Ser. A, {163} par
23. 8.

Nachmittags die Straße hinabwandernd erblicken wir eine schreckliche Folge des gestrigen Unwetters: unfern vom Dorfe breitet sich eine gewaltige Moräne 1 aus, die der Ortler von seinem Leibe geschüttelt. Schon waren einige wenige Arbeiter damit beschäftigt, mindestens die Straße freizumachen u. von ihnen erfuhren wir erst, daß an weiteren, tiefer gelegenen Punkten der Straße ähnliche Moränen niedergegangen u. daß sogar die Brücke unweit von Laganda dem Elemente zum Opfer gefallen, wodurch aller Verkehr eingestellt werden müßte. 2

Wir giengen nun die Straße weiter hinab u. was wir da sahen übertraf alles, was unsere Vorstellung bis dahin gefaßt hat, ob sie einer fremden Schilderung zu folgen oder blos aus dem Begriff selbst zu formen hatte. An mehreren Stellen war die Straße wie entzweigerissen u. an einer Stelle türmte sich die Moräne wohl 2 Meter hoch über das Straßenniveau bei einer Breite von etwa 8 Metern. Daß den ganzen Weg entlang Schlamm u. Gerölle den Boden bedeckten, mag nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden ‒ doch allen Anblick von Zerstörung, die immerhin ihr Ziel in den zur Ruhe gekommenen Moränen gefunden, überbot das schauerliche Bild des Suldenbaches, der, Kronzeuge des nächtlichen Unglücks, noch bis zur Stunde das Zerstörungswerk auf seine eignen Kraft hin fortsetzte. Er allein blieb von jenen Kräften noch lebendig ‒ tätig übrig, die während der verhängnisvollen Nacht spielend die schwersten Granitblöcke in Bewegung setzten. Angesichts dieses furchtbaren Werkes der Natur, fanden wir nachträglich die Erklärung für den schauerlich wüsten Lärm, der die gewitterschwere Nacht erfüllte. Schon waren mehrere andere Sommergäste zusammengeströmt, {164} par um gleich uns die Verwüstung zu überblicken.

Nun fiel uns erst auf, wie wenig Arbeitskräfte bei der Wegräumung der Moränen tätig waren, die eine so schwere Aufgabe vorstellte u. noch mehr wunderten wir uns darüber, daß die Dorfbewohner weder über das Unglück in Aufregung versetzt wurden, noch auch es der Mühe wert fanden ihren Gästen näheres davon zu erzählen, geschweige denn selbst an Ort u. Stelle Hand anzulegen. Vorwiegend war es nämlich Militär, das die große Arbeit zu bewältigen suchte. Es ward uns sofort klar, daß die Fremdenindustrie des Dorfes ihre tief demoralisierende Wirkung, fast wie Alkohol, bereits geübt hat. Einzig nur mehr darauf bedacht, wie man am höchsten den Fremden bewuchern kann, dem man völlig mühelos Speise u. Trank verabreicht, verloren sie im Laufe der Zeit jegliche Lust zu angestrengter persönlicher Leistung. Aus Erkundigungen, die wir später hier u. dort gezogen, erfuhren wir dann in der Tat, daß die Führer (hier nebst den Hoteliers die eigentliche Bevölkerung) selbst nicht einmal den Dünger ausführen, was doch sonst überall die Haupttätigkeit des Bauers bildet, wie denn überhaupt die Katastrophe die niedrige Moral des durch die Fremdenindustrie demoralisierten Dorfes uns aller Orten enthüllte. So erfuhren wir z.B. daß die Straße nur deshalb nicht am Abhang des völlig ungefährlichen Schöneckberges 3 geführt wurde, weil der Herr Kurat Eller es kraft seiner Würde durchzusetzen vermochte, daß sie just an dem Hotel seiner Schwester vorbeiführe, was aber zur Voraussetzung hatte, daß sie auf dem so gefährlichen moränenreichen Ortlerabhang gebaut wurde!

Noch regnet es in Strömen fort, was uns schon wegen der Abreisemöglichkeit nicht geringe Besorgnis einflößt. —

*

{165} par
[Owing to their incomplete beginning, the following five aphorisms could be dated August 23, 24, or 25.]
[lacks beginning] fatal beim Liberalismus, der neuerdings in Europa zu Ehren gekommen, daß er Intelligenz ‒ schwitzt! O, die Intelligenz des Liberalismus!

*

Orchesterkutscher — Klavierjockey's — Musikkellner

*

Transpositionen. „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein umso mehr“, (Busch) 4 läßt sich wohl auch auf geistige Erzeugnisse anwenden. Das geistige Kind zur Reife bringen u.s.w.
„Geistige Fernfahrt“ (auch Zeppelins Fernfahrten) . . „geistige Fernfahrt“

*

Menschheit meist-fluides Affentum . . .

