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OJ 10/1, [21] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated June 30, 1916
Ihr herrlicher Brief 2 war eine Erfrischung u. Aufmunterung für mich. Ich leide jetzt arg an starken seelischen Depressionen, da ich kaum noch mit Hoffnung in die Zukunft sehen kann. Nun kommt die schöne Aussicht auf Wien, die Sie mir mit Bezug auf den „Abend“ geben und es hängt doch alles von {2} einer Sache ab, gegen die wir machtlos sind und die uns eben deshalb langsam aber unerbittlich zermürbt. Denn das Schlimmste sind ja nicht die körperlichen Strapazen – es ist der entsetzliche Druck unter dem Gefühl, dass unsere kostbarsten Jahre verstreichen. Ich kann buchstäblich keine Note schreiben – nun schon seit Jahren. Denn die Jahre vor dem Krieg sind mir auch geraubt worden und ich hatte mich gerade davon erholt. Klavierspielen geht nur absolut stümperhaft. Und da {3} ist man denn gez[w]ungen gewesen, Bücher zu schreiben, auf die man selbst herabsehen muss – bloss um letzten Endes ein paar hundert Mark zu erübrigen, die die Rettung – das Studium bei Ihnen – ermöglichen sollen. – Und doch – ich habe immer wieder freudigen Mut, wenn ich mir vorstelle, es sei Frieden (kommen muss er ja doch!) und ich eilte ohne Aufenthalt nach Wien. Ich fühle so stark, dass es werden muss, dass ich alles ertragen kann. {4} Hoffentlich bleibt Ihnen am 26. Juli der Stern günstig. Ich wünsche es von ganzem Herzen! So hoch wie Herrn Lehars Kompositionen sch schätzt man wohl Ihre Tätigkeit nicht ein? Denn diesen edlen Kulturbringer hat man doch seinerzeit „im Interesse der Kunst“ vom Militärdienst, im Kriege befreit. Es ist eine Lust! Vielleicht schreibe ich Ihnen bald aus Wilna. Ich hoffe, dahin zu kommen, damit ich wenigstens ruhig sitze. Kann ich wohl – wenn ich Zeit zum Schreiben habe – dem „Abend“ einmal etwas schicken? – [written sideways on the left side of the page:] Vielleicht wird es zum Herbst!! © Transcription John Koslovsky, 2012 |
Your wonderful letter 2 was refreshing and cheered me up. I suffer now greatly from severe emotional depression, as I can no longer look toward the future with hope. Now the wonderful prospect comes from Vienna that you give me regarding Der Abend , and it all depends on {2} a situation against which we are powerless and that wears us down slowly but mercilessly. The worst of it all is not the physical strain – it is the horrible pressure which comes from the feeling that our most precious years are passing by. I have not been able to write literally a single note for some years now. The years before the war were also stolen from me and I had just begun to recovery from them. My piano playing is absolutely amateurish. And then {3} one was forced to write books, which one must look down upon – simply at the end to put aside a couple of hundred Marks, saved in order to make possible studies with you. – And nevertheless – I continue to have joyful courage when I imagine it is peacetime (it must come!) and I make haste to Vienna without tarrying elsewhere. I feel so strongly about it, that it must come to pass, that I can bear everything. {4} Let us hope the star remains favorable to you on July 26. I wish this from the bottom of my heart! Does one not value your work as highly as Lehár's compositions? This noble bearer of culture has been exempted from military service in the war "in the interest of art." It is quite a pleasure! Perhaps I will write to you soon from Wilna. I hope to come there, so that at least I am at rest. May I – when I have time to write – send something to Der Abend ? – [written sideways on the left side of the page:] Perhaps it will be in the autumn!! © Translation John Koslovsky, 2012 |
