11. I. 20 Schön, Föhn.
— Der Versuch eines Spazierganges mißglückt; schon um ¾10h zu Jetty, wo wir wieder gerade mitten in eine Katastrophe eintreten; ihre Heftigkeit war so außer Verhältnis zur Ursache, daß ich mich , von der Vergeudung von so viel Nervenkraft angewidert fühlte; ich nahm Stellung gegen sie, was die anderen nicht wenig staunen machte. Die hochgehenden Wogen haben sich allmalig [sic] verlaufen, wir blieben zu Tisch. Hernach mit dem alten Herrn zu Wilhelm; erfahren dort, daß er gestern nach Baden gereist sei, um im Sanatorium Gutenstein Heilung zu suchen. Dodi erzählt von den Schwierigkeiten, die sie zu tragen hat, Tonschl verrät den Charakter der Krankheit: schwere Arterienverkalkung. Nachdem Tonschl mit seiner Frau fortgegangen war, hat Dodi in der Schilderung der Tragödie noch etwas weiter ausgeholt. Am meisten hat uns die Enthüllung ergriffen, daß sich Wilhelm wie von Reue gepeinigt fühlt, wenn er sagt, er müsse jetzt büßen, weil die Mutter bei ihm nicht gern geblieben. Unbegreiflich ist übrigens Wilhelms fixe Idee, daß er in Abhängigkeit von Tonschl lebe, was ihm gar nicht bekomme; dazu versichert Dodi, daß sie ihr eigenes Kapital besitzen, daß Wilhelm nicht nur nicht genötigt sei, Tonschls Einkünfte in Anspruch zu nehmen, er vielmehr den Kindern noch beizustehen in der Lage ist. Ich finde es für nötig, ihr mit einem Rat beizustehen u. empfehle vor allem für eine Tarockpartie in einem Badener Caféhaus zu sorgen, sodann auch dafür, daß er zum Lesen von Zeitungen gebracht werde; gerade das letztere erschien ihr gleich undurchführbar, da Wilhelm kaum so viel {2206} Geduld aufbringt als zum flüchtigen Durchsehn [sic] der Annonçen erforderlich ist. Es stand schon eben sein Leben von vornherein unter dem Zeichen der Abkehr von allem Geistigen u. zeitlebens hatte er auch die bösen Folgen davon zu tragen. Das sie sich jetzt am schlimmsten bemerkbar machen, ist nur zu begreiflich. Dodi hat übrigens auch in den Irrungen, Wirrungen Tonschls ein wenig hineingeleuchtet u. wir konnten der Erzählung entnehmen, daß es dem Gelde, zumal auf solche Weise erworbenem, an Segen fehle; es kam, nach ihrer Darstellung, schließlich so weit, daß sie mit Gewalt darauf dringen mußten, den Gatten wieder der Frau, den Vater seinen Kindern zuzuführen. Während unserer Anwesenheit hatten sie den Besuch einer Schwester der Schwiegertochter samt Gatten; unten beim Tore begegneten wir Hauptmann Albin mit seiner Braut u. Heini, im Begriffe hinaufzugehen. —© Transcription Marko Deisinger. |
January 11, 1920 Nice, foehn wind.
— Failed attempt to take a walk; already at 9:45 to Jetty's, where we again enter into the middle of a catastrophe; it was so blown up out of all proportion to the cause that I felt disgusted by the waste of so much nervous energy; I took a position against her, which amazed the others quite a bit. The billowing waves gradually calmed, we stayed for lunch. After that with the old man to Wilhelm's; we learn there that he went to Baden yesterday to seek recovery in the Gutenstein Sanatorium. Dodi tells about the difficulties she has to bear, Tonschl betrays the character of the disease: acute arteriosclerosis. After Tonschl left with his wife, Dodi went into more detail about the tragedy. The part of the revelation that moved us most was that Wilhelm feels as if he is being tormented by remorse when he says that he has to atone because mother did not want to stay with him. Also incomprehensible is Wilhelm's rigid idea that he is dependent on Tonschl, which does him no good at all; in addition, Dodi assures us that they possess their own capital, that Wilhelm not only does not need to avail himself of Tonschl's income, but, moreover, he is in the position to support the children. I feel it necessary to offer her some advice and recommend especially that she organize a tarot card group in a coffee-house in Baden and also get him to read newspapers; especially the latter appears impossible to her since Wilhelm can hardly even muster the {2206} patience necessary to read through the advertisements quickly. His life was marked from the outset by a withdrawal from anything intellectual and he has had to bear the grim consequences of that thoughout his life. It is only too understandable that he notices that most strongly now. Dodi incidentally also cast some light on Tonschl's confusion and, from what she described, we gathered that money earned in that way is not a blessing; according to her rendering, it got to the point that they had forcibly to urge the husband back to his wife, the father back to his children. While we were there, she received a visit from a sister of her daughter-in-law with her husband; downstairs by the entrance we see Captain Albin with his wife and Heini on their way up. —© Translation Scott Witmer. |
