23. VIII. 14
Ergänzung der gestrigen Mitteilungen vom Kriegsschauplatz. *Karten von Brünauer u. Frau Deutsch – Brief an Frau Pairamall mit Anfrage. *Herr Carnegie fühlt sich veranlaßt, im Namen der erstrolchten Millionen gegen den amerikanischen Protest zu protestieren u. sagt: „Der deutsche Kaiser, seit 25 Jahren der hervorragendste Friedensfürst der Welt, ist heute als Kriegsherr der Hauptzerstörer Europas geworden.“ u. auch: „Ich glaube, der Kaiser wußte nicht, was er tat, als er den britischen Oelzweig ablehnte.“ 1 Mit so wenig Grütze im Kopf läßt sich, wie man sieht, eine Milliarde immerhin noch fabrizieren! Aber wie sollte ein Millionenbengel Sinn für produktive Kräfte haben, die nicht erst von Millionen abhängig sind? Würde denn Carnegie einen Rembrandt je gekauft haben, wenn er blos, sagen wir, 200 Kronen wert gewesen wäre, und kauft er nicht Kunstwerke auch nur um des Preises willen? Er mimt den Wohltäter, nachdem er Legionen zerstört, denen die Wohltat nicht mehr zugute kommen kann. Deutschland wird auch über diesen Kretin hinwegzukommen haben wissen; hat es [illeg]Großartiges noch vor Carnegie hervorgebracht, so wird es darin auch fernerhin nicht aufhören! *Albanien in Oesterreich – es fehlt an Gewehren, da gegen eine Erhöhung des Kontingentes das Volk in seinen Vertretungen sich energisch aufgelehnt hat! Mit anderen Worten: Die Handel {662} treibende Bevölkerung hat sich, kurzsichtig wie sie ist, derart zum Alpha u. Omega zu machen gewußt, daß sie das Interesse der Armee in den Hintergrund gedrängt hat. Nun mag sie jetzt, da sie der Hilfe der Armee bedarf, es ordentlich bedauern u. bereuen, so egoistisch gewesen zu sein. Und doch wird es der Kaufmann nie lernen, den Egoismus so weitherzig zu fassen, daß darin auch der Egoismus des nächsten Augenblickes Platz finden könnte u. darüber hinaus auch noch der fernerer Tage. — Ist es doch auch Verhängnis der Reichen überhaupt, daß sie ihren Egoismus voll Widersprüche geltend machen; sie wollen den Armen plündern (ohne solche Plünderung gäbe es ja keine Reichen!), wollen außerdem ihren Reichtum dadurch geschützt wissen, daß geg genügend Militär vorhanden sei u. sind daher für eine starke Verzinsung der Ehen der armen Leute, deren Coupon in Form von Soldaten sie in Kriegszeiten bequem schneiden könnten; u. weiter wünschen sie den Armen ungebildet, damit er ohne Prätention die Arbeit für den Reichen verrichte, wünschen ihn aber auch gebildet, um im Moment der Gefahr jenen Nutzen beziehen zu können, den allein die Bildung gewährt; sie wollen, daß der Arme für die in den Krieg gehe, daß er Hunger leide, wenn der durch den Reichen verschuldete Krieg zu einer Hungersnot geführt hat, daß er sich aber zugleich auch enthalte z. B. einen Brotladen zu plündern, aus Rücksicht für das Eigentum des Reichen – kurz, es ergeht dem Armen wie der Frau, an die der Mann die widersprechendsten Ansprüche stellt, nur um auch die mannigfaltigsten wenn auch widersprechendsten Vorteile aus ihr herauszuschlagen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 23, 1914.
