5. Sept. 1916
Gegen 12h ist alles zuende gediehen. Inzwischen hat sich das Wetter ein wenig aufgehellt, so daß wir nach Tisch sogar noch im Freien promenieren konnten, Zeitung lesend. Gegen 5h neuerdings starker Regen. — Friedrichs Bruder Otto besorgt uns das große Gepäck, das er trotz großen Gewichtes auf dem den Schultern die Treppe hinabträgt. Etwa 6 Kronen ersparen wir an der Art, wie wir heuer das Gepäck fortschaffen. *Den Deutschen fehle Urbanität, klagt man auch im neutralen Dänemark, wo man mehr für Frankreich u. England Sympathien hegt. Würde man es aber den Dänen ins Gesicht sagen, da sß [das], was sie wünschen, im Grunde nichts anderes ist sei, als französische Phrase u. englische Heuchelei, daß sie , mit anderen Worten, die deutsche Ueberlegenheit der Deutschen meiden u. sie daher lieber so wünschten, wie sie selbst geartet sind –, sie würden dieses nicht einmal verstehen, u. zwar aus eben jenen Gründen, die sie zu den Franzosen u. Engländern hin so geneige nt machen. Schließlich aber ist Mangel an Urbanität wirklich noch kein Kriegsgrund. Und begriffen doch nu nr die Neutralen, wie viel noch zur wahren Urbanität den französischen „Nettoyers“ 1 , englischen „Baralongs“ 2 fehlt!! Auf Kopenhagen sind die Dänen wie auf ein zweites Paris stolz; u. sie bilden sich gute französische Erziehung ein, wenn sie nach französischem Muster die Neutralität zwar stets auf den Lippen führen, in der Praxis der in ihrer Neutralität aber liederlich u. Sschuftig sind, es u. auch sonst aber es vermeiden, den Deutschen ihre wahre Meinung zu sagen. Echte Franzosen-Schule: die Tat eines von Schufte sn, das Wort eines von angeblichen Menschen! — 3 *Kleist gegen die deutschen Frauen de dato 1808! M aeyer-Ausgabe, Vorrede zur „Herrmannschlacht“; sein Zorn wider die deutschen Fürsten, die, Deutschland verratend, Napoleon zuliefen! 4 Hier war nur Franzosenafferei im Spiele, im letzten Grunde die Unbildung der Fürsten! 5 *„Frankf. Ztg.“ (3. IX. 16), Feuilleton: „Fahrt durch Polen.“ 6 Der Verfasser verargt es den Juden, wie {405} man deutlich sieht, ihren den Trieb zu Geschäften, als wäre er nicht gerade ihr Trieb tausendmal gerechter entschuldigt, als z. B. der d ieer englischen, anglo-amerikanischen u. sonstigen Krämer der Welt, die, obgleich im Besitze von eigenem Grund u. Boden, eines eigenen Staates u. seiner vollen Machtmittel, sich in ihrer Hab- u. Geschäftssucht dennoch wie wahre Hyänen gebärden! — 7 *Der Krämer führt Krieg, wenn er unfähig wird, eine unbequeme Konkurrenz zu bestehen – in diesem solchem Falle England! Rassen-[,] Religionsfragen? Die kümmern ihn nicht, wenn er auf Geschäftsbalz ausgeht. Der Nutzen ist ihm alles: Religion, Staat, Familie alles zugleich! — *Ehemals Revolte der Bürger, d. h. de rs Kaufmanns wider den Adel. Mit Recht! Nun ist es Zeit, gegen den Kaufmann zu revoltieren, nachdem er sich derselben Unflätigkeiten wie ehemals der Adel schuldig gemacht! — *Der Reiche behauptet, nur sein Reichtum wäre allein die glückliche Voraussetzung dafür, daß auch der Arme mindestens sein Leben fristen könne. – iI jeder Hinsicht eine Lüge, die auch wissenschaftlich erwiesen werden kann. Warum duldet er dann nicht aber, daß auch der andere reich werde, um wenn er, wie er fest behauptet, von dessen andern Reichtum umgekehrt auch selbst zu zehren könnte? Da er dies nicht tun will, scheint er eine Ahnung offenbar zu haben wissen, daß nebst seiner Tat nun mit auch seine Behauptung nur eine willkürliche Bosheit ist, die er lieber selbst begeht, als sie von einem anderen zu ertragen erträgt! — *Aus dem „Abend“: Es gibt nichts so Revoltierendes wie die Geschäftspraktiken der Presse, die für Geld Alles tut: tadeln, schweigen u. loben: „Inserationspreis laut Tarif[“]!! 8 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 5, 1916.
