2. II. 17 -7°, scharfer Wind.
— An Rothberger (K.): schlage den 8. bezw. 10. II. vor. — — — An die Fürsorge zweimal Kr. 2. — Bei Fr. Gärtner ½ 12h Besuch gemacht; er nicht zuhause. — „ Arbeiter Ztg.; “ bezeichnet endlich zum erstenmal die Engländer allein als die wahren Urheber der gegenwärtigen See-Anarchie u. die Deutschen nunmehr im Zustand gerechter Notwehr. 1 Läppisch klingt es noch freilich, wenn sie erklärt, sich dessen nicht zu schämen, daß sie sich habe täuschen lassen. Doch gibt es, meine ich, keine größere Schande, als sich an Bildung, Charakter so dadurch niedrig zu zeigen, daß man dem ersten Schlechten ohneweiters aufsitzt; wie ich es denn auch meinen Schülern oft zu sagen pflege: Nicht darin liegt die Schande, wenn man einem dem Genie aufsitzt, sondern weit eher darin, daß man auch schon einem dem Nicht-Genie aufsitzt; schließlich hat man schon aus Selbstbeobachtung wohl Möglichkeiten genug zu erraten, aus welchen Ingredienzien ein anderes Nicht-Genie gebraut ist – wie ich, so er – u. hat daher wohl auch die Kenntnis der Mittel u. Mittelchen, mit denen das eine [sic] Nicht-Genie arbeitet, nun an das dicke Ziel des Nutzens oder irgendwelcher anderer Egoismen zu gelangen. Nein, nein, es ist unverzeihlich, daß sich so viele hunderttausend Menschen, voran das Journalistenpack, durch die Mittelchen unserer Feinde je haben zu Dank, Lobeserhebung, Freiheits- {584} u. Friedenshymnen stimmen lassen. — Nichts liest man heute so häufig in deutschen Blättern u. Schriften, als das Sophokleische : Nicht mit zu mitzu hassen, mit zu mitzu lieben [sic] bin ich da –; die das Wort in den Mund nehmen, bemerken aber nicht, daß es dem Dichter um ein Mitlieben ging, nicht aber blos um ein einseitiges Lieben auch dort, wo man blos mitgehasst wird! — Im Gasthaus höre ich einen Herrn am Nebentisch sprechen: „Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, Minister Höfer kann nichts machen; es ist wirklich nichts da – England hat sein Ziel erreicht. Lynchjustiz wäre hier das billigste Verfahre.[“] — Lie-Liechen erhält im Gasthaus ihre Tasche wieder, die sie gestern vergessen hatte; wäre der Gegenstand von Wert gewesen, so hätten ihn sicher auch solche Personen behalten, die sonst auch auf ihren eigenen Wert etwas viel geben. — Bahr schnauzt in seinem Tagebuch nach Art des Kraus, Förster u. ähnlicher unreifer Knaben die Deutschen als „Erwerbs-Munitionsdeutsche “ an. 2 Schade, daß für Deutschland u. Osterreich der Weg zu umständlich u. lebensgefährlich wäre, wollte man diesem um solchem Gelichter die Erkenntnis beizubringen, weshalb sie Deutschland zu Dank verpflichtet sind wären: Ein Jahr russischer, englischer oder französischer Herrschaft in Oesterreich u. Deutschland würde wohl auch diese Leute kurieren. Doch ist es besser, ihre Krankheit gewähren zu lassen, u. lieber das Vaterland intact zu halten; schließlich wird auch ihnen Deutschlands Sieg endlich den gebührenden Respekt abnötigen u. sie zwingen, in den Jubel mit einzustimmen, nur um nicht dumme Zuschauer zu machen. — Die Vulpius wird nun allmählich auch schon mit Goethes Augen gesehen, – wohl lange genug hat es gedauert, bis Goethe über seine Zeitgenossen u. die Nachwelt triumphirten konnte hat, die weder selbst zu leben, noch fremdes Erlebtes zu begreifen vermochten, letzteres auch dann nicht, wenn d asie Erlebnis[se] von einem so vollkommenen Schriftsteller wie Goethe in deutsche Worte gebracht worden waren. — Der Streit zwischen Klassiker u. Romantiker geht wieder um! Er wird, wie immer so auch diesmal, ergebnislos bleiben, da man an {585} alle Nebendinge denkt, nur nicht an das Hauptobjekt des Streites, nämlich den Stoff. Man kann sagen: Klassiker ist, wer dem Stoff gemäß handelt, sei dieser das ganze Leben selbst oder der Gegenstand eines Berufes, Kunst, Wissenschaft; Romantiker, wer sich über die Stoffe eigenmächtig, mutwillig hinwegsetzt, im eiteln Wahn, dadurch etwa neuen größeren Gewinn, als die Klassiker zu erzielen! — Halber u. halber = teils u. teils; später aber auch nur ein einmaliges halber in Anwendung gekommen, offenbar durch Elision des andern halber, das vielleicht hinzudenken war oder auch ist. — © Transcription Marko Deisinger. |
February 2, 1917. -7°, biting wind.
