{38} Freitag 27. 12.

[—] [final version only] Briefwechsel Brahm [sic] ’s Bd. III u. IV. 1 Erster flüchtiger Einblick. Bd. III, S.164 höchst lehrreich in jedem Betracht. Rudorff versteht den Tadel Brahms ’ selbst nach so vielen Jahren noch immer nicht, u. doziert ‒ Kompositionslehre! Welches traurige Schicksal das eines Brahms ’ inmitten so wenig aus- u. begreifender Freunde u. Künstler! Desto mehr der schöne Zug bis Brahms zu schätzen, zu bewundern, daß er gleichwohl Niemandem sein Urteil versagte, obgleich er denn aus ältester Erfahrung wissen müßte, daß es in keiner Hinsicht den Fragenden zu fördern, u. höchstens nur Stoff für einen obendrein schlecht recapitulierte Erinnerung abzugeben vermag! Und welche Undankbarkeit nun erst seitens der Welt, die ihn stets der Unfreundlichkeit, der Unwahrhaftigkeit zieh[t], blos weil er, nach bitteren Erfahrungen, endlich es aufgeben mußte, den Fehlenden sozusagen am Rande des Fehlers davon zu überzeugen, daß er eben gefehlt hätte!

{55} a [undated] Die da seufzen u. sagen: „Armer, ärmster Mozart!“ glauben schon damit allein verständnisvollste Teilnahme für Menschenschicksal, für das traurige Schicksal eines Genies auszudrücken, u. schmeicheln sich außerdem, daß es ebenso schön zugleich auch von ihrem wahren Kunstverständnis zeuge, ‒ wo leider beides, Mitgefühl wie Kunstverständnis in Wahrheit doch nur ein billiger Betrug ihrer Seelen. 2

*

[undated] An der Stelle, wo einst das Haus gestanden, in dem Brahms gestorben (Karlsgasse 4).

Heilig pflegt den Menschen die Stätte zu sein, an der ein Fürst, ein König gestorben; mit unverdienten Ehren überhäufen sie so die Leiche ‒ einer Leiche! Nur wo ein Brahms, ein wahrer Fürst u. König der Nation wirkte u. starb, dieses Haus bedeutet der Menschheit nur ein Zinshaus, das der ersten, besten, obendrein eingebildeten Anforderung des Verkehrs reichen muß! 3

*

[[In left margin: ?, overwritten nach 1907]] A. Dvořak fragte einmal die Schüler seiner Kompositionsklasse, wie sie ein Basstremolo instrumentieren würden. „Im Fagott“ meinte der Eine; „im Cello“ meinte ein Anderer. Ein dritter stammelte schüchtern hervor: „Ich glaube ‒ Timpani! „Was, rief A. Dvořak, eine Virginier rauchen u. Mädel ausführen, das triffst du, aber da, ‒ da glaubst du, daß es Timpani sein müssen? O, nein, das müssen doch Timpani sein.“ (N. Revue No. 4, erzählt v. R. Batka). 4

*

Mundgerecht ‒ Hirngerecht.

*

{56} 1907 L. Thuille † Als der Aermste Noten schrieb, hielt man ihn für einen „neudeutschen“ Tonsetzer, einen „Fortschrittler“, „Vorkämpfer“, – warum? man wußte es nicht; man ernannte ihn dann zum Mitglied der Kgl. Akademie der Künste in Berlin — warum? man wußte es wieder nicht; nun da er starb hinterließ er ein theoretisches Werk (Harmonielehre mit R. Louis), u. nun wußte man plötzlich, daß er als Theoretiker besser denn als Komponist gewesen, warum? man wußte es wieder nicht. O! armer Thuille [:] ich allein, weiß die Wahrheit, doch wozu dich damit kränken - - - - 5

*

© Transcription Ian Bent, 2017

Friday, December 27

[—] [final version only] Brahms's correspondence, volumes 2 and 3. 1 First quick glance through. Volume 3, p. 164 highly instructive in every regard. Rudorff still does not, after so many years, understand Brahms's rebuke, and pontificates ‒ composition theory! What a sorry fate is that of a Brahms, in the midst of so few friends and artists who understood or reached out to him! All the better to treasure the lovely pull toward Brahms and to marvel that he nevertheless refused no one his opinion, even though he must, from age-old experience, have known that it could in no way benefit the inquirer and could at most offer only stuff for a reminiscence ‒ what's more, incorrectly retold! And what ingratitude now on the part of the world, which accuses him of unfriendliness and untruthfulness merely because, after bitter experiences, he finally had to abandon trying to convince the errant one, so to speak, on the periphery of the error, that he had just been wrong.

{55} a [undated] Those who sigh and say "Poor, poor dear Mozart!" believe that in so doing they alone are expressing their intuitive sympathy for human fate, for the sad fate of a genius. They flatter themselves moreover that saying so bears witness at the same time just as eloquently to their true understanding of art, whereas sadly both ‒ compassion and understanding of art ‒ are in truth no more than a cheap betrayal of what is in their minds. 2

*

[undated] At the place where once the house stood in which Brahms died (Karlsgasse 4).

