12. Oster-Sonntag!
Des morgens bei unverhofft schönem, ja seit Menschengedenken singulär-schönem Osterwetter nach Waidhofen an der Ybs. Es gelingt uns zur Not Platz im Coupé zu bekommen, nicht ohne aber daß wir diese Gunst des Schicksals durch das Mißvergnügen büßen müssen, der Unterhaltung „flotter“ Oster-Ausflügler zuzuhören. Die laute Heiterkeit u. Ausgelassenheit, die im jämmerlichsten Verhältnis zu den Anlaß Anläßen an Situation oder Wort steht, wirkt deprimierend; man sieht, was der Menge Freude macht u. schließt mit Sicherheit, daß sie höherer Freuden nicht teilhaftig werden kann, also gerade jener Freuden nicht, die eine rechte erst gewährleisten würde. – Indessen ging die Fahrt dennoch glücklich von statten u. ohne Zwischenfall gelangten wir a nach Waidhofen. Dort ereigneten sich Abenteuer um Abenteuer. Zunächst nahm uns ein Hotelwagen auf, der auf dem Bahnhof-Platz wartete u. als wir vor dem Hotel vorfuhren, erklärte uns der Hotelier, alle Zimmer seien besetzt, ohne aber erklären zu können, weshalb er denn den Wagen zur Bahn überhaupt geschickt hatte. Wir wurden in ein zweites Hotel transportiert, wo wir ein elendes Zimmer bekamen. An Ort u. Stelle aber begriffen wir erst, wie niedrig die Denkungsweise von Ortsansässigen sein kann: So hatten uns nämlich mehrere Personen {552} hartnäckig gerade das erste Hotel verschwiegen, offenbar um das Geschäft der kleineren Hoteliers nicht zu stören. Leider war es für uns zu spät u. wir mußten uns mit dem Vorgefundenen bescheiden. Als wir aus dem Hotel traten, bot sich uns ein überraschender Anblick dar: Auf dem Marktplatze ein schreiend roter Fleck, gespannte Seile von Dach zu Dach u. eine eben Oster-Sonntags-mäßig bewegte Bauernschaft – kurz, ein undefinirbarer Freudentaumel, von dem die Menschen wie von einer Epidemie ergriffen wurden, u. all’ dies im Einklang mit der gewaltigen Freude der Natur, die vom blauen wolkenlosen Himmel über Berge u. Täler herniederbrauste. Komedianten [sic] waren es da, die vor einer Mariensäule ein paar Bretter aufgeschlagen u., mit rotem Tuch drapiert hatten u. der P. T. Bauernschaft Hanswurstiaden vormimten. Man konnte sich ins Mittelalter versetzt denken, so frappant sah das Bild jenen ähnlich, die man so oft in Darstellungen aus dem Mittelalter sah sieht. Wir erfuhren, daß der „Theater-Direktor“ eine ordentliche Summe Geldes für Spitalszwecke abzuführen hatte, für die Erlaubnis, 8 Tage lang auf dem Markte mit „Kunst“ aufwarten zu dürfen. Wir machten uns auf, um einige größere Spaziergänge zu absolvieren; trotzdem wir von den Vorbereitungen u. der Reise selbst recht müde waren, zogen wir es vor die Buchenbergpromenade zu machen. Bei dieser Gelegenheit machten wir wieder die Erfahrung, die wir schon so oft gemacht, daß die Bezeichnungen der Ziele nicht gerade glücklich gewählt wurden; man müßte im Grunde ein Einheimischer sein, um über die Ungenauigkeit ohne Schaden hinwegkommen zu können. So kam es, daß wir, den Bezeichnungen folgend, eine kleinere Schleife gemacht haben, als wir ursprünglich beabsichtigten. Die Sonne gab den Vorgeschmack tiefster Sommerfreuden u. die Ausnahme, die sie selbst sich herausnahm, übertrug sich geheimnisvoll auf uns, so daß wir die glückliche Gegenwart wie einen Traum längstvergangener [sic] Tage genossen. Als wir in die Stadt zurückkehrten, machten wir noch einige kleinere Spaziergänge. Ueber die malerische Schönheit der Ybs-Ufer waren wir nicht weniger erstaunt, wie über die Lage des Rothschild’schen Schlosses, u. s. w. Auf der Brückenmauer sahen wir Tauben, die beinahe sich anreden ließen. Besonders schön war es zu sehen, wie im {553} Glockenturm der Kirche eine Taube dem den Küster beim ziehen [sic] am Glockenstrang förmlich zu beobachten schien. *