Ihr herrlicher Brief 2 war eine Erfrischung u. Aufmunterung für mich. Ich leide jetzt arg an starken seelischen Depressionen, da ich kaum noch mit Hoffnung in die Zukunft sehen kann. Nun kommt die schöne Aussicht auf Wien, die Sie mir mit Bezug auf den „Abend“ geben und es hängt doch alles von {2} einer Sache ab, gegen die wir machtlos sind und die uns eben deshalb langsam aber unerbittlich zermürbt. Denn das Schlimmste sind ja nicht die körperlichen Strapazen – es ist der entsetzliche Druck unter dem Gefühl, dass unsere kostbarsten Jahre verstreichen. Ich kann buchstäblich keine Note schreiben – nun schon seit Jahren. Denn die Jahre vor dem Krieg sind mir auch geraubt worden und ich hatte mich gerade davon erholt. Klavierspielen geht nur absolut stümperhaft. Und da {3} ist man denn gez[w]ungen gewesen, Bücher zu schreiben, auf die man selbst herabsehen muss – bloss um letzten Endes ein paar hundert Mark zu erübrigen, die die Rettung – das Studium bei Ihnen – ermöglichen sollen. – Und doch – ich habe immer wieder freudigen Mut, wenn ich mir vorstelle, es sei Frieden (kommen muss er ja doch!) und ich eilte ohne Aufenthalt nach Wien. Ich fühle so stark, dass es werden muss, dass ich alles ertragen kann. {4} Hoffentlich bleibt Ihnen am 26. Juli der Stern günstig. Ich wünsche es von ganzem Herzen! So hoch wie Herrn Lehars Kompositionen sch schätzt man wohl Ihre Tätigkeit nicht ein? Denn diesen edlen Kulturbringer hat man doch seinerzeit „im Interesse der Kunst“ vom Militärdienst, im Kriege befreit. Es ist eine Lust! Vielleicht schreibe ich Ihnen bald aus Wilna. Ich hoffe, dahin zu kommen, damit ich wenigstens ruhig sitze. Kann ich wohl – wenn ich Zeit zum Schreiben habe – dem „Abend“ einmal etwas schicken? – [written sideways on the left side of the page:] Vielleicht wird es zum Herbst!! © Transcription John Koslovsky, 2012 |
Your wonderful letter 2 was refreshing and cheered me up. I suffer now greatly from severe emotional depression, as I can no longer look toward the future with hope. Now the wonderful prospect comes from Vienna that you give me regarding Der Abend , and it all depends on {2} a situation against which we are powerless and that wears us down slowly but mercilessly. The worst of it all is not the physical strain – it is the horrible pressure which comes from the feeling that our most precious years are passing by. I have not been able to write literally a single note for some years now. The years before the war were also stolen from me and I had just begun to recovery from them. My piano playing is absolutely amateurish. And then {3} one was forced to write books, which one must look down upon – simply at the end to put aside a couple of hundred Marks, saved in order to make possible studies with you. – And nevertheless – I continue to have joyful courage when I imagine it is peacetime (it must come!) and I make haste to Vienna without tarrying elsewhere. I feel so strongly about it, that it must come to pass, that I can bear everything. {4} Let us hope the star remains favorable to you on July 26. I wish this from the bottom of my heart! Does one not value your work as highly as Lehár's compositions? This noble bearer of culture has been exempted from military service in the war "in the interest of art." It is quite a pleasure! Perhaps I will write to you soon from Wilna. I hope to come there, so that at least I am at rest. May I – when I have time to write – send something to Der Abend ? – [written sideways on the left side of the page:] Perhaps it will be in the autumn!! © Translation John Koslovsky, 2012 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 2/3, p. 322, July 5, 1916: "Von Dahms (Br.): Dank für die eventuelle Zusage des „Abend“." (From Dahms (letter): thanks for the possible promise of Der Abend.").
2 Writing of this letter, which is not known to survive, is recorded in Schenker's
diary at OJ 2/3, p. 299, June 21, 1916: "An Dahms (Br.): Dank für Glückwunsch, Brief u.
Aufsatz; daraus: Nachteile der geistig Arbeitenden: sie müssen den übrigen, in geistiger Arbeit
Nichtversirten u. daher schon von Haus aus wenig Befähigten sowohl mit geistigen Leistungen,
als auch, wie eben im z. B. Kriege selbst mit
physischen Leistungen zuhilfe eilen, während umgekehrt z. B. einem Kaufmann Zwang zur Bildung
sucht
von keiner Regierung
zugemutet wird, selbst nicht im Kriege. Nicht einmal Zwang zur Einsicht in die
Situation oder Not der Mitbürger."
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Commentary
Digital version created: 2012-09-27 |