21.1.08. An Dr. K. Grunsky, Stuttgart. 1

Verzeihen Sie, wenn ich Ihrer frndl. Einladung, 2 nicht sofort gefolgt bin. Nun ist inzwischen aber auch der II. Bd. meiner Arbeit, nämlich d. Cp. , fast ganz druckfertig geworden, so daß mindestens dessen erster Halbband bereits in allernächster Zeit in die Cotta ’sche Druckerei 3 wandern kann, womit dann endlich zu einem großen Teil der Grund meines (Ihnen so sonderbar scheinenden) Betragens behoben.

Gestatten Sie aber, daß ich die erste Gelegenheit zunächst dazu benütze, Ihnen für Ihre liebenswürdige Besprechung 4 meines I. B. ( durch von Cotta erhalten) herzlichst zu danken.

Daß ich, wie Sie ganz richtig bemerkten, die Klavierlit. in d. Bsp. bevorzugte, hat seinen Grund einfach darin, daß gerade diese Lit. den meisten Lesern doch zugänglicher u. vertrauter ist, als z.B. die Orchester- oder Opernliter., davon Partituren sicher nicht in aller Händen sind. 5

Wofür ich aber ganz besonders am herzlichsten danke, ist daß Sie meine Einwände wider Strauss u. Reger – Verzeihung für den etwas ein wenig übertreibenden Ausdruck: die beiden „Max u. Moriz“ unserer gegenwärtigen Kunst! 6 ‒ irgend zu billigen scheinen. Denn nichts finde ich nämlich so beschämend, als die Tatsache, daß ja selbst unsere großen u. größten Meister es sammt u. sonders u. mit all ihren Werken leider es gar selbst doch nicht vermocht haben, die Welt darüber zu belehren, daß sehr wohl auch bei den musik. Konz., ganz so wie bei allen übrigen Erzeugnissen der Menschen, die Kategorien „Gut“ u. „Schlecht“ vorkommen, eine rein künstlerische Unterscheidung, die an sich niemals zu noch mit Geschmack oder Vorliebe, mit Zeitalter u. Parteirichtung u dgl. so noch irgendwie zu schaffen hat; u. ferner: daß sie eben aus diesem Grunde {2} das Publikum der Musik gegen absolut u. relativ Schlechtes nicht immun gemachten haben konnten , u. daß es daher endlich, trotz dem Beispiel mannigfaltigster Vollendung in ihren Werken aus noch immer notwendig ist, u. zw. heute notwendiger denn je, eigens Zeit[,] Worte u. Beweise zu vergeuden nach dieser Richtung hin, wo es doch wahrhaftig, gerade inmitten einer so arg verstörten Gegenwart, noch so viel Positives zu schaffen giebt. Wenn ich nun, selbst innerhalb des eines Systems der Harmonielehre , 7 u. auch im Cp. so manche Gelegenheit ergreife, um solche „Polemik“ zu treiben, so geschieht das daher sicher weniger blos aus dem Grunde, nun , wie man meinen konnte unseren Größten (freilich in einem veränderten Sinn) blutrünstige Brandopfer darzubringen, sondern aber nur als vielmehr aber mit der Absicht, auf die Notwendigkeit jener Unterscheidung von Gut u. Schlecht auch in der Musik endlich dringend hinzuweisen, als nämlich wirklich das einzigste Mittel, öffentliche Kalamitäten so [?bisartiger] Natur, wie wir sie schon seit Langem erleben, zu bannen u. die Beziehung zur Kunst allgemein zu vertiefen noch . Freilich wird nur [illeg] [?erst] die offizielle Darstellung einer Formenlehre in Bd. III (nach Absolvirung des Cp.) auch die weitaus rechtschaffenere Gelegenheit dazu bieten können.

Indem ich Sie endlich bitte, bis zum Erscheinen des II. Bandes [unfinished]

[in pencil:] / mindestens nach Möglichkeit [unfinished]

[unfinished and unsigned]

© Transcription Lee Rothfarb and Ian Bent, 2007, 2017


January 21, 1908. To Dr. K. Grunsky, Stuttgart 1

Pardon me for not having immediately followed up on your cordial invitation. 2 In the meantime, though, the second volume of my project, namely Counterpoint , is also almost ready for printing so that at least its first half-volume can be passed to the Cotta printing house 3 in the immediate future. With that, the reason for my behavior (which seems so peculiar to you) will in large part be removed.

Permit me, however, to take the first opportunity to thank you cordially for your kind review 4 (received through from Cotta) of my first volume.