*

Fux zu Karl VI: „Bravo, bravissimo! Eure Majestät könnten wahrhaftig meine Stelle als Kapellmeister vertreten!“ „„Ich danke ihm, l. Kap. Fux, für die gute Meinung, aber ich bin mit meiner Stelle ganz zufrieden!““ Heute unmöglich . . 5

[Jeanette Kornfeld's hand:]*

© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {163} par
August 23

In the afternoon, while walking down the street, we spot a grave consequence of yesterday's bad weather: not far from the village a mighty moraine 1 has expanded and has forced the Ortler out of its normal path. Already, a few workmen were busy with at least clearing the road, and from them we gathered first that at further, deeper-set points the road has been blocked by similar moraines, and that even the bridge not far from Laganda has succumbed to the elements, as a result of which all traffic has had to be halted. 2

We then walked further down the road and what we saw there exceeded all that our imagination had grasped up to then, whether following another's description or assessing the situation for ourselves. At several points the road seemed to be cut in two, and at one point the moraine was heaped up above the level of the road to a height of two meters over a breadth of some eight meters. For completeness' sake, I should just mention that along the entire route mud and debris covered the road surface. But what outdid the sight of all this destruction ‒ which at least ended its work when the moraines came to rest ‒ was the ghastly sight of the Sulden Brook, chief witness of the nocturnal misfortune, perpetuating the destructive work under its own force. It was the only one of those forces, which set the heaviest blocks of granite in motion during that fateful night, still functional ‒ still active. At the sight of Nature's fearful work we subsequently found the explanation for the hideously desolate noise that had filled the storm-torn night. Already many other summer guests had flocked together {164} par to survey, like us, the scene of devastation.

Now for the first time it struck us how few workers were active in clearing the moraines, which presented such an onerous task; and we were even more amazed that the villagers neither showed alarm at the misfortune nor even thought it worth giving out information to their guests about it, apart from themselves lending a helping hand on the spot. It was predominantly the military who sought to cope with the enormous task. Immediately clear to us was that the tourist industry of the village had already exerted a deeply demoralising effect, almost like alcohol. Their minds concerned only with how to the fullest extent people can defraud the tourist, to whom they administer food and drink completely without effort; over the course of time they lost any desire for strenuous personal accomplishment. From subsequent inquiries made here and there, we learned that the leaders (here, along with the hoteliers, the native population) never in fact themselves spread manure, which everywhere else constitutes the main activity of the farmer, as the catastrophe generally exposed to us in all the places we went the low morale of the despondent village brought on by the tourist industry. Thus we learned, for example, that the reason why the road was built not on the slope of the perfectly safe Schöneckberg 3 but on the much more perilous, moraine-covered Ortler slope, was solely due to the social standing of the curate, Mr. Eller, who was able to insure that it passed right beside his sister's hotel!

It is still raining in torrents. This arouses in us no small anxiety with respect to the possibilities for our departure. —

*

{165} par
[Owing to their incomplete beginning, the following five aphorisms could be dated August 23, 24, or 25.]
[lacks beginning] fatal in the case of liberalism, which has recently come back into favor, that it exudes intelligence! Oh, the intelligence of liberalism!

*

Orchestra coachmen — Piano jockeys — Music waiters.

*

Transpositions. "To become a father isn't difficult, To be a father is even more so," (Busch) 4 can be applied equally well, also, to intellectual products. To bring the intelligent child to maturity, etc.
"Intellectual long-distance travel" (also Zeppelin's long-distance travel) . . "intellectual long-distance travel"

*

Humanity most-fluid apedom . . .

*

Fux to Karl VI: „Bravo, bravissimo! Your Majesty could truly replace me in my position as Director of Music!" "'I thank you, dear Director of Music Fux, for your good opinion, but I am fully content with my position!'." Impossible today . . 5

[Jeanette Kornfeld's hand:]*

© Translation Ian Bent, 2019

Ser. A, {163} par
23. 8.

