7.
Von Hertzka (Br.): 1 gibt an, von Halm einen Brief überhaupt nicht erhalten zu haben, u. mir selbst aber die Antwort nur wegen Unwohlseins u. Ueberbürdung schuldig geblieben zu sein; werde selbstverständlich die Rezensionsexemplare abschicken. — Im Bankverein 700 Kr. deponiert. — Kaufmannsbetrug: Nach einer anfänglichen Weigerung, die sie mit einem Gewichtsverlust begründet, entschließt sich die Geflügelhändlerin, ein Huhn zu teilen; das Stück Fett, das immer zu sehen war, ist plötzlich verschwunden u. es ergab sich {837} auch wirklich ein Gewichtsverlust von 2 dkg, den die Frau aufrechnete, obgleich sie das Stück Fett in betrügerischer Weise irgendwie unter den Tisch hat gleiten lassen. — Nach dem Bade in die Wollzeile ins Zeitungsbüro, um nach dem „Neuen Oesterreich“ zu fragen; auf dem Wege dorthin sehen wir zwei Bäuerinnen ungeheure Ballen Kraut auf dem Rücken tragen, vermutlich hatten sie es in irgend einem großen Restaurant abzuliefern. Gleich uns nahm das heutzutage wohl ungewohnte Schauspiel ein Herr wahr, der darüber auch in ein Gespräch mit uns geraten ist. Der Mann hatte ein feingeschnittenes Gesicht, war aber ärmlich gekleidet u. sichtlich unterernährt; er sprach überaus bitter u. gab sich gleich als Anhänger der Sozialdemokratie zu erkennen. Er sei Musiker u. auch Naturforscher, sagte er, sei aber Anhänger des „großen Adler“ u. mit ihm der Meinung, es müsse vor allem der innere Feind, der deutsche Militarismus bekämpft werden. Mein Vorhalt, daß es angebracht wäre, vor allem den englischen Imperialismus totzukämpfen, erregte bei ihm heftigen Widerspruch; er berief sich auf Heine – „Kennen Sie Heine?“ fragte er mich – u. zog gegen die Napoleonade, wie er sagte, mit all den Argumenten los, wie sie täglich zur Aufhetzung einer unwissenden Bevölkerung von der „Arb. Ztg.“ oder in sozialdemokratischen Versammlungen zum besten gegeben werden. Als ich bei meinem Widerstand beharrte, empfahl er sich plötzlich, in der Art der Sozialdemokraten verächtlich mit einem scharf hervorgestoßenen „mein Kompliment“. — Fleischnot!! — 3 Stück Hemden à 42 Kronen u. einen Kragen à 2.20 Kronen ohne Bezugschein in einem uns völlig unbekannten Geschäft in der Hauptstraße 2 erhalten. — Mittelmann im Caféhaus, entpuppt sich als Schleichhändler; wir bestellen Zwirn bei ihm. — Zum Optiker u. dann zu Braumüller, wo ich das betreffende Heft des „Neuen Oesterreich“ bestelle. — An Halm (Br.): 3 erzähle, wie ich mit Hertzka verfuhr u. ihn {838} dazu brachte, die Rezensionsexemplare abzuschicken; wäre neugierig, meinte ich an einer Stelle des Briefes, wie der selige Herakles mit den Verlegern fertig geworden wäre – ich schwärme für die Keule. —© Transcription Marko Deisinger. |
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From Hertzka (letter): 1 insists that he has never received a letter from Halm, and is only answering me because, having been unwell and overworked, he has remained in my debt. Naturally he is going to send the reviewer's copies. — At the Bankverein 700 Kronen deposited. — Businessman's fraud: after an initial reluctance, which was justified because [the bird's] weight had [already] decreased, a poultry dealer decides to halve a chicken. A piece of fat that has clearly been in view, suddenly disappears and it transpires {837} that there has been a [further] loss in weight of 20 grams, which the woman adds to the bill, although, by way of fraud, she has already allowed the piece of fat to disappear under the table. — After my bath I go down via the Wollzeile to the newspaper office, to ask about the Neues Österreich . On the way we see two farmer wives carrying enormous bundles of cabbages on their backs, presumably delivering them to some large restaurant. Alongside us, a man is taking in