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2. I. 16

Deutsche Blätter bringen einige wertvolle Betrachtungen in den Neujahrsnummern u. ein schönes Gedicht von Arno Holz „Odysseus“. 1

— Der „Friedensartikel“ der „N. Züricher Ztg“ wird in ein seltsames Licht durch den Artikel des „N. W. Tgbl.“ gerückt, der Enthüllungen über jene Zeitung bringt, wie sie für ein Blatt kaum demütigender sein können. 2 Nun wird es uns erst heute klar, weshalb die „N. Z. Ztg.“ uns seit jeher in ihrer Haltung so unsympathisch gewesen, so daß wir schließlich die Lektüre seit Monaten konsequent ablehnten. Wenn doch nur der Krieg mindestens die Erkenntnis auf sein konnte Konto buchen würde, daß alle Zeitungen käuflich sind u. schon aus dem Grunde einer wegen solche nr Korruption das Recht verwirkt haben, irgendwie als ein moralischer, politischer , oder literarischer Faktor ernstlich in Betracht zu kommen! Schamlos ist bis zum heutigen Tage das Treiben der Journalisten, die, ehrloser als sämtliche Verbrecher, schon jetzt ihre Seelen, Hände u. Federn den Feinden entgegenstrecken u., obgleich von den Gegnern noch verhöhnt u. mit Füßen getreten, sich ihnen dennoch mit der ganzen Inbrunst nichtswürdiger Prostitution geradezu an den Hals werfen. Diese Spielart von Menschen müßte sich die deutsche Nation aus dem Leibe reißen, kostet es was es wolle. Auf dem Wege der Herabwürdigung Deutschlands wird seine Zukunft sicher nicht gedeihen. Erstand Deutschlands politische Größe erst nachdem es seinen Fuß auf den Nacken Frankreichs gesetzt hat, u. müßte es so wohl in alle Zukunft bleiben. So lange nicht Deutschlands Gegner nicht auch moralisch u. geistig al pari stehen, wird es übel angebracht sein, ihnen mit Noblesse, Ehrlichkeit u. ähnlichen Tugenden zuvorzukommen (Daher ist auch Dernburg in seinem Aufsatz, „Berl. Tgbl.“ vom 1. I., 3 im Unrecht gegenüber Bismarck.) Wäre dem nicht so, so hätte es doch niemals zum Kriege kommen müssen. Daß die Journalisten ein Bedürfnis nach Profiten haben, liegt auf der Hand, aber jeder Mensch sollte wissen, welcher Namen [sic] einer solchen Profitgier auf {86} Kosten der Würde u. Wohlfahrt der Nation zu geben ist. —

*

Ibsens Jugendwerke werden neuerdings stark stärker betont, als seine späteren Arbeiten. Darin drückt sich unverkennbar ein geheimer Instinkt der Menschheit aus, die von diesem Autor nach der idealen Seite hin positivere Werke gewünscht hätte. Man möchte in Ibsen einen größeren Dichter lieben u. verehren, als er in Wahrheit gewesen. Freilich selbst mit der Ueberschätzung der Jugendwerke wird dem Mangel Ibsens nicht abzuhelfen sein.

*

Spaziergang von 5–6h nachmittags u. auch noch abends ein halbes Stündchen. —

— „Wilhelm Meister“ VII. Buch zuende. 4 – Vorläufige Gedanken zu „Wilhelm Meister“: Der Mensch blos den Ernährungssorgen lebend, nur erst Tier, unverwendbar in Roman u. Dichtung; Verwendbarkeit beginnt jenseits der äußersten Sorge. In Goethes Roman die meisten Personen sorglos; bezeichnenderweise ringen nur die Schauspieler mit dem nackten Leben. Gerade sie aber vertreten die Kunst, was auch wieder bezeichnend ist. Wirklich menschliche Verwicklungen beginnen erst oberhalb des Lebenskampfes. –

