16.
Weit davon entfernt der Natur Ruhe zu bescheren, hat das Wetter vielmehr die Einleitung zu einem anhaltenden Regen mit Sturm u. Nebel besorgt. Indessen haben wir dem schlimmen Wetter die vorzeitige Abreise der Familie P. zu verdanken. Das Kommen der Leute ist übrigens ein Rätsel, das sie uns so aufgaben, wie es eben Leute ihres Schlages aufzugeben gewohnt sind! Es wird nämlich nicht klar, ob es überhaupt ein Rätsel vorstellt oder nur eine Unbefangenheit, die uns beiden als solche nicht weniger rätselhaft wäre! Es wäre möglich – u. die meisten Anzeichen sprechen dafür – daß sie im naiven Egoismus dem Karerpaß einen Besuch abstatten wollten u. daß sie dabei unsere Anwesenheit, die sie bislang gemieden haben, nicht als Hindernis in der Erreichung ihres Zieles zu betrachten geneigt waren. Es wäre aber auch möglich – u. dafür spricht wieder der Umstand, daß Frl. Sofie u. Fr. Sorer beim Abschied ausdrücklich u. mit einiger Betonung „auf Wiedersehen“ sagten – daß insbesondere Frl. Sofie der Reue über ihr egoistisches u. völlig unmotiviertes Verhalten mir selbst gegenüber Ausdruck geben {616} wollte u. zw. dadurch, daß sie gewissermaßen den Zeitpunkt für gekommen erklärte, indem in dem gegenseitige Besuche bereits möglich wären. Wie schon früher einmal, so handeln nun auch diesmal ohne Präzision in Wort u. Tat einfach Menschen, die nichts so oft im Munde führen als die Behauptung, daß sie alles genau zu sagen lieben. Indessen streife ich hier dieses Dokument minderfähiger Menschen eben nur als Dokument. Es ist ersichtlich, daß eine so verschwommene Weise der Aeußerung uns gegenüber keinerlei Einfluß gewinnt. Man mag sich nur denken, wie Tage, Wochen u. Jahre, von ähnlichen Lebenszielen durchsetzt, gestaltlos, unerfreulich, wie eine trübe Masse Zeit in den Ozean der Ewigkeit hinabrollen. — Wohl das Betrübendste war mir aber die Wahrnehmung, wie fruchtlos u. vergeblich alle Bemühungen um die Wahrheit ist, wenn Dr. Artur gerade mir gegenüber (beim Mittagstisch) von Bülow mit einer Verehrung spricht, die ihm tief in den Gliedern zu stecken schien u. der nichts, rein gar nichts davon anzumerken war, was er bei aller Hingabe an mich selbst in meinen Arbeiten über die Vergehen Bülow’s gelesen hat. Ein lehrreiches Beispiel war es eines Durchschnittsmenschen, der zwar bescheiden genug ist, Höhere, die über ihn hinausragen, anzuerkennen, aber doch nicht weiter Lust ha bent, nähere Unterschiede zu machen. Es ist damit eben das geheimste Naturgesetzt des Durchschnittsmenschen zur Erfüllung gebracht, da er, der ewig Hilflose, sich bei den höheren Menschen geborgen fühlt u. die Wollust eines solchen Gefühls sogar als Demut gerne in sich trägt. Man begreift aber, daß dem im selben Maße, als es idem Durchschnittsmenschen einfach nur auf diese Geborgenheit selbst überhaupt, weniger aber auf den wirklichen Wert der anzunehmenden Güter ankommt, er im selben Maße keinerlei Bedürfnis darnach fühlt, die Werte von einander zu unterscheiden. *
© Transcription Marko Deisinger. |
16.
Far from granting peace to nature, the weather rather provided the introduction to persistent rain, with storm and mist. We must, however, thank the bad weather for the early departure of the Pollak family. The coming of these people is, moreover, a riddle that people of their type are used to proposing! In particular, it is not clear to us whether this represents a puzzle or merely an ingenuousness, the likes of which are no less puzzling to us! It is possible – and most signs point in this direction – that in their naïve egoism they wished to make a journey to the Karerpass and were inclined not to consider our presence, which they had hitherto avoided, as an obstacle to the achievement of their goal. It is also possible – and the fact that Sofie and Mrs. Sorer said "till we see each other again" with a certain emphasis when they departed suggests as much – that Sofie in particular wished to give expression to her embarrassment concerning her egoistic and completely improper behavior towards me, {616} and indeed by declaring that the time had come in which return visits might already be possible. As was once earlier the case, so now this time, too, we are simply witnessing the lack of precision in word and deed of people who express nothing more frequently than the claim that they like to say everything clearly. Nonetheless I deal with this evidence of less competent people merely as evidence. It is plain that such an indistinct manner of expression will have no influence whatever upon us. One need only think how days, weeks and years, punctuated by similar life goals, roll down – without shape, without joy, like a murky quantity of time – into the ocean of eternity. — But surely the most depressing thing of all for me was to realize how fruitless and vain have been all my efforts to get at the truth, if Artur speaks to me of all people (over lunch) about Bülow with a reverence that seems to lie deeply within him, and of which nothing – absolutely nothing – was to be noted about what he has read in my writings about Bülow's transgressions, in spite of his utter devotion to me. It was an instructive example of a mediocre person who is, to be sure, modest enough to recognize higher people who tower over him but has no further desire to be discriminating. In this way, the most innate natural principle of the mediocre person is fulfilled, since he, the ever helpless one, feels secure among greater people and is glad to bear the joy of such feelings within him, even as [a kind of] humility. But one can understand that to the extent that for the mediocre person it is only a question of this security, rather than of the true value of the assets to be embraced, to that same extent he feels no need whatever to distinguish between the different values. *
© Translation William Drabkin. |
