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Lieber Herr van Hoboken! 1

Besten Dank für Ihren l. Bf. 2 Was Sie zu Furtw. (der übrigens vorgestern bei uns gewesen) u. Klemp. sagen, ist wirklich gut dargestellt. So dürfen Sie aber nur an mich schreiben, eine Zeitung würde nicht anbeißen auf solche Art „Kritik,“ wohl Ihnen, daß Ihnen so ‒ die Laufbahn eines „Kritikers“ erspart ist. . .

Zu Ihrer Breithaupt-Kur brauchte ich mich im Grunde gar nicht zu äußern, da Sie selbst alles dazu zu Sagende klar aussprechen. Daß ich Ihnen allezeit zurufe: „Kein Zwang!“ {2} wissen Sie ja, also lasse ich als Mensch Ihre Unternehmung freudigst gelten, sie bringt Ihnen Abwechslung, Zerstreuung, Beschäftigung, Befriedigung einer Neugier u.sw. Und wäre es auch nur Laune, warum sollten Sie ihr nicht nachgeben? Daß ich darüber aber als Künstler sachlich anders denke u. daß ich die von mir 30 Jahre lang öffentlich vertretene Ansicht nicht zu ändern brauchte, sagen Sie in Ihrem Briefchen eigentlich auch wieder selbst. Kindern führt man in den Gebrauch der Finger ein als Voraussetzung des Klavierspiels überhaupt, erspart ihm [recte ihnen] aber um die gleiche Zeit die Kenntnis von Inhalt u. Vortrag, der sie nicht gewachsen wären. Bei Dussek, Field, Clementi, Kuhlau, geht dann die gewisse Einübung des Hand- u. {3} Fingerapparates als die gewisse „An sich-Technik“ glücklich, weil logisch, von Statten. Alles ändert sich aber, sobald man vor Haydn, Moz, Bach, Beeth usw, steht: da will auch der Inhalt sein Recht haben, zumal aus dem Kind inzwischen ein erwachsener Mensch geworden ist. Und da bleibe ich dabei, daß zu diesen Inhalten eigene Techniken gehören, nicht die zu Dussek, Clementi, Czerny etc. gehörenden. Wie oft misbilligten Sie mit Recht den Vortrag auch der Berühmtesten, wenn Sie den Inhalt verletzt fanden! Es war Ihnen doch nicht genug, daß diese Herren seit Kindheit schon im Besitze der allerpoliertesten An-sich-Technik sind. Nun, unseren großen Meistern ward vom Himmel die Erfindung des Werkes wie zugleich der jedesmalig wechselnde Vortrag {4} in Einem geschenkt, sie brauchten den Vortrag nicht erst zu lernen, Alle 3 anderen Menschenkinder aber müssen sich den Vortrag erst mühsam erobern u. darum bestehe ich bei allen auf dem Klavierspiel-Lernen. Das sage ich täglich, schreibe es jährlich. (Die Fassung, die Sie diesem Gedanken geben, könnte einen Nicht-Eingeweihten zu einem Misverständnis verleiten.).

Für Ihre liebe Gesinnung zu mir spreche ich Ihnen meinen besonderen Dank aus. Ich beziehe Sie wirklich nicht auf meine Person u. meine Lehre, nur auf Sie selbst: sie bekennen sich damit zu einer schönen Treue wider sich selbst, zu Ihrem eingeborenen, so hellsehenden Instinkt. Ich glaube, nun mit Ihnen, daß sich Ihre Natur hierin nicht mehr ändern wird. ‒ Zu Ihren glücklichen Erwerbungen gratuliere ich! Ihnen u. Ihrer verehrten Gattin unser Beider beste Grüße


Ihr
[signed:] H Schenker

{5} P.S. Die Ihnen eigentümliche Mischung: unbestreitbare Überlegenheit Ihrer musik. Anlage (nunmehr durch mich überdies erhellt u. gekräftigt), eine Überlegenheit, um die Sie Tausende von Musikern beneiden dürfen, auf der anderen Seite eine rein mechanistische Unterlegenheit (vergessen Sie aber nicht, daß auch Jos Haydn, Wagner nur sehr leidlich spielen konnten) legen Ihnen einen entsprechend eigentümlichen Lebenslauf nahe, als zwingendes logisches Ergebnis. Da es aber um das Geheimnis eines Lebenslaufes geht, muß ich schweigen. Möge es Ihnen beschieden sein, von selbst auf diese Linie zu stoßen als glücklichste Erfüllung Ihrer Hoffnungen u. Träume.