Zu Lotharios 5 Gedanken über Frauen: Er selbst ist noch in halber reife, also immerhin unreif. Liebe ein a posteriori zu beurteilendes Lebenswerk; a priori blos Reflexe gegeben, wobei wieder auch diese nur mehr Produkte des eigenen Körpers sind, als aus dem Kontrast der Geschlechter stammend [sic]. Diese Reflexe sind lange noch nicht Liebe zu nennen, da sonst auch jeder Geschlechtsakt eines Tieres ebenfalls so zu nennen wäre. Das Bedürfnis nach Beschönigung weist auch darauf hin, ; doch selbst die Dichter ahnen davon gar nichts. Als Irrtum ist Liebe niemals Liebe gewesen, nur etwa Jugendeselei u. Lüge. Liebe kann keine niemals Lüge sein; wahre Liebe bricht nicht zusammen, sowenig ein Kunstwerk zusammenbricht.

*

{87}

© Transcription Marko Deisinger.

January 2, 1916.

German newspapers publish a few worthy reflections in the New Years' editions, and a beautiful poem by Arno Holz, Odysseus. 1

— The "Peace Article" in the Neue Zürcher Zeitung is considered in a strange light by the article in the Neues Wiener Tagblatt , which prints revelations about that newspaper which can hardly be more dispiriting for a paper. 2 Now it finally becomes clear to us why the Neue Zürcher Zeitung has always been so disagreeable to us in its attitude, so that in the end we have deliberately not been reading it for months. If only the war would at least admit that all newspapers are corruptible and, already on account of such corruption, have gained the right to be taken seriously as a moral, political or literary factor! To this day, the activities of journalists have been shameless; being less honorable than all the criminals, they even now are extending their souls, hands and pens to our enemies and, even if they are still mocked and trodden upon by our opponents, are nonetheless verily throwing themselves at their feet with the fervor of wretched prostitution. This way of playing games, as practiced by people, is something that the German nation would have to tear from its limbs, no matter what the cost. The future of Germany will certainly not thrive along the path of denigration. If Germany's political might came into being only after it had put foot on the throat of France, that will surely remain the case for all future. So long as Germany's opponents do not stand on a par with it, morally and intellectually, it would be inadvisable to approach them with nobleness, honesty, and similar virtues. (In this respect, too, Dernburg in the wrong about Bismarck, in his article in the January 1 Berliner Tagblatt .) 3 Were that not the case, then the war would never have been started. It goes without saying that the journalists need to make profit; but every person ought to know the name that is such greed for profit that comes at the {86} cost of the dignity and welfare of the nation. —

*

The works of Ibsen's youth are lately praised more highly than his later works. Therein is unmistakably expressed a secret instinct of mankind, which would have ideally liked more positive works from this author. One would like to love and honor Ibsen as a greater writer than he actually was. Of course, even by overvaluing the works of his youth, one does not make up for Ibsen's shortcomings.

*

A walk from 5 to 6 o'clock in the afternoon, and in the evening another half hour —

— Wilhelm Meister, book VII to the end. 4 – Preliminary thoughts on Wilhelm Meister: people living mere from the need to be nourished; first only an animal, not useful in a novel or in poetry; usefulness begins after the most extreme trouble. In Goethe's novel, most of the characters are untroubled; tellingly, only the actors have to struggle with their raw existence. But it is precisely they who practice art, which is again telling. In reality, human developments begin above the struggles of life. –

On Lothario's 5 thoughts about women: he himself is still only half-mature, thus still immature. Love is a life's work, to be judged on the basis of experience: only reflexes can be given a priori, whereby these are more products of one's own body rather than deriving from the contrast of the sexes. These reflexes can by no means be called "love," otherwise every sexual act of an animal would also have to be so named. The need for whitewashing also points in this direction; but even the poets have no idea of this at all. When it was an error, love was never love, only the folly of youth, and mendacity. Love can never be a lie; true love does not break apart, any more than a work of art can break apart.

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© Translation William Drabkin.

