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21. X. 16 Regen – in den Vormittagsstunden erster Schnee!

— Von Vrieslander (Br.): ist für weitere 2 Monate zurückgestellt; erzählt, er habe sich schriftlich an Bruno Walter gewendet u. sich im Brief als mein Schüler vorgestellt[.]W. habe aber das Schreiben unbeantwortet gelassen. V. zieht daraus richtige Schlüsse in bezug auf Walters Verhältnis zu mir. In der Tat scheint W. nur eben dort meine Partei zu ergreifen, wo er eine für mich bereits günstig disponierte Stimmung vorfindet. — An Dodi (K.): ersuche um Mitteilung der Kosten, die Eier u. Spitzen verursacht haben.

— Ein Herr kaiserlicher Rat Bernfeld erscheint um ½5h u. bittet mich um Rat in einer ihn selbst betreffenden musikalischen Angelegenheit. Er komponiere, sagte er, könne aber weder recht fließend Noten lesen, noch schreiben oder sich auch nur halbwegs geschickt auf dem Klavier bewegen. Der Mann zeigte den in so zahlreichen Exemplaren vertretenen Typus eines Liebhabers der Musik, der seiner Liebhaberei in dieser oder jener Exaltation Luft zu machen weiß, ohne sich aber der Kunst wirklich mit Ernst u. Geduld nähren zu wollen. Auch noch in dem Augenblicke, da er um Rat fragt, erklärt er, zu Klavierspiel keine Geduld aufbringen zu können, nicht einmal zu vierhändigem Spiel. Außerdem machte sich der sonderbare Mann auch noch sonst einige künstliche Hindernisse, indem er einen eventuellen Klavierunterricht an Bedingungen knüpfte, wie z. B. daß er den Unterricht auswärts nehme, daß der Lehrer im IX. Bezirk oder in nächster Nähe desselben wohnen u. dgl. m. Ich verwieß [sic] ihn an die Adresse des Herrn Feinsinger u. gab ihm den Rat, zunächst einmal {479} mit diesem Lehrer einen Versuch zu machen, vorausgesetzt, daß er sich Zeit dazu nähme. Auf die Frage, wie er denn zu mir gekommen sei, antwortet er, er kenne meinen Namen schon seit 10 Jahren u. habe sich daher an autoritativster Stelle einen Rat holen wollen. – Im Laufe des Gespräches zeigte es sich auch, daß er Fr. Deutsch, Frl. Kahn u. sonstige Bekannte von mir ebenfalls persönlich kenne. —

Wienerisches: Im Caféhaus telephoniere ich an die Gaswerke u. erhalte um 2h zunächst den Bescheid, erst etwa in 20–30 Min. anzurufen, da der betreffende Herr im Büro noch nicht anwesend sei. Dieß [sic] tat ich denn auch u. erhielt nun wieder den Bescheid, daß der Arbeiter noch heute bestimmt kommen werde. Nach der Jause begebe ich mich nachhause, wo ich zu meiner Enttäuschung bis gegen 7h vergeblich auf den angekündigten Arbeiter warte. Nun heißt es sich bis Montag gedulden. —

*

Der Ministerpräsident Graf Stürgkh von Dr. Friedrich Adler, dem Sohne Dr. Victor Adlers erschossen. 1 Ein politischer Mord, verbrochen von einem Fanatiker, der sich dabei zwar etwas dachte, doch jedenfalls dieß das Gedachte unverhältnismäßig überschätzte, so daß schließlich eine Tat wie die seine, die unter Umständen auch als eine heroische begründet empfunden werden könnte, sich dießmal [sic] eher als eine hohle anarchistische darstellt. Somit liegt eine Tragödie nicht nur auf Seite des Ermordeten, sondern auch auf Seite des Mörders vor. Die Tat dürfte im Auslande eine ungünstige Wirkung hervorbringen, da man sie dort mit Augen des Feindes sehend, vielleicht als Dokument nach einer anderen Richtung hin deuten wird, als sie in Wirklichkeit zu deuten ist.

*

© Transcription Marko Deisinger.

October 21, 1916. Rain – in the morning hours, the first snowfall!

— Letter from Vrieslander: he has been exempted from military service for a further two months; he tells me he has written to Bruno Walter and introduced himself as a pupil of mine – but Walter left the letter unanswered. From this, Vrieslander draws the correct conclusions about Walter's relationship to me. In fact, Walter seems to take up my cause only where he encounters an atmosphere that is already sympathetic to me. — Postcard to Dodi: I ask her to tell me what costs she incurred from sending the eggs and lace.

