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13. X. 15 Bewölkt!

— Retourniere Frl. Elias 1000 Kronen, nicht ohne zugleich mit einigen spitzen Bemerkungen sowohl die Situation im allgemeinen zu charakterisieren, als auch einige Vorwürfe speziell an sie selbst zu adressieren. Erkläre ihr, daß ich nunmehr auf mich selbst den bestimmten Verlust von etwa 8000 Kr. nehme, nur um Chan gcen für eine spätere Zukunft zu verbessern, daß ich somit etwas tue, was Sache des Verlegers wäre, nämlich zu investieren u. zu riskieren, um später reichere Ernte zu halten. Zeige an eben diesem Beispiel, mit wie wenig Mitteln mir eigent- {11} lich gedient worden wäre – vor vielen Jahren, mit kleinen Beträgen, die im Treiben eines Kaufmannes kaum noch eine Rolle spielen; weise ferner auf den Unterschied hin in der Fruchtbarmachung so kleiner Kapitalien im Gegensatz zur Gebundenheit kaufmännischer Gelder, die bestenfalls doch nur Zinsen für den Magen des einen Menschen, bezw. seiner Familien abwerfen. Und voll Bosheit amüsiere ich mich über den grotesken Zufall, der drei hergelaufenen deutschen Damen mehr Autorität durch launenhafte Fügung des Schicksals einräumt als nur mir selbst, dem Autor der Werke, dem Lehrer der Fr. D. u. s. w.

*

Erfahre aus Lese in der „Voss. Ztg.“, daß der orthodoxe Kaftan polnischen Ursprungs ist. Heute freilich ist er zum konfessionellen Moment geworden, was mich lebhaft an den chinesischen Zopf erinnert, für den die Chinesen in den Tod giengen, seitdem er nationale Einrichtung geworden, was er aber nicht von allen Anfang an gewesen. —

*

Wer Tugend lehrt, muß auch Mut haben, die traurige Wahrheit zu verbreiten, daß ein Hinderniss der Tugend in den meisten Fällen ein anderer ist, wogegen es aber absolut kein Mittel gibt. Um in Erscheinung treten zu können[,] bedarf die Tugend auch des Mediums anderer Personen u. Zustände; wenn sich nun diese ihr versagen, so kommt sie einfach nicht zustande. Es sollte daher keine Tugendlehre geben ohne die Aufforderung an den zur Tugend Berufenen, alle Hindernisse mit Gewalt wegzuräumen, zu vernichten u. totzuschlagen. Denn was als Hindernis einer Tugend entgegentritt, wird niemals des Segens der Erleuchtung teilhaftig werden. Die Tugend ist gleich einem unendlich schwer entzifferbarem Kunstwerk, sie ist die höchste Philosophie einer gegebenen Situation, deren Wahrheit u. Poesie zugleich, u. man mag daher begreifen, daß ihr nicht viel Köpfe unter den Menschen gewachsen sind. —

*

{12} Ein französisches Schiff mit 2000 algerischen Schützen torpediert! 1 Dieser Wilden Schicksal ergreift mich fast mehr, als das unserer Europäer. Sie sind aus ihrer Heimat gezogen u. nun abhanden gekommen. Wem? Wer wird nach ihnen fragen, wer ihre Namen vermelden, wer ihr Schicksal erfahren, wer es rächen?! Sie sind in ein hohes Nichts gefallen u. nur Frankreich freut sich, eigenes Menschenmaterials erspart zu haben, dem doch mindestens der bescheidene Lohn einer Verklärung durch den Heldentod winken könnte! —

*

In England mehren sich die Stimmen der Erkenntnis! 2 Soweit mußte es also kommen, bis der bornierte Engländer die Lage versteht. Nun ist er auf den Schutz seiner eigenen Interessen bedacht (als könnte er sie wahrnehmen!), u. greift zur Wehrpflicht. 3 Nur ein dummer Kaufmann, wie der Engländer, konnte, vor lauter Gier nach womöglich tausend Vorteilen, mit Serbien auch Italien zusammenspannen, die beide nach der Adria streben, sich selbst mit den Russen verbinden, obgleich beide den Orient meinen, u. s. f. – Nun kracht die blödsinnige Börsenspekulation zusammen!

*

Nach kaufmännischem Prinzip läßt England auch im Felde lieber den anderen für sich arbeiten.

*

© Transcription Marko Deisinger.

October 13, 1915. Cloudy!

— I return Miss Elias's 1,000 Kronen, not without some sharp remarks at the same time, not only to describe the situation in general but also to address a few criticisms especially to her. I explain to her that, from now on, I am taking the definite loss of about 8,000 Kronen upon myself, only in order to improve my chances for a better future; that I am doing what would be the matter for the publishers, namely to invest and to take risks in order to reap a richer harvest later. I show with this very example with which little means I was actually served {11} – many years ago with small sums which, in the doings of a businessman, hardly play a role; I refer moreover to the difference in the fruitfulness of such small amounts of capital in contrast to the restricted use of commercial money, which at best only yield interest payments for the stomach of one person, or rather his family. And I amuse myself, full of malice, at the grotesque happenstance, which confers upon three German ladies who happen to be there more authority by the capricious coincidence of fate than upon me myself, the author of works, the teacher of Mrs. Deutsch, etc.