Nachmittags die Straße hinabwandernd erblicken wir eine schreckliche Folge des gestrigen Unwetters: unfern vom Dorfe breitet sich eine gewaltige Moräne 1 aus, die der Ortler von seinem Leibe geschüttelt. Schon waren einige wenige Arbeiter damit beschäftigt, mindestens die Straße freizumachen u. von ihnen erfuhren wir erst, daß an weiteren, tiefer gelegenen Punkten der Straße ähnliche Moränen niedergegangen u. daß sogar die Brücke unweit von Laganda dem Elemente zum Opfer gefallen, wodurch aller Verkehr eingestellt werden müßte. 2

Wir giengen nun die Straße weiter hinab u. was wir da sahen übertraf alles, was unsere Vorstellung bis dahin gefaßt hat, ob sie einer fremden Schilderung zu folgen oder blos aus dem Begriff selbst zu formen hatte. An mehreren Stellen war die Straße wie entzweigerissen u. an einer Stelle türmte sich die Moräne wohl 2 Meter hoch über das Straßenniveau bei einer Breite von etwa 8 Metern. Daß den ganzen Weg entlang Schlamm u. Gerölle den Boden bedeckten, mag nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden ‒ doch allen Anblick von Zerstörung, die immerhin ihr Ziel in den zur Ruhe gekommenen Moränen gefunden, überbot das schauerliche Bild des Suldenbaches, der, Kronzeuge des nächtlichen Unglücks, noch bis zur Stunde das Zerstörungswerk auf seine eignen Kraft hin fortsetzte. Er allein blieb von jenen Kräften noch lebendig ‒ tätig übrig, die während der verhängnisvollen Nacht spielend die schwersten Granitblöcke in Bewegung setzten. Angesichts dieses furchtbaren Werkes der Natur, fanden wir nachträglich die Erklärung für den schauerlich wüsten Lärm, der die gewitterschwere Nacht erfüllte. Schon waren mehrere andere Sommergäste zusammengeströmt, {164} par um gleich uns die Verwüstung zu überblicken.

Nun fiel uns erst auf, wie wenig Arbeitskräfte bei der Wegräumung der Moränen tätig waren, die eine so schwere Aufgabe vorstellte u. noch mehr wunderten wir uns darüber, daß die Dorfbewohner weder über das Unglück in Aufregung versetzt wurden, noch auch es der Mühe wert fanden ihren Gästen näheres davon zu erzählen, geschweige denn selbst an Ort u. Stelle Hand anzulegen. Vorwiegend war es nämlich Militär, das die große Arbeit zu bewältigen suchte. Es ward uns sofort klar, daß die Fremdenindustrie des Dorfes ihre tief demoralisierende Wirkung, fast wie Alkohol, bereits geübt hat. Einzig nur mehr darauf bedacht, wie man am höchsten den Fremden bewuchern kann, dem man völlig mühelos Speise u. Trank verabreicht, verloren sie im Laufe der Zeit jegliche Lust zu angestrengter persönlicher Leistung. Aus Erkundigungen, die wir später hier u. dort gezogen, erfuhren wir dann in der Tat, daß die Führer (hier nebst den Hoteliers die eigentliche Bevölkerung) selbst nicht einmal den Dünger ausführen, was doch sonst überall die Haupttätigkeit des Bauers bildet, wie denn überhaupt die Katastrophe die niedrige Moral des durch die Fremdenindustrie demoralisierten Dorfes uns aller Orten enthüllte. So erfuhren wir z.B. daß die Straße nur deshalb nicht am Abhang des völlig ungefährlichen Schöneckberges 3 geführt wurde, weil der Herr Kurat Eller es kraft seiner Würde durchzusetzen vermochte, daß sie just an dem Hotel seiner Schwester vorbeiführe, was aber zur Voraussetzung hatte, daß sie auf dem so gefährlichen moränenreichen Ortlerabhang gebaut wurde!

Noch regnet es in Strömen fort, was uns schon wegen der Abreisemöglichkeit nicht geringe Besorgnis einflößt. —

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{165} par
[Owing to their incomplete beginning, the following five aphorisms could be dated August 23, 24, or 25.]
[lacks beginning] fatal beim Liberalismus, der neuerdings in Europa zu Ehren gekommen, daß er Intelligenz ‒ schwitzt! O, die Intelligenz des Liberalismus!

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Orchesterkutscher — Klavierjockey's — Musikkellner

*

Transpositionen. „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein umso mehr“, (Busch) 4 läßt sich wohl auch auf geistige Erzeugnisse anwenden. Das geistige Kind zur Reife bringen u.s.w.
„Geistige Fernfahrt“ (auch Zeppelins Fernfahrten) . . „geistige Fernfahrt“

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Menschheit meist-fluides Affentum . . .