As you very rightly remarked, the reason that I favored the piano repertory in the examples is simply that that repertory in particular is clearly more accessible and familiar than, for example, the orchestra or opera repertory, the scores of which are not available to everyone. 5

I thank you very particularly most cordially , however, for appearing somehow to sanction my objections to Strauss and Reger ‒ forgive the somewhat exaggerated expression: the "Max and Moriz" of our present-day art! 6 For I find nothing so shameful as the fact that our great and greatest masters, complete with the whole lot of their works, were themselves unfortunately incapable even of teaching the world that most certainly in the case of musical consonance, too, just as with all other products of humankind, the categories "good" and "bad" occur, a purely artistic distinction that in itself never has the slightest thing to do with taste or preference, with historical period and opinion, and such like. Further, the fact that they were unable for this reason to render {2} the musical public immune from absolute and relative badness, and that therefore, ultimately, despite the example of the most varied perfection in their works, it is still necessary, and at times more necessary today than ever, to waste time, words, and evidence in pursuit of that, where truly, precisely in the midst of such a terribly troubled present, there are surely still so many positive things to accomplish. If now, even within the a system of my Theory of Harmony , 7 and also in my Counterpoint , I seize an opportunity to voice such "polemics," it thus surely occurs less, as one might think, merely in order to bring bloodthirsty fire-offerings to our greatest [masters] ([understood] of course in a modified sense) but rather more with the intention of urgently pointing at long last to the necessity of distinguishing between good and bad in music, too, as really the sole means of averting public calamaties of the so [word unclear] kind, as we have long since experienced them, and to deepen the relationship to art in general. Of course [illeg] the official presentation of a theory of form in volume III (after the completion of Counterpoint ), will first be able also to offer the far more proper opportunity.

Until the appearance of vol. II, in requesting finally that you [unfinished]

[in pencil:] / at least as far as possible [unfinished]

[unfinished and unsigned]

© Translation Lee Rothfarb, 2007, 2017


21.1.08. An Dr. K. Grunsky, Stuttgart. 1

Verzeihen Sie, wenn ich Ihrer frndl. Einladung, 2 nicht sofort gefolgt bin. Nun ist inzwischen aber auch der II. Bd. meiner Arbeit, nämlich d. Cp. , fast ganz druckfertig geworden, so daß mindestens dessen erster Halbband bereits in allernächster Zeit in die Cotta ’sche Druckerei 3 wandern kann, womit dann endlich zu einem großen Teil der Grund meines (Ihnen so sonderbar scheinenden) Betragens behoben.

Gestatten Sie aber, daß ich die erste Gelegenheit zunächst dazu benütze, Ihnen für Ihre liebenswürdige Besprechung 4 meines I. B. ( durch von Cotta erhalten) herzlichst zu danken.

Daß ich, wie Sie ganz richtig bemerkten, die Klavierlit. in d. Bsp. bevorzugte, hat seinen Grund einfach darin, daß gerade diese Lit. den meisten Lesern doch zugänglicher u. vertrauter ist, als z.B. die Orchester- oder Opernliter., davon Partituren sicher nicht in aller Händen sind. 5

Wofür ich aber ganz besonders am herzlichsten danke, ist daß Sie meine Einwände wider Strauss u. Reger – Verzeihung für den etwas ein wenig übertreibenden Ausdruck: die beiden „Max u. Moriz“ unserer gegenwärtigen Kunst! 6 ‒ irgend zu billigen scheinen. Denn nichts finde ich nämlich so beschämend, als die Tatsache, daß ja selbst unsere großen u. größten Meister es sammt u. sonders u. mit all ihren Werken leider es gar selbst doch nicht vermocht haben, die Welt darüber zu belehren, daß sehr wohl auch bei den musik. Konz., ganz so wie bei allen übrigen Erzeugnissen der Menschen, die Kategorien „Gut“ u. „Schlecht“ vorkommen, eine rein künstlerische Unterscheidung, die an sich niemals zu noch mit Geschmack oder Vorliebe, mit Zeitalter u. Parteirichtung u dgl. so noch irgendwie zu schaffen hat; u. ferner: daß sie eben aus diesem Grunde {2} das Publikum der Musik gegen absolut u. relativ Schlechtes nicht immun gemachten haben konnten , u. daß es daher endlich, trotz dem Beispiel mannigfaltigster Vollendung in ihren Werken aus noch immer notwendig ist, u. zw. heute notwendiger denn je, eigens Zeit[,] Worte u. Beweise zu vergeuden nach dieser Richtung hin, wo es doch wahrhaftig, gerade inmitten einer so arg verstörten Gegenwart, noch so viel Positives zu schaffen giebt. Wenn ich nun, selbst innerhalb des eines Systems der Harmonielehre , 7 u. auch im Cp. so manche Gelegenheit ergreife, um solche „Polemik“ zu treiben, so geschieht das daher sicher weniger blos aus dem Grunde, nun , wie man meinen konnte unseren Größten (freilich in einem veränderten Sinn) blutrünstige Brandopfer darzubringen, sondern aber nur als vielmehr aber mit der Absicht, auf die Notwendigkeit jener Unterscheidung von Gut u. Schlecht auch in der Musik endlich dringend hinzuweisen, als nämlich wirklich das einzigste Mittel, öffentliche Kalamitäten so [?bisartiger] Natur, wie wir sie schon seit Langem erleben, zu bannen u. die Beziehung zur Kunst allgemein zu vertiefen noch . Freilich wird nur [illeg] [?erst] die offizielle Darstellung einer Formenlehre in Bd. III (nach Absolvirung des Cp.) auch die weitaus rechtschaffenere Gelegenheit dazu bieten können.