*

In the Vossische Zeitung, I read that the caftan, worn by orthodox [Jews], is of Polish origin. Today, of course, it has become an article of faith; this reminds me of the Chinese pigtail, for which the Chinese went to their death but which has since become part of national costume – something that it was not at the very outset. —

*

Anyone who teaches virtue must also have the courage to disseminate the bitter truth that an obstacle to virtue is in most cases something else, which there are absolutely no means to combat. To be capable of manifesting itself, virtue also requires the medium of other persons and situations; if these are denied to it, then it simply does not come into being. There should, therefore, be no teaching of virtue without the requirement of those destined for virtue to clear, destroy, and kill all obstacles by force. For that which surfaces as an obstacle to virtue will never share in the blessing of enlightenment. Virtue is like an artwork that can be deciphered with infinitely great difficulty; it is the highest philosophy of a given situation, its truth and poetry at the same time; and one can thus understand that not many human heads measure up to it. —

*

{12} A French ship with 2,000 Algerian riflemen torpedoed! 1 The fate of these savages almost moves me more than that of our Europeans. They have been taken from their homeland and are now lost. For whom? Who will ask after them? Who will report their names, learn their fate, avenge them?! They have fallen into an immense nothingness; and only France is glad to have spared its own human material, to which, however, at least the modest reward of a transfiguration by heroic death could beckon! —

*

In England, the voices of enlightenment are multiplying! 2 Things have had to come so far until the blinkered English understand the situation. Now it is concerned about protecting its own interests (is if it could perceive them!), and is resorting to military conscription. 3 Only stupid businessmen like the English could, out of pure greed for as many as thousand possible advantages, could yoke Italy, too, to Serbia, both of which are striving for [control of] the Adriatic, ally themselves with the Russians, although both are thinking of the Orient, and so on. – Now the idiotic market speculation is collapsing!

*

In accordance with the principles of the business world, England also prefers others to do the work for them on the battlefield.

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© Translation William Drabkin.

13. X. 15 Bewölkt!

— Retourniere Frl. Elias 1000 Kronen, nicht ohne zugleich mit einigen spitzen Bemerkungen sowohl die Situation im allgemeinen zu charakterisieren, als auch einige Vorwürfe speziell an sie selbst zu adressieren. Erkläre ihr, daß ich nunmehr auf mich selbst den bestimmten Verlust von etwa 8000 Kr. nehme, nur um Chan gcen für eine spätere Zukunft zu verbessern, daß ich somit etwas tue, was Sache des Verlegers wäre, nämlich zu investieren u. zu riskieren, um später reichere Ernte zu halten. Zeige an eben diesem Beispiel, mit wie wenig Mitteln mir eigent- {11} lich gedient worden wäre – vor vielen Jahren, mit kleinen Beträgen, die im Treiben eines Kaufmannes kaum noch eine Rolle spielen; weise ferner auf den Unterschied hin in der Fruchtbarmachung so kleiner Kapitalien im Gegensatz zur Gebundenheit kaufmännischer Gelder, die bestenfalls doch nur Zinsen für den Magen des einen Menschen, bezw. seiner Familien abwerfen. Und voll Bosheit amüsiere ich mich über den grotesken Zufall, der drei hergelaufenen deutschen Damen mehr Autorität durch launenhafte Fügung des Schicksals einräumt als nur mir selbst, dem Autor der Werke, dem Lehrer der Fr. D. u. s. w.

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Erfahre aus Lese in der „Voss. Ztg.“, daß der orthodoxe Kaftan polnischen Ursprungs ist. Heute freilich ist er zum konfessionellen Moment geworden, was mich lebhaft an den chinesischen Zopf erinnert, für den die Chinesen in den Tod giengen, seitdem er nationale Einrichtung geworden, was er aber nicht von allen Anfang an gewesen. —

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Wer Tugend lehrt, muß auch Mut haben, die traurige Wahrheit zu verbreiten, daß ein Hinderniss der Tugend in den meisten Fällen ein anderer ist, wogegen es aber absolut kein Mittel gibt. Um in Erscheinung treten zu können[,] bedarf die Tugend auch des Mediums anderer Personen u. Zustände; wenn sich nun diese ihr versagen, so kommt sie einfach nicht zustande. Es sollte daher keine Tugendlehre geben ohne die Aufforderung an den zur Tugend Berufenen, alle Hindernisse mit Gewalt wegzuräumen, zu vernichten u. totzuschlagen. Denn was als Hindernis einer Tugend entgegentritt, wird niemals des Segens der Erleuchtung teilhaftig werden. Die Tugend ist gleich einem unendlich schwer entzifferbarem Kunstwerk, sie ist die höchste Philosophie einer gegebenen Situation, deren Wahrheit u. Poesie zugleich, u. man mag daher begreifen, daß ihr nicht viel Köpfe unter den Menschen gewachsen sind. —