To men, the place where a prince or king has died is held to be sacred. In this way they shower the corpse ‒ of a corpse! ‒ with undeserved honors. Only where a Brahms, a true prince or king of the nation, worked and died, this house means nothing more to mankind than a rental house that must meet the very best, and in addition inflated demands of the trade! 3

*

[[In left margin: ?, overwritten belongs to 1907] Antonín Dvořák once asked the pupils in his composition class how they would orchestrate a bass tremolo. "In the bassoon," thought one; "in the cello," thought another. A third stammered shyly "I think ‒ timpani!" "What," cried Dvořák, "you smoke a Virginian cigar and go out with girls and yet you only believe it ought be timpani? Oh, no: it can only be timpani." (Neue Revue, no. 4, related by Richard Batka). 4

*

Prepared for consumption ‒ prepared for comprehension.

*

{56} 1907 L. Thuille is dead. While the poor man wrote music, he was considered a "new-German" composer, a "progressive," a "pioneer." ‒ why? Nobody had any idea. He was nominated as a member of the Berlin Royal Academy of Arts ‒ why? Again, nobody had any idea. Now that he has died, he left behind a theoretical work (Theory of Harmony, with Rudolf Louis), and now people suddenly knew that he had been better as a theorist than as a composer — why? Again, nobody had the faintest idea. Oh! poor Thuille: I alone know the truth, I alone really know why you are so hurt by this - - - - 5

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© Translation Ian Bent, 2017

{38} Freitag 27. 12.

[—] [final version only] Briefwechsel Brahm [sic] ’s Bd. III u. IV. 1 Erster flüchtiger Einblick. Bd. III, S.164 höchst lehrreich in jedem Betracht. Rudorff versteht den Tadel Brahms ’ selbst nach so vielen Jahren noch immer nicht, u. doziert ‒ Kompositionslehre! Welches traurige Schicksal das eines Brahms ’ inmitten so wenig aus- u. begreifender Freunde u. Künstler! Desto mehr der schöne Zug bis Brahms zu schätzen, zu bewundern, daß er gleichwohl Niemandem sein Urteil versagte, obgleich er denn aus ältester Erfahrung wissen müßte, daß es in keiner Hinsicht den Fragenden zu fördern, u. höchstens nur Stoff für einen obendrein schlecht recapitulierte Erinnerung abzugeben vermag! Und welche Undankbarkeit nun erst seitens der Welt, die ihn stets der Unfreundlichkeit, der Unwahrhaftigkeit zieh[t], blos weil er, nach bitteren Erfahrungen, endlich es aufgeben mußte, den Fehlenden sozusagen am Rande des Fehlers davon zu überzeugen, daß er eben gefehlt hätte!

{55} a [undated] Die da seufzen u. sagen: „Armer, ärmster Mozart!“ glauben schon damit allein verständnisvollste Teilnahme für Menschenschicksal, für das traurige Schicksal eines Genies auszudrücken, u. schmeicheln sich außerdem, daß es ebenso schön zugleich auch von ihrem wahren Kunstverständnis zeuge, ‒ wo leider beides, Mitgefühl wie Kunstverständnis in Wahrheit doch nur ein billiger Betrug ihrer Seelen. 2

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[undated] An der Stelle, wo einst das Haus gestanden, in dem Brahms gestorben (Karlsgasse 4).

Heilig pflegt den Menschen die Stätte zu sein, an der ein Fürst, ein König gestorben; mit unverdienten Ehren überhäufen sie so die Leiche ‒ einer Leiche! Nur wo ein Brahms, ein wahrer Fürst u. König der Nation wirkte u. starb, dieses Haus bedeutet der Menschheit nur ein Zinshaus, das der ersten, besten, obendrein eingebildeten Anforderung des Verkehrs reichen muß! 3

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[[In left margin: ?, overwritten nach 1907]] A. Dvořak fragte einmal die Schüler seiner Kompositionsklasse, wie sie ein Basstremolo instrumentieren würden. „Im Fagott“ meinte der Eine; „im Cello“ meinte ein Anderer. Ein dritter stammelte schüchtern hervor: „Ich glaube ‒ Timpani! „Was, rief A. Dvořak, eine Virginier rauchen u. Mädel ausführen, das triffst du, aber da, ‒ da glaubst du, daß es Timpani sein müssen? O, nein, das müssen doch Timpani sein.“ (N. Revue No. 4, erzählt v. R. Batka). 4

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Mundgerecht ‒ Hirngerecht.

