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3. September 1927

Mit einer Handtasche nur u. in einfachster Kleidung zur Franz-Joseph-Bahn: nach Horn, dort erwartet uns Wilhelm; im Auto nach St. Bernhard. Das Wohnhaus hat behagliche schöne Räume u. die Einrichtung zeigt Bequemlichkeit, ja sogar Spuren des ehemaligen Wohnstandes [sic] ; Tonerl ist zuhause, er ist arbeitslos. Aeußerste Liebenswürdigkeit u. Sorgfalt in der Bewirtung, doch leider ersetzt sie nicht das, worauf wir nach dem heutigen Lebensgefühl doch noch Anspruch erheben müssen. Wilhelm hat noch immer die gewisse Heiterkeit, die ihm zum Teil angeboren, zum Teil aber ein KunstbBehelf ist, sich über Lebenswidrigkeiten hinwegzusetzen. Namentlich diese künstliche Heiterkeit läßt ihn noch ganz so erscheinen, wie er als Student dahinlebte. In den Nöten Schon in jener Zeit suchte er schon Halt an harmlosem Kartenspiel, an Militär Märschen u. sonstigen Schlagern, kurz einan sehr gewöhnliche rm Lebensstoff , u. niemals aber raffte er sich so weit auf zu , höheren Hilfsmitteln in Anspruch zu nehmen, um dem Schicksal die Stirn zu bieten. Die alten Märsche aus seinem Munde heute, die alte Heiterkeit heute, sie machen mir einen wehmütige sn Bild, Eindruck, geben das Bild eines völlig zurückgebliebenen Menschen. Dazu kam noch die Bestätigung dafür, was ich zeitlebens bitter empfand: eine gewisse Familienfremdheit , nicht etwa aus Mangel an Familiensinn, sondern aus Mangel an Fähigkeit. Da er noch Student war u. der Vater lebte, versagten des Vaters Zurufe, . eEr wußte auch nichts von meiner musikalischen Beschäftigung, obwohl das Haus davon voll war. Er erinnert sich nicht mehr des Abends, an dem wir in Lemberg den Vater verließen nach der Beerdigung des ältesten Bruders, u., in unser Quartier heimkehrend, uns an den Händen faßten, uns aneinender schmiegten – er erinnert sich des Bruders nicht, auch seines Todes nicht! {3109} Mit Entsetzen erinnere ich mich der Stunde, da ich ihm, nun einem Stundenten der Medizin, die Trauerbotschaft brachte, der Vater sei gestorben. Mir ging eine Welt voll neuer Sorgen auf, jedenfalls eine neue Welt, er schien gar nicht zuzuhören, als hätte er schon damals ein für allemal beschlossen, zumindest für sein Teil keine Verantwortung für die Hinterbliebenen auf sich zu nehmen. Zwar hat er im späteren Leben unter dem schwersten Druck der Verhältnisse löbliche Ausnahmen von dieser Haltung gemacht, er hat aus St. Georgen 1 öfter Geld geschickt, einigemal brachten wir alle sogar den Sommer bei ihm zu, aber im großen Ganzen war er der Seinen ledig u. nahm nicht weiter an ihren Schicksalen teil, vollständig nur seinen neuen Beziehungen hingegeben. Diese füllten dann auch sein Leben aus u. nun drohen gerade sie ein Ende zu nehmen. Die Kinder sind aus dem Hause u. der Aermste ist blieb einsam. Ich nehme an, daß die Haushälterin schon in ihrem Interesse ihm das Leben so angenehm wie möglich bereitet, doch ist Wilhelm auch viel zu beschäftigt lebhaft, auch viel zu herrschsüchtig, ein Erbstück der teueren Mutter, um sich dabei zu beruhigen. Seine Zärtlichkeit mir gegenüber nahm nach Tisch die gewohnten sonderbare Formen an: er zwang mich nach Tisch ins Bett zur Ruhe, obwohl ich kein Bedürfnis darnach hatte usw.

© Transcription Marko Deisinger.

September 3, 1927.

