Freit. 21. 4h
Nchm. großer Sturm.
[final version only] Debatte über die Sprechenfrage in Österreich: des Verkehrs halber weiß der Mensch durch alle Länder Eisenbahn-Schienen in gleichem Abstande zu führen, daß aber es auch wieder nur der Verkehr ist, der gleichsam Schienen derselben Sprache fordert, wenn die Nationen desselben Staates mit einander verkehren 1 sollen, will man entweder aus Bosheit oder aus Eitelkeit in Österr. gar niemals einsehen! Und daß es bei den Nationen doch schließlich auch auf die Zahl auf die Masse ankommt, will man leider ebensowenig verstehen. ⇧ [cued to previous passage with "+", in Jeanette's hand, with occasional edits in pencil by Heinrich:] 2 Man begreift es wohl bei den Einzelindividuen, daß sie nicht nur an physischer Körperlichkeit ungleich, sondern auch an geistigen Fähigkeiten verschieden u darüber mit dem Schicksal zu rechten, daß es dem einen mehr als dem andern geschenkt hat, ist eine müßige Sache. Wie man aber andererseits gerade auf politischem Gebiete die Lust finden mag, gegen die Macht des Schicksals zu opponieren u die Verschiedenheit der Nationen in Körperlicher u. geistiger Beziehung zu leugnen, bleibt freilich unbegreiflich. Man bedenke nur: wenn es schon eine Garantie größeren Fortschrittes gibt, daß statt nur eines Menschen, eine ganze Nation, die z.B. 3 Millionen Seelen zählt, ihre Kräfte entfaltet, muß es dann nicht im selben Maße die Garantie eines noch größeren Fortschrittes bilden, wenn statt der Nation, die 3 Millionen zählt, eine andere die 50 Millionen aufweist, sich betätigt? Fällt es nicht auf, daß weder Frankreich noch England Geister hervorzubringen vermochte, von einem Range wie Goethe, Seb. Bach, Mozart, Beethoven, Kant? Und will man es durchaus übersehen, daß um nur vom österreichischen Staate zu sprechen, weder Ungarn, noch Galizien oder Böhmen zu einer geistig bedeutenderen Rolle gediehen sind trotzdem diesen Königreichen schon seit langem jede Möglichkeit freiester Selbstentwicklung, sogar unter Opfern des Gesamt-Staates, geschenkt wurden? Spielen etwa die ungarischen, böhmischen, polnischen Künstler, trotz allem Lärm u. Getue, auch nur annähernd die deutscher, französischer oder englischer Gelehrten u. Künstler? Ja, es gibt eben durchaus auch eine Macht der Zahl, die, so geheim- nisvoll sie auch ist, dennoch nicht weggeleugnet werden kann; der Stärkere ist berufen, den Schwächeren an sich zu ziehen, der Schwächere dagegen verpflichtet, sich dem Stärkeren zu unterwerfen, wenn nicht anders durch verkehrte Empfindungs- u. Handlungsweise die Wohlfahrt des Staates, wie des Einzelnen gefährdet werden soll. Für Staatsmänner ergibt sich daraus als besonders praktisch die Maxime, daß der Schwächere unter allen Umständen, also auch zwangsweise, dazu gebracht werden muß, die Wohltaten entgegenzunehmen, die ihm der Stärkere schenkt. Denn hat er sie nur erst einmal genossen, dann lernt er, durch deren Nutzen bekehrt, sie auch innig u. dankbar schätzen. Weiß man es doch zur genüge, daß auch zur Entgegennahme von Wohltaten der Mensch sich aus eigenem Instinkt leider nur wenig geneigt zeigt, daher auch dem Wohltäter Strenge gegenüber dem Empfangenden u. zw. in des letzterem eigenem Interesse unabweisliche Gewissenspflicht ist. © Transcription Ian Bent, 2017 |
Friday, [June]