© Transcription Marko Deisinger. |
12. Easter Sunday!
In the morning, in unexpectedly beautiful Easter weather – indeed in as singularly beautiful weather as in living memory – to Waidhofen an der Ybbs. We were lucky enough to get priority seats in the train compartment, but not without having to pay for the blessing of fate by the displeasure of having to listen to the conversation of "lively" Easter day-trippers. The noisy cheer and high spirits, which stand in the most wretched relationship to the occasions of situation and Scripture, has a depressing effect. One sees what pleases the crowd and concludes with certainty that they cannot partake in higher joys, i.e. those very joys through which only a real joy would be ensured. – Nonetheless, the trip passed off smoothly and we arrived in Waidhofen without incident. Here we experienced one adventure after another. At first a hotel wagon collected us, which was waiting at the railway station; and as we passed in front of the hotel, the innkeeper informed us that all the rooms were occupied, although he was unable to explain why he sent the wagon to the meet the train. We were taken to a second hotel, where we were given a wretched room. It was only there and then that we understood how mean the thought processes of the local residents can be: in particular, several persons {552} stubbornly kept silent about the first hotel, apparently so as not to disturb the business of the innkeeper of the smaller place. Unfortunately, it was too late for us, and we had to content ourselves with the one that we encountered. As we were leaving the hotel, we were presented with an astonishing picture: on the market square a screaming red spot, ropes stretched from roof to roof, and a group of peasants decked out in their Easter Sunday best – in short, an indefinable frenzy of joy, by which the people were gripped, as if from an epidemic; and all of this in harmony with the mighty joy of nature, which roared down from the blue, cloudless sky over mountain and dale. There were comedians there, who had set up a few boards in front of a Marian column and draped them with a red cloth, and mimed clownish acts to the peasants pleno titulo. One could imagine oneself transported back to the medieval times, so strikingly did the picture resemble that which one so often encounters in illustrations from the Middle Ages. We learned that the "theater director" was obliged to pay a considerable sum of money to the local hospital for permission to entertain on the marketplace with "art" for a week. We set off, in order to undertake a few lengthy walks; although we were quite tired from the preparations and the trip, we chose to take the Buchenberg Promenade. On this occasion, we experienced that which we have already witnessed often enough, that the destination markers were not all that clearly expressed; one really had to be a local resident in order to overcome the imprecision without disadvantage. It turned out that, by following the markers, we took a shorter stroll than we had originally intended. The sun gave a foretaste of the most intense summer joys; and the exception that it took the liberty of making spread over us mysteriously, so that we could enjoy the happy present like a dream from bygone days. When we returned to the town, we took a few more walks. We were no less amazed by the scenic beauty of the banks of the Ybbs, or of the position of the Rothschild Castle, and so on. On the wall supporting the bridge we saw doves which appeared to be speaking to one another. It was particularly lovely to see how, in the {553} bell tower of the church, a dove seemed verily to be observing the sexton pulling at the bell rope. *
© Translation William Drabkin. |
12. Oster-Sonntag!
Des morgens bei unverhofft schönem, ja seit Menschengedenken singulär-schönem Osterwetter nach Waidhofen an der Ybs. Es gelingt uns zur Not Platz im Coupé zu bekommen, nicht ohne aber daß wir diese Gunst des Schicksals durch das Mißvergnügen büßen müssen, der Unterhaltung „flotter“ Oster-Ausflügler zuzuhören. Die laute Heiterkeit u. Ausgelassenheit, die im jämmerlichsten Verhältnis zu den Anlaß Anläßen an Situation oder Wort steht, wirkt deprimierend; man sieht, was der Menge Freude macht u. schließt mit Sicherheit, daß sie höherer Freuden nicht teilhaftig werden kann, also gerade jener Freuden nicht, die eine rechte erst gewährleisten würde. – Indessen ging die Fahrt dennoch glücklich von statten u. ohne Zwischenfall gelangten wir a nach Waidhofen. Dort ereigneten sich Abenteuer um Abenteuer. Zunächst nahm uns ein Hotelwagen auf, der auf dem Bahnhof-Platz wartete u. als wir vor dem Hotel vorfuhren, erklärte uns der Hotelier, alle Zimmer seien besetzt, ohne aber erklären zu können, weshalb er denn den Wagen zur Bahn überhaupt geschickt hatte. Wir wurden in ein zweites Hotel transportiert, wo wir ein elendes Zimmer bekamen. An Ort u. Stelle aber begriffen wir erst, wie niedrig die Denkungsweise von Ortsansässigen sein kann: So hatten uns nämlich mehrere Personen {552} hartnäckig gerade das erste Hotel verschwiegen, offenbar um das Geschäft der kleineren Hoteliers nicht zu stören. Leider war es für uns zu spät u. wir mußten uns mit dem Vorgefundenen bescheiden. Als wir aus dem Hotel traten, bot sich uns ein überraschender Anblick dar: Auf dem Marktplatze ein schreiend roter Fleck, gespannte Seile von Dach zu Dach u. eine eben Oster-Sonntags-mäßig bewegte Bauernschaft – kurz, ein undefinirbarer Freudentaumel, von dem die Menschen wie von einer Epidemie ergriffen wurden, u. all’ dies im Einklang mit der gewaltigen Freude