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            17. X. 12 
          
            Krieg auf dem Balkan! Im Grunde ein Rassen- u-
               Religionskrieg. Das Problem gestaltet sich nur deshalb schwierig, weil man den Modus,
               nach dem die Beute geteilt werden soll, nicht eruiren kann. Gerne würden nämlich die
               Slaven, also: die Balkanstaaten u. Rußland, die Germanen
                  ,
                  :
                die Deutschen u. Engländer, sowie endlich die Romanen: Franzosen u.
               Italiener die Türken aus Europa verdrängen, wenn nicht ihre Interessen
               untereinander collidiren würden. So alliirt sich z. B. England, also ein germanischer Staat mit
                  Rußland,
               einem slavischen u. Frankreich als einem romanischen Staat, um den
               anderen G germanischen Staaten, Deutschland, im Wettkampf zu schwächen.
               Käme aber die türkische Beute in Betracht, müßte sich England an die Seite Deutschlands gegen
                  Rußland
               stellen, das als der mächtigste slavische Staat daran gehindert werden muß, durch die
               Beute noch mächtiger zu werden, als er ohnehin ist, u. s. f.Wo aber so
               unreine Ursachen wirken, ist eine gesunde Wirkung nicht zu erhoffen. Uebrigens sind
               Rassen- u. Religionskriege nicht zu tilgen; nie kann die Zeit kommen, in der die
               Menschen so voll Duldsamkeit wären, daß ähnliche Kriege erspart blieben. Schließlich
               sind sämtliche Religionen, wie sie heute Europa aufweist, über das Stadium der Eroberungen
               hinaus; die erste gärende Kraft ist längst in ihnen erloschen u. nur der Menschen
               Trägheit schleppt sie durch die Jahrhunderte fort. Demnach müßte man sich wundern,
               daß Rassen- u. Religionsstreitigkeiten noch im Schwange sind; indessen kommt man der
               Wahrheit näher, wenn man vom Alter der Religion absieht, u. die Lösung anderswo
               sucht, u. zw. besteht diese in Folgendem: Keine Religion könnte durchgesetzt werden,
               wenn {252} nicht derjenige Mensch, dem sie zugedacht wird[,] in den Glauben versetzt wird, daß er damit die
               einzig wahre, beste Religion erhält. Nur die Eitelkeit, nicht Erkenntnis vermittelt
               zwischen dem Stifter u. seinen ersten Jüngern. Ausdrücklich muß der Stifter
               versichern, daß er ihnen eine „bessere Religion“
               gebe, als von ihren andern
               Stiftern andere Menschen erhalten haben. Die Schmeichelei seitens des Stifters löst
               im Jünger die Eitelkeit des neuen,
                  wertvolleren Besitzes aus u. nun glaubt er, die
                  „beste“ Religion zu besitzen, weil ihm dieses
               seitens des Stifters versichert wurde; ohne zu ahnen, daß der Appell an seine
               Eitelkeit ein notwendiger Befehl gewesen, zieht er in Krieg u. Fehden, angeblich für
               die beste Religion, in
               Wahrheit für die so schmeichelhaft wohltuende Einbildung, daß nur er u. seine
               Glaubensgenossen den besseren Glauben haben.
 Der Fall liegt durchaus nicht
               anders, als z. B. bei der Eheinstitution; auch bei dieser kommt für die meisten
               Ehemänner u. Frauen nicht die Erkenntnis des Wesens der Institution in Frage, nicht
               also deren ethische, staatrechtliche Seite, sondern die Eitelkeit, an dieser
               Institution teilzunehmen, was sich klar daraus ergibt, daß so lange Mann u. Weib in
               einer Ehe leben, sie über all die vielfältigen Verbindungen, in denen andere Personen
               männlichen u. weiblichen Geschlechts ihr Heil suchen, aus eitlem Hochmut die Nase
               rümpfen, ohne zu bedenken, daß, sofern es auf den ethischen Kern ankommt, so manche
               dieser Verbindungen einer formellen Ehe nicht nur nahe steht, sondern sie überragt.
