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21. I. 16 +3°.

— Frau D. zu Tisch u. im Caféhaus; hat den Brief noch nicht gebracht: sSie hätte viel Correspondenz wegen der Vorträge u. deshalb sogar keine nicht einmal Zeit für die Musik übrig gehabt. Aus Anlass mehrerer Frage, wie z. B. ob sie selbst Unterricht gegen Honorar erteilen dürfe, um dann das Geld wohltätigen Zwecken zuzuführen, gerate ich wieder einmal in Aufregung, in der ich auch Worte finde, ihre Schwester deutlich des Schmutzes zu bezichtigen, den sie Frl. Kahn gegenüber an den Tag gelegt. Ich vermehre die Beispiele des Schmutzes unter den Reichen u. wehre ihre Einwände ab, als wären die Reichen nur „moralisch u. ethisch blind“ weil sie es nicht wüßten, mit dem Hinweis auf das vollständige Bewußtsein in allen anderen Verhältnissen des Lebens, wo der Reiche gesehen werden will. Er weiß dann im besten Hotel abzusteigen u. erlegt die fabelhaftesten Summen dafür, aber mit ebensoviel Bewußtsein ist er schmutzig gegenüber Lehrpersonen, die er ja nicht vorführen kann, damit sie gesehen werden u. weil er auch in seinen Kreisen auf das nicht zeigen kann, was er durch die Lehrpersonen eventuell in seinem Kopfe deponiert hat. Wäre für den Reichen die Möglichkeit gegeben, den Inhalt des Gehirnes auszupacken, wäre er des Effektes sicher, so würde er auch dafür so gern bezahlen wie er für alle das seine Reisen, für Möbel, Kleider, Theater usf. Aber zahlen sollend drückt er sich um das schuldige Entgel dt mit der {104} Ausrede, daß er „es“ ja (das Beste!) im Grunde gar nicht brauche. Sie sind ehrlos genug, mit dieser Ausrede dort betteln u. schnorren zu wollen, wo sie das Beste suchen, u. sie erreichen meist auch ihr Ziel, wenn es dem Angebettelten nicht gelingt ihnen zu sagen erwiedern [sic] : Wenn Sie es nicht brauchen, dann lassen sie [recte Sie] es stehen. Sie können ja auch nicht in ein erstklassiges Hotel treten, um bei Begleichung der Rechnung dem Hotelier plötzlich zu sagen, daß sie [recte Sie] im Grunde ja nicht dort abzusteigen brauchen, er möge daher Nachsicht mit ihrem Geldbeutel üben.“ O wüßten nur die reichen armen Menschen, wie leicht es im Grunde wäre, der Bettelei der Reichen sich zu erwehren, indem man ihnen nämlich ihre eingebildeten Bedürfnisse so lange als erlogen erweist, bis sie sich, gemartert, gedemütigt u. getreten, entweder zur Lüge bekennen oder zum Bedürfnis. Nur das eine darf dürfte man ihnen nicht lassen, das Spiel auf beiden Seiten 1 , den Doppelgriff: ich brauche es, aber ich brauche es auch nicht. Man dränge sie nur auf die eine Seite u. höre an, was es für eine Melodie gibt.

*

Mittelmann im Caféhaus mit „Merker“abdruck. 2 Karpath vermerkt in den einleitenden Zeilen meine Aggressivität u. offenbar schickte er mir Mittelmann zu, um zu erhorchen, wie ich auf dieses Wort reagire. Ich brauchte mich aber eine Gleichgiltigkeit nicht einmal erst zu spielen, da ich sie wirklich empfand. —

*

Von Wilhelm Trübner ein Aufsatz in der Frankfurter Ztg. „Der Krieg u. die Kunst“. 3 Sehr drastisch, treffend u. ganz in meinem Sinne (s. Sammlung.)

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© Transcription Marko Deisinger.

January 21, 1916. +3°.