Towards 12 o'clock, everything has been successfully achieved. In the meantime, the weather has brightened up a little, so that we were even able to go for a stroll outdoors, reading the newspaper. Towards 5 o'clock, heavy rain once more. — Friedrich's brother Otto takes care of the our large luggage which, in spite of its great weight, he is able to carry down the staircase on his shoulders. We have saved about 6 Kronen by dispatching the luggage in such a way this year. *The Germans are lacking in urbanity, so one complains even in neutral Denmark, where one harbors greater sympathy for France and England. But suppose that one were to say in front of the Danes that what they wish for is basically nothing other than French catchphrases and English hypocrisy, in other words to avoid the superiority of the Germans and therefore to wish rather that they behaved no different from themselves; they would not understand this at all, and indeed for the very reasons that make them so drawn to the French and English. Ultimately, however, the lack of urbanity is surely no grounds for war. And if only the neutral countries understood how much true urbanity is missing from French "cleansing" 1 and English "Baralongs" 2 !! The Danes are proud of their Copenhagen as a second Paris; they imagine themselves to have good French upbringing when, in the French style, they have neutrality at the tip of their tongue but in practice are slovenly and shifty, and in addition avoid telling the Germans their true opinion. Typical French style: the deeds of scoundrels, the words of humans! — 3 *Kleist against German women dating from 1808! Meyer edition, preface to Die Herrmannschlacht; [he expresses] his anger against the German princes who, betraying Germany, ran to Napoleon! 4 Here only French tomfoolery at play; in the last analysis, ignorance on the part of the princes! 5 *Frankfurter Zeitung (September 3, 1916), feuilleton "A Trip Through Poland." 6 As one can clearly see, the author blames the Jews {405} for their instinct for business, as if their very instinct were not a thousand times more justifiably excused than, for example, that of the English, Anglo-American and other businessmen of the world who, though they are in possession of their own land and own state, and their full command of the instruments of powers, nonetheless behave like real hyenas in their greed and obsession with business! — 7 *The businessman wages war when he is incapable of surviving an inconvenient competition – in such a case, England! Questions of race, religion? These do not trouble him when he goes on a courtship display of his business. Profit is everything to him: religion, state, family all at the same time! *In the past, the citizens revolted, that is, businessmen against the nobility. And rightly so! Now it is time to revolt against the businessman, now that he has become guilty of the same obscenities as the nobility of the past! — *The rich man maintains that his riches alone are the fortunate condition for which even a poor person can at least scrape a living. In every respect a lie, which can even be demonstrated scientifically. Why does he not tolerate the possibility that the other person, too, could become rich if he, as he claims, can conversely draw wealth from the other himself? As he does not wish to do this, he seems evidently to know that, along with his deed, his claim is merely an arbitrary malice, which he would himself prefer to practice than to endure it at the hands of someone else! — *From Der Abend : there is nothing more revolting than the business practices of the press, which does everything for money: whether it criticizes, keeps silent, or praises. "The cost of placing an advertisement as per tariff"!! 8 — *
© Translation William Drabkin. |