Supplementary information from yesterday's communications from the war zone. *Postcards from Brünauer and Mrs. Deutsch – letter to Mrs. Pairamall with question. *Mr. Carnegie feels induced, on behalf of the millions he has purloined, to protest against the American protest. He says: The German emperor, the world's leading prince of peace over the past quarter century, has today become – as a warlord – the principal destroyer of Europe." And also: "I believe that the emperor did not know what he was doing when he refused the British olive branch." 1 With so little gray matter in his head he is still nonetheless able, as one sees, to make a billion! But how should this multimillion-dollar scoundrel have an understanding of creative powers that are not dependent on millions? Would Carnegie have ever bought a Rembrandt were it worth merely, say, 200 Kronen? And does he not buy works of art only on account of their price? He pretends to be a benefactor after he has destroyed legions to whom the act of beneficence can no longer be of any use. Germany will also be able to get over this cretin; if it has produced great things long before, so it will not cease to do so even in the future! *Albania in Austria – there is a shortage of arms, since the representatives of the people energetically rebelled against an increase of their share! In other words: {662} the commerce-driven populace, short-sighted as it is, was able to make the alpha and omega of its efforts succeed in pushing the interests of the army into the background. Now, as it has needed the help of the army, it wishes to be truly sorry and to repent having been so egoistic. And yet the businessman will never learn to comprehend egoism in such a liberal way that the egoism of one's neighbor can also find a place there and, beyond that, even in future times. —It is, however, also the catastrophe of the rich in general that they exercise their egoism in all of its contradictions; they want to fleece the poor (without such fleecing there would indeed not be any rich people!), and in addition they want their wealth protected by there being enough military presence at hand; and thus, they are in favor of a strong rate of return from the marriages between poor people, whose coupons – in the form of soldiers – they can happily cut in times of war. And furthermore they would wish a poor man to be uneducated so that he can work for the rich man without pretention; but they would also want him to be educated in order to take advantage, in the moment of danger, of those advantages that education alone can guarantee; they would like the poor man to go to war for them, and to suffer hunger, if the war – for which the rich are responsible – leads to a famine; but at the same time he/she refrain from, say, looting a bakery, out of respect for the property of the rich. In short, poor people are treated like women: men make the most contradictory demands upon them only in order to obtain the most diverse, albeit the most contradictory, advantages from them. * © Translation William Drabkin. |
23. VIII. 14
Ergänzung der gestrigen Mitteilungen vom Kriegsschauplatz. *Karten von Brünauer u. Frau Deutsch – Brief an Frau Pairamall mit Anfrage. *Herr Carnegie fühlt sich veranlaßt, im Namen der erstrolchten Millionen gegen den amerikanischen Protest zu protestieren u. sagt: „Der deutsche Kaiser, seit 25 Jahren der hervorragendste Friedensfürst der Welt, ist heute als Kriegsherr der Hauptzerstörer Europas geworden.“ u. auch: „Ich glaube, der Kaiser wußte nicht, was er tat, als er den britischen Oelzweig ablehnte.“ 1 Mit so wenig Grütze im Kopf läßt sich, wie man sieht, eine Milliarde immerhin noch fabrizieren! Aber wie sollte ein Millionenbengel Sinn für produktive Kräfte haben, die nicht erst von Millionen abhängig sind? Würde denn Carnegie einen Rembrandt je gekauft haben, wenn er blos, sagen wir, 200 Kronen wert gewesen wäre, und kauft er nicht Kunstwerke auch nur um des Preises willen? Er mimt den Wohltäter, nachdem er Legionen zerstört, denen die Wohltat nicht mehr zugute kommen kann. Deutschland wird auch über diesen Kretin hinwegzukommen haben wissen; hat es [illeg]Großartiges noch vor Carnegie hervorgebracht, so wird es darin auch fernerhin nicht aufhören! *Albanien in Oesterreich – es fehlt an Gewehren, da gegen eine Erhöhung des Kontingentes das Volk in seinen Vertretungen sich energisch aufgelehnt hat! Mit anderen Worten: Die Handel {662} treibende Bevölkerung hat sich, kurzsichtig wie sie ist, derart zum Alpha u. Omega zu machen gewußt, daß sie das Interesse der Armee in den Hintergrund gedrängt hat. Nun mag sie jetzt, da sie der Hilfe der Armee bedarf, es ordentlich bedauern u. bereuen, so egoistisch