the spectacle, unusual for nowadays, and by way of it he enters into a conversation with us. The man had fine features, but was poorly dressed and visibly undernourished. He spoke with exceeding bitterness and revealed himself to be a devotee of the Social Democrats. He maintained he was a musician and, as he said, a natural scientist and an adherent of the "great Adler." Like him, he is of the opinion that above all we have to fight the enemy from within, [namely] German militarism. My objection that it might also be appropriate to fight English imperialism to the death inspired his most fervent antagonism. He invoked the spirit of Heine – "Do you know Heine?", he asked me – and railed against the Napoleonade, as he termed it, with all the arguments he could muster, such as are fed to an unsuspecting population, readers of the Arbeiter-Zeitung, or are best given in social democratic gatherings. When I stood fast in my resistance, he disdainfully took his leave of us, in the way that a social democrat might, with a forced utterance of "my compliments". — Meat in short supply!! — We manage to get three shirts at 42 Kronen each, and a collar at 2.20 Kronen without a ration coupon, in a shop completely unknown to us in the Hauptstraße. 2 — Mittelmann in the coffee-house, turns out to be a blackmarketeer; we order twine from him. — To the opticians and then to Braumüller, where I order the appropriate issue of Das Neue Österreich . — To Halm (letter): 3 I explain how I am progressing with Hertzka and {838} have induced him to send off the reviewers' copies. I am quite curious, as I opine at one point in the letter, [about] how the blessed Heracles would have dealt with the publishers – I enthuse about the cudgel. —© Translation Stephen Ferguson. |
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Von Hertzka (Br.): 1 gibt an, von Halm einen Brief überhaupt nicht erhalten zu haben, u. mir selbst aber die Antwort nur wegen Unwohlseins u. Ueberbürdung schuldig geblieben zu sein; werde selbstverständlich die Rezensionsexemplare abschicken. — Im Bankverein 700 Kr. deponiert. — Kaufmannsbetrug: Nach einer anfänglichen Weigerung, die sie mit einem Gewichtsverlust begründet, entschließt sich die Geflügelhändlerin, ein Huhn zu teilen; das Stück Fett, das immer zu sehen war, ist plötzlich verschwunden u. es ergab sich {837} auch wirklich ein Gewichtsverlust von 2 dkg, den die Frau aufrechnete, obgleich sie das Stück Fett in betrügerischer Weise irgendwie unter den Tisch hat gleiten lassen. — Nach dem Bade in die Wollzeile ins Zeitungsbüro, um nach dem „Neuen Oesterreich“ zu fragen; auf dem Wege dorthin sehen wir zwei Bäuerinnen ungeheure Ballen Kraut auf dem Rücken tragen, vermutlich hatten sie es in irgend einem großen Restaurant abzuliefern. Gleich uns nahm das heutzutage wohl ungewohnte Schauspiel ein Herr wahr, der darüber auch in ein Gespräch mit uns geraten ist. Der Mann hatte ein feingeschnittenes Gesicht, war aber ärmlich gekleidet u. sichtlich unterernährt; er sprach überaus bitter u. gab sich gleich als Anhänger der Sozialdemokratie zu erkennen. Er sei Musiker u. auch Naturforscher, sagte er, sei aber Anhänger des „großen Adler“ u. mit ihm der Meinung, es müsse vor allem der innere Feind, der deutsche Militarismus bekämpft werden. Mein Vorhalt, daß es angebracht wäre, vor allem den englischen Imperialismus totzukämpfen, erregte bei ihm heftigen Widerspruch; er berief sich auf Heine – „Kennen Sie Heine?“ fragte er mich – u. zog gegen die Napoleonade, wie er sagte, mit all den Argumenten los, wie sie täglich zur Aufhetzung einer unwissenden Bevölkerung von der „Arb. Ztg.