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Deutsche Blätter bringen einige wertvolle Betrachtungen in den Neujahrsnummern u. ein schönes Gedicht von Arno Holz „Odysseus“. 1

— Der „Friedensartikel“ der „N. Züricher Ztg“ wird in ein seltsames Licht durch den Artikel des „N. W. Tgbl.“ gerückt, der Enthüllungen über jene Zeitung bringt, wie sie für ein Blatt kaum demütigender sein können. 2 Nun wird es uns erst heute klar, weshalb die „N. Z. Ztg.“ uns seit jeher in ihrer Haltung so unsympathisch gewesen, so daß wir schließlich die Lektüre seit Monaten konsequent ablehnten. Wenn doch nur der Krieg mindestens die Erkenntnis auf sein konnte Konto buchen würde, daß alle Zeitungen käuflich sind u. schon aus dem Grunde einer wegen solche nr Korruption das Recht verwirkt haben, irgendwie als ein moralischer, politischer , oder literarischer Faktor ernstlich in Betracht zu kommen! Schamlos ist bis zum heutigen Tage das Treiben der Journalisten, die, ehrloser als sämtliche Verbrecher, schon jetzt ihre Seelen, Hände u. Federn den Feinden entgegenstrecken u., obgleich von den Gegnern noch verhöhnt u. mit Füßen getreten, sich ihnen dennoch mit der ganzen Inbrunst nichtswürdiger Prostitution geradezu an den Hals werfen. Diese Spielart von Menschen müßte sich die deutsche Nation aus dem Leibe reißen, kostet es was es wolle. Auf dem Wege der Herabwürdigung Deutschlands wird seine Zukunft sicher nicht gedeihen. Erstand Deutschlands politische Größe erst nachdem es seinen Fuß auf den Nacken Frankreichs gesetzt hat, u. müßte es so wohl in alle Zukunft bleiben. So lange nicht Deutschlands Gegner nicht auch moralisch u. geistig al pari stehen, wird es übel angebracht sein, ihnen mit Noblesse, Ehrlichkeit u. ähnlichen Tugenden zuvorzukommen (Daher ist auch Dernburg in seinem Aufsatz, „Berl. Tgbl.“ vom 1. I., 3 im Unrecht gegenüber Bismarck.) Wäre dem nicht so, so hätte es doch niemals zum Kriege kommen müssen. Daß die Journalisten ein Bedürfnis nach Profiten haben, liegt auf der Hand, aber jeder Mensch sollte wissen, welcher Namen [sic] einer solchen Profitgier auf {86} Kosten der Würde u. Wohlfahrt der Nation zu geben ist. —

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Ibsens Jugendwerke werden neuerdings stark stärker betont, als seine späteren Arbeiten. Darin drückt sich unverkennbar ein geheimer Instinkt der Menschheit aus, die von diesem Autor nach der idealen Seite hin positivere Werke gewünscht hätte. Man möchte in Ibsen einen größeren Dichter lieben u. verehren, als er in Wahrheit gewesen. Freilich selbst mit der Ueberschätzung der Jugendwerke wird dem Mangel Ibsens nicht abzuhelfen sein.

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Spaziergang von 5–6h nachmittags u. auch noch abends ein halbes Stündchen. —

— „Wilhelm Meister“ VII. Buch zuende. 4 – Vorläufige Gedanken zu „Wilhelm Meister“: Der Mensch blos den Ernährungssorgen lebend, nur erst Tier, unverwendbar in Roman u. Dichtung; Verwendbarkeit beginnt jenseits der äußersten Sorge. In Goethes Roman die meisten Personen sorglos; bezeichnenderweise ringen nur die Schauspieler mit dem nackten Leben. Gerade sie aber vertreten die Kunst, was auch wieder bezeichnend ist. Wirklich menschliche Verwicklungen beginnen erst oberhalb des Lebenskampfes. –

Zu Lotharios 5 Gedanken über Frauen: Er selbst ist noch in halber reife, also immerhin unreif. Liebe ein a posteriori zu beurteilendes Lebenswerk; a priori blos Reflexe gegeben, wobei wieder auch diese nur mehr Produkte des eigenen Körpers sind, als aus dem Kontrast der Geschlechter stammend [sic]. Diese Reflexe sind lange noch nicht Liebe zu nennen, da sonst auch jeder Geschlechtsakt eines Tieres ebenfalls so zu nennen wäre. Das Bedürfnis nach Beschönigung weist auch darauf hin, ; doch selbst die Dichter ahnen davon gar nichts. Als Irrtum ist Liebe niemals Liebe gewesen, nur etwa Jugendeselei u. Lüge. Liebe kann keine niemals Lüge sein; wahre Liebe bricht nicht zusammen, sowenig ein Kunstwerk zusammenbricht.