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Fux zu Karl VI: „Bravo, bravissimo! Eure Majestät könnten wahrhaftig meine Stelle als Kapellmeister vertreten!“ „„Ich danke ihm, l. Kap. Fux, für die gute Meinung, aber ich bin mit meiner Stelle ganz zufrieden!““ Heute unmöglich . . 5

[Jeanette Kornfeld's hand:]*

© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {163} par
August 23

In the afternoon, while walking down the street, we spot a grave consequence of yesterday's bad weather: not far from the village a mighty moraine 1 has expanded and has forced the Ortler out of its normal path. Already, a few workmen were busy with at least clearing the road, and from them we gathered first that at further, deeper-set points the road has been blocked by similar moraines, and that even the bridge not far from Laganda has succumbed to the elements, as a result of which all traffic has had to be halted. 2

We then walked further down the road and what we saw there exceeded all that our imagination had grasped up to then, whether following another's description or assessing the situation for ourselves. At several points the road seemed to be cut in two, and at one point the moraine was heaped up above the level of the road to a height of two meters over a breadth of some eight meters. For completeness' sake, I should just mention that along the entire route mud and debris covered the road surface. But what outdid the sight of all this destruction ‒ which at least ended its work when the moraines came to rest ‒ was the ghastly sight of the Sulden Brook, chief witness of the nocturnal misfortune, perpetuating the destructive work under its own force. It was the only one of those forces, which set the heaviest blocks of granite in motion during that fateful night, still functional ‒ still active. At the sight of Nature's fearful work we subsequently found the explanation for the hideously desolate noise that had filled the storm-torn night. Already many other summer guests had flocked together {164} par to survey, like us, the scene of devastation.

Now for the first time it struck us how few workers were active in clearing the moraines, which presented such an onerous task; and we were even more amazed that the villagers neither showed alarm at the misfortune nor even thought it worth giving out information to their guests about it, apart from themselves lending a helping hand on the spot. It was predominantly the military who sought to cope with the enormous task. Immediately clear to us was that the tourist industry of the village had already exerted a deeply demoralising effect, almost like alcohol. Their minds concerned only with how to the fullest extent people can defraud the tourist, to whom they administer food and drink completely without effort; over the course of time they lost any desire for strenuous personal accomplishment. From subsequent inquiries made here and there, we learned that the leaders (here, along with the hoteliers, the native population) never in fact themselves spread manure, which everywhere else constitutes the main activity of the farmer, as the catastrophe generally exposed to us in all the places we went the low morale of the despondent village brought on by the tourist industry. Thus we learned, for example, that the reason why the road was built not on the slope of the perfectly safe Schöneckberg 3 but on the much more perilous, moraine-covered Ortler slope, was solely due to the social standing of the curate, Mr. Eller, who was able to insure that it passed right beside his sister's hotel!

It is still raining in torrents. This arouses in us no small anxiety with respect to the possibilities for our departure. —

*

{165} par
[Owing to their incomplete beginning, the following five aphorisms could be dated August 23, 24, or 25.]
[lacks beginning] fatal in the case of liberalism, which has recently come back into favor, that it exudes intelligence! Oh, the intelligence of liberalism!

*

Orchestra coachmen — Piano jockeys — Music waiters.

*

Transpositions. "To become a father isn't difficult, To be a father is even more so," (Busch) 4 can be applied equally well, also, to intellectual products. To bring the intelligent child to maturity, etc.
"Intellectual long-distance travel" (also Zeppelin's long-distance travel) . . "intellectual long-distance travel"

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Humanity most-fluid apedom . . .

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Fux to Karl VI: „Bravo, bravissimo! Your Majesty could truly replace me in my position as Director of Music!" "'I thank you, dear Director of Music Fux, for your good opinion, but I am fully content with my position!'." Impossible today . . 5

[Jeanette Kornfeld's hand:]*

© Translation Ian Bent, 2019

Footnotes

1 moraine: a mass of rocks, scree, and sediment carried down and deposited by a glacier.

2 No paragraph-break in source.

3 Schöneckberg: 3,128m. peak on the rim of the Sulden Valley; offers magnificent views of the Ortler Alps.

4 Aphorism attributed to the German humorist, poet, illustrator, and journalist Wilhelm Busch (1832‒1908).

5 The anecdote is told of other musicians as well. In this telling, it occurred in 1725 while the Empress Maria Theresia, aged 6, was singing an opera by Fux in a family gathering at home, and Emperor Karl was playing the harpsichord "with especial insight and skill," while Fux turned the pages for him. At one point he exclaimed: „Euer Majestät könnten wahrhaftig meine Stelle als Kapellmeister vertreten.“ Der Kaiser wendete sich um und sagte lächelnd: „Ich danke, mein lieber Kapellmeister, für die gute Meinung, aber ich bin mit meiner gegenwärtigen Stelle auch zufrieden.“ ("Your Majesty could truly replace me in my position as Director of Music." The Emperor turned round and said, laughing: "I thank you, my dear Director of Music, for your good opinion, but I, too, am content with my current position."), Geschichte des gesammten Theaterwesens zu Wien, von den ältesten, bis auf die gegenwärtigen Zeiten, vol. I (Vienna: Joseph Oehler, 1803), Part 3, pp. 4‒5.