Indem ich Sie endlich bitte, bis zum Erscheinen des II. Bandes [unfinished]

[in pencil:] / mindestens nach Möglichkeit [unfinished]

[unfinished and unsigned]

© Transcription Lee Rothfarb and Ian Bent, 2007, 2017


January 21, 1908. To Dr. K. Grunsky, Stuttgart 1

Pardon me for not having immediately followed up on your cordial invitation. 2 In the meantime, though, the second volume of my project, namely Counterpoint , is also almost ready for printing so that at least its first half-volume can be passed to the Cotta printing house 3 in the immediate future. With that, the reason for my behavior (which seems so peculiar to you) will in large part be removed.

Permit me, however, to take the first opportunity to thank you cordially for your kind review 4 (received through from Cotta) of my first volume.

As you very rightly remarked, the reason that I favored the piano repertory in the examples is simply that that repertory in particular is clearly more accessible and familiar than, for example, the orchestra or opera repertory, the scores of which are not available to everyone. 5

I thank you very particularly most cordially , however, for appearing somehow to sanction my objections to Strauss and Reger ‒ forgive the somewhat exaggerated expression: the "Max and Moriz" of our present-day art! 6 For I find nothing so shameful as the fact that our great and greatest masters, complete with the whole lot of their works, were themselves unfortunately incapable even of teaching the world that most certainly in the case of musical consonance, too, just as with all other products of humankind, the categories "good" and "bad" occur, a purely artistic distinction that in itself never has the slightest thing to do with taste or preference, with historical period and opinion, and such like. Further, the fact that they were unable for this reason to render {2} the musical public immune from absolute and relative badness, and that therefore, ultimately, despite the example of the most varied perfection in their works, it is still necessary, and at times more necessary today than ever, to waste time, words, and evidence in pursuit of that, where truly, precisely in the midst of such a terribly troubled present, there are surely still so many positive things to accomplish. If now, even within the a system of my Theory of Harmony , 7 and also in my Counterpoint , I seize an opportunity to voice such "polemics," it thus surely occurs less, as one might think, merely in order to bring bloodthirsty fire-offerings to our greatest [masters] ([understood] of course in a modified sense) but rather more with the intention of urgently pointing at long last to the necessity of distinguishing between good and bad in music, too, as really the sole means of averting public calamaties of the so [word unclear] kind, as we have long since experienced them, and to deepen the relationship to art in general. Of course [illeg] the official presentation of a theory of form in volume III (after the completion of Counterpoint ), will first be able also to offer the far more proper opportunity.

Until the appearance of vol. II, in requesting finally that you [unfinished]

[in pencil:] / at least as far as possible [unfinished]

[unfinished and unsigned]

© Translation Lee Rothfarb, 2007, 2017

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 1/7, p. 66, January 21, 1908: "Briefe: an Dr. Grunsky, u. 1t Brief an Prof. Rudorff abgeschickt. (1. Beil.)" ("Letters mailed: to Dr. Grunsky, and first letter to Professor Rudorff. (1 enclosure)"). The final letter ‒ of which OJ 5/15, [1] is only a draft, is not known to have survived.

2 The invitation appears not to have survived, and there may have been further communication between the two before the present letter.

3 Kontrapunkt I , vol. II/1 of Neue musikalische Theorien und Phantasien (Stuttgart: Cotta, 1910). It is evident from the diary that the work was still some way off completion (e.g. in mid-March he was still researching and writing the material on octave- and fifth-progressions (OJ 1/7, p. 83)); on September 13, 1908, Schenker wrote to Cotta to say that he had finished the manuscript and was entering the music examples, (CA 80), and on September 23 he had just sent off the first portion of manuscript (CA 82).

4 K. G., "Musik und Musikgeschichte," Schwäbische Kronik, December 18, 1907, preserved in OC 2/p. 20, item 4: review of Schenker's Harmonielehre .

5 Grunsky's review had remarked: "The keyboard repertory is perhaps too greatly favored."

6 Wilhelm Busch, Max und Moritz ‒ Eine Bubengeschichte in sieben Streichen (Max and Moritz ‒ A Story of Seven Boyish Pranks) (1865; 53rd edn, Munich: Braun und Schneider, 1906): a humorous tale in the form of a picture-book, written in rhyming couplets of trochaic tetrameter, depicting a "terrible duo" who play mischievous pranks on a widow, a tailor, a teacher, an uncle, a baker, and a farmer, in the last of which they meet their end. Reger's first name, Max, may have prompted Schenker's use of this allusion.

7 Schenker's title is simply Harmonielehre (Theory of Harmony). It is noteworthy, however, that Schenker had written a precursor to this work, undated and untitled, but which Jeanette Schenker described as "der vielleicht älteste Entwurf zum Tonsystem" ("perhaps the earliest sketch of the tonal system"): OC 31/360–386. See Robert Wason, "From Harmonielehre to Harmony: Schenker's Theory of Harmony and its Americanization," in Schenker-Traditionen: Eine Wiener Schule der Musiktheorie und ihre internationale Verbreitung, ed. Martin Eybl and Evelyn Fink-Mennel (Vienna: Böhlau Verlag, 2006), pp. 171–201, esp. pp. 172‒80.