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5. X. 14

Geldsendung an die k. k. Fürsorge; an Lola; Nachbestellung der „Frankfurter Ztg.“ — Abends Gärtner mit Frau im Caféhaus; sie kamen, um mit vereinten Kräften eine Gefälligkeit für Hans zu erbitten, aber durch geschickte Darstellung meiner Arbeit enslast gelang es mir indessen, das Attentat abzuwehren. Zufällig kommt auch der Bildhauer Heu mit Soldatengenossen ins Caféhaus u. erzählt so manches von Verwundeten u. aus eigener Erfahrung, das teilweise erfreulichen, teilweise aber auch nur wenig erfreulichen Einblick in die militärischen Dinge Verhältnisse brachte. Am überraschendsten war die Angabe der täglichen Mannschaftslöhnung. Wir, deren Augen nicht über bescheidenste Ziffern hinausgelangt sind, können es gar nicht begreifen, wie der Staat {735} jene Summen auftreibt, die die Armee im Kriege erfordert. – Gärtner teilt überdies seine schlimmen Erfahrungen mit, die er gerade mit den reichen Schülern gemacht [hat] u. erwähnt, daß auch ihm gegenüber die Reichen, wie auf Verabredung, an seine Freundschaft appellierten. Es fällt mir ein, daß auch im Altertum die reichen u. mächtigen Römer an fremde Völkerschaften am liebsten den Ehrentitel „amicus populi romanum i“ vergaben, nicht etwa um jenen etwas zu geben, sondern um vielmehr von ihnen etwas zu nehmen. Liegt doch in der Art de rs Reichen das Nehmen (worauf ja schließlich ihr Reichtum im Grunde aufgebaut ist) so im Blute, daß sie jegliches Nehmen in ein scheinbares Geben verwandeln! Nehmen sie z. B. Unterricht, so wissen sie auch ein solches Nehmen in eine scheinbar dem Lehrer erwiesene U Gnade der Unterstützung zu verwandeln, d. h. sie nützen ihre pekuniäre Ueberlegenheit dazu aus, jede Annäherung an den Aermeren als Gnade wirken zu lassen, so daß selbst die Entgegennahme von Leistungen seitens des Armen (an Gut u. Blut) in der Einbildung de rs Reichen nur umgekehr[t] als ein [illeg]sein Geschenk an den Armen sich darstellt. – Ist es aber möglich, daß Gymnasiallehrer u. deren Schüler das alt-römische Stichwort amicus populi romani gerade mit dem übeln [sic] Beigeschmack verstehen konnten, der ihm vom Haus aus anhaftete?

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Die Zeitungen melden die Entscheidung des obersten Kassationshofes wider den Pater Kirchsteiger, die von Widersinn strotzt. Die beste Wiederlegung [sic] bot [recte hat] die „Sonn- u. Montags Ztg.gebracht, indem sie auf den Unterschied zwischen einem von seinen Weihen Gebrauch machenden Priester u. de mr vom Kassationshof zitierten angeblichen Analogie eines Priesters aufmerksam macht, wornach der in sein Gebet auch den Gegner einschließt , u. sich trotz Weihen eines Verbrechens schuldig macht. 1 Man sieht deutlich, daß auch der Richter des Kassationshofes nur mehr Jahresringe am Popo hat, sich aber von den Richtern anniederer Instanzen u. selbst denen auf dem Lande durch keinerlei Geistesvorsprung unterscheidet!

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Gärtner machte mich auf der Straße darauf aufmerksam, daß Rich. Robert mir Konkurrenz mache , u. zw. Punkto Bach, über den er Vorträge halte; 2 ich erwiderte darauf: „Das ist nicht derselbe Bach“, was Lie-Liechen sehr belustigt hat.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 5, 1914.