— Mrs. Deutsch at lunch and in the coffee house; she has still not brought the letter: she had a lot of correspondence on account of the lectures and for this reason no time left even for music. As a result of several questions, such as whether she may herself offer tuition for a fee that could then be put towards charitable causes, I get upset once again, and find the words even to accuse her sister clearly of the greed that she displayed to Miss Kahn. I multiply the examples of greed among the rich, and repudiate her objection – that a rich person is only "morally and ethically blind" because he does not know – by referring to the complete consciousness in all other aspects of life in which a rich wants to be seen. He is able to lodge in the best hotel and will pay the most fantastic sums of money to do so; but with just as much consciousness he is greedy with respect to educators, whom he cannot indeed showcase so that they can be seen; and because he cannot show the people in his circles that which he has deposited in his head thanks to the educators. If it were possible for a rich man to unpack the content of his brain – if he were sure of the effect – then he would also gladly pay for it, in the way he pays for all his trips, furniture, clothing, theater tickets, etc. But when obliged to pay, he shirks from making the required payment with the excuse {104} that he "basically does not need it (the best!) at all." The rich are dishonorable enough to beg and scrounge wherever they seek the best, and they also achieve their goal mainly when those off whom they the sponge do not succeed in replying: "If you don't need it, then leave it alone." You cannot enter a first-class hotel only to tell the hotelier when it is time to settle the bill that you basically do not need to spend the night there, he can therefore exercise leniency with your purse." Oh, if only the poor people knew how easy it was, essentially, to protect themselves from the begging of the rich by showing them that their imagined needs are bogus, until they – martyred, humbled, trodden upon – admit either their untruthfulness or their need. One must not let them get away with just one thing: playing on two strings 1 , double stopping: "I need it, but then I don't need it." One should force them onto one string and listen to the sort of melody that results.

*

Mittelmann at the coffee house, with the offprint from Der Merker . 2 Karpath notes my aggressiveness in his introductory remarks, and evidently he sent Mittelmann to me to discover how I react to this word. But I didn't even have to pretend to be indifferent, since I really felt that way. —

*

From Wilhelm Trübner, an essay in the Frankfurter Zeitung , "The War and Art." 3 Very extreme, to the point, and entirely in accordance with my views (see collection of clippings).

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© Translation William Drabkin.

21. I. 16 +3°.

— Frau D. zu Tisch u. im Caféhaus; hat den Brief noch nicht gebracht: sSie hätte viel Correspondenz wegen der Vorträge u. deshalb sogar keine nicht einmal Zeit für die Musik übrig gehabt. Aus Anlass mehrerer Frage, wie z. B. ob sie selbst Unterricht gegen Honorar erteilen dürfe, um dann das Geld wohltätigen Zwecken zuzuführen, gerate ich wieder einmal in Aufregung, in der ich auch Worte finde, ihre Schwester deutlich des Schmutzes zu bezichtigen, den sie Frl. Kahn gegenüber an den Tag gelegt. Ich vermehre die Beispiele des Schmutzes unter den Reichen u. wehre ihre Einwände ab, als wären die Reichen nur „moralisch u. ethisch blind“ weil sie es nicht wüßten, mit dem Hinweis auf das vollständige Bewußtsein in allen anderen Verhältnissen des Lebens, wo der Reiche gesehen werden will. Er weiß dann im besten Hotel abzusteigen u. erlegt die fabelhaftesten Summen dafür, aber mit ebensoviel Bewußtsein ist er schmutzig gegenüber Lehrpersonen, die er ja nicht vorführen kann, damit sie gesehen werden u. weil er auch in seinen Kreisen auf das nicht zeigen kann, was er durch die Lehrpersonen eventuell in seinem Kopfe deponiert hat. Wäre für den Reichen die Möglichkeit gegeben, den Inhalt des Gehirnes auszupacken, wäre er des Effektes sicher, so würde er auch dafür so gern bezahlen wie er für alle das seine Reisen, für Möbel, Kleider, Theater usf. Aber zahlen sollend drückt er sich um das schuldige Entgel dt mit der {104} Ausrede, daß er „es“ ja (das Beste!) im Grunde gar nicht brauche. Sie sind ehrlos genug, mit dieser Ausrede dort betteln u. schnorren zu wollen, wo sie das Beste suchen, u. sie erreichen meist auch ihr Ziel, wenn es dem Angebettelten nicht gelingt ihnen zu sagen erwiedern [sic] : Wenn Sie es nicht brauchen, dann lassen sie [recte Sie] es stehen. Sie können ja auch nicht in ein erstklassiges Hotel treten, um bei Begleichung der Rechnung dem Hotelier plötzlich zu sagen, daß sie [recte Sie] im Grunde ja nicht dort abzusteigen brauchen, er möge daher Nachsicht mit ihrem Geldbeutel üben.“ O wüßten nur die reichen armen Menschen, wie leicht es im Grunde wäre, der Bettelei der Reichen sich zu erwehren, indem man ihnen nämlich ihre eingebildeten Bedürfnisse so lange als erlogen erweist, bis sie sich, gemartert, gedemütigt u. getreten, entweder zur Lüge bekennen oder zum Bedürfnis. Nur das eine darf dürfte man ihnen nicht lassen, das Spiel auf beiden Seiten 1 , den Doppelgriff: ich brauche es, aber ich brauche es auch nicht. Man dränge sie nur auf die eine Seite u. höre an, was es für eine Melodie gibt.

