3. August 1928 Leicht bedeckt.

Oppel mit den Jungen u. Helmut greifen ein wenig aus, gehen aufs Zeinisjoch, wir folgen u. ohne es beabsichtigt zu haben erreichen wir die Grenze; Klara ist sehr entzückt, Oskar ist zuhause geblieben. Auf dem Rückweg ist mir sehr heiß, da ich ungeeignete Kleider trage; gegen 2h beginnen wir erst mit dem Mittagessen. — Um ½5h nehmen wir die Jause im Hotel u. schlendern dann vor dem Hause. — Ulrich auf dem Gorfen von 3–½7h! — Bleiben bis 10h beisammen. In all den Tagen lernte ich die Schwester Klara u. den Schwager Oskar als sehr reizende Menschen kennen, namentlich der Schwager ist sehr unterrichtet, sein Wissen leidet nur daran, daß es in der Provinzstadt keine Möglichkeit weiterer Entfaltung gewinnen kann. Es fehlt dort an einer Nötigung, sich mit Höhergeartetem auseinanderzusetzen, eine Steigerung kann weder angestrebt noch erreicht werden, u. so dreht sich alles gleichsam im Kreise herum, im Kreise von Büchern u. von Menschen, die ebenfalls keine Entwicklung erleben. Freilich liegt das es auch an der bescheidenen Begabung des Schwagers, wenn er bei sei so vielen Vorzügen sein Leben nicht weiter erstreckt hat. Wie immer denn sei, er ist ein vorzüglicher Mensch, ein vorzüglicher Gesellschafter u. trägt viel zur Annehmlichkeit des Beisammenseins bei. Allerdings vermeide ich, den stärksten Unterschied hervorzukehren, der darin besteht, daß ich das Volk für eine bösartige Fiktion halte, also an das Volk nicht glaube, während er sich eine Entwicklung des Volkes nach langer Zeit verspricht. Sonderbarerweise begegnen wir einander in der Verehrung des Einzelnen, aber unerklärlicherweise kehrt der Schwager von seinem Ausflug zum Einzelnen immer wieder zum Volke zurück, während ich den Standort des Einzelnen nicht aufgebe. 1

—Die Schwester Klara ist offenbar eine treffliche Frau, verzichtet {3239} hier aus Klugheit auf ihre angeborene Art zu predigen, hütet sich auch, ihre pazifistischen u. weltbeglückenden Ideen zu äußern, da sie weiß, daß ich solche Dingen nicht hold bin. Ich habe deutlich die Empfindung, daß Beide meine Gedankenwelt schonen, wofür ich mein Entgegenkommen dahin äußere, daß ich umgekehrt auch sie schone. Der Verkehr mit Oppel, der mir sehr lieb ist, gestaltet sich weit schwieriger, denn noch immer weiß ich nicht wohin seine Wünsche eigentlich zielen. Er gibt sich augenscheinlich Mühe, auf die Linie hinzuweisen, sogar bei Uebungsstücken wie von Rode, Kreutzer, doch möchte ich die Richtigkeit der Linie bezweifeln. Im Verbande einer Schule, als Vater mit Sorgen beladen, von unermeßlichen Qualen gefoltert, findet er ja kaum Zeit, sich meinen Dingen so zu widmen, wie sie es fordern. Wir sprechen von allerhand Dingen, Erlebnissen, Personen, streifen wohl auch die Kunst im Engeren; kurz, ich glaube meine Schuldigkeit einigermaßen zu erfüllen.

© Transcription Marko Deisinger.

August 3, 1928, partly cloudy.