Money sent to the imperial-royal relief agency; to Lola; repeat order of the Frankfurter Zeitung " — In the evening, Gärtner with his wife at the coffee house; they came in combined force in order to ask a favor for Hans. With a slick presentation of my workload, however, I succeeded in fending off the attack. By chance the sculptor Heu comes into the coffee house with his soldier friends and recounts a great deal about the wounded from his own experience, which conveyed a picture of the military situation that was in part gratifying, but in part also rather less gratifying. The most surprising thing was his information about the daily wage bill for the [military] personnel. We, whose eyes cannot progress beyond the most modest figures, could simply not believe how the state could raise such sums {735} as the army requires in wartime. – Gärtner additionally recounts his bad experiences which he has had precisely with his wealthy pupils and mentions that, even to him, the rich appealed to his "friendship," as if by agreement. It occurs to me that even in ancient civilization the rich and powerful Romans liked to give foreign peoples the honorific title amicus populi romani [friend of the Roman people], not really in order to give something to them but rather to take something from them. But the act of taking lies so much in the blood of the rich (and upon which their wealth is ultimately based) that they transform every act of taking into a seeming act of giving! When they take tuition, for example, they are also able to transform such a taking into an apparent favor of support for the teacher; that is, they exploit their pecuniary superiority to let every approach to the poorer person have the effect of a favor, so that even the acceptance of achievements from the poor man (materially and spiritually) is represented in the imagination of the rich man only as the reverse, as a present from the rich to the poor. – But is it possible that high school teachers and their pupils can understand the ancient Roman expression amicus populi romani with this very nasty overtone, which is innately associated with it?

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The newspapers report the decision of the highest court of cassation against Father Kirchsteiger, which brims over with nonsense. The best refutation appeared in the Sonn- und Montags-Zeitung in that it called attention to the difference between a priest who avails himself of his orders and the apparent analogy, cited by the court of cassation, of a priest who also includes his opponent in his prayers and is guilty of a crime in spite of his holy orders. 1 One can clearly see that even the judge at the court of cassation may have a greater number of annual rings on his backside, but he is not marked by any intellectual advancement compared to the judges of lower courts, or even those in the provincial courts!

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Gärtner informs me, on the street, that Richard Robert is competing with me, and in fact with respect to Bach, about whom he is giving lectures; 2 to this I replied, "It's not the same Bach," which greatly amused Lie-Liechen.

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© Translation William Drabkin.

5. X. 14

Geldsendung an die k. k. Fürsorge; an Lola; Nachbestellung der „Frankfurter Ztg.“ — Abends Gärtner mit Frau im Caféhaus; sie kamen, um mit vereinten Kräften eine Gefälligkeit für Hans zu erbitten, aber durch geschickte Darstellung meiner Arbeit enslast gelang es mir indessen, das Attentat abzuwehren. Zufällig kommt auch der Bildhauer Heu mit Soldatengenossen ins Caféhaus u. erzählt so manches von Verwundeten u. aus eigener Erfahrung, das teilweise erfreulichen, teilweise aber auch nur wenig erfreulichen Einblick in die militärischen Dinge Verhältnisse brachte. Am überraschendsten war die Angabe der täglichen Mannschaftslöhnung. Wir, deren Augen nicht über bescheidenste Ziffern hinausgelangt sind, können es gar nicht begreifen, wie der Staat {735} jene Summen auftreibt, die die Armee im Kriege erfordert. – Gärtner teilt überdies seine schlimmen Erfahrungen mit, die er gerade mit den reichen Schülern gemacht [hat] u. erwähnt, daß auch ihm gegenüber die Reichen, wie auf Verabredung, an seine Freundschaft appellierten. Es fällt mir ein, daß auch im Altertum die reichen u. mächtigen Römer an fremde Völkerschaften am liebsten den Ehrentitel „amicus populi romanum i“ vergaben, nicht etwa um jenen etwas zu geben, sondern um vielmehr von ihnen etwas zu nehmen. Liegt doch in der Art de rs Reichen das Nehmen (worauf ja schließlich ihr Reichtum im Grunde aufgebaut ist) so im Blute, daß sie jegliches Nehmen in ein scheinbares Geben verwandeln! Nehmen sie z. B. Unterricht, so wissen sie auch ein solches Nehmen in eine scheinbar dem Lehrer erwiesene U Gnade der Unterstützung zu verwandeln, d. h. sie nützen ihre pekuniäre Ueberlegenheit dazu aus, jede Annäherung an den Aermeren als Gnade wirken zu lassen, so daß selbst die Entgegennahme von Leistungen seitens des Armen (an Gut u. Blut) in der Einbildung de rs Reichen nur umgekehr[t] als ein [illeg]sein Geschenk an den Armen sich darstellt. – Ist es aber möglich, daß Gymnasiallehrer u. deren Schüler das alt-römische Stichwort amicus populi romani gerade mit dem übeln [sic] Beigeschmack verstehen konnten, der ihm vom Haus aus anhaftete?

