4. V. 16
Lie-Liechen erzählt nach einer Mitteilung des Fräuleins vom Hause folgendes: eEiner Dame überbringt ein junger Offizier die Nachricht, daß ihr Sohn gefallen sei. Die Mutter zeigt sich gefaßt; u. beim Abschied fragt sie aber den überlebenden Kameraden: Sagen Sie mir nur noch eines: Hat denn mein Sohn auch Läuse gehabt? Und auf die Antwort: [„]Wir Alle waren damit geplagt“ da brach erst ein ihr Schmerz aus in echte rs Wehrufen aus: Mein armes gepflegtes Kind usw! – Ein Schulbeispiel dafür, wie wenig die sogenannte Mutterliebe in dem Sinne ernst zu nehmen ist als sie genommen wird oder von den Müttern genommen zu werden wünscht. — *Taktlosigkeit der Frauen: Die Männer eingeteilt in festgelegten Berufen; Frauen dagegen nicht. Außerdem: Von Jugend auf wird dem männlichen Geschlecht Ritterlichkeit gepredigt in dem Sinne, daß das schwache Geschlecht geschont werden muß. Ungestraft bleibend, nicht zu Rechenschaft gezogen läßt sich daher die Frau ungleich mehr in allen Lagen des Lebens gehen, als der Mann. Dieser Zustand voller Lüge u. Häßlichkeit verdirbt den Frauen sogar die Fähigkeit zur Liebe, geschweige die Ausführung. Es bleibt das Ideal der Frau, was immer sie auch tue, nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden[,] u. bei aller persönlichen Empfindlichkeit wider Taktlosigkeit sich selbst so frei als möglich gehen zu lassen. Auf diesem Wege trifft es sich notwendigerweise, daß als das Liebesideal unter den gegenwärtigen Umständen auch der männlichen Verblendung sich die Dirnenliebe, die Dirnenethik herausstellt. Immer Rechenschaftsgebung u. im Zusammenhang damit Pflichten, wie überhaupt Leistungen, als den wahren Inhalt der Liebe meidend, weist die Frau mit Vorliebe darauf hin, daß sie unter Liebe einen fortlaufenden Werbeakt verstehe. Speziell in jedem Tadel erblickt sie einen Widerspruch zur Liebe als einen geschlechtlichen Werbeakt; sie {220} meint, der Mann, der [illeg]tadelt, höre auf zu lieben. Sie versteht den Unterschied nicht, der zwischen einer dauernden u. flüchtigen Beziehung der Geschlechter besteht. Und so sehr verlangt ihr oberflächliches Naturell u. ihre Eitelkeit nach jener Huldigung, die organisch mit der Werbung verbunden ist, daß sie die Dirne um das Glück beneidet, von den Männern unter Zeichen der Liebenswürdigkeit genommen zu werden. Sie versteht nicht, daß der Mann die Dirne nur eben mit Liebenswürdigkeit abfindet, also mit einem Preis, der spottbillig ist an jenem größeren Preis gemessen, den er sonst für Frauenhuld an Opfern zu entrichten hätte im Falle einer dauernden Beziehung. Um den Preis, nichts mehr all blos ein paar winzige Geldstücke auf den Tisch zu legen, lohnt es sich dem Manne, den Augenblick geschlechtlicher Lust sich u. der Dirne so angenehm als möglich zu machen. Wüßte die Frau den wahren Grund männlicher Liebenswürdigkeit, so würde sie sich hüten, für ihre Eitelkeit eine so billige Huldigung zu fordern, wie sie der Mann gegenüber einer käuflichen Dirne entrichtet. Sie müßte sich durch Unliebenswürdigkeit, die besonders im Tadel sich ausdrückt, sogar geschmeichelt fühlen, in der Erkenntnis eben, daß der Mann es mit seinen Pflichten wider sie ernster nimmt, als wider eine käufliche Dirne. In der sogenannten guten Gesellschaft äußert sich diese verschrobene u. völlig verdrehte Vorstellung mit einer leichten Nuançe abgeändert dahin, daß die Frau, im Moment da sie zur Rechenschaft gezogen wird, die Liebenswürdigkeit gegen eine andere fremde Frau dem Manne vorhält u. den Wunsch äußert, ebenso liebenswürdig behandelt zu werden. Sie meint, alle anderen, die Dirne oder die fremde Frau hätten es besser als sie, schon darum besser, weil sie keinerlei Pflichten wider den Mann zu tragen hätten. Und gerade das Um kgekehrte ist richtig u. schön: Die Pflicht, die Leistung als Liebe, der Geschlechtsakt als schönste Frucht der blühenden Liebe. Freilich, das geistige Auge der Frau in seiner Kurzsichtigkeit nich nimmt all die Unterschiede nicht wahr; ihr sticht ins Auge blos die Huldigung u. so meint sie, dies sei die wahre Liebe, das wahre Liebesglück. — *{221} © Transcription Marko Deisinger. |
May 4, 1916.