der Natur, die vom blauen wolkenlosen Himmel über Berge u. Täler herniederbrauste. Komedianten [sic] waren es da, die vor einer Mariensäule ein paar Bretter aufgeschlagen u., mit rotem Tuch drapiert hatten u. der P. T. Bauernschaft Hanswurstiaden vormimten. Man konnte sich ins Mittelalter versetzt denken, so frappant sah das Bild jenen ähnlich, die man so oft in Darstellungen aus dem Mittelalter sah sieht. Wir erfuhren, daß der „Theater-Direktor“ eine ordentliche Summe Geldes für Spitalszwecke abzuführen hatte, für die Erlaubnis, 8 Tage lang auf dem Markte mit „Kunst“ aufwarten zu dürfen. Wir machten uns auf, um einige größere Spaziergänge zu absolvieren; trotzdem wir von den Vorbereitungen u. der Reise selbst recht müde waren, zogen wir es vor die Buchenbergpromenade zu machen. Bei dieser Gelegenheit machten wir wieder die Erfahrung, die wir schon so oft gemacht, daß die Bezeichnungen der Ziele nicht gerade glücklich gewählt wurden; man müßte im Grunde ein Einheimischer sein, um über die Ungenauigkeit ohne Schaden hinwegkommen zu können. So kam es, daß wir, den Bezeichnungen folgend, eine kleinere Schleife gemacht haben, als wir ursprünglich beabsichtigten. Die Sonne gab den Vorgeschmack tiefster Sommerfreuden u. die Ausnahme, die sie selbst sich herausnahm, übertrug sich geheimnisvoll auf uns, so daß wir die glückliche Gegenwart wie einen Traum längstvergangener [sic] Tage genossen. Als wir in die Stadt zurückkehrten, machten wir noch einige kleinere Spaziergänge. Ueber die malerische Schönheit der Ybs-Ufer waren wir nicht weniger erstaunt, wie über die Lage des Rothschild’schen Schlosses, u. s. w. Auf der Brückenmauer sahen wir Tauben, die beinahe sich anreden ließen. Besonders schön war es zu sehen, wie im {553} Glockenturm der Kirche eine Taube dem den Küster beim ziehen [sic] am Glockenstrang förmlich zu beobachten schien. *
© Transcription Marko Deisinger. |
12. Easter Sunday!
In the morning, in unexpectedly beautiful Easter weather – indeed in as singularly beautiful weather as in living memory – to Waidhofen an der Ybbs. We were lucky enough to get priority seats in the train compartment, but not without having to pay for the blessing of fate by the displeasure of having to listen to the conversation of "lively" Easter day-trippers. The noisy cheer and high spirits, which stand in the most wretched relationship to the occasions of situation and Scripture, has a depressing effect. One sees what pleases the crowd and concludes with certainty that they cannot partake in higher joys, i.e. those very joys through which only a real joy would be ensured. – Nonetheless, the trip passed off smoothly and we arrived in Waidhofen without incident. Here we experienced one adventure after another. At first a hotel wagon collected us, which was waiting at the railway station; and as we passed in front of the hotel, the innkeeper informed us that all the rooms were occupied, although he was unable to explain why he sent the wagon to the meet the train. We were taken to a second hotel, where we were given a wretched room. It was only there and then that we understood how mean the thought processes of the local residents can be: in particular, several persons {552} stubbornly kept silent about the first hotel, apparently so as not to disturb the business of the innkeeper of the smaller place. Unfortunately, it was too late for us, and we had to content ourselves with the one that we encountered. As we were leaving the hotel, we were presented with an astonishing picture: on the market square a screaming red spot, ropes stretched from roof to roof, and a group of peasants decked out in their Easter Sunday best – in short, an indefinable frenzy of joy, by which the people were gripped, as if from an epidemic; and all of this in harmony with the mighty joy of nature, which roared down from the blue, cloudless sky over mountain and dale. There were comedians there, who had set up a few boards in front of a Marian column and draped them with a red cloth, and mimed clownish acts to the peasants pleno titulo. One could imagine oneself transported back to the medieval times, so strikingly did the picture resemble that which one so often encounters in illustrations from the Middle Ages. We learned that the "theater director" was obliged to pay a considerable sum of money to the local hospital for permission to entertain on the marketplace with "art" for a week. We set off, in order to undertake a few lengthy walks; although we were quite tired from the preparations and the trip, we chose to take the Buchenberg Promenade. On this occasion, we experienced that which we have already witnessed often enough, that the destination markers were not all that clearly expressed; one really had to be a local resident in order to overcome the imprecision without disadvantage. It turned out that, by following the markers, we took a shorter stroll than we had originally intended. The sun gave a foretaste of the most intense summer joys; and the exception that it took the liberty of making spread over us mysteriously, so that we could enjoy the happy present like a dream from bygone days. When we returned to the town, we took a few more walks. We were no less amazed by the scenic beauty of the banks of the Ybbs, or of the position of the Rothschild Castle, and so on. On the wall supporting the bridge we saw doves which appeared to be speaking to one another. It was particularly lovely to see how, in the {553} bell tower of the church, a dove seemed verily to be observing the sexton pulling at the bell rope. *
© Translation William Drabkin. |