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OJ 5/35, [1] - Handwritten draft letter from Schenker to Ernst Rudorff, dated January 21, 1908
Verzeihen Sie, wenn ich, Ihnen persönlich unbekannt, auf ein Problem zurückgreife, das, wie der vor kurzem ausgegebene Band der Br ’ Briefw. (S. 164ff.) 2 Sie mindestens noch vor 31 Jahren beschäftig hat. Vielleicht finden Sie auch nach so viel Jahren noch eine wenig Geduld, um den Versuch einer Lösung entgegenzunehmen. Meiner Ansicht nach bedeutet de [music example 1]aber nur mit dem Vorausgegangenen was vorausgeht, eine Triole. 3 Während nämlich der erste Teil im 6/8 Takt sich bewegt, so ist er doch damit in anderer Hinsicht doch zugleich nur im Dupltakt gehalten, da ja s 6/8 im Grunde 3/8 x 2 vorstellen. Nun hat Chopin im letzten Takt des ersten Teiles eine wirkliche Trippelordnung schaffen wollen, indem er zu einem 9teiligen Takt griff. Daß er die 9teiligkeit gemäß dem Charakter der Fermate in größeren Werten als den ersten Teil selbst notierte (9/4 statt 9/8), ändert ja am Sachverhalt selbst gar nichts. Es bleibt also nur noch zu erklären übrig, warum die Ziffer 3 d gerade dort zu stehen hat, wo sie Chopin notiert hat. An jeder anderen Stelle gesetzt, {2} würde nämlich die Ziffer auch als Fingersatz misverstanden werden können, ja auch müssen, wie z.B. [music example 2]dagegen über den das jeweilige mittleren a gesetzt, würde es ge die Ziffer 3 zwei Triolen bedeuten, nicht aber zugleich auch die Tripelordnung des ganzen Taktes: bede Chopin hätte also wie man sieht, keinen anderen Platz für die Ziffer 3, wenn er damit den Uebergang von einer Dupel- zu einer Tripelordnung andeuten wollte. Mir aber ist gerade auch dieser Fall ein Beweis dafür mehr, daß man allezeit und unter allen Umständen nur dem Original zu folgen habe, und es freute mich aus in dem Briefwechsel zu entnehmen, daß nach Brahms (wovon ich übrigens auch die Bestätigung zu finden ‒ denn ich wußte es schon aus anderen Quellen wußte) ‒ daß auch Brahms an der Treue zum Original stets festhielt. Es gereicht mir dies umsomehr zur Genugtuung, da ich nicht nur {3} in Wien der einzige Lehrer bin, der seine Schüler ausschließlich nach den „Urtexten“ in soweit sie eben und Originalausgaben ‒ so weit sie eben vorhanden sind — unterrichtet, sondern auch von jeher selbst in den schwierigsten Fällen so z.B. bei der kritischen Revision der Klavierwerken von Emanuel Bach , bei den Orgel-Conzerten von Händel (beide bei im Auftrage der Universal-Edition), ja selbst bei Cantaten von Sebastian Bach , die ich bearbeitet und aufgeführt habe, im Original nicht nur das Erste sondern auch das Letzte u Ausreichende gesehen habe. Auch in der Fortsetzung de sr bei Cotta (anonym) vor Jahresfrist erschienen „Theorien & Phantasieen“ usw. nämlich im Band über den Cp . gedenke ich auf diese Punkt den Näheren zurückzukommen. Mit geziemender Hochachtung [unsigned] © Transcription Ian Bent, 2017 |
Forgive me if ‒ personally unacquainted with you as I am ‒ I hark back to a problem that exercised you at least thirty-one years ago, as the recently published volume of the Brahms correspondence [shows] (p. 164ff). 2 Perhaps even after so many years you might still have a little patience to engage in trying to find a solution. In my opinion, this: [music example 1]but only in light of what precedes it, signifies a triplet. 3 That is, while the first section proceeds in 6/8, it is nevertheless in another respect at the same time to be considered as a duple measure, since 6/8 represents essentially 3/8 x 2. In the final measure of the Section I, Chopin has wanted to create a genuine triple subdivision in resorting to a nine-part measure. The fact that he notated the nine-part measure, in accordance with the character of the fermatas, in larger note-values than those of Section I (9/4 instead of 9/8) does not alter the situation in the least. Therefore, only one thing still remains to be explained: why the number "3" is placed right where Chopin has notated it. Placed anywhere else, {2} that is, the number would have been capable of being ‒ indeed, would be bound to be ‒ misunderstood as a fingering, as for example: [music example 2]Otherwise, if placed above the each respective middle A, the number "3" would have signified two triplets but not at the same time also the triple subdivision of the whole measure: so, as we can see, Chopin would have had no other place for the number "3" if by that means he had wanted to indicate the shift from a duple to a triple subdivision. For me, however, this case is also further direct evidence that the original has to be followed, always and under all circumstances, and I was delighted to gather from the correspondence that according to Brahms (as, incidentally, I already knew from other sources) [he] always clung to his faith in the original I was delighted to find in the correspondence the confirmation ‒ for I knew it already from other sources ‒ that Brahms, too, always clung to his faith in the original. This affords me all the more gratification since not only am I {3} the sole teacher in Vienna who instructs his pupils exclusively on the basis of "Urtexts" insofar as they and original editions ‒ insofar as they exist ‒, but also, from the very outset, even in the most difficult instances, such as for example in my critical edition of the keyboard works of C. P. E. Bach, in my organ concertos of Handel (both commissioned by Universal Edition), indeed even in cantatas by J. S. Bach that I have arranged and performed, I have seen in the original not only what is obvious but also the deepest secrets, and all that is sufficient [for a proper understanding of the composition]. Even in the continuation of my Theories and Fantasies , etc., which was published by Cotta (anonymously) a year ago, namely in the volume on Counterpoint , I am planning to return to this point in further detail. With all due respects, [unsigned] © Translation Ian Bent, 2017 |
Verzeihen Sie, wenn ich, Ihnen persönlich unbekannt, auf ein Problem zurückgreife, das, wie der vor kurzem ausgegebene Band der Br ’ Briefw. (S. 164ff.) 2 Sie mindestens noch vor 31 Jahren beschäftig hat. Vielleicht finden Sie auch nach so viel Jahren noch eine wenig Geduld, um den Versuch einer Lösung entgegenzunehmen. Meiner Ansicht nach bedeutet de [music example 1]aber nur mit dem Vorausgegangenen was vorausgeht, eine Triole. 3 Während nämlich der erste Teil im 6/8 Takt sich bewegt, so ist er doch damit in anderer Hinsicht doch zugleich nur im Dupltakt gehalten, da ja s 6/8 im Grunde 3/8 x 2 vorstellen. Nun hat Chopin im letzten Takt des ersten Teiles eine wirkliche Trippelordnung schaffen wollen, indem er zu einem 9teiligen Takt griff. Daß er die 9teiligkeit gemäß dem Charakter der Fermate in größeren Werten als den ersten Teil selbst notierte (9/4 statt 9/8), ändert ja am Sachverhalt selbst gar nichts. Es bleibt also nur noch zu erklären übrig, warum die Ziffer 3 d gerade dort zu stehen hat, wo sie Chopin notiert hat. An jeder anderen Stelle gesetzt, {2} würde nämlich die Ziffer auch als Fingersatz misverstanden werden können, ja auch müssen, wie z.B. [music example 2]dagegen über den das jeweilige mittleren a gesetzt, würde es ge die Ziffer 3 zwei Triolen bedeuten, nicht aber zugleich auch die Tripelordnung des ganzen Taktes: bede Chopin hätte also wie man sieht, keinen anderen Platz für die Ziffer 3, wenn er damit den Uebergang von einer Dupel- zu einer Tripelordnung andeuten wollte. Mir aber ist gerade auch dieser Fall ein Beweis dafür mehr, daß man allezeit und unter allen Umständen nur dem Original zu folgen habe, und es freute mich aus in dem Briefwechsel zu entnehmen, daß nach Brahms (wovon ich übrigens auch die Bestätigung zu finden ‒ denn ich wußte es schon aus anderen Quellen wußte) ‒ daß auch Brahms an der Treue zum Original stets festhielt. Es gereicht mir dies umsomehr zur Genugtuung, da ich nicht nur {3} in Wien der einzige Lehrer bin, der seine Schüler ausschließlich nach den „Urtexten“ in soweit sie eben und Originalausgaben ‒ so weit sie eben vorhanden sind — unterrichtet, sondern auch von jeher selbst in den schwierigsten Fällen so z.B. bei der kritischen Revision der Klavierwerken von Emanuel Bach , bei den Orgel-Conzerten von Händel (beide bei im Auftrage der Universal-Edition), ja selbst bei Cantaten von Sebastian Bach , die ich bearbeitet und aufgeführt habe, im Original nicht nur das Erste sondern auch das Letzte u Ausreichende gesehen habe. Auch in der Fortsetzung de sr bei Cotta (anonym) vor Jahresfrist erschienen „Theorien & Phantasieen“ usw. nämlich im Band über den Cp . gedenke ich auf diese Punkt den Näheren zurückzukommen. Mit geziemender Hochachtung [unsigned] © Transcription Ian Bent, 2017 |
