28.
Nachträglich Shaw’s Komödie gelesen u. zu meiner Ueberraschung gefunden, daß ich dem Text selbst die starke Wirkung nicht hätte entnehmen können, die ich von der Bühne herab in Wirklichkeit genoß. 1 Während sonst bei der Lektüre eines dramatischen Werkes meine Vorstellungskraft das Bühnenbild zugunsten des Dichters gerne corrigiert, jedenfalls über dieses herausstrebt, um dem Dichter gerecht zu werden, ist es mir zum ersten mal mit Shaw umgekehrt ergangen. Seltsamerweise geschieht es nicht nur zum ersten mal überhaupt, sondern zum ersten mal bei Shaw selbst, dessen andere Werke, soweit ich sie kenne, nicht erst eine Deutlichmachung durch die {241} Bühne bedürfen. Diese neue überraschende Erfahrung ist aber so zu erklären, daß ich zwar Vorstellungen vom englischen Milieu in mir herumtrug, diese aber bei der Lektüre sich als unzulänglich erwiesen haben. Jedenfalls haben die Schauspieler den mageren Regie-Bezeichnungen Shaw’s in außerordentlicher Weise nachgeholfen u. den Figuren eine Körperlichkeit verliehen, auf die des Dichters Worte ganz genau passen, ohne sie aber schon bei der Lektüre zu verraten! — *© Transcription Marko Deisinger. |
28.
As a follow-up, Shaw’s comedy read, and to my surprise I found that I could not have extracted from the text itself the strong effect that in actual fact I enjoyed from the stage. 1 Usually when I read a dramatic work my power of imagination easily corrects the stage setting to the benefit of the poet, or at any rate extends beyond the staging in order to do justice to the poet; but with Shaw the opposite has happened – and for the first time. Strangely this is happening not only for the first time at all but also for the first time with Shaw himself, whose other works – so far as I know them – do not require clarification through the {241} stage. This new, surprising experience may be explained by the fact that I carried within me ideas about English society; but these proved insufficient while reading the play. In any event, the actors have lent assistance to Shaw’s meager stage directions in an extraordinary way, and have given the characters a materiality to which the poet’s words fit perfectly, without however revealing them in the act of reading! — *© Translation William Drabkin. |
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Nachträglich Shaw’s Komödie gelesen u. zu meiner Ueberraschung gefunden, daß ich dem Text selbst die starke Wirkung nicht hätte entnehmen können, die ich von der Bühne herab in Wirklichkeit genoß. 1 Während sonst bei der Lektüre eines dramatischen Werkes meine Vorstellungskraft das Bühnenbild zugunsten des Dichters gerne corrigiert, jedenfalls über dieses herausstrebt, um dem Dichter gerecht zu werden, ist es mir zum ersten mal mit Shaw umgekehrt ergangen. Seltsamerweise geschieht es nicht nur zum ersten mal überhaupt, sondern zum ersten mal bei Shaw selbst, dessen andere Werke, soweit ich sie kenne, nicht erst eine Deutlichmachung durch die {241} Bühne bedürfen. Diese neue überraschende Erfahrung ist aber so zu erklären, daß ich zwar Vorstellungen vom englischen Milieu in mir herumtrug, diese aber bei der Lektüre sich als unzulänglich erwiesen haben. Jedenfalls haben die Schauspieler den mageren Regie-Bezeichnungen Shaw’s in außerordentlicher Weise nachgeholfen u. den Figuren eine Körperlichkeit verliehen, auf die des Dichters Worte ganz genau passen, ohne sie aber schon bei der Lektüre zu verraten! — *© Transcription Marko Deisinger. |
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As a follow-up, Shaw’s comedy read, and to my surprise I found that I could not have extracted from the text itself the strong effect that in actual fact I enjoyed from the stage. 1 Usually when I read a dramatic work my power of imagination easily corrects the stage setting to the benefit of the poet, or at any rate extends beyond the staging in order to do justice to the poet; but with Shaw the opposite has happened – and for the first time. Strangely this is happening not only for the first time at all but also for the first time with Shaw himself, whose other works – so far as I know them – do not require clarification through the {241} stage. This new, surprising experience may be explained by the fact that I carried within me ideas about English society; but these proved insufficient while reading the play. In any event, the actors have lent assistance to Shaw’s meager stage directions in an extraordinary way, and have given the characters a materiality to which the poet’s words fit perfectly, without however revealing them in the act of reading! — *© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 The Schenkers had seen Shaw’s Fanny’s First Play on September 23 (see diary entry), given in Siegried Trebitsch’s translation at the Johann Strauss Theater by a visiting company, the Kleines Theater of Berlin. |