With nothing more than a handbag, and dressed most simply, to the Franz-Joseph Railway [Station] : to Horn, where Wilhelm awaits us; in the automobile to St. Bernhard. The house has cosy attractive rooms and the furnishings suggest comfortableness, indeed even traces of earlier prosperity; Tonerl is at home; he is unemployed. We are treated with the greatest kindness and care, but this does not, unfortunately, replace that which we must still value highly, in accordance with our present attitude towards life. Wilhelm still retains that certain cheerfulness which he was in part born with, but in part uses as a contrivance to get round life's adversities. Specifically, this artificial cheerfulness enables him to behave exactly as he did when he led the life of a student. Already in those days he sought refuge in harmless card-playing, in military marches and other popular pieces, in short on very ordinary things in life; but he never took the initiative to make use of the higher resources, to face his destiny. The old marches coming from his mouth today, the old cheerfulness today, these make a melancholy impression upon me, creating a picture of a man who has been thoroughly left behind. To this was added the confirmation of that which I bitterly perceived: a certain aloofness from the family, not from his lacking of a sense of family belonging, but rather from a lack of ability. When he was still a student and our father was still alive, the father's warnings went unheeded. He also knew nothing about my musical pursuits, though the house was full of them. He no longer remembers the evening on which we left our father in Lemberg after the burial of our eldest brother and, returning to our lodging, shook hands and hugged each other – he doesn't remember our brother, not even his death! {3109} I recall with horror that hour in which I brought him, when he was a medical student, the sad news that our father had died. To me, a world full of trouble came into being, at any rate a new world; he seemed not to be taking any notice, as if even then he had decided once and for all to take no responsibility upon himself for those who remained, at least as far as his share was concerned. To be sure, in later times, under the most difficult pressure of the financial circumstances, he made praiseworthy exceptions to this attitude: from St. Georgen 1 he often sent money; a few times we actually spent the summer with him. All things considered, however, he was unattached to his family and took no further part in its fate, concerned completely and solely with his new relationships. These then also occupied his life; and now these very things threaten to come to an end. The children left home, and the wretched man remained alone. I assume that the housekeeper, in her own interest, is making his life as agreeable as possible; yet Wilhelm is also much too animated and also much too domineering – something inherited from our dear mother – to be comforted by this. His tenderness towards me assumed strange forms: after lunch he insisted that I go to bed and get some rest, although I had no need of it, etc. —

© Translation William Drabkin.

3. September 1927

Mit einer Handtasche nur u. in einfachster Kleidung zur Franz-Joseph-Bahn: nach Horn, dort erwartet uns Wilhelm; im Auto nach St. Bernhard. Das Wohnhaus hat behagliche schöne Räume u. die Einrichtung zeigt Bequemlichkeit, ja sogar Spuren des ehemaligen Wohnstandes [sic] ; Tonerl ist zuhause, er ist arbeitslos. Aeußerste Liebenswürdigkeit u. Sorgfalt in der Bewirtung, doch leider ersetzt sie nicht das, worauf wir nach dem heutigen Lebensgefühl doch noch Anspruch erheben müssen. Wilhelm hat noch immer die gewisse Heiterkeit, die ihm zum Teil angeboren, zum Teil aber ein KunstbBehelf ist, sich über Lebenswidrigkeiten hinwegzusetzen. Namentlich diese künstliche Heiterkeit läßt ihn noch ganz so erscheinen, wie er als Student dahinlebte. In den Nöten Schon in jener Zeit suchte er schon Halt an harmlosem Kartenspiel, an Militär Märschen u. sonstigen Schlagern, kurz einan sehr gewöhnliche rm Lebensstoff , u. niemals aber raffte er sich so weit auf zu , höheren Hilfsmitteln in Anspruch zu nehmen, um dem Schicksal die Stirn zu bieten. Die alten Märsche aus seinem Munde heute, die alte Heiterkeit heute, sie machen mir einen wehmütige sn Bild, Eindruck, geben das Bild eines völlig zurückgebliebenen Menschen. Dazu kam noch die Bestätigung dafür, was ich zeitlebens bitter empfand: eine gewisse Familienfremdheit , nicht etwa aus Mangel an Familiensinn, sondern aus Mangel an Fähigkeit. Da er noch Student war u. der Vater lebte, versagten des Vaters Zurufe, . eEr wußte auch nichts von meiner musikalischen Beschäftigung, obwohl das Haus davon voll war. Er erinnert sich nicht mehr des Abends, an dem wir in Lemberg den Vater verließen nach der Beerdigung des ältesten Bruders, u., in unser Quartier heimkehrend, uns an den Händen faßten, uns aneinender schmiegten – er erinnert sich des Bruders nicht, auch seines Todes nicht! {3109} Mit Entsetzen erinnere ich mich der Stunde, da ich ihm, nun einem Stundenten der Medizin, die Trauerbotschaft brachte, der Vater sei gestorben. Mir ging eine Welt voll neuer Sorgen auf, jedenfalls eine neue Welt, er schien gar nicht zuzuhören, als hätte er schon damals ein für allemal beschlossen, zumindest für sein Teil keine Verantwortung für die Hinterbliebenen auf sich zu nehmen. Zwar hat er im späteren Leben unter dem schwersten Druck der Verhältnisse löbliche Ausnahmen von dieser Haltung gemacht, er hat aus St. Georgen 1 öfter Geld geschickt, einigemal brachten wir alle sogar den Sommer bei ihm zu, aber im großen Ganzen war er der Seinen ledig u. nahm nicht weiter an ihren Schicksalen teil, vollständig nur seinen neuen Beziehungen hingegeben. Diese füllten dann auch sein Leben aus u. nun drohen gerade sie ein Ende zu nehmen. Die Kinder sind aus dem Hause u. der Aermste ist blieb einsam. Ich nehme an, daß die Haushälterin schon in ihrem Interesse ihm das Leben so angenehm wie möglich bereitet, doch ist Wilhelm auch viel zu beschäftigt lebhaft, auch viel zu herrschsüchtig, ein Erbstück der teueren Mutter, um sich dabei zu beruhigen. Seine Zärtlichkeit mir gegenüber nahm nach Tisch die gewohnten sonderbare Formen an: er zwang mich nach Tisch ins Bett zur Ruhe, obwohl ich kein Bedürfnis darnach hatte usw.