5. Sept. 1916
Gegen 12h ist alles zuende gediehen. Inzwischen hat sich das Wetter ein wenig aufgehellt, so daß wir nach Tisch sogar noch im Freien promenieren konnten, Zeitung lesend. Gegen 5h neuerdings starker Regen. — Friedrichs Bruder Otto besorgt uns das große Gepäck, das er trotz großen Gewichtes auf dem den Schultern die Treppe hinabträgt. Etwa 6 Kronen ersparen wir an der Art, wie wir heuer das Gepäck fortschaffen. *Den Deutschen fehle Urbanität, klagt man auch im neutralen Dänemark, wo man mehr für Frankreich u. England Sympathien hegt. Würde man es aber den Dänen ins Gesicht sagen, da sß [das], was sie wünschen, im Grunde nichts anderes ist sei, als französische Phrase u. englische Heuchelei, daß sie , mit anderen Worten, die deutsche Ueberlegenheit der Deutschen meiden u. sie daher lieber so wünschten, wie sie selbst geartet sind –, sie würden dieses nicht einmal verstehen, u. zwar aus eben jenen Gründen, die sie zu den Franzosen u. Engländern hin so geneige nt machen. Schließlich aber ist Mangel an Urbanität wirklich noch kein Kriegsgrund. Und begriffen doch nu nr die Neutralen, wie viel noch zur wahren Urbanität den französischen „Nettoyers“ 1 , englischen „Baralongs“ 2 fehlt!! Auf Kopenhagen sind die Dänen wie auf ein zweites Paris stolz; u. sie bilden sich gute französische Erziehung ein, wenn sie nach französischem Muster die Neutralität zwar stets auf den Lippen führen, in der Praxis der in ihrer Neutralität aber liederlich u. Sschuftig sind, es u. auch sonst aber es vermeiden, den Deutschen ihre wahre Meinung zu sagen. Echte Franzosen-Schule: die Tat eines von Schufte sn, das Wort eines von angeblichen Menschen! — 3 *Kleist gegen die deutschen Frauen de dato 1808! M aeyer-Ausgabe, Vorrede zur „Herrmannschlacht“; sein Zorn wider die deutschen Fürsten, die, Deutschland verratend, Napoleon zuliefen! 4 Hier war nur Franzosenafferei im Spiele, im letzten Grunde die Unbildung der Fürsten! 5 *„Frankf. Ztg.“ (3. IX. 16), Feuilleton: „Fahrt durch Polen.“ 6 Der Verfasser verargt es den Juden, wie {405} man deutlich sieht, ihren den Trieb zu Geschäften, als wäre er nicht gerade ihr Trieb tausendmal gerechter entschuldigt, als z. B. der d ieer englischen, anglo-amerikanischen u. sonstigen Krämer der Welt, die, obgleich im Besitze von eigenem Grund u. Boden, eines eigenen Staates u. seiner vollen Machtmittel, sich in ihrer Hab- u. Geschäftssucht dennoch wie wahre Hyänen gebärden! — 7 *Der Krämer führt Krieg, wenn er unfähig wird, eine unbequeme Konkurrenz zu bestehen – in diesem solchem Falle England! Rassen-[,] Religionsfragen? Die kümmern ihn nicht, wenn er auf Geschäftsbalz ausgeht. Der Nutzen ist ihm alles: Religion, Staat, Familie alles zugleich! — *Ehemals Revolte der Bürger, d. h. de rs Kaufmanns wider den Adel. Mit Recht! Nun ist es Zeit, gegen den Kaufmann zu revoltieren, nachdem er sich derselben Unflätigkeiten wie ehemals der Adel schuldig gemacht! — *Der Reiche behauptet, nur sein Reichtum wäre allein die glückliche Voraussetzung dafür, daß auch der Arme mindestens sein Leben fristen könne. – iI jeder Hinsicht eine Lüge, die auch wissenschaftlich erwiesen werden kann. Warum duldet er dann nicht aber, daß auch der andere reich werde, um wenn er, wie er fest behauptet, von dessen andern Reichtum umgekehrt auch selbst zu zehren könnte? Da er dies nicht tun will, scheint er eine Ahnung offenbar zu haben wissen, daß nebst seiner Tat nun mit auch seine Behauptung nur eine willkürliche Bosheit ist, die er lieber selbst begeht, als sie von einem anderen zu ertragen erträgt! — *Aus dem „Abend“: Es gibt nichts so Revoltierendes wie die Geschäftspraktiken der Presse, die für Geld Alles tut: tadeln, schweigen u. loben: „Inserationspreis laut Tarif[“]!! 8 — *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 5, 1916.