11. I. 20 Schön, Föhn.
— Der Versuch eines Spazierganges mißglückt; schon um ¾10h zu Jetty, wo wir wieder gerade mitten in eine Katastrophe eintreten; ihre Heftigkeit war so außer Verhältnis zur Ursache, daß ich mich , von der Vergeudung von so viel Nervenkraft angewidert fühlte; ich nahm Stellung gegen sie, was die anderen nicht wenig staunen machte. Die hochgehenden Wogen haben sich allmalig [sic] verlaufen, wir blieben zu Tisch. Hernach mit dem alten Herrn zu Wilhelm; erfahren dort, daß er gestern nach Baden gereist sei, um im Sanatorium Gutenstein Heilung zu suchen. Dodi erzählt von den Schwierigkeiten, die sie zu tragen hat, Tonschl verrät den Charakter der Krankheit: schwere Arterienverkalkung. Nachdem Tonschl mit seiner Frau fortgegangen war, hat Dodi in der Schilderung der Tragödie noch etwas weiter ausgeholt. Am meisten hat uns die Enthüllung ergriffen, daß sich Wilhelm wie von Reue gepeinigt fühlt, wenn er sagt, er müsse jetzt büßen, weil die Mutter bei ihm nicht gern geblieben. Unbegreiflich ist übrigens Wilhelms fixe Idee, daß er in Abhängigkeit von Tonschl lebe, was ihm gar nicht bekomme; dazu versichert Dodi, daß sie ihr eigenes Kapital besitzen, daß Wilhelm nicht nur nicht genötigt sei, Tonschls Einkünfte in Anspruch zu nehmen, er vielmehr den Kindern noch beizustehen in der Lage ist. Ich finde es für nötig, ihr mit einem Rat beizustehen u. empfehle vor allem für eine Tarockpartie in einem Badener Caféhaus zu sorgen, sodann auch dafür, daß er zum Lesen von Zeitungen gebracht werde; gerade das letztere erschien ihr gleich undurchführbar, da Wilhelm kaum so viel {2206} Geduld aufbringt als zum flüchtigen Durchsehn [sic] der Annonçen erforderlich ist. Es stand schon eben sein Leben von vornherein unter dem Zeichen der Abkehr von allem Geistigen u. zeitlebens hatte er auch die bösen Folgen davon zu tragen. Das sie sich jetzt am schlimmsten bemerkbar machen, ist nur zu begreiflich. Dodi hat übrigens auch in den Irrungen, Wirrungen Tonschls ein wenig hineingeleuchtet u. wir konnten der Erzählung entnehmen, daß es dem Gelde, zumal auf solche Weise erworbenem, an Segen fehle; es kam, nach ihrer Darstellung, schließlich so weit, daß sie mit Gewalt darauf dringen mußten, den Gatten wieder der Frau, den Vater seinen Kindern zuzuführen. Während unserer Anwesenheit hatten sie den Besuch einer Schwester der Schwiegertochter samt Gatten; unten beim Tore begegneten wir Hauptmann Albin mit seiner Braut u. Heini, im Begriffe hinaufzugehen. —© Transcription Marko Deisinger. |
January 11, 1920 Nice, foehn wind.
— Failed attempt to take a walk; already at 9:45 to Jetty's, where we again enter into the middle of a catastrophe; it was so blown up out of all proportion to the cause that I felt disgusted by the waste of so much nervous energy; I took a position against her, which amazed the others quite a bit. The billowing waves gradually calmed, we stayed for lunch. After that with the old man to Wilhelm's; we learn there that he went to Baden yesterday to seek recovery in the Gutenstein Sanatorium. Dodi tells about the difficulties she has to bear, Tonschl betrays the character of the disease: acute arteriosclerosis. After Tonschl left with his wife, Dodi went into more detail about the tragedy. The part of the revelation that moved us most was that Wilhelm feels as if he is being tormented by remorse when he says that he has to atone because mother did not want to stay with him. Also incomprehensible is Wilhelm's rigid idea that he is dependent on Tonschl, which does him no good at all; in addition, Dodi assures us that they possess their own capital, that Wilhelm not only does not need to avail himself of Tonschl's income, but, moreover, he is in the position to support the children. I feel it necessary to offer her some advice and recommend especially that she organize a tarot card group in a coffee-house in Baden and also get him to read newspapers; especially the latter appears impossible to her since Wilhelm can hardly even muster the {2206} patience necessary to read through the advertisements quickly. His life was marked from the outset by a withdrawal from anything intellectual and he has had to bear the grim consequences of that thoughout his life. It is only too understandable that he notices that most strongly now. Dodi incidentally also cast some light on Tonschl's confusion and, from what she described, we gathered that money earned in that way is not a blessing; according to her rendering, it got to the point that they had forcibly to urge the husband back to his wife, the father back to his children. While we were there, she received a visit from a sister of her daughter-in-law with her husband; downstairs by the entrance we see Captain Albin with his wife and Heini on their way up. —© Translation Scott Witmer. |