               Nur das, was sie selbst haben, dünkt ihnen das Gute, u. daher der Anderen
               Einrichtung, nur deshalb allein, weil sie eine andere ist, eine minderwertige. Dieses
               fordert die Eitelkeit: 
mMan ist sich nicht nur am nächsten, man fühlt sich auch am höchsten.
 * 
© Transcription Marko Deisinger. | 
            October 17, 1912. 
          
            War in the Balkans! Basically a war of race and
               religion. The problem becomes difficult only because one is unable to work out the
               way in which the booty is to be divided. In particular, the Slavs (that is, the
                  Balkan
                  states and Russia), the Germanic nations (the Germans and the
               English), and finally also the Roman nations (the French and Italians) would gladly
               expel the Turks from Europe if their mutual interests were not in
               conflict. Thus, for example, England, which is a Germanic state, is allied with
                  Russia (a
               Slavic state) and France (a Roman state) in order to weaken the other
               Germanic state – Germany – in the contest. But if the Turkish spoils
               came under consideration, then England would have to take the side of Germany against
                  Russia,
               which, being the most powerful Slavic state, must be prevented from becoming even
               more powerful than it already is from the spoils of war, etc.Where,
               however, such impure causes are at work a healthy outcome is not to be expected.
               Moreover, wars of race and religion cannot be eradicated: the time will never come in
               which people are so tolerant that similar wars will be spared. Finally, all religions
               as are found in Europe today are beyond the stage of conquests; the
               initial power of incitement has long since been extinguished in them, and it is only
               human inertia that drags it through the centuries. Accordingly, one must wonder why
               racial and religious strife is still in vogue; but one comes closer to the truth if
               one disregards the age of religion, and seeks the solution elsewhere. And indeed this
               consists of the following: no religion can be established unless {252}
               the person to whom it is intended is given to believe that he is in possession of the
               one true, best religion. It is only vanity, not understanding, that mediates between
               the founder and his first disciples. The founder must expressly ensure that he is
               giving them a "better religion" than other people received
               from other founders. This
               flattery on the part of the founder triggers in the disciple the vanity of a new, more valuable possession, and
               now he believes that he has the "best" religion because this
               was assured to him by the founder. Without realizing that the appeal to his vanity
               was a necessary command, he gets involved in war and feuds, ostensibly for the
                  best religion, but, in
               truth, for the delusion, which is so flatteringly soothing, that only he and his
               fellow believers are in possession of the better faith.
 The case is by no
               means different from, say, the institution of marriage. Here, too, the understanding
               of the essence of the institution is not an issue for the majority of husbands and
               wives, not therefore its ethical and constitutional aspects, but rather the vanity of
               participating in this institution. From this it is clear that, whenever man and wife
               live in wedlock, they will turn up their noses in vain pride at all the other
               numerous partnerships in which other persons of male and female gender seek their
               salvation, without considering that, as far as the ethical core of the matter is
               concerned, so many of these partnerships are not only equivalent to a formal marriage
               but actually outclass them. Only that which they have themselves do they regard as
               good; and therefore the arrangements of others, merely on account of its being
               different, are of less value. This promotes vanity: one not only cares merely about
               oneself, one feels also to be superior.
 * 
© Translation William Drabkin. |  
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            17. X. 12 
          
            Krieg auf dem Balkan! Im Grunde ein Rassen- u-
               Religionskrieg. Das Problem gestaltet sich nur deshalb schwierig, weil man den Modus,
               nach dem die Beute geteilt werden soll, nicht eruiren kann. Gerne würden nämlich die
               Slaven, also: die Balkanstaaten u. Rußland, die Germanen
                  ,
                  :
                die Deutschen u. Engländer, sowie endlich die Romanen: Franzosen u.