Lie-Liechen tells me the following, based on a communication of the housemaid: a young officer brings a lady the news that her son has fallen in battle. The mother shows herself to be composed; but as they part, she asks the surviving comrade: "Tell me just one thing: did my son also have lice? And upon hearing the reply, "We were all plagued by it," her pain finally broke through in genuine cries of anguish: "My poor, well-groomed child!", etc. – A textbook example of how little so-called motherly love should be taken seriously in the sense that it is taken, or as it wishes to be taken, by mothers. — *Tactlessness of women: men are organized into discrete professions; women, on the other hand, are not. Moreover, from youth, the male sex is preached to behave with chivalry in the sense that the weaker sense must be protected. Remaining unpunished, and not brought up to behave accountably, women have incomparably more freedom in all situations in life than do men. This condition, which is full of mendacity and ugliness, spoils even women's capacity for love, to say nothing of its realization. A woman's ideal, in whatever she may do, is not to be bound to accountability and, in spite of any personal sensitivity towards tactlessness, to carry on as freely as possible. In this way it is inevitable that a prostitute's love and a prostitute's ethics emerge as the ideal form of love in the present conditions, even of male blindness. Always avoiding accountability and with it responsibilities, to say nothing of accomplishments, as the true content of love, a woman would prefer to show that she understands love as a continual act of promotion. In particular she sees every criticism as a contradiction to love, considered as a sexual act of promotion; {220} she says that a husband who is critical has stopped loving. She does not understand the difference between a lasting and casual relationship between the sexes. And her superficial temper and her vanity so crave that adulation, which is organically connected to promotion, that she envies the prostitute for her happiness at being taken by men under a show of kindness. She does not understand that a man is merely paying off a prostitute with kindness, that is, at a price that is dirt cheap compared to that greater price that he would have to sacrifice for a woman's favor in the case of a lasting relationship. At the price of merely laying down a few tiny coins on the table, it is worth it for a man, in the moment of sexual pleasure, to make himself and the prostitute feel as comfortable as possible. If a woman knew the true reason for her husband's kindness, she would be wary of demanding such a cheap adulation for her vanity – of the sort that a man pays for a venal prostitute. She would even have to feel flattered by the unkindness that is especially expressed in criticism, in the knowledge that the man is taking her more seriously in his duties towards her than towards a venal prostitute. In so-called "good company", this strange and completely twisted way of thinking is modified with a subtle nuance: that the woman, in the moment that she is made accountable, reproaches her husband for the kindness he has shown to another woman and expresses the desire to be treated with just as much kindness. She says that all others, the prostitute or other women, have it better than she, and better because they do not have any obligations whatever towards a man. And precisely the opposite is true and beautiful: the obligation, the accomplishment as love, and the sexual act as the most beautiful fruit of a blossoming love. Admittedly, a woman's spiritual eye, in its short-sightedness, does not perceive all these differences; she is struck only by adulation, and so she says that this is true love, the true happiness of love. — *{221} © Translation William Drabkin. |
4. V. 16
