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22. IV. 16 +9°, schön.

Weisse erscheint vormittags, findet mich aber beschäftigt. Er kommt um ½5h nachmittag[s] wieder, überbringt mir als Ostergabe die Orig. Ausgabe der Mondscheinsonate u. begleitet uns auf einem Wege. Er gibt den Eindruck der neuen Korngold Opern 1 sehr treffend wieder.

*

Das Wort: Wie in einer Staatsbank Goldbarren als Deckung für ausgegebene Papiere dienen, so sollte für jedes Wort im Gehirn gleichsam eine Deckung von Gedanken u. bestimmten Beweisen vorhanden sein. Die Tragödie der Menschen besteht aber darin, daß bei ihnen das Wort fast nie eine solche Deckung aufweist. Es springt auf die Lippen u. will von hier gerade den umgekehrten Weg machen, nämlich ins Gehirn als Beleg zurückwandern. So wenig aber ein Papier, das durch Gold nicht gedeckt ist, je Gold werden kann, so wenig kann je das Wort ein Beleg für das Wort selbst vor- {203} stellen. Alle Urteile der Menschen über Kunst, Religion, Sitte leiden an der Unbedenklichkeit ihrer Worte, hinter denen keine Deckung ist. Schon daraus ergibt sich, daß am Anfang die Tat war u. hernach das Wort. Zuerst bahnte sich das Bedürfnis als Tat den Weg u. erst hernach mag das Wort ein Bedürfnis umschrieben haben. In den tieferen Stufen der Menschheit bleibt die Sprache ein primitives Verständigungs- u. Verkehrsmittel, eine Art Bedürfnisanstalt. Dies ist die sogenannte „heilige Muttersprache“ vor allem. Welcher Mißbrauch da mit unbelegten Worten betrieben wird, erlebt die Menschheit schaudernd zu jeder Stunde. Doch fällt es ihr niemals ein, das ursprüngliche Verhältnis herzustellen u. das Wort einer Tat nachzuschicken. Und gar das Wort im Kunstzustande als Vatersprache, als Sprache der großen Geister, wird vielleicht niemals unter den Menschen Verständnis finden. —

— Sehr treffend schildert das Wort „sich einreden“ den Weg, den ein herausgeschleudertes Wort , gleichsam nachträglich, wie gesagt aber vergeblich, auf der Suche nach Gründen zurücklegt. Die Lippe redet, aber das so Geredete muß der Mensch sich nachträglich erst einreden. —

*

Die Abendblätter bringen Wilsons Note als unbefristetes Ultimatum. 2 Im Kern ein Raubzug im Stile Portugals, 3 nur nach Art reich gewordener Spitzbuben mit Scheinheiligkeit u. Vornehmheit bestrichen. Es erweist sich somit, daß die deutsche Regierung besser getan hätte, schon zu Beginn des Krieges sich durch scharfe, schärfste Tonart in Respekt bei den Angloamerikanern zu setzen, statt ihre Hochmutsattacken mit vornehmem Ausweichen zu erwidern. Vielleicht hätte, was nun kommt, vermieden werden können, für alle Fälle aber hätte Amerika sich gehütet, von oben herab zu sprechen.

*

© Transcription Marko Deisinger.

April 22, 1916. +9°, fair weather.

Weisse appears in the morning but finds me occupied. He returns at 4:30 in the afternoon, brings me the first edition of the "Moonlight" Sonata as an Easter present and accompanies us on an errand. He expresses his views on the new Korngold operas 1 very trenchantly.

*

The word: as gold bars in a state bank serve as security for papers that are distributed, so for every word in the brain there ought to be a kind of security of thoughts and specific evidence. The tragedy of mankind, however, lies in the fact that words never find such security. They spring to his lips; and from here they wish to retrace their steps, namely by return to the brain as proof. But just as a piece of paper that is not covered by gold can ever become gold, so little can a word represent a proof for the word itself. {203} All judgements by humanity about art, religion, customs suffer from the harmlessness of its words, behind which there is no security. Already from this it comes about that in the beginning was the deed, and afterwards the word. First the need, as deed, blazed the trail; and only afterwards could the word describe a need. In the lower levels of humanity, language remains a primitive means of understanding and communication, a kind of institute of need. This is above the so-called "sacred mother tongue." The misuse that is carried out with unsubstantiated words is something that humanity shudderingly experiences every hour. And yet it never thinks of establishing the original relationship, by redirecting the word to a deed. And even the word in its artistic condition, as father tongue, as the language of the great intellects, will perhaps never be understood by people. —

— The expression sich einreden ("to persuade") aptly portrays the path that a made-up word almost retrospectively, but (as said before) in vain, travels in its search for foundations. The lips speak, but what is spoken is something of which a person must convince himself retrospectively. —

*

The evening newspapers publish Wilson’s diplomatic note as an open-ended ultimatum. 2 In essence, a predatory act in the Portuguese style, 3 only coated with the sanctimoniousness and gentility found among villains who have grown rich. It thus becomes clear that the German government would have done better, even at the beginning of the war, to use strong language – the strongest possible language – with respect to the Anglo-Americans, rather than responding to their attacks of pride with genteel evasiveness. Perhaps that could have avoided what has now come; but in any event America would have avoided speaking with condescension.

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© Translation William Drabkin.

