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6.

Es erscheint die künftige Wirtschafterin der Mama, die ihre Dienste zusagt. Alle ihr nachgerühmte Biederkeit hat nicht verhindern können, daß sie sich mit einer Lüge einführt; doch was muß nicht hingenommen werden, wenn das Ziel einer endgiltigen Befreiung der Mama von Vermieterinnen angestrebt wird?

*

Gegen die Reichen wäre zu sagen: Gelderwerb ist ja sicher nicht zu verschmähen; schönes Essen ebensowenig, im Gegenteil: man hat sich dieser schönen Dinge erst recht zu befleißigen. Nur soll es dabei auf einen Effekt hinauslaufen, der – um eine Analogie zu zitieren – vergleichbar wäre mit tonikalisierten ferneren Stufen einer Tonart; d. h. es ist z. B. nichts dagegen einzuwenden, wenn in Cdur die VI. oder VII. Stufe in den Tonikalisierungs-Zustand gerät u. hiebei die nötigen Chromen annimmt, die die Wirkung von selbständigen Stufen verleihen, ohne daß darüber aber das Zentrum der Tonika seiner Herrschaft verlustig gehen müßte. Aehnlich nun dürften Gelderwerb u. Essen für schöne Chromen des Lebens zum Zweck einer vorübergehenden Täuschung gepflegt werden, als wären sie Selbstzweck – u. doch sollte darüber niemals das Zentrum der Tonika, als welche die seelische Kultur allein erscheint, verloren gehen. Bei den Reichen aber sieht man es anders: Die Tonalität des Lebens wird durch eine falsche Anwendung der Chromen um die Tonika gebracht, Gelderwerb, Wohnung u. andere äußerliche Kultur werden wirklich zu Selbstzweck, also zu eigenen Tonarten. Vor lauter Tonarten verliert dann aber das Leben den eigenen großen tonal-zusammenfassenden Sinn.

*

Ueberredung sagt der Dummheit nichts, nur Abwehr tritt an Stelle der Ueberredung; indem die Abwehr als Tat die Dummheit aufhält, schafft sie mindestens nachher die Möglichkeit einer Erkenntnis.

*

{763} Die meisten Menschen suchen die Zeit totzuschlagen, also gerade jenes Element, in dem die größten Menschen zum Heile der Gesamtheit wirkten u. schufen. Da sie nun die Zeit entbehren können[,] zeigt sich, daß sie nichts zu wirken haben. Daher sollte man lieber sie totschlagen, als ihnen auch nur die Wendung gestatten, mit der sie die Zeit totschlagen wünschen.

*

Im selben Maße als die Initiative des Krämers im Grunde nur wenige male in Erscheinung zu treten braucht , um die Geschäfte gewissermaßen in die Bahn zu lenken, hernach aber die Ware u. deren Umsatz für das Fortkommen des Geschäftes von selbst sorgen, im selben Maße also sage ich, als die Räder dann automatisch fortgehen, verliert der Verstand des Krämers als des Lenkers die Möglichkeit weiterer Ausbildung u. Differenzierung, oder, was dasselbe das selbe, er verliert an Kraft u. Wachsamkeit. Daher die Erscheinung, daß die Kaufleute meistens sehr beschränkte Menschen sind, bei denen mit dem Fortschritt der Reichtümer nicht auch gleichzeitig der Verstand fortgeschritten ist. – Als vollen Gegensatz dazu muß man den schaffenden Künstler (wie überhaupt den schaffenden Menschen) bezeichnen, der nicht etwa eine Sinfonie „gründet“, einmal für jahrzehntelangen Betrieb „einrichtet“, sondern nach getanem einem [sic] Werke ein neues in Angriff nehmen muß, bei dem er nun mit allen seinen geistigen Kräften wieder so gegenwärtig sein muß, wie bei den früheren. Kein Umsatz, kein Vertrieb, kein Erfolg seines früheren Werkes kann ihm bei dem neuen (nützen) helfen, nur wieder die volle Anspannung, ja sogar eine gesteigerte Anspannung der Kräfte. (Eine Anspannung, wie sie der Fabrikant nur dann leisten müßte, wenn er nach einem halben Jahr eine neue Fabrik gründen würde!) Daher kommt es, daß der Intellekt der Schaffenden wegen steter Uebung unvergleichlich reicher bleibt, als der eines Krämers. Und daher wird man begreifen[,] wenn ich sage, daß ein Brahms niemals so borniert sein könnte, als vor lauter Krämerei die englische Nation heute ist.

*

© Transcription Marko Deisinger.

6.

My mother's future housekeeper arrives, agreeing to provide her service. All the uprightness with which she is credited was unable to prevent her introducing herself with a lie; yet what must not be tolerated if the goal of an ultimate liberation of my mother from landladies is to be aspired?