— An imperial counsellor by the name of Bernfeld appears at 4:30 and asks me for advice in musical matter that specifically concerns him. He composes, so he says, but he can neither read nor write musical notation fluently, and cannot get around the keyboard in even a half-competent manner. The man revealed himself in so many ways the typical amateur in music who wants to give vent to his enthusiasm in one exalted way or another, but without wishing to nourish his understanding of the art with seriousness and patience. Even at the moment when he asked for advice, he declared that he cannot summon any patience to play the piano, not even piano four hands. In addition this strange man created a few artificial obstacles for himself, by connecting possible tuition in piano with conditions, for example, that he receive tuition outside [the city center], that the teacher live in the IXth district or as near to it as possible, and much else. I gave him the address of Mr. Feinsinger and advised him in the first place to {479} try with this teacher – assuming that he took the necessary time for it. When I asked him how he came to me, he replied that he has known my name for ten years, and wanted to obtain advice from the highest authority. – In the course of the discussion it turns out, too, that he knows Mrs. Deutsch, Miss Kahn, and other people with whom I am personally acquainted. —

— Typically Viennese: in the coffee house, I telephone the gas works and initially receive the response, at 2 o'clock, not to call for another 20 to 30 minutes, as the gentleman in question is not yet in the office. I did this, and again received the reply that the workman will still definitely come today. After teatime, I make my way home where, to my disappointment, I wait in vain until 7 o'clock for the workman who was to come. Now I shall have to be patient until Monday. —

*

The prime minister, Count Stürgkh, shot by Dr. Friedrich Adler, the son of Dr. Victor Adler. 1 A political murder, perpetrated by a fanatic who, to be sure, had something in mind in doing this but vastly overestimated what he was thinking about: ultimately an act of the sort that he committed, which could have been regarded as a heroic deed under certain circumstances, amounted this time more to an empty act of anarchy. Thus a tragedy lies not only on the side of the murdered man but also on the side of the murderer. The deed will generate an unfavorable effect abroad, where one will see it with an enemy's eyes and perhaps interpret it as a document in a different way from that in which it should actually be interpreted.

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© Translation William Drabkin.

21. X. 16 Regen – in den Vormittagsstunden erster Schnee!

— Von Vrieslander (Br.): ist für weitere 2 Monate zurückgestellt; erzählt, er habe sich schriftlich an Bruno Walter gewendet u. sich im Brief als mein Schüler vorgestellt[.]W. habe aber das Schreiben unbeantwortet gelassen. V. zieht daraus richtige Schlüsse in bezug auf Walters Verhältnis zu mir. In der Tat scheint W. nur eben dort meine Partei zu ergreifen, wo er eine für mich bereits günstig disponierte Stimmung vorfindet. — An Dodi (K.): ersuche um Mitteilung der Kosten, die Eier u. Spitzen verursacht haben.

— Ein Herr kaiserlicher Rat Bernfeld erscheint um ½5h u. bittet mich um Rat in einer ihn selbst betreffenden musikalischen Angelegenheit. Er komponiere, sagte er, könne aber weder recht fließend Noten lesen, noch schreiben oder sich auch nur halbwegs geschickt auf dem Klavier bewegen. Der Mann zeigte den in so zahlreichen Exemplaren vertretenen Typus eines Liebhabers der Musik, der seiner Liebhaberei in dieser oder jener Exaltation Luft zu machen weiß, ohne sich aber der Kunst wirklich mit Ernst u. Geduld nähren zu wollen. Auch noch in dem Augenblicke, da er um Rat fragt, erklärt er, zu Klavierspiel keine Geduld aufbringen zu können, nicht einmal zu vierhändigem Spiel. Außerdem machte sich der sonderbare Mann auch noch sonst einige künstliche Hindernisse, indem er einen eventuellen Klavierunterricht an Bedingungen knüpfte, wie z. B. daß er den Unterricht auswärts nehme, daß der Lehrer im IX. Bezirk oder in nächster Nähe desselben wohnen u. dgl. m. Ich verwieß [sic] ihn an die Adresse des Herrn Feinsinger u. gab ihm den Rat, zunächst einmal {479} mit diesem Lehrer einen Versuch zu machen, vorausgesetzt, daß er sich Zeit dazu nähme. Auf die Frage, wie er denn zu mir gekommen sei, antwortet er, er kenne meinen Namen schon seit 10 Jahren u. habe sich daher an autoritativster Stelle einen Rat holen wollen. – Im Laufe des Gespräches zeigte es sich auch, daß er Fr. Deutsch, Frl. Kahn u. sonstige Bekannte von mir ebenfalls persönlich kenne. —

