Rom
via Sardegna 79


Lieber Meister! 1

Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie in Ihrer Arbeit mit einer Anfrage und Bitte störe. Ich schickte am 5.X. an Ihren Herrn Bruder das Subskriptions-Exemplar der „Musik des Südens,“ 2 habe aber bisher noch keine Empfangsbestätigung. Alle anderen versandten Exemplare sind gut angekommen. Nun erinnerte ich Ihren Bruder, etwas beunruhigt, am 1. November; aber auch auch [sic] darauf habe ich noch keinerlei Nachricht erhalten. Sollte etwas passiert sein? Ich bin in Sorge wegen des Wertes. Vielleicht wissen Sie zufällig etwas darüber; ich geniere mich, noch einmal anzufragen ‒ es ist eine so unangenehme Situation für mich ‒ namentlich da ich Sie nun auch noch befragen muss. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, ob etwas und was vorliegt.

Ich war so froh, meine Verhandlungen {2} mit der Deutschen Verlags-Anstalt soweit gefördert zu haben, dass ich auf drei Jahre eine wenn auch kleine so doch feste Raten-Bezahlungen für geleistete, schwebende u. kommende Arbeiten erhalten sollte. Die neuen Ereignisse in Deutschland zerstören nun auch diese Hoffnung. Hier sind wir jetzt im wahren Sinne des Wortes in eine luftige Bodenkammer gedrängt worden, als zweckentsprechend und angemessen, sodass etwa ein Botschafts-Kanzleidiener wie ein Fürst dagegen lebt. Und niemand erblickt etwas Ungewöhnliches oder Auffallendes darin ‒ aber das gehört ja schon wieder in die „Naturgeschichte des Deutschen,“ welches widerliche Kapitel hoffentlich niemals niedergeschrieben werden wird. — Wir jedoch werden nicht nachlassen, weniger der Menschen und am allerwenigstens der deutschen Spiesser, als vielmehr der ewigen Sache wegen.

Von den Vorgängen in Deutschland ‒ welche Qual und Scham für jeden redlichen Menschen! ‒ kann man sich hier kein Bild machen, da man nur auf Zeitungsnachrichten, also auf notorische Zügen angewiesen ist. Der Verrat blüht anscheinend immer noch und stärker noch als 1918; denn für die Verräter „lohnt“ es sich ja immer. In Italien wimmelt es jetzt von deutschen Aasgeiern, Spekulanten, Gewinnlern aller Art, die „abwarten“ wollen. — — Doch genug! Man kann die Darstellungen grosser Philosophen über Staat, Recht, Politik, Gesellschaft etc. lesen und man sieht, dass es keine Lösung all der Fragen gibt. Nur in der Kunstschöpfung gibt es [continued in the left-hand margin, including valediction and signature:] Lösungen, positive, ewige Ergebnisse und so wiegt eben ein Fidelio oder eine Zauberflöte oder H-moll Messe alle Philosophien der Welt auf.


Herzlichste Grüsse allerseits
stets Ihr treuergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2011


Rome
via Sardegna 79


Dear Master, 1

Please excuse me if I disturb you in your work with a question and a request. On October 5 I sent the subscription copy of Musik des Südens 2 to your brother, but I have not yet received an acknowledgement. All other sent copies arrived well. I reminded your brother on November 1, in a somewhat agitated state, but I still have not received any word. Has something happened? I am worried because of its value. Perhaps you know something about it; I feel embarrassed to ask again – it is such an unpleasant situation for me – namely because I also have to make inquires with you. I would be thankful to you if you could tell me whether anything is known.

I was so happy {2} to have advanced my negotiations with the Deutsche Verlags-Anstalt[2] such that I should receive over of the course of three years a fixed (albeit small) payment in installments for completed, provisional and forthcoming works. Recent events in Germany are now destroying even this hope. Here we have now been pushed in the true sense of the word into a single breezy attic room, appropriate and befitting, so that some embassy chancellery may live like a prince by contrast. And no one sees anything unusual or remarkable about it – but that belongs once again to the "Natural History of the Germans," a hideous chapter which will, I hope, never be written. – We however will not degenerate, at least not because of the people and at the very least not because of the German petty bourgeois, but rather more because of the eternal truth.

On the events in Germany – what agony and shame for all honest people! – one cannot construct any picture, since one is dependent solely on the newspaper reports, thus on notorious sources. The treachery thrives seemingly ever stronger than in 1918; for the traitors it always "pays off." Italy is now teeming with German vultures, speculators, and profiteers of all sorts who want to "bide their time." – – But enough! One can read the accounts of the great philosophers on the State, law, politics, society etc. and one sees that there is no answer to all questions. Only in the creation of art are there [continued in the left-hand margin, including valediction and signature:] solutions, positive, eternal results and so even a Fidelio or a Magic Flute or a B-minor Mass counterbalance all the philosophies of the world.