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{12} Ein französisches Schiff mit 2000 algerischen Schützen torpediert! 1 Dieser Wilden Schicksal ergreift mich fast mehr, als das unserer Europäer. Sie sind aus ihrer Heimat gezogen u. nun abhanden gekommen. Wem? Wer wird nach ihnen fragen, wer ihre Namen vermelden, wer ihr Schicksal erfahren, wer es rächen?! Sie sind in ein hohes Nichts gefallen u. nur Frankreich freut sich, eigenes Menschenmaterials erspart zu haben, dem doch mindestens der bescheidene Lohn einer Verklärung durch den Heldentod winken könnte! —

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In England mehren sich die Stimmen der Erkenntnis! 2 Soweit mußte es also kommen, bis der bornierte Engländer die Lage versteht. Nun ist er auf den Schutz seiner eigenen Interessen bedacht (als könnte er sie wahrnehmen!), u. greift zur Wehrpflicht. 3 Nur ein dummer Kaufmann, wie der Engländer, konnte, vor lauter Gier nach womöglich tausend Vorteilen, mit Serbien auch Italien zusammenspannen, die beide nach der Adria streben, sich selbst mit den Russen verbinden, obgleich beide den Orient meinen, u. s. f. – Nun kracht die blödsinnige Börsenspekulation zusammen!

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Nach kaufmännischem Prinzip läßt England auch im Felde lieber den anderen für sich arbeiten.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 13, 1915. Cloudy!

— I return Miss Elias's 1,000 Kronen, not without some sharp remarks at the same time, not only to describe the situation in general but also to address a few criticisms especially to her. I explain to her that, from now on, I am taking the definite loss of about 8,000 Kronen upon myself, only in order to improve my chances for a better future; that I am doing what would be the matter for the publishers, namely to invest and to take risks in order to reap a richer harvest later. I show with this very example with which little means I was actually served {11} – many years ago with small sums which, in the doings of a businessman, hardly play a role; I refer moreover to the difference in the fruitfulness of such small amounts of capital in contrast to the restricted use of commercial money, which at best only yield interest payments for the stomach of one person, or rather his family. And I amuse myself, full of malice, at the grotesque happenstance, which confers upon three German ladies who happen to be there more authority by the capricious coincidence of fate than upon me myself, the author of works, the teacher of Mrs. Deutsch, etc.

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In the Vossische Zeitung, I read that the caftan, worn by orthodox [Jews], is of Polish origin. Today, of course, it has become an article of faith; this reminds me of the Chinese pigtail, for which the Chinese went to their death but which has since become part of national costume – something that it was not at the very outset. —

*

Anyone who teaches virtue must also have the courage to disseminate the bitter truth that an obstacle to virtue is in most cases something else, which there are absolutely no means to combat. To be capable of manifesting itself, virtue also requires the medium of other persons and situations; if these are denied to it, then it simply does not come into being. There should, therefore, be no teaching of virtue without the requirement of those destined for virtue to clear, destroy, and kill all obstacles by force. For that which surfaces as an obstacle to virtue will never share in the blessing of enlightenment. Virtue is like an artwork that can be deciphered with infinitely great difficulty; it is the highest philosophy of a given situation, its truth and poetry at the same time; and one can thus understand that not many human heads measure up to it. —

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{12} A French ship with 2,000 Algerian riflemen torpedoed! 1 The fate of these savages almost moves me more than that of our Europeans. They have been taken from their homeland and are now lost. For whom? Who will ask after them? Who will report their names, learn their fate, avenge them?! They have fallen into an immense nothingness; and only France is glad to have spared its own human material, to which, however, at least the modest reward of a transfiguration by heroic death could beckon! —

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In England, the voices of enlightenment are multiplying! 2 Things have had to come so far until the blinkered English understand the situation. Now it is concerned about protecting its own interests (is if it could perceive them!), and is resorting to military conscription. 3 Only stupid businessmen like the English could, out of pure greed for as many as thousand possible advantages, could yoke Italy, too, to Serbia, both of which are striving for [control of] the Adriatic, ally themselves with the Russians, although both are thinking of the Orient, and so on. – Now the idiotic market speculation is collapsing!

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In accordance with the principles of the business world, England also prefers others to do the work for them on the battlefield.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Ein französischer Truppentransportdampfer mit 2000 Mann versenkt," Neue Freie Presse, No. 18371, October 13, 1915, morning edition, p. 6.

2 "Vor dem Zusammentritt des englischen Parlaments. Trübe Stimmung in London und Angriffe gegen Grey und gegen Italien" and "Englands Bestürzung über die Balkanereignisse," Neue Freie Presse, No. 18371, October 13, 1915, morning edition, pp. 3-4.

3 "Die Wehrpflicht Englands einzige Rettung," Neue Freie Presse, No. 18371, October 13, 1915, evening edition, p. 3.