appearance especially in times of war. At the present time, for example, the theaters must close because they cannot offer serious repertory to the masses who are staying at home; they are on the other hand unable, for reasons of tact, to offer the masses their daily bread such as operettas, farces, and the like. Yet, with firm guidance of their audience – by which a constant refusal to consider their cheap wishes is to be understood – the theaters are, even in times of war, very much in a position to put on plays and to serve good literature. But as far as the supposed imagination of the people is concerned, who in their wishes rush forward so boldly past the facts, that there is in truth nothing less than fantasy in the literal sense of the word; but fantasy could much better be described only as the capacity to comprehend and understand the duties of an army, how it can move from place to place with difficulty. A brain that ignores all these points merely shows an absence of imaginative capacity; and it is an attribute only of the general incompetence of average or below-average people that they give credit to this incompetence under the name of fantasy, whereas in reality absurd verbal excrement in the form of the cheapest thinking (or not thinking) and gossiping is at hand. {651} But who would dare to infringe upon the fantasy of the people? This tragic state of affairs merely shows again how little understanding inheres in humanity for that which must be described as duty. That which belongs to the fulfillment of a cause, all of this is still the most difficult thing for humanity to consider. *
© Translation William Drabkin. |
15.
Amtliche Meldung der Einnahme von Schabac, womit der Einmarsch in Serbien eröffnet wurde. 1 Es wäre zu wünschen, daß Oesterreich rasch zum Ziele in Serbien gelangen könnte, um Teile der Armee für wichtige nördliche Aufgaben frei zur Verfügung zu erhalten. Da indessen die Serben nichts mehr zu verlieren haben, so ist zu erwarten, daß sie sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werden. Deutlich aber zeigt der Fall Serbiens, welch’ windige Politik Rußland trieb: eine Politik ohne jede sachliche Fundierung, man möchte beinahe sagen eine Politik des Konkurses, bei der Menschen wie Waren verschleudert werden! Man denke nur: Serbien als verbündeter Kleinstaat ist nicht einmal in der Lage, von Rußland Hilfe erlangen zu können; welche unnatürliche Verbindung! Ebensowenig vermögen ja die Franzosen den Russen unmittelbar Hilfe zu leisten. – Die amtlichen Berichte mahnen immer wieder zur Ruhe u. Geduld. Glücklicherweise ist anzunehmen, daß sich die Heeresleitung nicht durch Wünsche des [recte der] völlig sachunverständigen Publikums Bevölkerung leiten, bezw. drängen lassen werde. Und es wäre nur zu wünschen, daß auch auf dem Gebiete der Kunst die Führenden, seien es Schriftsteller, Verleger, Theater-Direktoren, dem Publikum ähnlich tapfer standhalten mögen. Es ist klar, daß das Publikum die Bevölkerung, sowohl der Armee gegenüber, als in den übrigen hier angeführten Fällen blos maulmachend dasteht u. Wünsche äußert, weil nichts einfacher ist, als eben nur Wünsche zu äußern, namentlich – wenn man Geld zahlt. Mindestens das Recht auf Wünsche glaubt das Publikum die Bevölkerung mit seinem ihrem Gelde zu erkaufen. Und wenn man den {650} Wünschen des Publikums nachgibt, so geschieht das vielfach von dem Standpunkte aus, daß es für sein Geld das haben solle, was es verlange. Dazu tritt der 2. Standpunkt eines Respektes vor den Wünschen des Publikums als der Aeußerung einer wenn noch ungeduldigen, dennoch berechtigten Fantasie des Volkes. Indessen sind beide Standpunkte völlig falsch. Man sehe doch, wie die Armeeleitung keine Rücksicht auf die Wünsche nimmt u. frage sich, wie diese Nichtbeachtung möglich sei; . sSie erklärt sich einfach aus dem Umstand, daß die Erreichung des Zieles gefährdet wäre. Die Armeeleitung weiß, daß das Publikum vom Ziel nichts weiß u. läßt sich daher konsequenterweise in die Mittel nichts dreinreden, mit denen sie das Ziel zu erreichen sucht. (Diese Verhältnisse waren wären ohneweiter ses auch auf die Kunst zu übertragen: auch in der Kunst müßten die Führenden, die Ziele vor Augen haben, das Publikum dazu bringen, nicht dreinzureden in die Mittel, die zur Erreichung der Ziele notwendig sind.) Daraus ergäben sich segenreiche volkswirtschaftliche Folgen, die namentlich in Kriegszeiten in Erscheinung treten könnten. Während z. B. in gegenwärtiger Zeit die Theater schließen müssen, weil sie ernstes Repertoire der zuhausegebliebenen Menge nicht vorlegen, andererseits aber aus Gründen des Taktes das tägliche Brot der Menge wie Operette, Posse u. s. w. nicht vorsetzen können, würde bei strammer Leitung des Publikums – worunter eine dauernde Nichtberücksichtigung der allzu billigen Wünsche zu verstehen ist – das Theater sehr wohl auch in Kriegszeiten in der Lage sein zu spielen u. gute Literatur zu kredenzen. Was aber die angebliche Fantasie des Volkes anlangt, die in Wünschen den Tatsachen so kühn voraneilt, so ist das wahrhaftig nichts weniger als Fantasie im wahren Sinne des Wortes zu nennen; als Fantasie könnte vielmehr nur die Fähigkeit bezeichnet werden, die Aufgaben einer Armee zu erfassen u. zu verstehen, wie mühsam von Stelle zu Stelle gegangen werden kann. Ein Gehirn, das all’ alle diese Punkte ignoriert, zeigt nur Mangel an Vorstellungsvermögen u. es entspricht nur der allgemeinen Untüchtigkeit der im , bezw. oder unter dem Durchschnitt stehenden Menschen, daß sie auch diese Unfähigkeit sich gutschreiben unter dem Titel Fantasie, wo in Wahrheit absurde Lippenexkremente in Form billigsten Denkens, bezw. Nichtdenkens u. Schwätzens vorliegt. {651} Doch wer würde wagen, die Fantasie des Volkes anzutasten? Dieser traurige Sachverhalt zeigt leider wieder nur, wie wenig Sinn der Menschheit dafür innewohnt, was als Aufgabe bezeichnet werden muß. Was zur Erfüllung einer Sache gehört, das alles zu bedenken fällt der Menschheit immer noch am schwersten. *