Forgive me if ‒ personally unacquainted with you as I am ‒ I hark back to a problem that exercised you at least thirty-one years ago, as the recently published volume of the Brahms correspondence [shows] (p. 164ff). 2 Perhaps even after so many years you might still have a little patience to engage in trying to find a solution. In my opinion, this: [music example 1]but only in light of what precedes it, signifies a triplet. 3 That is, while the first section proceeds in 6/8, it is nevertheless in another respect at the same time to be considered as a duple measure, since 6/8 represents essentially 3/8 x 2. In the final measure of the Section I, Chopin has wanted to create a genuine triple subdivision in resorting to a nine-part measure. The fact that he notated the nine-part measure, in accordance with the character of the fermatas, in larger note-values than those of Section I (9/4 instead of 9/8) does not alter the situation in the least. Therefore, only one thing still remains to be explained: why the number "3" is placed right where Chopin has notated it. Placed anywhere else, {2} that is, the number would have been capable of being ‒ indeed, would be bound to be ‒ misunderstood as a fingering, as for example: [music example 2]Otherwise, if placed above the each respective middle A, the number "3" would have signified two triplets but not at the same time also the triple subdivision of the whole measure: so, as we can see, Chopin would have had no other place for the number "3" if by that means he had wanted to indicate the shift from a duple to a triple subdivision. For me, however, this case is also further direct evidence that the original has to be followed, always and under all circumstances, and I was delighted to gather from the correspondence that according to Brahms (as, incidentally, I already knew from other sources) [he] always clung to his faith in the original I was delighted to find in the correspondence the confirmation ‒ for I knew it already from other sources ‒ that Brahms, too, always clung to his faith in the original. This affords me all the more gratification since not only am I {3} the sole teacher in Vienna who instructs his pupils exclusively on the basis of "Urtexts" insofar as they and original editions ‒ insofar as they exist ‒, but also, from the very outset, even in the most difficult instances, such as for example in my critical edition of the keyboard works of C. P. E. Bach, in my organ concertos of Handel (both commissioned by Universal Edition), indeed even in cantatas by J. S. Bach that I have arranged and performed, I have seen in the original not only what is obvious but also the deepest secrets, and all that is sufficient [for a proper understanding of the composition]. Even in the continuation of my Theories and Fantasies , etc., which was published by Cotta (anonymously) a year ago, namely in the volume on Counterpoint , I am planning to return to this point in further detail. With all due respects, [unsigned] © Translation Ian Bent, 2017 |
Footnotes1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 1/7, p. 66, January 21, 1908: "1t Brief an Prof. Rudorff abgeschickt. (s. Beil[age])" ("First letter sent off to Professor Rudorff. (see annex)"). The word "Beilage" (Austrian for "Anlage") may well refer to this draft itself, or perhaps more likely to a folder in which he kept this and other such drafts. 2 Schenker's diary for December 27, 1907 (OJ 1/6, p. 55) records: "Briefwechsel Brahm’s [sic] Bd. III u. IV. Erster flüchtiger Einblick. Bd. III, S.164 höchst lehrreich in jedem Betracht. [...]" ("Brahms's correspondence, volumes 3 and 4. First quick glance through. Volume 3, p. 164 highly instructive in every regard. [..]"). Volume 3 contains the correspondence between Brahms and Rudorff, including that regarding the latter's work as an editor of the Chopin collected edition. Volume 3, pp. 164‒67 presents a letter from Rudorff to Brahms dated October 22, 1877 concerning possible errors in the autograph of Chopin's Ballade No. 2, to which Brahms, in his reply of November 1 on pp. 167‒69, opined: "I very much wish [...] that we would not try to improve Chopin's orthography! It would be only a short step from that to interfering with the very music itself." 3 Chopin, Ballade No. 2 in F major/A minor, Op. 38, measure 46. Cf. Oswald Jonas, "Ein textkritisches Problem in der Ballade op. 38 von Frédéric Chopin," Acta musicologica, 35 (1963), 155‒58, which includes full transcripts of this letter and OJ 13/37, 1. |