Lie-Liechen erzählt nach einer Mitteilung des Fräuleins vom Hause folgendes: eEiner Dame überbringt ein junger Offizier die Nachricht, daß ihr Sohn gefallen sei. Die Mutter zeigt sich gefaßt; u. beim Abschied fragt sie aber den überlebenden Kameraden: Sagen Sie mir nur noch eines: Hat denn mein Sohn auch Läuse gehabt? Und auf die Antwort: [„]Wir Alle waren damit geplagt“ da brach erst ein ihr Schmerz aus in echte rs Wehrufen aus: Mein armes gepflegtes Kind usw! – Ein Schulbeispiel dafür, wie wenig die sogenannte Mutterliebe in dem Sinne ernst zu nehmen ist als sie genommen wird oder von den Müttern genommen zu werden wünscht. — *Taktlosigkeit der Frauen: Die Männer eingeteilt in festgelegten Berufen; Frauen dagegen nicht. Außerdem: Von Jugend auf wird dem männlichen Geschlecht Ritterlichkeit gepredigt in dem Sinne, daß das schwache Geschlecht geschont werden muß. Ungestraft bleibend, nicht zu Rechenschaft gezogen läßt sich daher die Frau ungleich mehr in allen Lagen des Lebens gehen, als der Mann. Dieser Zustand voller Lüge u. Häßlichkeit verdirbt den Frauen sogar die Fähigkeit zur Liebe, geschweige die Ausführung. Es bleibt das Ideal der Frau, was immer sie auch tue, nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden[,] u. bei aller persönlichen Empfindlichkeit wider Taktlosigkeit sich selbst so frei als möglich gehen zu lassen. Auf diesem Wege trifft es sich notwendigerweise, daß als das Liebesideal unter den gegenwärtigen Umständen auch der männlichen Verblendung sich die Dirnenliebe, die Dirnenethik herausstellt. Immer Rechenschaftsgebung u. im Zusammenhang damit Pflichten, wie überhaupt Leistungen, als den wahren Inhalt der Liebe meidend, weist die Frau mit Vorliebe darauf hin, daß sie unter Liebe einen fortlaufenden Werbeakt verstehe. Speziell in jedem Tadel erblickt sie einen Widerspruch zur Liebe als einen geschlechtlichen Werbeakt; sie {220} meint, der Mann, der [illeg]tadelt, höre auf zu lieben. Sie versteht den Unterschied nicht, der zwischen einer dauernden u. flüchtigen Beziehung der Geschlechter besteht. Und so sehr verlangt ihr oberflächliches Naturell u. ihre Eitelkeit nach jener Huldigung, die organisch mit der Werbung verbunden ist, daß sie die Dirne um das Glück beneidet, von den Männern unter Zeichen der Liebenswürdigkeit genommen zu werden. Sie versteht nicht, daß der Mann die Dirne nur eben mit Liebenswürdigkeit abfindet, also mit einem Preis, der spottbillig ist an jenem größeren Preis gemessen, den er sonst für Frauenhuld an Opfern zu entrichten hätte im Falle einer dauernden Beziehung. Um den Preis, nichts mehr all blos ein paar winzige Geldstücke auf den Tisch zu legen, lohnt es sich dem Manne, den Augenblick geschlechtlicher Lust sich u. der Dirne so angenehm als möglich zu machen. Wüßte die Frau den wahren Grund männlicher Liebenswürdigkeit, so würde sie sich hüten, für ihre Eitelkeit eine so billige Huldigung zu fordern, wie sie der Mann gegenüber einer käuflichen Dirne entrichtet. Sie müßte sich durch Unliebenswürdigkeit, die besonders im Tadel sich ausdrückt, sogar geschmeichelt fühlen, in der Erkenntnis eben, daß der Mann es mit seinen Pflichten wider sie ernster nimmt, als wider eine käufliche Dirne. In der sogenannten guten Gesellschaft äußert sich diese verschrobene u. völlig verdrehte Vorstellung mit einer leichten Nuançe abgeändert dahin, daß die Frau, im Moment da sie zur Rechenschaft gezogen wird, die Liebenswürdigkeit gegen eine andere fremde Frau dem Manne vorhält u. den Wunsch äußert, ebenso liebenswürdig behandelt zu werden. Sie meint, alle anderen, die Dirne oder die fremde Frau hätten es besser als sie, schon darum besser, weil sie keinerlei Pflichten wider den Mann zu tragen hätten. Und gerade das Um kgekehrte ist richtig u. schön: Die Pflicht, die Leistung als Liebe, der Geschlechtsakt als schönste Frucht der blühenden Liebe. Freilich, das geistige Auge der Frau in seiner Kurzsichtigkeit nich nimmt all die Unterschiede nicht wahr; ihr sticht ins Auge blos die Huldigung u. so meint sie, dies sei die wahre Liebe, das wahre Liebesglück. — *{221} © Transcription Marko Deisinger. |
May 4, 1916.