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{56} 1907 L. Thuille † Als der Aermste Noten schrieb, hielt man ihn für einen „neudeutschen“ Tonsetzer, einen „Fortschrittler“, „Vorkämpfer“, – warum? man wußte es nicht; man ernannte ihn dann zum Mitglied der Kgl. Akademie der Künste in Berlin — warum? man wußte es wieder nicht; nun da er starb hinterließ er ein theoretisches Werk (Harmonielehre mit R. Louis), u. nun wußte man plötzlich, daß er als Theoretiker besser denn als Komponist gewesen, warum? man wußte es wieder nicht. O! armer Thuille [:] ich allein, weiß die Wahrheit, doch wozu dich damit kränken - - - - 5

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© Transcription Ian Bent, 2017

Friday, December 27

[—] [final version only] Brahms's correspondence, volumes 2 and 3. 1 First quick glance through. Volume 3, p. 164 highly instructive in every regard. Rudorff still does not, after so many years, understand Brahms's rebuke, and pontificates ‒ composition theory! What a sorry fate is that of a Brahms, in the midst of so few friends and artists who understood or reached out to him! All the better to treasure the lovely pull toward Brahms and to marvel that he nevertheless refused no one his opinion, even though he must, from age-old experience, have known that it could in no way benefit the inquirer and could at most offer only stuff for a reminiscence ‒ what's more, incorrectly retold! And what ingratitude now on the part of the world, which accuses him of unfriendliness and untruthfulness merely because, after bitter experiences, he finally had to abandon trying to convince the errant one, so to speak, on the periphery of the error, that he had just been wrong.

{55} a [undated] Those who sigh and say "Poor, poor dear Mozart!" believe that in so doing they alone are expressing their intuitive sympathy for human fate, for the sad fate of a genius. They flatter themselves moreover that saying so bears witness at the same time just as eloquently to their true understanding of art, whereas sadly both ‒ compassion and understanding of art ‒ are in truth no more than a cheap betrayal of what is in their minds. 2

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[undated] At the place where once the house stood in which Brahms died (Karlsgasse 4).

To men, the place where a prince or king has died is held to be sacred. In this way they shower the corpse ‒ of a corpse! ‒ with undeserved honors. Only where a Brahms, a true prince or king of the nation, worked and died, this house means nothing more to mankind than a rental house that must meet the very best, and in addition inflated demands of the trade! 3

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[[In left margin: ?, overwritten belongs to 1907] Antonín Dvořák once asked the pupils in his composition class how they would orchestrate a bass tremolo. "In the bassoon," thought one; "in the cello," thought another. A third stammered shyly "I think ‒ timpani!" "What," cried Dvořák, "you smoke a Virginian cigar and go out with girls and yet you only believe it ought be timpani? Oh, no: it can only be timpani." (Neue Revue, no. 4, related by Richard Batka). 4

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Prepared for consumption ‒ prepared for comprehension.

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{56} 1907 L. Thuille is dead. While the poor man wrote music, he was considered a "new-German" composer, a "progressive," a "pioneer." ‒ why? Nobody had any idea. He was nominated as a member of the Berlin Royal Academy of Arts ‒ why? Again, nobody had any idea. Now that he has died, he left behind a theoretical work (Theory of Harmony, with Rudolf Louis), and now people suddenly knew that he had been better as a theorist than as a composer — why? Again, nobody had the faintest idea. Oh! poor Thuille: I alone know the truth, I alone really know why you are so hurt by this - - - - 5

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© Translation Ian Bent, 2017

Footnotes

1 Johannes Brahms: Briefwechsel, 16 vols (Berlin, 1907‒22). Volumes 3 and 4 contain his correspondence with Ernst Rudorff and eight others. Volume 3, pp. 164‒67 presents a letter from Rudorff dated October 22, 1877 concerning possible errors in the autograph of Chopin's Ballade No. 2, to which Brahms, in his reply of November 1 on pp. 167‒69, opines: "I very much wish [...] that we would not try to improve Chopin's orthography! It would be only a short step from there to interfering with the very music itself." ("Sehr wünsche ich, [...] daß wir nicht versuchen, Chopins Orthographie verbessern zu wollen! Es wäre ein kleiner Schritt, auch seinen Satz anzugreifen."). To this, in his response of November 10, on pp. 170‒71, Rudorff rhapsodizes over Brahms's First Symphony.

2 An earlier version of this essay in Heinrich's hand appears in Series B on p. 21a, heavily edited by Schenker himself. The present version is a fair copy by Jeanette, incorporating his revisions.

3 An earlier version of this essay in Heinrich's hand appears in Series B on p. 21a, heavily edited by Schenker himself. The present version is a fair copy by Jeanette, incorporating Heinrich's revisions.

4 An earlier version of this essay in Heinrich's hand appears in Series B on p. 21b, heavily edited by Schenker himself. The present version is a fair copy by Jeanette, incorporating Heinrich's revisions.

5 Ludwig Thuille died on February 5, 1907, and obituaries appeared in the press from February 6 onward. An earlier version of Schenker's entry in Heinrich's own hand appears in Series B on p. 11b, edited by Schenker himself. The present version is a fair copy by Jeanette, incorporating Heinrich's revisions.