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Die Zeitungen melden die Entscheidung des obersten Kassationshofes wider den Pater Kirchsteiger, die von Widersinn strotzt. Die beste Wiederlegung [sic] bot [recte hat] die „Sonn- u. Montags Ztg.gebracht, indem sie auf den Unterschied zwischen einem von seinen Weihen Gebrauch machenden Priester u. de mr vom Kassationshof zitierten angeblichen Analogie eines Priesters aufmerksam macht, wornach der in sein Gebet auch den Gegner einschließt , u. sich trotz Weihen eines Verbrechens schuldig macht. 1 Man sieht deutlich, daß auch der Richter des Kassationshofes nur mehr Jahresringe am Popo hat, sich aber von den Richtern anniederer Instanzen u. selbst denen auf dem Lande durch keinerlei Geistesvorsprung unterscheidet!

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Gärtner machte mich auf der Straße darauf aufmerksam, daß Rich. Robert mir Konkurrenz mache , u. zw. Punkto Bach, über den er Vorträge halte; 2 ich erwiderte darauf: „Das ist nicht derselbe Bach“, was Lie-Liechen sehr belustigt hat.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 5, 1914.

Money sent to the imperial-royal relief agency; to Lola; repeat order of the Frankfurter Zeitung " — In the evening, Gärtner with his wife at the coffee house; they came in combined force in order to ask a favor for Hans. With a slick presentation of my workload, however, I succeeded in fending off the attack. By chance the sculptor Heu comes into the coffee house with his soldier friends and recounts a great deal about the wounded from his own experience, which conveyed a picture of the military situation that was in part gratifying, but in part also rather less gratifying. The most surprising thing was his information about the daily wage bill for the [military] personnel. We, whose eyes cannot progress beyond the most modest figures, could simply not believe how the state could raise such sums {735} as the army requires in wartime. – Gärtner additionally recounts his bad experiences which he has had precisely with his wealthy pupils and mentions that, even to him, the rich appealed to his "friendship," as if by agreement. It occurs to me that even in ancient civilization the rich and powerful Romans liked to give foreign peoples the honorific title amicus populi romani [friend of the Roman people], not really in order to give something to them but rather to take something from them. But the act of taking lies so much in the blood of the rich (and upon which their wealth is ultimately based) that they transform every act of taking into a seeming act of giving! When they take tuition, for example, they are also able to transform such a taking into an apparent favor of support for the teacher; that is, they exploit their pecuniary superiority to let every approach to the poorer person have the effect of a favor, so that even the acceptance of achievements from the poor man (materially and spiritually) is represented in the imagination of the rich man only as the reverse, as a present from the rich to the poor. – But is it possible that high school teachers and their pupils can understand the ancient Roman expression amicus populi romani with this very nasty overtone, which is innately associated with it?

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The newspapers report the decision of the highest court of cassation against Father Kirchsteiger, which brims over with nonsense. The best refutation appeared in the Sonn- und Montags-Zeitung in that it called attention to the difference between a priest who avails himself of his orders and the apparent analogy, cited by the court of cassation, of a priest who also includes his opponent in his prayers and is guilty of a crime in spite of his holy orders. 1 One can clearly see that even the judge at the court of cassation may have a greater number of annual rings on his backside, but he is not marked by any intellectual advancement compared to the judges of lower courts, or even those in the provincial courts!

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Gärtner informs me, on the street, that Richard Robert is competing with me, and in fact with respect to Bach, about whom he is giving lectures; 2 to this I replied, "It's not the same Bach," which greatly amused Lie-Liechen.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Der Prozeß gegen Kirchsteiger," Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, No. 40, October 5, 1914, 52nd year, p. 5.

2 In the 1914/15 season, as part of the popular lectures for musical amateurs and concert-goers organized by the Society of the Friends of Music, Richard Robert mounted a "course on the formation of style in works by J. S. Bach." See Wiener Zeitung, No. 143, June 25, 1914, p. 6.