21. At 4 in the afternoon, a huge storm.
[final version only] Debate about the language question in Austria: for the sake of transport people know they should lay railroad tracks the same distance apart throughout all countries. But, whether out of spite or vanity in Austria, people can never see that it is human interaction, too, that, like railroad tracks, demands the same language, if component nations of the same State are to interact 1 with one another. Sadly, equally little can anyone understand that with nations, too, it comes finally down to numbers, to quantity. ⇧ [cued to previous passage with "+", in Jeanette's hand, with occasional edits in pencil by Heinrich:] 2 At the level of individuals, people do grasp not only that they are unalike in physical attributes but also that they are different when it comes to mental capacities, and that it is futile to argue with fate about the fact that one person has been better endowed than another. On the other hand, the way that people specifically in the political sphere seek to oppose the power of fate and deny the differences of nations in physical or mental respects remains truly incomprehensible. Just think: if a guarantee of greater progress is offered even when instead of just one person an entire nation numbering, say, three million souls contributes their strengths, then if instead of a nation of three million another that numbers 50 million exerts its strengths, must not an increase by the same proportion offer a guarantee of still greater progress? Is it not striking that neither France nor England was capable of producing intellects of the order of a Goethe, J. S. Bach, Mozart, Beethoven or Kant? And are we totally to overlook the fact that, to speak only of the Austrian state, neither Hungary nor Galicia nor Bohemia have played a significant intellectual role despite these kingdoms having long been afforded every possibility for the freest self-development, even at the cost of sacrifice by the overall state? Do the Hungarian, Bohemian and Polish artists, despite all the noise and fuss, come even anywhere near the German, French or English scholars and artists? Yes, in all things there exists a power in numbers that, however secret it may be, nevertheless cannot be denied. The stronger is called upon to attract the weaker to itself; the weaker, conversely, is obliged to subordinate itself to the stronger, if by way of emotion or action the well-being of the state, as of the individual, is not to be imperiled. From this arises a maxim especially practical for statesmen: that the weaker person under all circumstances, even by force, should be compelled to accept the good deeds that the stronger bestows on him. For once he has enjoyed them, then he, having been converted by their advantages, will learn to value them sincerely and gratefully. If however it becomes clear that a person has regrettably little inclination, on his own initiative, even to accept good deeds, it is the imperative dictate of conscience of the benefactor to exert force against the recipient, this indeed being in the best interests of the latter. © Translation Ian Bent, 2017 |
Freit. 21. 4h
Nchm. großer Sturm.
[final version only] Debatte über die Sprechenfrage in Österreich: des Verkehrs halber weiß der Mensch durch alle Länder Eisenbahn-Schienen in gleichem Abstande zu führen, daß aber es auch wieder nur der Verkehr ist, der gleichsam Schienen derselben Sprache fordert, wenn die Nationen desselben Staates mit einander verkehren 1 sollen, will man entweder aus Bosheit oder aus Eitelkeit in Österr. gar niemals einsehen! Und daß es bei den Nationen doch schließlich auch auf die Zahl auf die Masse ankommt, will man leider ebensowenig verstehen. ⇧ [cued to previous passage with "+", in Jeanette's hand, with occasional edits in pencil by Heinrich:] 2 Man begreift es wohl bei den Einzelindividuen, daß sie nicht nur an physischer Körperlichkeit ungleich, sondern auch an geistigen Fähigkeiten verschieden u darüber mit dem Schicksal zu rechten, daß es dem einen mehr als dem andern geschenkt hat, ist eine müßige Sache. Wie man aber andererseits gerade auf politischem Gebiete die Lust finden mag, gegen die Macht des Schicksals zu opponieren u die Verschiedenheit der Nationen in Körperlicher u. geistiger Beziehung zu leugnen, bleibt freilich unbegreiflich. Man bedenke nur: wenn es schon eine Garantie größeren Fortschrittes gibt, daß statt nur eines Menschen, eine ganze Nation, die z.B. 3 Millionen Seelen zählt, ihre Kräfte entfaltet, muß es dann nicht im selben Maße die Garantie eines noch größeren Fortschrittes bilden, wenn statt der Nation, die 3 Millionen zählt, eine andere die 50 Millionen aufweist, sich betätigt? Fällt es nicht auf, daß weder Frankreich noch England Geister hervorzubringen vermochte, von einem Range wie Goethe, Seb. Bach, Mozart, Beethoven, Kant? Und will man es durchaus übersehen, daß um nur vom österreichischen Staate zu sprechen, weder Ungarn, noch Galizien