Oppel, with his sons, and Helmut get a short headstart, and go up to the Zeinisjoch; we follow and, without having intended to do so, we reach the border; Klara is thoroughly enchanted; Oskar stayed home. On the trip back I get very hot, as I am wearing unsuitable clothing; we do not begin lunch until around 2 o'clock. — At 4:30 we take afternoon snack in the hotel, and then wander about in front of the building. — Ulrich on the Gorfen from 3 until 6:30! — We remain with our guests until 10 o'clock. — In these past days I became acquainted with sister Klara and brother-in-law Oskar, who are very charming people; the brother-in-law in particular is well educated; his knowledge suffers only from the fact that he cannot gain further enrichment in a provincial town. There he lacks the compulsion to come to grips with higher ideas; an improvement can be neither attempted nor achieved; and so everything goes round in a circle, so to speak, a circle of books and of people who likewise do not experience a development. Admittedly this is also a consequence of the brother-in-law's modest gifts, if he has not progressed further in life in spite of so many advantages. However things may be, he is an excellent person, an excellent companion; and he contributes much to the agreeableness of the company. At any rate, I avoid emphasizing the strongest difference [between us], which consists in my regarding the people [as a collective identity] as a wicked fiction, i.e. my not believing in the people; whereas he makes the mistake of [expecting] a development of the people after a long time. Strangely, our ideas meet in the reverence of the individual; but inexplicably my brother-in-law always returns from his excursion in praise of the individual back to the the people, whereas I do not give up my standpoint of the individual. 1

My sister[-in-law] Clara is a splendid woman; she refuses {3239} here – sensibly – to preach in her innate way, and also takes care not to express her pacifist and world-blessing ideas, since she knows that I am not comfortable with such things. I get the distinct feeling that the two of them are respecting my intellectual world, on account of which I willingly express my agreement to respect theirs. My association with Oppel, who is very dear to me, develops with much greater difficulty, since I still do not know where his wishes are actually aiming at. He appears to take the trouble to refer to the [Ur]linie, even in studies such as those by Rode and Kreutzer; and yet I should like to doubt the correctness of the line [he is taking]. Caught in the fetters of a school, like a father weighed down by cares, tormented by immeasurable distress, he hardly finds the time to dedicate himself to my matters as they deserve. We speak of all sorts of things, experiences, persons, even touching upon art in a narrower sense; in short, I believe that, to some extent, I have fulfilled my obligations.

© Translation William Drabkin.

3. August 1928 Leicht bedeckt.

Oppel mit den Jungen u. Helmut greifen ein wenig aus, gehen aufs Zeinisjoch, wir folgen u. ohne es beabsichtigt zu haben erreichen wir die Grenze; Klara ist sehr entzückt, Oskar ist zuhause geblieben. Auf dem Rückweg ist mir sehr heiß, da ich ungeeignete Kleider trage; gegen 2h beginnen wir erst mit dem Mittagessen. — Um ½5h nehmen wir die Jause im Hotel u. schlendern dann vor dem Hause. — Ulrich auf dem Gorfen von 3–½7h! — Bleiben bis 10h beisammen. In all den Tagen lernte ich die Schwester Klara u. den Schwager Oskar als sehr reizende Menschen kennen, namentlich der Schwager ist sehr unterrichtet, sein Wissen leidet nur daran, daß es in der Provinzstadt keine Möglichkeit weiterer Entfaltung gewinnen kann. Es fehlt dort an einer Nötigung, sich mit Höhergeartetem auseinanderzusetzen, eine Steigerung kann weder angestrebt noch erreicht werden, u. so dreht sich alles gleichsam im Kreise herum, im Kreise von Büchern u. von Menschen, die ebenfalls keine Entwicklung erleben. Freilich liegt das es auch an der bescheidenen Begabung des Schwagers, wenn er bei sei so vielen Vorzügen sein Leben nicht weiter erstreckt hat. Wie immer denn sei, er ist ein vorzüglicher Mensch, ein vorzüglicher Gesellschafter u. trägt viel zur Annehmlichkeit des Beisammenseins bei. Allerdings vermeide ich, den stärksten Unterschied hervorzukehren, der darin besteht, daß ich das Volk für eine bösartige Fiktion halte, also an das Volk nicht glaube, während er sich eine Entwicklung des Volkes nach langer Zeit verspricht. Sonderbarerweise begegnen wir einander in der Verehrung des Einzelnen, aber unerklärlicherweise kehrt der Schwager von seinem Ausflug zum Einzelnen immer wieder zum Volke zurück, während ich den Standort des Einzelnen nicht aufgebe. 1