gewesen zu sein. Und doch wird es der Kaufmann nie lernen, den Egoismus so weitherzig zu fassen, daß darin auch der Egoismus des nächsten Augenblickes Platz finden könnte u. darüber hinaus auch noch der fernerer Tage. — Ist es doch auch Verhängnis der Reichen überhaupt, daß sie ihren Egoismus voll Widersprüche geltend machen; sie wollen den Armen plündern (ohne solche Plünderung gäbe es ja keine Reichen!), wollen außerdem ihren Reichtum dadurch geschützt wissen, daß geg genügend Militär vorhanden sei u. sind daher für eine starke Verzinsung der Ehen der armen Leute, deren Coupon in Form von Soldaten sie in Kriegszeiten bequem schneiden könnten; u. weiter wünschen sie den Armen ungebildet, damit er ohne Prätention die Arbeit für den Reichen verrichte, wünschen ihn aber auch gebildet, um im Moment der Gefahr jenen Nutzen beziehen zu können, den allein die Bildung gewährt; sie wollen, daß der Arme für die in den Krieg gehe, daß er Hunger leide, wenn der durch den Reichen verschuldete Krieg zu einer Hungersnot geführt hat, daß er sich aber zugleich auch enthalte z. B. einen Brotladen zu plündern, aus Rücksicht für das Eigentum des Reichen – kurz, es ergeht dem Armen wie der Frau, an die der Mann die widersprechendsten Ansprüche stellt, nur um auch die mannigfaltigsten wenn auch widersprechendsten Vorteile aus ihr herauszuschlagen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 23, 1914.
Supplementary information from yesterday's communications from the war zone. *Postcards from Brünauer and Mrs. Deutsch – letter to Mrs. Pairamall with question. *Mr. Carnegie feels induced, on behalf of the millions he has purloined, to protest against the American protest. He says: The German emperor, the world's leading prince of peace over the past quarter century, has today become – as a warlord – the principal destroyer of Europe." And also: "I believe that the emperor did not know what he was doing when he refused the British olive branch." 1 With so little gray matter in his head he is still nonetheless able, as one sees, to make a billion! But how should this multimillion-dollar scoundrel have an understanding of creative powers that are not dependent on millions? Would Carnegie have ever bought a Rembrandt were it worth merely, say, 200 Kronen? And does he not buy works of art only on account of their price? He pretends to be a benefactor after he has destroyed legions to whom the act of beneficence can no longer be of any use. Germany will also be able to get over this cretin; if it has produced great things long before, so it will not cease to do so even in the future! *Albania in Austria – there is a shortage of arms, since the representatives of the people energetically rebelled against an increase of their share! In other words: {662} the commerce-driven populace, short-sighted as it is, was able to make the alpha and omega of its efforts succeed in pushing the interests of the army into the background. Now, as it has needed the help of the army, it wishes to be truly sorry and to repent having been so egoistic. And yet the businessman will never learn to comprehend egoism in such a liberal way that the egoism of one's neighbor can also find a place there and, beyond that, even in future times. —It is, however, also the catastrophe of the rich in general that they exercise their egoism in all of its contradictions; they want to fleece the poor (without such fleecing there would indeed not be any rich people!), and in addition they want their wealth protected by there being enough military presence at hand; and thus, they are in favor of a strong rate of return from the marriages between poor people, whose coupons – in the form of soldiers – they can happily cut in times of war. And furthermore they would wish a poor man to be uneducated so that he can work for the rich man without pretention; but they would also want him to be educated in order to take advantage, in the moment of danger, of those advantages that education alone can guarantee; they would like the poor man to go to war for them, and to suffer hunger, if the war – for which the rich are responsible – leads to a famine; but at the same time he/she refrain from, say, looting a bakery, out of respect for the property of the rich. In short, poor people are treated like women: men make the most contradictory demands upon them only in order to obtain the most diverse, albeit the most contradictory, advantages from them. * © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 The quotation is taken from a newspaper article with the title "Eine Zurückweisung Carnegies" [A retraction from Andrew Carnegie]. An extract of this article is found between p. 653 and p. 654 of the diary. |