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Weit davon entfernt der Natur Ruhe zu bescheren, hat das Wetter vielmehr die Einleitung zu einem anhaltenden Regen mit Sturm u. Nebel besorgt. Indessen haben wir dem schlimmen Wetter die vorzeitige Abreise der Familie P. zu verdanken. Das Kommen der Leute ist übrigens ein Rätsel, das sie uns so aufgaben, wie es eben Leute ihres Schlages aufzugeben gewohnt sind! Es wird nämlich nicht klar, ob es überhaupt ein Rätsel vorstellt oder nur eine Unbefangenheit, die uns beiden als solche nicht weniger rätselhaft wäre! Es wäre möglich – u. die meisten Anzeichen sprechen dafür – daß sie im naiven Egoismus dem Karerpaß einen Besuch abstatten wollten u. daß sie dabei unsere Anwesenheit, die sie bislang gemieden haben, nicht als Hindernis in der Erreichung ihres Zieles zu betrachten geneigt waren. Es wäre aber auch möglich – u. dafür spricht wieder der Umstand, daß Frl. Sofie u. Fr. Sorer beim Abschied ausdrücklich u. mit einiger Betonung „auf Wiedersehen“ sagten – daß insbesondere Frl. Sofie der Reue über ihr egoistisches u. völlig unmotiviertes Verhalten mir selbst gegenüber Ausdruck geben {616} wollte u. zw. dadurch, daß sie gewissermaßen den Zeitpunkt für gekommen erklärte, indem in dem gegenseitige Besuche bereits möglich wären. Wie schon früher einmal, so handeln nun auch diesmal ohne Präzision in Wort u. Tat einfach Menschen, die nichts so oft im Munde führen als die Behauptung, daß sie alles genau zu sagen lieben. Indessen streife ich hier dieses Dokument minderfähiger Menschen eben nur als Dokument. Es ist ersichtlich, daß eine so verschwommene Weise der Aeußerung uns gegenüber keinerlei Einfluß gewinnt. Man mag sich nur denken, wie Tage, Wochen u. Jahre, von ähnlichen Lebenszielen durchsetzt, gestaltlos, unerfreulich, wie eine trübe Masse Zeit in den Ozean der Ewigkeit hinabrollen. — Wohl das Betrübendste war mir aber die Wahrnehmung, wie fruchtlos u. vergeblich alle Bemühungen um die Wahrheit ist, wenn Dr. Artur gerade mir gegenüber (beim Mittagstisch) von Bülow mit einer Verehrung spricht, die ihm tief in den Gliedern zu stecken schien u. der nichts, rein gar nichts davon anzumerken war, was er bei aller Hingabe an mich selbst in meinen Arbeiten über die Vergehen Bülow’s gelesen hat. Ein lehrreiches Beispiel war es eines Durchschnittsmenschen, der zwar bescheiden genug ist, Höhere, die über ihn hinausragen, anzuerkennen, aber doch nicht weiter Lust ha bent, nähere Unterschiede zu machen. Es ist damit eben das geheimste Naturgesetzt des Durchschnittsmenschen zur Erfüllung gebracht, da er, der ewig Hilflose, sich bei den höheren Menschen geborgen fühlt u. die Wollust eines solchen Gefühls sogar als Demut gerne in sich trägt. Man begreift aber, daß dem im selben Maße, als es idem Durchschnittsmenschen einfach nur auf diese Geborgenheit selbst überhaupt, weniger aber auf den wirklichen Wert der anzunehmenden Güter ankommt, er im selben Maße keinerlei Bedürfnis darnach fühlt, die Werte von einander zu unterscheiden. *
© Transcription Marko Deisinger. |
16.
Far from granting peace to nature, the weather rather provided the introduction to persistent rain, with storm and mist. We must, however, thank the bad weather for the early departure of the Pollak family. The coming of these people is, moreover, a riddle that people of their type are used to proposing! In particular, it is not clear to us whether this represents a puzzle or merely an ingenuousness, the likes of which are no less puzzling to us! It is possible – and most signs point in this direction – that in their naïve egoism they wished to make a journey to the Karerpass and were inclined not to consider our presence, which they had hitherto avoided, as an obstacle to the achievement of their goal. It is also possible – and the fact that Sofie and Mrs. Sorer said "till we see each other again" with a certain emphasis when they departed suggests as much – that Sofie in particular wished to give expression to her embarrassment concerning her egoistic and completely improper behavior towards me, {616} and indeed by declaring that the time had come in which return visits might already be possible. As was once earlier the case, so now this time, too, we are simply witnessing the lack of precision in word and deed of people who express nothing more frequently than the claim that they like to say everything clearly. Nonetheless I deal with this evidence of less competent people merely as evidence. It is plain that such an indistinct manner of expression will have no influence whatever upon us. One need only think how days, weeks and years, punctuated by similar life goals, roll down – without shape, without joy, like a murky quantity of time – into the ocean of eternity. — But surely the most depressing thing of all for me was to realize how fruitless and vain have been all my efforts to get at the truth, if Artur speaks to me of all people (over lunch) about Bülow with a reverence that seems to lie deeply within him, and of which nothing – absolutely nothing – was to be noted about what he has read in my writings about Bülow's transgressions, in spite of his utter devotion to me. It was an instructive example of a mediocre person who is, to be sure, modest enough to recognize higher people who tower over him but has no further desire to be discriminating. In this way, the most innate natural principle of the mediocre person is fulfilled, since he, the ever helpless one, feels secure among greater people and is glad to bear the joy of such feelings within him, even as [a kind of] humility. But one can understand that to the extent that for the mediocre person it is only a question of this security, rather than of the true value of the assets to be embraced, to that same extent he feels no need whatever to distinguish between the different values. *
© Translation William Drabkin. |