© Transcription Marko Deisinger.

September 3, 1927.

With nothing more than a handbag, and dressed most simply, to the Franz-Joseph Railway [Station] : to Horn, where Wilhelm awaits us; in the automobile to St. Bernhard. The house has cosy attractive rooms and the furnishings suggest comfortableness, indeed even traces of earlier prosperity; Tonerl is at home; he is unemployed. We are treated with the greatest kindness and care, but this does not, unfortunately, replace that which we must still value highly, in accordance with our present attitude towards life. Wilhelm still retains that certain cheerfulness which he was in part born with, but in part uses as a contrivance to get round life's adversities. Specifically, this artificial cheerfulness enables him to behave exactly as he did when he led the life of a student. Already in those days he sought refuge in harmless card-playing, in military marches and other popular pieces, in short on very ordinary things in life; but he never took the initiative to make use of the higher resources, to face his destiny. The old marches coming from his mouth today, the old cheerfulness today, these make a melancholy impression upon me, creating a picture of a man who has been thoroughly left behind. To this was added the confirmation of that which I bitterly perceived: a certain aloofness from the family, not from his lacking of a sense of family belonging, but rather from a lack of ability. When he was still a student and our father was still alive, the father's warnings went unheeded. He also knew nothing about my musical pursuits, though the house was full of them. He no longer remembers the evening on which we left our father in Lemberg after the burial of our eldest brother and, returning to our lodging, shook hands and hugged each other – he doesn't remember our brother, not even his death! {3109} I recall with horror that hour in which I brought him, when he was a medical student, the sad news that our father had died. To me, a world full of trouble came into being, at any rate a new world; he seemed not to be taking any notice, as if even then he had decided once and for all to take no responsibility upon himself for those who remained, at least as far as his share was concerned. To be sure, in later times, under the most difficult pressure of the financial circumstances, he made praiseworthy exceptions to this attitude: from St. Georgen 1 he often sent money; a few times we actually spent the summer with him. All things considered, however, he was unattached to his family and took no further part in its fate, concerned completely and solely with his new relationships. These then also occupied his life; and now these very things threaten to come to an end. The children left home, and the wretched man remained alone. I assume that the housekeeper, in her own interest, is making his life as agreeable as possible; yet Wilhelm is also much too animated and also much too domineering – something inherited from our dear mother – to be comforted by this. His tenderness towards me assumed strange forms: after lunch he insisted that I go to bed and get some rest, although I had no need of it, etc. —

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 It is unclear to which of the many St. Georgen in Austria Schenker is referring.