—Die Schwester Klara ist offenbar eine treffliche Frau, verzichtet {3239} hier aus Klugheit auf ihre angeborene Art zu predigen, hütet sich auch, ihre pazifistischen u. weltbeglückenden Ideen zu äußern, da sie weiß, daß ich solche Dingen nicht hold bin. Ich habe deutlich die Empfindung, daß Beide meine Gedankenwelt schonen, wofür ich mein Entgegenkommen dahin äußere, daß ich umgekehrt auch sie schone. Der Verkehr mit Oppel, der mir sehr lieb ist, gestaltet sich weit schwieriger, denn noch immer weiß ich nicht wohin seine Wünsche eigentlich zielen. Er gibt sich augenscheinlich Mühe, auf die Linie hinzuweisen, sogar bei Uebungsstücken wie von Rode, Kreutzer, doch möchte ich die Richtigkeit der Linie bezweifeln. Im Verbande einer Schule, als Vater mit Sorgen beladen, von unermeßlichen Qualen gefoltert, findet er ja kaum Zeit, sich meinen Dingen so zu widmen, wie sie es fordern. Wir sprechen von allerhand Dingen, Erlebnissen, Personen, streifen wohl auch die Kunst im Engeren; kurz, ich glaube meine Schuldigkeit einigermaßen zu erfüllen.

© Transcription Marko Deisinger.

August 3, 1928, partly cloudy.

Oppel, with his sons, and Helmut get a short headstart, and go up to the Zeinisjoch; we follow and, without having intended to do so, we reach the border; Klara is thoroughly enchanted; Oskar stayed home. On the trip back I get very hot, as I am wearing unsuitable clothing; we do not begin lunch until around 2 o'clock. — At 4:30 we take afternoon snack in the hotel, and then wander about in front of the building. — Ulrich on the Gorfen from 3 until 6:30! — We remain with our guests until 10 o'clock. — In these past days I became acquainted with sister Klara and brother-in-law Oskar, who are very charming people; the brother-in-law in particular is well educated; his knowledge suffers only from the fact that he cannot gain further enrichment in a provincial town. There he lacks the compulsion to come to grips with higher ideas; an improvement can be neither attempted nor achieved; and so everything goes round in a circle, so to speak, a circle of books and of people who likewise do not experience a development. Admittedly this is also a consequence of the brother-in-law's modest gifts, if he has not progressed further in life in spite of so many advantages. However things may be, he is an excellent person, an excellent companion; and he contributes much to the agreeableness of the company. At any rate, I avoid emphasizing the strongest difference [between us], which consists in my regarding the people [as a collective identity] as a wicked fiction, i.e. my not believing in the people; whereas he makes the mistake of [expecting] a development of the people after a long time. Strangely, our ideas meet in the reverence of the individual; but inexplicably my brother-in-law always returns from his excursion in praise of the individual back to the the people, whereas I do not give up my standpoint of the individual. 1

My sister[-in-law] Clara is a splendid woman; she refuses {3239} here – sensibly – to preach in her innate way, and also takes care not to express her pacifist and world-blessing ideas, since she knows that I am not comfortable with such things. I get the distinct feeling that the two of them are respecting my intellectual world, on account of which I willingly express my agreement to respect theirs. My association with Oppel, who is very dear to me, develops with much greater difficulty, since I still do not know where his wishes are actually aiming at. He appears to take the trouble to refer to the [Ur]linie, even in studies such as those by Rode and Kreutzer; and yet I should like to doubt the correctness of the line [he is taking]. Caught in the fetters of a school, like a father weighed down by cares, tormented by immeasurable distress, he hardly finds the time to dedicate himself to my matters as they deserve. We speak of all sorts of things, experiences, persons, even touching upon art in a narrower sense; in short, I believe that, to some extent, I have fulfilled my obligations.

© Translation William Drabkin.

Footnotes

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