*

One could say against the rich: the acquisition of money is certainly not to be scorned, nice food least as much. On the contrary: one should cultivate these fine things more than ever. But this should only result in an effect which – to use an analogy – would be comparable with tonicized harmonic degrees distant from the principal key. That is, there is, for example, nothing objectionable about the harmonies VI or VII in C major becoming tonicized, and thus taking on the necessary chromatic notes that lend the effect of independent harmonic degrees, but without making the central tonic forfeit its overall control. Similarly, then, the acquisition of money and good food are the beautiful chromatic notes of life and should be cultivated for the purpose of a transient illusion, as if they were an end in themselves – and yet the central tonic, being that as which the spiritual culture alone appears, should never be lost. With rich people, however, things are different: the tonality of life is defrauded of its tonic by the false use of chromatic notes; the acquisition of money, real estate and other external culture actually become purposes in themselves, that is, keys in their own right. With so many keys in operation, however, life then loses its own great tonally controlling meaning.

*

Persuasion says nothing to stupidity; only resistance takes the place of persuasion. While resistance, as an act, supports stupidity, it at least creates the possibility of recognition at a later time.

*

{763} Most people try to strike time dead, i.e. that very element in which the greatest people worked and created for collective salvation. That they are now able to do without time is apparent from their having nothing to work at. Therefore, it would be better for them to be struck dead than that they should even be permitted the words with which they wish to strike time dead.

*

To the same extent that the initiative of a businessman needs to make an appearance essentially only a few times in order to steer his business to a certain extent in the right direction, with the wares and their income thereafter taking care of the progress of the business by themselves – to the same extent, then, I say that the wheels continue to roll automatically, the intellect of the businessman, as its helmsman, loses the possibility of further development and differentiation or, what amounts to the same thing, he suffers a loss of power and attentiveness. It is for this reason that business people are usually very limited men, in whom the progress of their intellect does not also keep pace with the progress of their wealth. – In complete contrast to this, consider a creative artist (like creative people in general), who does not really "establish" a symphony or "sets it up" once so that it can run for decades; rather, once he has produced one work he must get to grips with a new one, for which he must be as up-to-date with all his intellectual powers as he was for the earlier ones. No turnover, no marketing, no success of his earlier work can help him (be exploited) for the new one, just once again the full tension of powers – even an increased tension. (A tension that a factory owner must only achieve if he is to establish a new factory after half a year!) Thus it happens that the intellect of creative people, because of continual exercise, remains incomparably richer than that of a businessman. And thus one will understand when I say that a Brahms could never be as narrow-minded as the English nation is today, on account of pervasive commercialism.

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© Translation William Drabkin.

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Es erscheint die künftige Wirtschafterin der Mama, die ihre Dienste zusagt. Alle ihr nachgerühmte Biederkeit hat nicht verhindern können, daß sie sich mit einer Lüge einführt; doch was muß nicht hingenommen werden, wenn das Ziel einer endgiltigen Befreiung der Mama von Vermieterinnen angestrebt wird?

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Gegen die Reichen wäre zu sagen: Gelderwerb ist ja sicher nicht zu verschmähen; schönes Essen ebensowenig, im Gegenteil: man hat sich dieser schönen Dinge erst recht zu befleißigen. Nur soll es dabei auf einen Effekt hinauslaufen, der – um eine Analogie zu zitieren – vergleichbar wäre mit tonikalisierten ferneren Stufen einer Tonart; d. h. es ist z. B. nichts dagegen einzuwenden, wenn in Cdur die VI. oder VII. Stufe in den Tonikalisierungs-Zustand gerät u. hiebei die nötigen Chromen annimmt, die die Wirkung von selbständigen Stufen verleihen, ohne daß darüber aber das Zentrum der Tonika seiner Herrschaft verlustig gehen müßte. Aehnlich nun dürften Gelderwerb u. Essen für schöne Chromen des Lebens zum Zweck einer vorübergehenden Täuschung gepflegt werden, als wären sie Selbstzweck – u. doch sollte darüber niemals das Zentrum der Tonika, als welche die seelische Kultur allein erscheint, verloren gehen. Bei den Reichen aber sieht man es anders: Die Tonalität des Lebens wird durch eine falsche Anwendung der Chromen um die Tonika gebracht, Gelderwerb, Wohnung u. andere äußerliche Kultur werden wirklich zu Selbstzweck, also zu eigenen Tonarten. Vor lauter Tonarten verliert dann aber das Leben den eigenen großen tonal-zusammenfassenden Sinn.

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Ueberredung sagt der Dummheit nichts, nur Abwehr tritt an Stelle der Ueberredung; indem die Abwehr als Tat die Dummheit aufhält, schafft sie mindestens nachher die Möglichkeit einer Erkenntnis.

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{763} Die meisten Menschen suchen die Zeit totzuschlagen, also gerade jenes Element, in dem die größten Menschen zum Heile der Gesamtheit wirkten u. schufen. Da sie nun die Zeit entbehren können[,] zeigt sich, daß sie nichts zu wirken haben. Daher sollte man lieber sie totschlagen, als ihnen auch nur die Wendung gestatten, mit der sie die Zeit totschlagen wünschen.