— Postcard to Rothberger: I suggest the 8th or 10th of February. — — To the welfare organization, 2 Kronen twice. — A visit to Mrs. Gärtner at 11:30; her husband is not home. — The Arbeiter-Zeitung finally, and for the first time, names the English as the sole and true originators of the present anarchy of the seas and declares that, as of now, the German position of self-defense is justified. 1 Of course it still sounds foolish when they explain that they are not ashamed of having been deceived. But there is no greater shame, in my opinion, than to show oneself of base upbringing and character by being taken in by the first bad person without further ado. As I often tell my pupils, the shame does not lie in being taken in by a genius, but much more by being fooled even by a non-genius; ultimately one has sufficient possibilities, merely from self-observation, for working out what ingredients go into the brewing of a non-genius – "like me, so he" – and thus one should also know the means, the petty ways, with which a non-genius works just to achieve the crude goal of profit or any other egoisms. No, no, it is inexcusable that so many hundreds of thousands of people, above all the pack of journalists, even partake in giving voice to gratitude, exaltation, and songs of freedom and peace using the petty ways of our enemies. — {584} Nowadays one does not read anything more frequently in German newspapers and writings than the Sophoclesian "I am there not to share my hate but to rather to share my love"; those who express this sentiment do not realize, however, that for a poet it is a question of communal love, but not a one-sided love even when one is merely communally hated! — In the restaurant I hear a man at the next table say: "We must not harbor any illusions: Minister Höfer can do nothing; nothing can be done about it – England has achieved its goal. Mob rule would be the simplest way of proceeding here." — Lie-Liechen's handbag, which she had forgotten in the restaurant, is returned to her; if the object were of any value, then surely such persons would have kept it, even if they attach a great deal of worth to themselves. — Bahr , writes in his diary in the manner of Kraus, Förster and similarly immature boys, chiding the Germans for being "acquisitive armaments-German." 2 It is a pity that for Germany and Austria the path is too circuitous and dangerous to bring such riff-raff to understand why they ought to be grateful to Germany: a year of Russian, English or French rule in Austria and Germany would surely cure even these people. But it is better to let them remain ill and keep the fatherland intact; in the end, Germany's victory will finally command the appropriate respect even from them, and compel them to join in the jubilation, if only not to make foolish onlookers of them. — Vulpius is now gradually been seen with Goethe's eyes; it has surely taken long enough for Goethe to be able to triumph over his contemporaries and posterity, who are unable to live themselves, nor can they understand the life of someone else – the latter not even when the experiences of such a consummate writer as Goethe have been expressed in the German language. — The conflict between classicists and romantics continues apace! It will remain without consequence this time as ever, since one {585} is thinking about all the peripheral issues but not the main object of the conflict: the material. One can say that a classicist is someone who deals in accordance with the material, be this his own entire life or the object of a profession, art, science; a romanticist is someone who arbitrarily takes control of the material, in vain delusion, in order to achieve a new, greater gain compared to the classicist! — Halber und halber = partly and partly; but later even a single halber comes into usage, evidently by elision with the second halber, which was (and even is) probably to be understood. —© Translation William Drabkin. |