“ oder in sozialdemokratischen Versammlungen zum besten gegeben werden. Als ich bei meinem Widerstand beharrte, empfahl er sich plötzlich, in der Art der Sozialdemokraten verächtlich mit einem scharf hervorgestoßenen „mein Kompliment“. — Fleischnot!! — 3 Stück Hemden à 42 Kronen u. einen Kragen à 2.20 Kronen ohne Bezugschein in einem uns völlig unbekannten Geschäft in der Hauptstraße 2 erhalten. — Mittelmann im Caféhaus, entpuppt sich als Schleichhändler; wir bestellen Zwirn bei ihm. — Zum Optiker u. dann zu Braumüller, wo ich das betreffende Heft des „Neuen Oesterreich“ bestelle. — An Halm (Br.): 3 erzähle, wie ich mit Hertzka verfuhr u. ihn {838} dazu brachte, die Rezensionsexemplare abzuschicken; wäre neugierig, meinte ich an einer Stelle des Briefes, wie der selige Herakles mit den Verlegern fertig geworden wäre – ich schwärme für die Keule. —© Transcription Marko Deisinger. |
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From Hertzka (letter): 1 insists that he has never received a letter from Halm, and is only answering me because, having been unwell and overworked, he has remained in my debt. Naturally he is going to send the reviewer's copies. — At the Bankverein 700 Kronen deposited. — Businessman's fraud: after an initial reluctance, which was justified because [the bird's] weight had [already] decreased, a poultry dealer decides to halve a chicken. A piece of fat that has clearly been in view, suddenly disappears and it transpires {837} that there has been a [further] loss in weight of 20 grams, which the woman adds to the bill, although, by way of fraud, she has already allowed the piece of fat to disappear under the table. — After my bath I go down via the Wollzeile to the newspaper office, to ask about the Neues Österreich . On the way we see two farmer wives carrying enormous bundles of cabbages on their backs, presumably delivering them to some large restaurant. Alongside us, a man is taking in the spectacle, unusual for nowadays, and by way of it he enters into a conversation with us. The man had fine features, but was poorly dressed and visibly undernourished. He spoke with exceeding bitterness and revealed himself to be a devotee of the Social Democrats. He maintained he was a musician and, as he said, a natural scientist and an adherent of the "great Adler." Like him, he is of the opinion that above all we have to fight the enemy from within, [namely] German militarism. My objection that it might also be appropriate to fight English imperialism to the death inspired his most fervent antagonism. He invoked the spirit of Heine – "Do you know Heine?", he asked me – and railed against the Napoleonade, as he termed it, with all the arguments he could muster, such as are fed to an unsuspecting population, readers of the Arbeiter-Zeitung, or are best given in social democratic gatherings. When I stood fast in my resistance, he disdainfully took his leave of us, in the way that a social democrat might, with a forced utterance of "my compliments". — Meat in short supply!! — We manage to get three shirts at 42 Kronen each, and a collar at 2.20 Kronen without a ration coupon, in a shop completely unknown to us in the Hauptstraße. 2 — Mittelmann in the coffee-house, turns out to be a blackmarketeer; we order twine from him. — To the opticians and then to Braumüller, where I order the appropriate issue of Das Neue Österreich . — To Halm (letter): 3 I explain how I am progressing with Hertzka and {838} have induced him to send off the reviewers' copies. I am quite curious, as I opine at one point in the letter, [about] how the blessed Heracles would have dealt with the publishers – I enthuse about the cudgel. —© Translation Stephen Ferguson. |
Footnotes1 = OC 52/203, February 5, 1918. 2 Presumably the Landstraßer Hauptstraße, the main street of the third district. 3 = DLA 69.930/3, February 7, 1918. |