Cordial greetings all round,
ever your truly devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2011


Rom
via Sardegna 79


Lieber Meister! 1

Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie in Ihrer Arbeit mit einer Anfrage und Bitte störe. Ich schickte am 5.X. an Ihren Herrn Bruder das Subskriptions-Exemplar der „Musik des Südens,“ 2 habe aber bisher noch keine Empfangsbestätigung. Alle anderen versandten Exemplare sind gut angekommen. Nun erinnerte ich Ihren Bruder, etwas beunruhigt, am 1. November; aber auch auch [sic] darauf habe ich noch keinerlei Nachricht erhalten. Sollte etwas passiert sein? Ich bin in Sorge wegen des Wertes. Vielleicht wissen Sie zufällig etwas darüber; ich geniere mich, noch einmal anzufragen ‒ es ist eine so unangenehme Situation für mich ‒ namentlich da ich Sie nun auch noch befragen muss. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, ob etwas und was vorliegt.

Ich war so froh, meine Verhandlungen {2} mit der Deutschen Verlags-Anstalt soweit gefördert zu haben, dass ich auf drei Jahre eine wenn auch kleine so doch feste Raten-Bezahlungen für geleistete, schwebende u. kommende Arbeiten erhalten sollte. Die neuen Ereignisse in Deutschland zerstören nun auch diese Hoffnung. Hier sind wir jetzt im wahren Sinne des Wortes in eine luftige Bodenkammer gedrängt worden, als zweckentsprechend und angemessen, sodass etwa ein Botschafts-Kanzleidiener wie ein Fürst dagegen lebt. Und niemand erblickt etwas Ungewöhnliches oder Auffallendes darin ‒ aber das gehört ja schon wieder in die „Naturgeschichte des Deutschen,“ welches widerliche Kapitel hoffentlich niemals niedergeschrieben werden wird. — Wir jedoch werden nicht nachlassen, weniger der Menschen und am allerwenigstens der deutschen Spiesser, als vielmehr der ewigen Sache wegen.

Von den Vorgängen in Deutschland ‒ welche Qual und Scham für jeden redlichen Menschen! ‒ kann man sich hier kein Bild machen, da man nur auf Zeitungsnachrichten, also auf notorische Zügen angewiesen ist. Der Verrat blüht anscheinend immer noch und stärker noch als 1918; denn für die Verräter „lohnt“ es sich ja immer. In Italien wimmelt es jetzt von deutschen Aasgeiern, Spekulanten, Gewinnlern aller Art, die „abwarten“ wollen. — — Doch genug! Man kann die Darstellungen grosser Philosophen über Staat, Recht, Politik, Gesellschaft etc. lesen und man sieht, dass es keine Lösung all der Fragen gibt. Nur in der Kunstschöpfung gibt es [continued in the left-hand margin, including valediction and signature:] Lösungen, positive, ewige Ergebnisse und so wiegt eben ein Fidelio oder eine Zauberflöte oder H-moll Messe alle Philosophien der Welt auf.


Herzlichste Grüsse allerseits
stets Ihr treuergebener
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2011


Rome
via Sardegna 79


Dear Master, 1

Please excuse me if I disturb you in your work with a question and a request. On October 5 I sent the subscription copy of Musik des Südens 2 to your brother, but I have not yet received an acknowledgement. All other sent copies arrived well. I reminded your brother on November 1, in a somewhat agitated state, but I still have not received any word. Has something happened? I am worried because of its value. Perhaps you know something about it; I feel embarrassed to ask again – it is such an unpleasant situation for me – namely because I also have to make inquires with you. I would be thankful to you if you could tell me whether anything is known.

I was so happy {2} to have advanced my negotiations with the Deutsche Verlags-Anstalt[2] such that I should receive over of the course of three years a fixed (albeit small) payment in installments for completed, provisional and forthcoming works. Recent events in Germany are now destroying even this hope. Here we have now been pushed in the true sense of the word into a single breezy attic room, appropriate and befitting, so that some embassy chancellery may live like a prince by contrast. And no one sees anything unusual or remarkable about it – but that belongs once again to the "Natural History of the Germans," a hideous chapter which will, I hope, never be written. – We however will not degenerate, at least not because of the people and at the very least not because of the German petty bourgeois, but rather more because of the eternal truth.

On the events in Germany – what agony and shame for all honest people! – one cannot construct any picture, since one is dependent solely on the newspaper reports, thus on notorious sources. The treachery thrives seemingly ever stronger than in 1918; for the traitors it always "pays off." Italy is now teeming with German vultures, speculators, and profiteers of all sorts who want to "bide their time." – – But enough! One can read the accounts of the great philosophers on the State, law, politics, society etc. and one sees that there is no answer to all questions. Only in the creation of art are there [continued in the left-hand margin, including valediction and signature:] solutions, positive, eternal results and so even a Fidelio or a Magic Flute or a B-minor Mass counterbalance all the philosophies of the world.


Cordial greetings all round,
ever your truly devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2011

Footnotes

1 Receipt of this letter and OJ 10/1, [81] is recorded in Schenker's diary at OJ 3/5, p. 2600, November 22, 1923: "Von Dahms (zwei Briefe): ersucht mich, Mozio an die Zahlung zu erinnern [...]" ("From Dahms (two letters): asks me to remind Mozio about the payment [...]"). Date of writing has been editorially inferred on the basis of the opening remark of OJ 10/1, [81] from other internal evidence and the common arrival date.

2 De-luxe edition of Dahms, Musik des Südens (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1923), of which only 100 copies were printed. The actual date of the shipment (according to the date of the letter to Moriz Schenker) is October 6.