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© Transcription Marko Deisinger.

January 2, 1916.

German newspapers publish a few worthy reflections in the New Years' editions, and a beautiful poem by Arno Holz, Odysseus. 1

— The "Peace Article" in the Neue Zürcher Zeitung is considered in a strange light by the article in the Neues Wiener Tagblatt , which prints revelations about that newspaper which can hardly be more dispiriting for a paper. 2 Now it finally becomes clear to us why the Neue Zürcher Zeitung has always been so disagreeable to us in its attitude, so that in the end we have deliberately not been reading it for months. If only the war would at least admit that all newspapers are corruptible and, already on account of such corruption, have gained the right to be taken seriously as a moral, political or literary factor! To this day, the activities of journalists have been shameless; being less honorable than all the criminals, they even now are extending their souls, hands and pens to our enemies and, even if they are still mocked and trodden upon by our opponents, are nonetheless verily throwing themselves at their feet with the fervor of wretched prostitution. This way of playing games, as practiced by people, is something that the German nation would have to tear from its limbs, no matter what the cost. The future of Germany will certainly not thrive along the path of denigration. If Germany's political might came into being only after it had put foot on the throat of France, that will surely remain the case for all future. So long as Germany's opponents do not stand on a par with it, morally and intellectually, it would be inadvisable to approach them with nobleness, honesty, and similar virtues. (In this respect, too, Dernburg in the wrong about Bismarck, in his article in the January 1 Berliner Tagblatt .) 3 Were that not the case, then the war would never have been started. It goes without saying that the journalists need to make profit; but every person ought to know the name that is such greed for profit that comes at the {86} cost of the dignity and welfare of the nation. —

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The works of Ibsen's youth are lately praised more highly than his later works. Therein is unmistakably expressed a secret instinct of mankind, which would have ideally liked more positive works from this author. One would like to love and honor Ibsen as a greater writer than he actually was. Of course, even by overvaluing the works of his youth, one does not make up for Ibsen's shortcomings.

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A walk from 5 to 6 o'clock in the afternoon, and in the evening another half hour —

— Wilhelm Meister, book VII to the end. 4 – Preliminary thoughts on Wilhelm Meister: people living mere from the need to be nourished; first only an animal, not useful in a novel or in poetry; usefulness begins after the most extreme trouble. In Goethe's novel, most of the characters are untroubled; tellingly, only the actors have to struggle with their raw existence. But it is precisely they who practice art, which is again telling. In reality, human developments begin above the struggles of life. –

On Lothario's 5 thoughts about women: he himself is still only half-mature, thus still immature. Love is a life's work, to be judged on the basis of experience: only reflexes can be given a priori, whereby these are more products of one's own body rather than deriving from the contrast of the sexes. These reflexes can by no means be called "love," otherwise every sexual act of an animal would also have to be so named. The need for whitewashing also points in this direction; but even the poets have no idea of this at all. When it was an error, love was never love, only the folly of youth, and mendacity. Love can never be a lie; true love does not break apart, any more than a work of art can break apart.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Arno Holz, "Odysseus," Berliner Tageblatt, No. 1, 45th year, January 1, 1916, morning edition, p. [10].

2 "Verdächtige 'Friedensgedanken'," Neues Wiener Tagblatt, No. 2, January 2, 1916, 50th year, p. 6.

3 Bernhard Dernburg, "Neujahrsgedanken," Berliner Tageblatt, No. 1, 45th year, January 1, 1916, morning edition, pp. [1-2].

4 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Wilhelm Meister's Apprenticeship), first published in 1795–96 (Berlin: Johann Friedrich Unger).

5 Baron Lothario: one of the major characters in Wilhelm Meister.