© Transcription Marko Deisinger. |
15.
Official report of the capture of Schabatz, from which the advance into Serbia was launched. 1 It would be desirable for Austria to achieve its goal in Serbia quickly, so that it could free up parts of its army for important assignments in the north. Since, however, the Serbs have nothing more to lose, it is expected that they will defend themselves to the last drop of blood. But the Serbian case clearly shows what a meandering political course Russia has been pursuing: a politics without any objective foundation, one might almost call it a politics of bankruptcy in which people are sold off like goods! Just think: Serbia, as a confederate micro-state, is not even in a position to gain help from Russia: what an unnatural alliance! Least of all can the French offer the Russians help immediately. – The official reports continue to advise calm and patience. Fortunately, it may be presumed that the military command will not be led, or goaded, by the wishes of a populace completely lacking in expertise. And it is only to be desired that in the field of art, too, the leading figures, be they writers, publishers, or theater directors, can similarly stand up bravely before their audiences. It is clear that the populace is just standing there making noises, whether in front of the army or in the other instances indicated here, and expresses wishes because nothing is easier than just to express wishes, especially if one is paying money. The populace believes that it at least has the right to purchase wishes with its money. And if one gives in to the {650} wishes of the public, that is often made from the standpoint that it ought to have that which it demands for its money. To this a second standpoint of a respect for the wishes of the public, as the expression of a fantasy on the part of the people, one which though still impatient, is nonetheless justified. However, both standpoints are completely wrong. And one can see how the military command takes no notice of these wishes and asks itself how this disregard is possible. It may be explained simply from the circumstance that the achieving of its goal would be put at risk. The military command understands that the public knows nothing of its goal and thus logically reveals nothing about the means by which it seeks to achieve that goal. (These circumstances may, without further ado, also be transferred to art: in art, too, the leaders, who have goals in mind, ought to persuade the public not to meddle in the measures that are necessary for achieving these goals.) From this would emerge beneficent consequences for the national economy, which could make an appearance especially in times of war. At the present time, for example, the theaters must close because they cannot offer serious repertory to the masses who are staying at home; they are on the other hand unable, for reasons of tact, to offer the masses their daily bread such as operettas, farces, and the like. Yet, with firm guidance of their audience – by which a constant refusal to consider their cheap wishes is to be understood – the theaters are, even in times of war, very much in a position to put on plays and to serve good literature. But as far as the supposed imagination of the people is concerned, who in their wishes rush forward so boldly past the facts, that there is in truth nothing less than fantasy in the literal sense of the word; but fantasy could much better be described only as the capacity to comprehend and understand the duties of an army, how it can move from place to place with difficulty. A brain that ignores all these points merely shows an absence of imaginative capacity; and it is an attribute only of the general incompetence of average or below-average people that they give credit to this incompetence under the name of fantasy, whereas in reality absurd verbal excrement in the form of the cheapest thinking (or not thinking) and gossiping is at hand. {651} But who would dare to infringe upon the fantasy of the people? This tragic state of affairs merely shows again how little understanding inheres in humanity for that which must be described as duty. That which belongs to the fulfillment of a cause, all of this is still the most difficult thing for humanity to consider. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 See "Eroberung von Schabatz. Einmarsch der österreichisch-ungarischen Armee in Serbien und Zurückwerfen des Feindes," Neue Freie Presse, No. 17950, August 15, 1914, morning edition, p. 1. |