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



Dear Mr. van Hoboken, 1

Many thanks for your nice letter. 2 What you say about Furtwängler (who visited us day before yesterday, by the way) and Klemperer is really well formulated. But you may write such things only to me — a newspaper would not take the bait of such "criticism"; lucky you to be thus spared the life of a "critic" . . .

Regarding your Breithaupt-therapy I would basically need to say nothing at all, as you yourself clearly express everything that should be said about it. That I always admonish you: "no forcing!," {2} you know very well; thus I as a person most gladly acknowledge the validity of your enterprise; it brings you diversion, variety, occupation, satisfaction of a curiosity, etc. And even if it were only a whim, why shouldn't you indulge it? That I as an artist think differently about it essentially, however, and that I need not alter the view that I have publicly expressed these thirty years, you yourself actually reiterate in your letter. One trains children in the use of the fingers as a general presupposition of piano-playing, but at the same time spares them the knowledge of content and performance to which they would not yet be equal. It is with Dussek, Field, Clementi, Kuhlau, that certain training-in of the hand- and {3} finger-apparatus, as a certain "technique per se," occurs propitiously, because logically, from the proper source. Everything changes, though, as soon as one confronts Haydn, Mozart, Bach, Beethoven etc.: there the content as well makes its demands, especially as meanwhile the child has grown into an adult person. And I still insist that these contents have their own individual techniques ‒ not the ones that are suitable for Dussek, Clementi, Czerny, etc. How often you justly censured the performance of even the most renowned performers, because you found the content to be impaired! For you it was after all not enough that these men were in possession already since childhood of the most polished per-se technique. Now, our great masters were gifted by heaven with the invention of the work as well as simultaneously with the ever-varying performance; {4} they did not need to learn performance, but all 3 others of the human ilk have first to laboriously master performance, and therefore I insist that everybody learn piano-playing. That I say daily, and write year after year. (The formulation that you give this idea could mislead an uninitiated person to misunderstanding).

For your kind disposition toward me I express my special thanks. I relate it actually not to my person and my teaching, only to you yourself: you thus elevate yourself through a beautiful loyalty to yourself, to your inborn, so clairvoyant instinct. I believe, with you, that your nature will not change on this point. — I congratulate you on your salutary acquisition! Best greetings from both of us to you and your dear wife.


Your
[signed:] H. Schenker

{5} P.S. The mixture that characterizes you: indisputable superiority of your musical aptitude (now moreover purified and strengthened by me), a superiority thousands of musicians may envy; and on the other side a purely mechanistic inferiority (don't forget, though, that even Joseph Haydn [and] Wagner could play only adequately), suggest for you a correspondingly characteristic life-course as a compelling logical result. But since it is a question of the secret of a life-course, I must remain silent. May it be granted you to hit upon this line on your own as the happiest fulfillment of your hopes and dreams.

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



Lieber Herr van Hoboken! 1

Besten Dank für Ihren l. Bf. 2 Was Sie zu Furtw. (der übrigens vorgestern bei uns gewesen) u. Klemp. sagen, ist wirklich gut dargestellt. So dürfen Sie aber nur an mich schreiben, eine Zeitung würde nicht anbeißen auf solche Art „Kritik,“ wohl Ihnen, daß Ihnen so ‒ die Laufbahn eines „Kritikers“ erspart ist. . .