22. IV. 16 +9°, schön.

Weisse erscheint vormittags, findet mich aber beschäftigt. Er kommt um ½5h nachmittag[s] wieder, überbringt mir als Ostergabe die Orig. Ausgabe der Mondscheinsonate u. begleitet uns auf einem Wege. Er gibt den Eindruck der neuen Korngold Opern 1 sehr treffend wieder.

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Das Wort: Wie in einer Staatsbank Goldbarren als Deckung für ausgegebene Papiere dienen, so sollte für jedes Wort im Gehirn gleichsam eine Deckung von Gedanken u. bestimmten Beweisen vorhanden sein. Die Tragödie der Menschen besteht aber darin, daß bei ihnen das Wort fast nie eine solche Deckung aufweist. Es springt auf die Lippen u. will von hier gerade den umgekehrten Weg machen, nämlich ins Gehirn als Beleg zurückwandern. So wenig aber ein Papier, das durch Gold nicht gedeckt ist, je Gold werden kann, so wenig kann je das Wort ein Beleg für das Wort selbst vor- {203} stellen. Alle Urteile der Menschen über Kunst, Religion, Sitte leiden an der Unbedenklichkeit ihrer Worte, hinter denen keine Deckung ist. Schon daraus ergibt sich, daß am Anfang die Tat war u. hernach das Wort. Zuerst bahnte sich das Bedürfnis als Tat den Weg u. erst hernach mag das Wort ein Bedürfnis umschrieben haben. In den tieferen Stufen der Menschheit bleibt die Sprache ein primitives Verständigungs- u. Verkehrsmittel, eine Art Bedürfnisanstalt. Dies ist die sogenannte „heilige Muttersprache“ vor allem. Welcher Mißbrauch da mit unbelegten Worten betrieben wird, erlebt die Menschheit schaudernd zu jeder Stunde. Doch fällt es ihr niemals ein, das ursprüngliche Verhältnis herzustellen u. das Wort einer Tat nachzuschicken. Und gar das Wort im Kunstzustande als Vatersprache, als Sprache der großen Geister, wird vielleicht niemals unter den Menschen Verständnis finden. —

— Sehr treffend schildert das Wort „sich einreden“ den Weg, den ein herausgeschleudertes Wort , gleichsam nachträglich, wie gesagt aber vergeblich, auf der Suche nach Gründen zurücklegt. Die Lippe redet, aber das so Geredete muß der Mensch sich nachträglich erst einreden. —

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Die Abendblätter bringen Wilsons Note als unbefristetes Ultimatum. 2 Im Kern ein Raubzug im Stile Portugals, 3 nur nach Art reich gewordener Spitzbuben mit Scheinheiligkeit u. Vornehmheit bestrichen. Es erweist sich somit, daß die deutsche Regierung besser getan hätte, schon zu Beginn des Krieges sich durch scharfe, schärfste Tonart in Respekt bei den Angloamerikanern zu setzen, statt ihre Hochmutsattacken mit vornehmem Ausweichen zu erwidern. Vielleicht hätte, was nun kommt, vermieden werden können, für alle Fälle aber hätte Amerika sich gehütet, von oben herab zu sprechen.

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© Transcription Marko Deisinger.

April 22, 1916. +9°, fair weather.

Weisse appears in the morning but finds me occupied. He returns at 4:30 in the afternoon, brings me the first edition of the "Moonlight" Sonata as an Easter present and accompanies us on an errand. He expresses his views on the new Korngold operas 1 very trenchantly.

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The word: as gold bars in a state bank serve as security for papers that are distributed, so for every word in the brain there ought to be a kind of security of thoughts and specific evidence. The tragedy of mankind, however, lies in the fact that words never find such security. They spring to his lips; and from here they wish to retrace their steps, namely by return to the brain as proof. But just as a piece of paper that is not covered by gold can ever become gold, so little can a word represent a proof for the word itself. {203} All judgements by humanity about art, religion, customs suffer from the harmlessness of its words, behind which there is no security. Already from this it comes about that in the beginning was the deed, and afterwards the word. First the need, as deed, blazed the trail; and only afterwards could the word describe a need. In the lower levels of humanity, language remains a primitive means of understanding and communication, a kind of institute of need. This is above the so-called "sacred mother tongue." The misuse that is carried out with unsubstantiated words is something that humanity shudderingly experiences every hour. And yet it never thinks of establishing the original relationship, by redirecting the word to a deed. And even the word in its artistic condition, as father tongue, as the language of the great intellects, will perhaps never be understood by people. —

— The expression sich einreden ("to persuade") aptly portrays the path that a made-up word almost retrospectively, but (as said before) in vain, travels in its search for foundations. The lips speak, but what is spoken is something of which a person must convince himself retrospectively. —

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The evening newspapers publish Wilson’s diplomatic note as an open-ended ultimatum. 2 In essence, a predatory act in the Portuguese style, 3 only coated with the sanctimoniousness and gentility found among villains who have grown rich. It thus becomes clear that the German government would have done better, even at the beginning of the war, to use strong language – the strongest possible language – with respect to the Anglo-Americans, rather than responding to their attacks of pride with genteel evasiveness. Perhaps that could have avoided what has now come; but in any event America would have avoided speaking with condescension.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Der Ring des Polykrates and Violanta. These two one-act operas were first performed at the Court Theater in Munich on March 29, 1916, and repeated at the Court Opera in Vienna on April 10.

2 "Die Krise in Amerika," Neue Freie Presse, No. 18559, April 22, 1916, evening edition, p. 1.

3 On March 9, 1916, Portugal entered the war on the side of the Entente.