Lie-Liechen tells me the following, based on a communication of the housemaid: a young officer brings a lady the news that her son has fallen in battle. The mother shows herself to be composed; but as they part, she asks the surviving comrade: "Tell me just one thing: did my son also have lice? And upon hearing the reply, "We were all plagued by it," her pain finally broke through in genuine cries of anguish: "My poor, well-groomed child!", etc. – A textbook example of how little so-called motherly love should be taken seriously in the sense that it is taken, or as it wishes to be taken, by mothers. — *Tactlessness of women: men are organized into discrete professions; women, on the other hand, are not. Moreover, from youth, the male sex is preached to behave with chivalry in the sense that the weaker sense must be protected. Remaining unpunished, and not brought up to behave accountably, women have incomparably more freedom in all situations in life than do men. This condition, which is full of mendacity and ugliness, spoils even women's capacity for love, to say nothing of its realization. A woman's ideal, in whatever she may do, is not to be bound to accountability and, in spite of any personal sensitivity towards tactlessness, to carry on as freely as possible. In this way it is inevitable that a prostitute's love and a prostitute's ethics emerge as the ideal form of love in the present conditions, even of male blindness. Always avoiding accountability and with it responsibilities, to say nothing of accomplishments, as the true content of love, a woman would prefer to show that she understands love as a continual act of promotion. In particular she sees every criticism as a contradiction to love, considered as a sexual act of promotion; {220} she says that a husband who is critical has stopped loving. She does not understand the difference between a lasting and casual relationship between the sexes. And her superficial temper and her vanity so crave that adulation, which is organically connected to promotion, that she envies the prostitute for her happiness at being taken by men under a show of kindness. She does not understand that a man is merely paying off a prostitute with kindness, that is, at a price that is dirt cheap compared to that greater price that he would have to sacrifice for a woman's favor in the case of a lasting relationship. At the price of merely laying down a few tiny coins on the table, it is worth it for a man, in the moment of sexual pleasure, to make himself and the prostitute feel as comfortable as possible. If a woman knew the true reason for her husband's kindness, she would be wary of demanding such a cheap adulation for her vanity – of the sort that a man pays for a venal prostitute. She would even have to feel flattered by the unkindness that is especially expressed in criticism, in the knowledge that the man is taking her more seriously in his duties towards her than towards a venal prostitute. In so-called "good company", this strange and completely twisted way of thinking is modified with a subtle nuance: that the woman, in the moment that she is made accountable, reproaches her husband for the kindness he has shown to another woman and expresses the desire to be treated with just as much kindness. She says that all others, the prostitute or other women, have it better than she, and better because they do not have any obligations whatever towards a man. And precisely the opposite is true and beautiful: the obligation, the accomplishment as love, and the sexual act as the most beautiful fruit of a blossoming love. Admittedly, a woman's spiritual eye, in its short-sightedness, does not perceive all these differences; she is struck only by adulation, and so she says that this is true love, the true happiness of love. — *{221} © Translation William Drabkin. |