Zu Ihrer Breithaupt-Kur brauchte ich mich im Grunde gar nicht zu äußern, da Sie selbst alles dazu zu Sagende klar aussprechen. Daß ich Ihnen allezeit zurufe: „Kein Zwang!“ {2} wissen Sie ja, also lasse ich als Mensch Ihre Unternehmung freudigst gelten, sie bringt Ihnen Abwechslung, Zerstreuung, Beschäftigung, Befriedigung einer Neugier u.sw. Und wäre es auch nur Laune, warum sollten Sie ihr nicht nachgeben? Daß ich darüber aber als Künstler sachlich anders denke u. daß ich die von mir 30 Jahre lang öffentlich vertretene Ansicht nicht zu ändern brauchte, sagen Sie in Ihrem Briefchen eigentlich auch wieder selbst. Kindern führt man in den Gebrauch der Finger ein als Voraussetzung des Klavierspiels überhaupt, erspart ihm [recte ihnen] aber um die gleiche Zeit die Kenntnis von Inhalt u. Vortrag, der sie nicht gewachsen wären. Bei Dussek, Field, Clementi, Kuhlau, geht dann die gewisse Einübung des Hand- u. {3} Fingerapparates als die gewisse „An sich-Technik“ glücklich, weil logisch, von Statten. Alles ändert sich aber, sobald man vor Haydn, Moz, Bach, Beeth usw, steht: da will auch der Inhalt sein Recht haben, zumal aus dem Kind inzwischen ein erwachsener Mensch geworden ist. Und da bleibe ich dabei, daß zu diesen Inhalten eigene Techniken gehören, nicht die zu Dussek, Clementi, Czerny etc. gehörenden. Wie oft misbilligten Sie mit Recht den Vortrag auch der Berühmtesten, wenn Sie den Inhalt verletzt fanden! Es war Ihnen doch nicht genug, daß diese Herren seit Kindheit schon im Besitze der allerpoliertesten An-sich-Technik sind. Nun, unseren großen Meistern ward vom Himmel die Erfindung des Werkes wie zugleich der jedesmalig wechselnde Vortrag {4} in Einem geschenkt, sie brauchten den Vortrag nicht erst zu lernen, Alle 3 anderen Menschenkinder aber müssen sich den Vortrag erst mühsam erobern u. darum bestehe ich bei allen auf dem Klavierspiel-Lernen. Das sage ich täglich, schreibe es jährlich. (Die Fassung, die Sie diesem Gedanken geben, könnte einen Nicht-Eingeweihten zu einem Misverständnis verleiten.).

Für Ihre liebe Gesinnung zu mir spreche ich Ihnen meinen besonderen Dank aus. Ich beziehe Sie wirklich nicht auf meine Person u. meine Lehre, nur auf Sie selbst: sie bekennen sich damit zu einer schönen Treue wider sich selbst, zu Ihrem eingeborenen, so hellsehenden Instinkt. Ich glaube, nun mit Ihnen, daß sich Ihre Natur hierin nicht mehr ändern wird. ‒ Zu Ihren glücklichen Erwerbungen gratuliere ich! Ihnen u. Ihrer verehrten Gattin unser Beider beste Grüße


Ihr
[signed:] H Schenker

{5} P.S. Die Ihnen eigentümliche Mischung: unbestreitbare Überlegenheit Ihrer musik. Anlage (nunmehr durch mich überdies erhellt u. gekräftigt), eine Überlegenheit, um die Sie Tausende von Musikern beneiden dürfen, auf der anderen Seite eine rein mechanistische Unterlegenheit (vergessen Sie aber nicht, daß auch Jos Haydn, Wagner nur sehr leidlich spielen konnten) legen Ihnen einen entsprechend eigentümlichen Lebenslauf nahe, als zwingendes logisches Ergebnis. Da es aber um das Geheimnis eines Lebenslaufes geht, muß ich schweigen. Möge es Ihnen beschieden sein, von selbst auf diese Linie zu stoßen als glücklichste Erfüllung Ihrer Hoffnungen u. Träume.

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016



Dear Mr. van Hoboken, 1

Many thanks for your nice letter. 2 What you say about Furtwängler (who visited us day before yesterday, by the way) and Klemperer is really well formulated. But you may write such things only to me — a newspaper would not take the bait of such "criticism"; lucky you to be thus spared the life of a "critic" . . .