2. II. 17 -7°, scharfer Wind.
— An Rothberger (K.): schlage den 8. bezw. 10. II. vor. — — — An die Fürsorge zweimal Kr. 2. — Bei Fr. Gärtner ½ 12h Besuch gemacht; er nicht zuhause. — „ Arbeiter Ztg.; “ bezeichnet endlich zum erstenmal die Engländer allein als die wahren Urheber der gegenwärtigen See-Anarchie u. die Deutschen nunmehr im Zustand gerechter Notwehr. 1 Läppisch klingt es noch freilich, wenn sie erklärt, sich dessen nicht zu schämen, daß sie sich habe täuschen lassen. Doch gibt es, meine ich, keine größere Schande, als sich an Bildung, Charakter so dadurch niedrig zu zeigen, daß man dem ersten Schlechten ohneweiters aufsitzt; wie ich es denn auch meinen Schülern oft zu sagen pflege: Nicht darin liegt die Schande, wenn man einem dem Genie aufsitzt, sondern weit eher darin, daß man auch schon einem dem Nicht-Genie aufsitzt; schließlich hat man schon aus Selbstbeobachtung wohl Möglichkeiten genug zu erraten, aus welchen Ingredienzien ein anderes Nicht-Genie gebraut ist – wie ich, so er – u. hat daher wohl auch die Kenntnis der Mittel u. Mittelchen, mit denen das eine [sic] Nicht-Genie arbeitet, nun an das dicke Ziel des Nutzens oder irgendwelcher anderer Egoismen zu gelangen. Nein, nein, es ist unverzeihlich, daß sich so viele hunderttausend Menschen, voran das Journalistenpack, durch die Mittelchen unserer Feinde je haben zu Dank, Lobeserhebung, Freiheits- {584} u. Friedenshymnen stimmen lassen. — Nichts liest man heute so häufig in deutschen Blättern u. Schriften, als das Sophokleische : Nicht mit zu mitzu hassen, mit zu mitzu lieben [sic] bin ich da –; die das Wort in den Mund nehmen, bemerken aber nicht, daß es dem Dichter um ein Mitlieben ging, nicht aber blos um ein einseitiges Lieben auch dort, wo man blos mitgehasst wird! — Im Gasthaus höre ich einen Herrn am Nebentisch sprechen: „Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, Minister Höfer kann nichts machen; es ist wirklich nichts da – England hat sein Ziel erreicht. Lynchjustiz wäre hier das billigste Verfahre.[“] — Lie-Liechen erhält im Gasthaus ihre Tasche wieder, die sie gestern vergessen hatte; wäre der Gegenstand von Wert gewesen, so hätten ihn sicher auch solche Personen behalten, die sonst auch auf ihren eigenen Wert etwas viel geben. — Bahr schnauzt in seinem Tagebuch nach Art des Kraus, Förster u. ähnlicher unreifer Knaben die Deutschen als „Erwerbs-Munitionsdeutsche “ an. 2 Schade, daß für Deutschland u. Osterreich der Weg zu umständlich u. lebensgefährlich wäre, wollte man diesem um solchem Gelichter die Erkenntnis beizubringen, weshalb sie Deutschland zu Dank verpflichtet sind wären: Ein Jahr russischer, englischer oder französischer Herrschaft in Oesterreich u. Deutschland würde wohl auch diese Leute kurieren. Doch ist es besser, ihre Krankheit gewähren zu lassen, u. lieber das Vaterland intact zu halten; schließlich wird auch ihnen Deutschlands Sieg endlich den gebührenden Respekt abnötigen u. sie zwingen, in den Jubel mit einzustimmen, nur um nicht dumme Zuschauer zu machen. — Die Vulpius wird nun allmählich auch schon mit Goethes Augen gesehen, – wohl lange genug hat es gedauert, bis Goethe über seine Zeitgenossen u. die Nachwelt triumphirten konnte hat, die weder selbst zu leben, noch fremdes Erlebtes zu begreifen vermochten, letzteres auch dann nicht, wenn d asie Erlebnis[se] von einem so vollkommenen Schriftsteller wie Goethe in deutsche Worte gebracht worden waren. — Der Streit zwischen Klassiker u. Romantiker geht wieder um! Er wird, wie immer so auch diesmal, ergebnislos bleiben, da man an {585} alle Nebendinge denkt, nur nicht an das Hauptobjekt des Streites, nämlich den Stoff. Man kann sagen: Klassiker ist, wer dem Stoff gemäß handelt, sei dieser das ganze Leben selbst oder der Gegenstand eines Berufes, Kunst, Wissenschaft; Romantiker, wer sich über die Stoffe eigenmächtig, mutwillig hinwegsetzt, im eiteln Wahn, dadurch etwa neuen größeren Gewinn, als die Klassiker zu erzielen! — Halber u. halber = teils u. teils; später aber auch nur ein einmaliges halber in Anwendung gekommen, offenbar durch Elision des andern halber, das vielleicht hinzudenken war oder auch ist. — © Transcription Marko Deisinger. |
February 2, 1917. -7°, biting wind.
