12. XII. 15
In Wien geblieben, nur einen Spaziergang über den Ring gemacht. *Nun werden über des Reichskanzlers Rede englische u. amerikanische Stimmen bekannt. 1 So rächt sich denn der Fehler der Rede, wie ich es nicht anders erwartet habe. Schließlich mußte doch der Reichskanzler, wenn nicht schon aus der Vergangenheit Englands u. Frankreichs, so doch aus der jüngsten Gegenwart wissen, wie seine Gegner beschaffen sind. Ich kann also nicht annehmen, daß er von seiner Rede eine ernstliche Besserung der letzteren in der Richtung der Vernunft u. Moral erwartet hat; wozu diente dann aber seine Rede? Wollte es blos die Gegner noch einmal ins Unrecht setzen? Auch dies bleibt {65} vergebliche Mühe des Kanzlers, denn wer den Krieg so cynisch herbeiführen konnte, wie der Engländer, wird einer Gewissensregung unter dem Eindruck gesprochener Worte Argumente sicher nicht zugänglich sein. So behält denn in diesem Punkte wieder nur die Natur Recht, die der Rohheit, wenn sie unschädlich gemacht werden soll, wieder Rohheit u. Gewalt entgegengesetzt wissen will. In der Tat wird Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als England mit den Waffen zu überzeugen, wenn es mit Worten nicht zu überzeugen ist. – Mir persönlich dient es zur Beruhigung, daß der Kanzler jeglichen schwachen Punkt in der Rechnung in Abrede stellt u. nur aus dem Gefühl der Sicherheit mag es dann überhaupt zu erklären sein, daß er seine Rede dem Mißverständnis der Feinde auszusetzen sich nicht scheute. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
December 12, 1915.
We stay in Vienna, taking only a walk along the Ring. *Now the English and American views of the German Chancellor's speech have been made known. 1 Thus the mistake of the address takes its revenge: I did not expected anything different. Ultimately the chancellor must have known – if not already from England's and France's past, then from the most recent present – what his opponents are made of. I therefore cannot accept that he expected, on the basis of his speech, a serious improvement on their part, in the direction of reason and morality; but then what purposes did his speech serve? Was it merely intended to put his opponents once again in the wrong? Even this remains the {65} chancellor's vain efforts; for to anyone who can conduct the war as cynically as the English, a stirring of the conscience by the impact of spoken arguments will surely not be accessible. So on this point the only right is again the right of nature which, if it is to be rendered resistant to barbarism, must be able to set barbarism and force against it. In fact, there remains nothing else for Germany to do but to overpower England with its weapons, if it cannot do so in words. – I am, personally, relieved that the chancellor denies any weak points in his reckoning; and it is only from a feeling of security that it can at all be explained that he did not shy away from exposing his speech to the misconstruction of his enemies. — *
© Translation William Drabkin. |
12. XII. 15
In Wien geblieben, nur einen Spaziergang über den Ring gemacht. *Nun werden über des Reichskanzlers Rede englische u. amerikanische Stimmen bekannt. 1 So rächt sich denn der Fehler der Rede, wie ich es nicht anders erwartet habe. Schließlich mußte doch der Reichskanzler, wenn nicht schon aus der Vergangenheit Englands u. Frankreichs, so doch aus der jüngsten Gegenwart wissen, wie seine Gegner beschaffen sind. Ich kann also nicht annehmen, daß er von seiner Rede eine ernstliche Besserung der letzteren in der Richtung der Vernunft u. Moral erwartet hat; wozu diente dann aber seine Rede? Wollte es blos die Gegner noch einmal ins Unrecht setzen? Auch dies bleibt {65} vergebliche Mühe des Kanzlers, denn wer den Krieg so cynisch herbeiführen konnte, wie der Engländer, wird einer Gewissensregung unter dem Eindruck gesprochener Worte Argumente sicher nicht zugänglich sein. So behält denn in diesem Punkte wieder nur die Natur Recht, die der Rohheit, wenn sie unschädlich gemacht werden soll, wieder Rohheit u. Gewalt entgegengesetzt wissen will. In der Tat wird Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als England mit den Waffen zu überzeugen, wenn es mit Worten nicht zu überzeugen ist. – Mir persönlich dient es zur Beruhigung, daß der Kanzler jeglichen schwachen Punkt in der Rechnung in Abrede stellt u. nur aus dem Gefühl der Sicherheit mag es dann überhaupt zu erklären sein, daß er seine Rede dem Mißverständnis der Feinde auszusetzen sich nicht scheute. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
December 12, 1915.
We stay in Vienna, taking only a walk along the Ring. *Now the English and American views of the German Chancellor's speech have been made known. 1 Thus the mistake of the address takes its revenge: I did not expected anything different. Ultimately the chancellor must have known – if not already from England's and France's past, then from the most recent present – what his opponents are made of. I therefore cannot accept that he expected, on the basis of his speech, a serious improvement on their part, in the direction of reason and morality; but then what purposes did his speech serve? Was it merely intended to put his opponents once again in the wrong? Even this remains the {65} chancellor's vain efforts; for to anyone who can conduct the war as cynically as the English, a stirring of the conscience by the impact of spoken arguments will surely not be accessible. So on this point the only right is again the right of nature which, if it is to be rendered resistant to barbarism, must be able to set barbarism and force against it. In fact, there remains nothing else for Germany to do but to overpower England with its weapons, if it cannot do so in words. – I am, personally, relieved that the chancellor denies any weak points in his reckoning; and it is only from a feeling of security that it can at all be explained that he did not shy away from exposing his speech to the misconstruction of his enemies. — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Die Rede des deutschen Reichskanzlers," Neue Freie Presse, No. 18429, December 12, 1915, p. 10. |