Towards 12 o'clock, everything has been successfully achieved. In the meantime, the weather has brightened up a little, so that we were even able to go for a stroll outdoors, reading the newspaper. Towards 5 o'clock, heavy rain once more. — Friedrich's brother Otto takes care of the our large luggage which, in spite of its great weight, he is able to carry down the staircase on his shoulders. We have saved about 6 Kronen by dispatching the luggage in such a way this year. *The Germans are lacking in urbanity, so one complains even in neutral Denmark, where one harbors greater sympathy for France and England. But suppose that one were to say in front of the Danes that what they wish for is basically nothing other than French catchphrases and English hypocrisy, in other words to avoid the superiority of the Germans and therefore to wish rather that they behaved no different from themselves; they would not understand this at all, and indeed for the very reasons that make them so drawn to the French and English. Ultimately, however, the lack of urbanity is surely no grounds for war. And if only the neutral countries understood how much true urbanity is missing from French "cleansing" 1 and English "Baralongs" 2 !! The Danes are proud of their Copenhagen as a second Paris; they imagine themselves to have good French upbringing when, in the French style, they have neutrality at the tip of their tongue but in practice are slovenly and shifty, and in addition avoid telling the Germans their true opinion. Typical French style: the deeds of scoundrels, the words of humans! — 3 *Kleist against German women dating from 1808! Meyer edition, preface to Die Herrmannschlacht; [he expresses] his anger against the German princes who, betraying Germany, ran to Napoleon! 4 Here only French tomfoolery at play; in the last analysis, ignorance on the part of the princes! 5 *Frankfurter Zeitung (September 3, 1916), feuilleton "A Trip Through Poland." 6 As one can clearly see, the author blames the Jews {405} for their instinct for business, as if their very instinct were not a thousand times more justifiably excused than, for example, that of the English, Anglo-American and other businessmen of the world who, though they are in possession of their own land and own state, and their full command of the instruments of powers, nonetheless behave like real hyenas in their greed and obsession with business! — 7 *The businessman wages war when he is incapable of surviving an inconvenient competition – in such a case, England! Questions of race, religion? These do not trouble him when he goes on a courtship display of his business. Profit is everything to him: religion, state, family all at the same time! *In the past, the citizens revolted, that is, businessmen against the nobility. And rightly so! Now it is time to revolt against the businessman, now that he has become guilty of the same obscenities as the nobility of the past! — *The rich man maintains that his riches alone are the fortunate condition for which even a poor person can at least scrape a living. In every respect a lie, which can even be demonstrated scientifically. Why does he not tolerate the possibility that the other person, too, could become rich if he, as he claims, can conversely draw wealth from the other himself? As he does not wish to do this, he seems evidently to know that, along with his deed, his claim is merely an arbitrary malice, which he would himself prefer to practice than to endure it at the hands of someone else! — *From Der Abend : there is nothing more revolting than the business practices of the press, which does everything for money: whether it criticizes, keeps silent, or praises. "The cost of placing an advertisement as per tariff"!! 8 — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Nettoyer (French): "to clean." In the jargon of war at the time, this referred to driving the enemy from its trenches. Le Nettoyer de Tranchèes was also the name given to a trench knife manufactured by the French during the First World War. 2 HMS Baralong was a Royal Navy warship. She was a Special Service Vessel (also known as a Q-ship) whose function was to act as a decoy, inviting attack by a U-boat in order to engage and destroy it. In August 1915 Baralong sank the German submarine U-27. About a dozen of the crewmen managed to escape from the sinking submarine, and Lieutenant Godfrey Herbert, commanding officer of Baralong, ordered his men to execute those survivors. The event generated widespread outrage in Germany and the German government submitted a memorandum stating that the Baralong's crew had committed a cowardly murder. 3 Marginal remark by Schenker: "German urbanity: the opposite to the French, the English and the neutral countries which were sympathetic to them." 4 "Einleitung des Herausgebers to Die Hermannsschlacht. Ein Drama", in: Heinrich v. Kleists Werke 2, ed. Erich Schmidt (Meyers Klassiker-Ausgaben; Leipzig: Bibliographisches Institut, n. d.), S. 315–322. 5 Marginal remark by Schenker: "German Women." 6 Alfred Lemur, "Fahrt durch Polen," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 244, September 3, 1916, 61st year, first morning edition, pp. 1-2. 7 Marginal remark by Schenker: "Jews." 8 "Aus dem dunkelsten Wien der Zeitungstarife. Der kleine Anzeiger des „N. Wr. Tagbl.“," Der Abend, No. 204, September 6, 1916, 2nd year, p. 3. |