— Postcard to Rothberger: I suggest the 8th or 10th of February. — — To the welfare organization, 2 Kronen twice. — A visit to Mrs. Gärtner at 11:30; her husband is not home. — The Arbeiter-Zeitung finally, and for the first time, names the English as the sole and true originators of the present anarchy of the seas and declares that, as of now, the German position of self-defense is justified. 1 Of course it still sounds foolish when they explain that they are not ashamed of having been deceived. But there is no greater shame, in my opinion, than to show oneself of base upbringing and character by being taken in by the first bad person without further ado. As I often tell my pupils, the shame does not lie in being taken in by a genius, but much more by being fooled even by a non-genius; ultimately one has sufficient possibilities, merely from self-observation, for working out what ingredients go into the brewing of a non-genius – "like me, so he" – and thus one should also know the means, the petty ways, with which a non-genius works just to achieve the crude goal of profit or any other egoisms. No, no, it is inexcusable that so many hundreds of thousands of people, above all the pack of journalists, even partake in giving voice to gratitude, exaltation, and songs of freedom and peace using the petty ways of our enemies. — {584} Nowadays one does not read anything more frequently in German newspapers and writings than the Sophoclesian "I am there not to share my hate but to rather to share my love"; those who express this sentiment do not realize, however, that for a poet it is a question of communal love, but not a one-sided love even when one is merely communally hated! — In the restaurant I hear a man at the next table say: "We must not harbor any illusions: Minister Höfer can do nothing; nothing can be done about it – England has achieved its goal. Mob rule would be the simplest way of proceeding here." — Lie-Liechen's handbag, which she had forgotten in the restaurant, is returned to her; if the object were of any value, then surely such persons would have kept it, even if they attach a great deal of worth to themselves. — Bahr , writes in his diary in the manner of Kraus, Förster and similarly immature boys, chiding the Germans for being "acquisitive armaments-German." 2 It is a pity that for Germany and Austria the path is too circuitous and dangerous to bring such riff-raff to understand why they ought to be grateful to Germany: a year of Russian, English or French rule in Austria and Germany would surely cure even these people. But it is better to let them remain ill and keep the fatherland intact; in the end, Germany's victory will finally command the appropriate respect even from them, and compel them to join in the jubilation, if only not to make foolish onlookers of them. — Vulpius is now gradually been seen with Goethe's eyes; it has surely taken long enough for Goethe to be able to triumph over his contemporaries and posterity, who are unable to live themselves, nor can they understand the life of someone else – the latter not even when the experiences of such a consummate writer as Goethe have been expressed in the German language. — The conflict between classicists and romantics continues apace! It will remain without consequence this time as ever, since one {585} is thinking about all the peripheral issues but not the main object of the conflict: the material. One can say that a classicist is someone who deals in accordance with the material, be this his own entire life or the object of a profession, art, science; a romanticist is someone who arbitrarily takes control of the material, in vain delusion, in order to achieve a new, greater gain compared to the classicist! — Halber und halber = partly and partly; but later even a single halber comes into usage, evidently by elision with the second halber, which was (and even is) probably to be understood. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Seekrieg und Seerecht" and "Die U-Boots-Blockade," Arbeiter-Zeitung, No. 31, February 2, 1917, 29th year, pp. 1-2. 2 Hermann Bahr, "Tagebuch," Neues Wiener Journal, No. 8354, February 2, 1917, 25th year, pp. 5-6. |