Wienerisches: Im Caféhaus telephoniere ich an die Gaswerke u. erhalte um 2h zunächst den Bescheid, erst etwa in 20–30 Min. anzurufen, da der betreffende Herr im Büro noch nicht anwesend sei. Dieß [sic] tat ich denn auch u. erhielt nun wieder den Bescheid, daß der Arbeiter noch heute bestimmt kommen werde. Nach der Jause begebe ich mich nachhause, wo ich zu meiner Enttäuschung bis gegen 7h vergeblich auf den angekündigten Arbeiter warte. Nun heißt es sich bis Montag gedulden. —

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Der Ministerpräsident Graf Stürgkh von Dr. Friedrich Adler, dem Sohne Dr. Victor Adlers erschossen. 1 Ein politischer Mord, verbrochen von einem Fanatiker, der sich dabei zwar etwas dachte, doch jedenfalls dieß das Gedachte unverhältnismäßig überschätzte, so daß schließlich eine Tat wie die seine, die unter Umständen auch als eine heroische begründet empfunden werden könnte, sich dießmal [sic] eher als eine hohle anarchistische darstellt. Somit liegt eine Tragödie nicht nur auf Seite des Ermordeten, sondern auch auf Seite des Mörders vor. Die Tat dürfte im Auslande eine ungünstige Wirkung hervorbringen, da man sie dort mit Augen des Feindes sehend, vielleicht als Dokument nach einer anderen Richtung hin deuten wird, als sie in Wirklichkeit zu deuten ist.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 21, 1916. Rain – in the morning hours, the first snowfall!

— Letter from Vrieslander: he has been exempted from military service for a further two months; he tells me he has written to Bruno Walter and introduced himself as a pupil of mine – but Walter left the letter unanswered. From this, Vrieslander draws the correct conclusions about Walter's relationship to me. In fact, Walter seems to take up my cause only where he encounters an atmosphere that is already sympathetic to me. — Postcard to Dodi: I ask her to tell me what costs she incurred from sending the eggs and lace.

— An imperial counsellor by the name of Bernfeld appears at 4:30 and asks me for advice in musical matter that specifically concerns him. He composes, so he says, but he can neither read nor write musical notation fluently, and cannot get around the keyboard in even a half-competent manner. The man revealed himself in so many ways the typical amateur in music who wants to give vent to his enthusiasm in one exalted way or another, but without wishing to nourish his understanding of the art with seriousness and patience. Even at the moment when he asked for advice, he declared that he cannot summon any patience to play the piano, not even piano four hands. In addition this strange man created a few artificial obstacles for himself, by connecting possible tuition in piano with conditions, for example, that he receive tuition outside [the city center], that the teacher live in the IXth district or as near to it as possible, and much else. I gave him the address of Mr. Feinsinger and advised him in the first place to {479} try with this teacher – assuming that he took the necessary time for it. When I asked him how he came to me, he replied that he has known my name for ten years, and wanted to obtain advice from the highest authority. – In the course of the discussion it turns out, too, that he knows Mrs. Deutsch, Miss Kahn, and other people with whom I am personally acquainted. —

— Typically Viennese: in the coffee house, I telephone the gas works and initially receive the response, at 2 o'clock, not to call for another 20 to 30 minutes, as the gentleman in question is not yet in the office. I did this, and again received the reply that the workman will still definitely come today. After teatime, I make my way home where, to my disappointment, I wait in vain until 7 o'clock for the workman who was to come. Now I shall have to be patient until Monday. —

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The prime minister, Count Stürgkh, shot by Dr. Friedrich Adler, the son of Dr. Victor Adler. 1 A political murder, perpetrated by a fanatic who, to be sure, had something in mind in doing this but vastly overestimated what he was thinking about: ultimately an act of the sort that he committed, which could have been regarded as a heroic deed under certain circumstances, amounted this time more to an empty act of anarchy. Thus a tragedy lies not only on the side of the murdered man but also on the side of the murderer. The deed will generate an unfavorable effect abroad, where one will see it with an enemy's eyes and perhaps interpret it as a document in a different way from that in which it should actually be interpreted.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Attentat auf den Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh," Neue Freie Presse, No. 18739, October 21, 1916, special edition, p. 1.