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Mittelmann im Caféhaus mit „Merker“abdruck. 2 Karpath vermerkt in den einleitenden Zeilen meine Aggressivität u. offenbar schickte er mir Mittelmann zu, um zu erhorchen, wie ich auf dieses Wort reagire. Ich brauchte mich aber eine Gleichgiltigkeit nicht einmal erst zu spielen, da ich sie wirklich empfand. —

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Von Wilhelm Trübner ein Aufsatz in der Frankfurter Ztg. „Der Krieg u. die Kunst“. 3 Sehr drastisch, treffend u. ganz in meinem Sinne (s. Sammlung.)

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© Transcription Marko Deisinger.

January 21, 1916. +3°.

— Mrs. Deutsch at lunch and in the coffee house; she has still not brought the letter: she had a lot of correspondence on account of the lectures and for this reason no time left even for music. As a result of several questions, such as whether she may herself offer tuition for a fee that could then be put towards charitable causes, I get upset once again, and find the words even to accuse her sister clearly of the greed that she displayed to Miss Kahn. I multiply the examples of greed among the rich, and repudiate her objection – that a rich person is only "morally and ethically blind" because he does not know – by referring to the complete consciousness in all other aspects of life in which a rich wants to be seen. He is able to lodge in the best hotel and will pay the most fantastic sums of money to do so; but with just as much consciousness he is greedy with respect to educators, whom he cannot indeed showcase so that they can be seen; and because he cannot show the people in his circles that which he has deposited in his head thanks to the educators. If it were possible for a rich man to unpack the content of his brain – if he were sure of the effect – then he would also gladly pay for it, in the way he pays for all his trips, furniture, clothing, theater tickets, etc. But when obliged to pay, he shirks from making the required payment with the excuse {104} that he "basically does not need it (the best!) at all." The rich are dishonorable enough to beg and scrounge wherever they seek the best, and they also achieve their goal mainly when those off whom they the sponge do not succeed in replying: "If you don't need it, then leave it alone." You cannot enter a first-class hotel only to tell the hotelier when it is time to settle the bill that you basically do not need to spend the night there, he can therefore exercise leniency with your purse." Oh, if only the poor people knew how easy it was, essentially, to protect themselves from the begging of the rich by showing them that their imagined needs are bogus, until they – martyred, humbled, trodden upon – admit either their untruthfulness or their need. One must not let them get away with just one thing: playing on two strings 1 , double stopping: "I need it, but then I don't need it." One should force them onto one string and listen to the sort of melody that results.

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Mittelmann at the coffee house, with the offprint from Der Merker . 2 Karpath notes my aggressiveness in his introductory remarks, and evidently he sent Mittelmann to me to discover how I react to this word. But I didn't even have to pretend to be indifferent, since I really felt that way. —

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From Wilhelm Trübner, an essay in the Frankfurter Zeitung , "The War and Art." 3 Very extreme, to the point, and entirely in accordance with my views (see collection of clippings).

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 In the German text, there is an "a?" above the "e" in "Seiten." Schenker is playing on the words "Seite" (side) and "Saite" (string), with "Doppelgriff" (double-stop, on a stringed instrument) used metaphorically for "duplicity."

2 "Heinrich Schenker's Beethoven-Ausgabe," Der Merker 7/3 (February 1, 1916), pp. 81–89.

3 Wilhelm Trübner, "Der Krieg und die Kunst," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 20, January 21, 1916, 60th year, first morning edition, pp. 1-2; a clipping is preserved in Schenker's Nachlass at OC 38/16. The German painter Wilhelm Trübner was one of those who signed in 1914 the "Manifesto of the Ninety-Three," a proclamation, originally titled in English "To the Civilized World" by "Professors of Germany" which was endorsed by 93 prominent German scientists, scholars and artists, declaring their unequivocal support of German military actions in the early period of World War I.