Regarding your Breithaupt-therapy I would basically need to say nothing at all, as you yourself clearly express everything that should be said about it. That I always admonish you: "no forcing!," {2} you know very well; thus I as a person most gladly acknowledge the validity of your enterprise; it brings you diversion, variety, occupation, satisfaction of a curiosity, etc. And even if it were only a whim, why shouldn't you indulge it? That I as an artist think differently about it essentially, however, and that I need not alter the view that I have publicly expressed these thirty years, you yourself actually reiterate in your letter. One trains children in the use of the fingers as a general presupposition of piano-playing, but at the same time spares them the knowledge of content and performance to which they would not yet be equal. It is with Dussek, Field, Clementi, Kuhlau, that certain training-in of the hand- and {3} finger-apparatus, as a certain "technique per se," occurs propitiously, because logically, from the proper source. Everything changes, though, as soon as one confronts Haydn, Mozart, Bach, Beethoven etc.: there the content as well makes its demands, especially as meanwhile the child has grown into an adult person. And I still insist that these contents have their own individual techniques ‒ not the ones that are suitable for Dussek, Clementi, Czerny, etc. How often you justly censured the performance of even the most renowned performers, because you found the content to be impaired! For you it was after all not enough that these men were in possession already since childhood of the most polished per-se technique. Now, our great masters were gifted by heaven with the invention of the work as well as simultaneously with the ever-varying performance; {4} they did not need to learn performance, but all 3 others of the human ilk have first to laboriously master performance, and therefore I insist that everybody learn piano-playing. That I say daily, and write year after year. (The formulation that you give this idea could mislead an uninitiated person to misunderstanding).

For your kind disposition toward me I express my special thanks. I relate it actually not to my person and my teaching, only to you yourself: you thus elevate yourself through a beautiful loyalty to yourself, to your inborn, so clairvoyant instinct. I believe, with you, that your nature will not change on this point. — I congratulate you on your salutary acquisition! Best greetings from both of us to you and your dear wife.


Your
[signed:] H. Schenker

{5} P.S. The mixture that characterizes you: indisputable superiority of your musical aptitude (now moreover purified and strengthened by me), a superiority thousands of musicians may envy; and on the other side a purely mechanistic inferiority (don't forget, though, that even Joseph Haydn [and] Wagner could play only adequately), suggest for you a correspondingly characteristic life-course as a compelling logical result. But since it is a question of the secret of a life-course, I must remain silent. May it be granted you to hit upon this line on your own as the happiest fulfillment of your hopes and dreams.

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/3, p. 3457, March 23, 1930: "An v. H. (Br.): zu Breithaupt u. der „Kur“ – als Mensch zustimmend, als Künstler ablehnend!! Die Treue zu mir lege ich als Treue zu sich selbst aus. Die unbestreitbare Ueberlegenheit des Instinktes u. des Wissen[s], das Unzureichende im Mechanischen legt einen besonderen Lebenslauf nahe, möge es ihm beschieden sein, auf diese Linie zu stoßen, ich muß schweigen." ("To Hoboken (letter): [to go] to Breithaupt and his "course of treatment" – as a person, with my agreement; as a teacher, with my disapproval!! Faithfulness to me I construe as faithfulness to himself. The irrefutable advantage of instinct and knowledge, the insufficiency in mechanical technique, [all this] suggests a special life's course; may it be granted to him to encounter this path. It is not for me to say.").

2 = OJ 89/4, [2].

3 "Alle" ("all"): a mid-sentence capitalization in the German, to indicate special emphasis.

Commentary

Format
5p letter, Bogen format, holograph message and signature, with postscript (p. 5)
Provenance
Hoboken, Anthony van ([document date]-1983)--Schneider, Hans(19??-2007)--University of California, Riverside (2007--)
Rights Holder
IPR: Heirs of Henrich Schenker, deemed to be in the public domain.
License
All reasonable steps have been taken to locate the heirs of Heinrich Schenker. Any claim to intellectual rights on this document should be addressed to the Schenker Correspondence Project, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence [at] mus (dot) cam (dot) ac (dot) uk.

Digital version created: 2016-03-10
Last updated: 2012-10-08