oder Böhmen zu einer geistig bedeutenderen Rolle gediehen sind trotzdem diesen Königreichen schon seit langem jede Möglichkeit freiester Selbstentwicklung, sogar unter Opfern des Gesamt-Staates, geschenkt wurden? Spielen etwa die ungarischen, böhmischen, polnischen Künstler, trotz allem Lärm u. Getue, auch nur annähernd die deutscher, französischer oder englischer Gelehrten u. Künstler? Ja, es gibt eben durchaus auch eine Macht der Zahl, die, so geheim- nisvoll sie auch ist, dennoch nicht weggeleugnet werden kann; der Stärkere ist berufen, den Schwächeren an sich zu ziehen, der Schwächere dagegen verpflichtet, sich dem Stärkeren zu unterwerfen, wenn nicht anders durch verkehrte Empfindungs- u. Handlungsweise die Wohlfahrt des Staates, wie des Einzelnen gefährdet werden soll. Für Staatsmänner ergibt sich daraus als besonders praktisch die Maxime, daß der Schwächere unter allen Umständen, also auch zwangsweise, dazu gebracht werden muß, die Wohltaten entgegenzunehmen, die ihm der Stärkere schenkt. Denn hat er sie nur erst einmal genossen, dann lernt er, durch deren Nutzen bekehrt, sie auch innig u. dankbar schätzen. Weiß man es doch zur genüge, daß auch zur Entgegennahme von Wohltaten der Mensch sich aus eigenem Instinkt leider nur wenig geneigt zeigt, daher auch dem Wohltäter Strenge gegenüber dem Empfangenden u. zw. in des letzterem eigenem Interesse unabweisliche Gewissenspflicht ist. © Transcription Ian Bent, 2017 |
Friday, [June]
21. At 4 in the afternoon, a huge storm.
[final version only] Debate about the language question in Austria: for the sake of transport people know they should lay railroad tracks the same distance apart throughout all countries. But, whether out of spite or vanity in Austria, people can never see that it is human interaction, too, that, like railroad tracks, demands the same language, if component nations of the same State are to interact 1 with one another. Sadly, equally little can anyone understand that with nations, too, it comes finally down to numbers, to quantity. ⇧ [cued to previous passage with "+", in Jeanette's hand, with occasional edits in pencil by Heinrich:] 2 At the level of individuals, people do grasp not only that they are unalike in physical attributes but also that they are different when it comes to mental capacities, and that it is futile to argue with fate about the fact that one person has been better endowed than another. On the other hand, the way that people specifically in the political sphere seek to oppose the power of fate and deny the differences of nations in physical or mental respects remains truly incomprehensible. Just think: if a guarantee of greater progress is offered even when instead of just one person an entire nation numbering, say, three million souls contributes their strengths, then if instead of a nation of three million another that numbers 50 million exerts its strengths, must not an increase by the same proportion offer a guarantee of still greater progress? Is it not striking that neither France nor England was capable of producing intellects of the order of a Goethe, J. S. Bach, Mozart, Beethoven or Kant? And are we totally to overlook the fact that, to speak only of the Austrian state, neither Hungary nor Galicia nor Bohemia have played a significant intellectual role despite these kingdoms having long been afforded every possibility for the freest self-development, even at the cost of sacrifice by the overall state? Do the Hungarian, Bohemian and Polish artists, despite all the noise and fuss, come even anywhere near the German, French or English scholars and artists? Yes, in all things there exists a power in numbers that, however secret it may be, nevertheless cannot be denied. The stronger is called upon to attract the weaker to itself; the weaker, conversely, is obliged to subordinate itself to the stronger, if by way of emotion or action the well-being of the state, as of the individual, is not to be imperiled. From this arises a maxim especially practical for statesmen: that the weaker person under all circumstances, even by force, should be compelled to accept the good deeds that the stronger bestows on him. For once he has enjoyed them, then he, having been converted by their advantages, will learn to value them sincerely and gratefully. If however it becomes clear that a person has regrettably little inclination, on his own initiative, even to accept good deeds, it is the imperative dictate of conscience of the benefactor to exert force against the recipient, this indeed being in the best interests of the latter. © Translation Ian Bent, 2017 |
Footnotes1 Schenker exploits here two different but related senses of the word "Verkehr": on the one hand "transport" or "traffic," on the other hand "association" or "interaction". 2 It is difficult to say when Jeanette wrote up this passage. Her regular contributions to Schenker's diary began only in August 1911, but she may have been involved in copying work before then. |