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Im selben Maße als die Initiative des Krämers im Grunde nur wenige male in Erscheinung zu treten braucht , um die Geschäfte gewissermaßen in die Bahn zu lenken, hernach aber die Ware u. deren Umsatz für das Fortkommen des Geschäftes von selbst sorgen, im selben Maße also sage ich, als die Räder dann automatisch fortgehen, verliert der Verstand des Krämers als des Lenkers die Möglichkeit weiterer Ausbildung u. Differenzierung, oder, was dasselbe das selbe, er verliert an Kraft u. Wachsamkeit. Daher die Erscheinung, daß die Kaufleute meistens sehr beschränkte Menschen sind, bei denen mit dem Fortschritt der Reichtümer nicht auch gleichzeitig der Verstand fortgeschritten ist. – Als vollen Gegensatz dazu muß man den schaffenden Künstler (wie überhaupt den schaffenden Menschen) bezeichnen, der nicht etwa eine Sinfonie „gründet“, einmal für jahrzehntelangen Betrieb „einrichtet“, sondern nach getanem einem [sic] Werke ein neues in Angriff nehmen muß, bei dem er nun mit allen seinen geistigen Kräften wieder so gegenwärtig sein muß, wie bei den früheren. Kein Umsatz, kein Vertrieb, kein Erfolg seines früheren Werkes kann ihm bei dem neuen (nützen) helfen, nur wieder die volle Anspannung, ja sogar eine gesteigerte Anspannung der Kräfte. (Eine Anspannung, wie sie der Fabrikant nur dann leisten müßte, wenn er nach einem halben Jahr eine neue Fabrik gründen würde!) Daher kommt es, daß der Intellekt der Schaffenden wegen steter Uebung unvergleichlich reicher bleibt, als der eines Krämers. Und daher wird man begreifen[,] wenn ich sage, daß ein Brahms niemals so borniert sein könnte, als vor lauter Krämerei die englische Nation heute ist.

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© Transcription Marko Deisinger.

6.

My mother's future housekeeper arrives, agreeing to provide her service. All the uprightness with which she is credited was unable to prevent her introducing herself with a lie; yet what must not be tolerated if the goal of an ultimate liberation of my mother from landladies is to be aspired?

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One could say against the rich: the acquisition of money is certainly not to be scorned, nice food least as much. On the contrary: one should cultivate these fine things more than ever. But this should only result in an effect which – to use an analogy – would be comparable with tonicized harmonic degrees distant from the principal key. That is, there is, for example, nothing objectionable about the harmonies VI or VII in C major becoming tonicized, and thus taking on the necessary chromatic notes that lend the effect of independent harmonic degrees, but without making the central tonic forfeit its overall control. Similarly, then, the acquisition of money and good food are the beautiful chromatic notes of life and should be cultivated for the purpose of a transient illusion, as if they were an end in themselves – and yet the central tonic, being that as which the spiritual culture alone appears, should never be lost. With rich people, however, things are different: the tonality of life is defrauded of its tonic by the false use of chromatic notes; the acquisition of money, real estate and other external culture actually become purposes in themselves, that is, keys in their own right. With so many keys in operation, however, life then loses its own great tonally controlling meaning.

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Persuasion says nothing to stupidity; only resistance takes the place of persuasion. While resistance, as an act, supports stupidity, it at least creates the possibility of recognition at a later time.

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{763} Most people try to strike time dead, i.e. that very element in which the greatest people worked and created for collective salvation. That they are now able to do without time is apparent from their having nothing to work at. Therefore, it would be better for them to be struck dead than that they should even be permitted the words with which they wish to strike time dead.

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To the same extent that the initiative of a businessman needs to make an appearance essentially only a few times in order to steer his business to a certain extent in the right direction, with the wares and their income thereafter taking care of the progress of the business by themselves – to the same extent, then, I say that the wheels continue to roll automatically, the intellect of the businessman, as its helmsman, loses the possibility of further development and differentiation or, what amounts to the same thing, he suffers a loss of power and attentiveness. It is for this reason that business people are usually very limited men, in whom the progress of their intellect does not also keep pace with the progress of their wealth. – In complete contrast to this, consider a creative artist (like creative people in general), who does not really "establish" a symphony or "sets it up" once so that it can run for decades; rather, once he has produced one work he must get to grips with a new one, for which he must be as up-to-date with all his intellectual powers as he was for the earlier ones. No turnover, no marketing, no success of his earlier work can help him (be exploited) for the new one, just once again the full tension of powers – even an increased tension. (A tension that a factory owner must only achieve if he is to establish a new factory after half a year!) Thus it happens that the intellect of creative people, because of continual exercise, remains incomparably richer than that of a businessman. And thus one will understand when I say that a Brahms could never be as narrow-minded as the English nation is today, on account of pervasive commercialism.

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© Translation William Drabkin.