               Italiener die Türken aus Europa verdrängen, wenn nicht ihre Interessen
               untereinander collidiren würden. So alliirt sich z. B. England, also ein germanischer Staat mit
                  Rußland,
               einem slavischen u. Frankreich als einem romanischen Staat, um den
               anderen G germanischen Staaten, Deutschland, im Wettkampf zu schwächen.
               Käme aber die türkische Beute in Betracht, müßte sich England an die Seite Deutschlands gegen
                  Rußland
               stellen, das als der mächtigste slavische Staat daran gehindert werden muß, durch die
               Beute noch mächtiger zu werden, als er ohnehin ist, u. s. f.Wo aber so
               unreine Ursachen wirken, ist eine gesunde Wirkung nicht zu erhoffen. Uebrigens sind
               Rassen- u. Religionskriege nicht zu tilgen; nie kann die Zeit kommen, in der die
               Menschen so voll Duldsamkeit wären, daß ähnliche Kriege erspart blieben. Schließlich
               sind sämtliche Religionen, wie sie heute Europa aufweist, über das Stadium der Eroberungen
               hinaus; die erste gärende Kraft ist längst in ihnen erloschen u. nur der Menschen
               Trägheit schleppt sie durch die Jahrhunderte fort. Demnach müßte man sich wundern,
               daß Rassen- u. Religionsstreitigkeiten noch im Schwange sind; indessen kommt man der
               Wahrheit näher, wenn man vom Alter der Religion absieht, u. die Lösung anderswo
               sucht, u. zw. besteht diese in Folgendem: Keine Religion könnte durchgesetzt werden,
               wenn {252} nicht derjenige Mensch, dem sie zugedacht wird[,] in den Glauben versetzt wird, daß er damit die
               einzig wahre, beste Religion erhält. Nur die Eitelkeit, nicht Erkenntnis vermittelt
               zwischen dem Stifter u. seinen ersten Jüngern. Ausdrücklich muß der Stifter
               versichern, daß er ihnen eine „bessere Religion“
               gebe, als von ihren andern
               Stiftern andere Menschen erhalten haben. Die Schmeichelei seitens des Stifters löst
               im Jünger die Eitelkeit des neuen,
                  wertvolleren Besitzes aus u. nun glaubt er, die
                  „beste“ Religion zu besitzen, weil ihm dieses
               seitens des Stifters versichert wurde; ohne zu ahnen, daß der Appell an seine
               Eitelkeit ein notwendiger Befehl gewesen, zieht er in Krieg u. Fehden, angeblich für
               die beste Religion, in
               Wahrheit für die so schmeichelhaft wohltuende Einbildung, daß nur er u. seine
               Glaubensgenossen den besseren Glauben haben.
 Der Fall liegt durchaus nicht
               anders, als z. B. bei der Eheinstitution; auch bei dieser kommt für die meisten
               Ehemänner u. Frauen nicht die Erkenntnis des Wesens der Institution in Frage, nicht
               also deren ethische, staatrechtliche Seite, sondern die Eitelkeit, an dieser
               Institution teilzunehmen, was sich klar daraus ergibt, daß so lange Mann u. Weib in
               einer Ehe leben, sie über all die vielfältigen Verbindungen, in denen andere Personen
               männlichen u. weiblichen Geschlechts ihr Heil suchen, aus eitlem Hochmut die Nase
               rümpfen, ohne zu bedenken, daß, sofern es auf den ethischen Kern ankommt, so manche
               dieser Verbindungen einer formellen Ehe nicht nur nahe steht, sondern sie überragt.
               Nur das, was sie selbst haben, dünkt ihnen das Gute, u. daher der Anderen
               Einrichtung, nur deshalb allein, weil sie eine andere ist, eine minderwertige. Dieses
               fordert die Eitelkeit: 
mMan ist sich nicht nur am nächsten, man fühlt sich auch am höchsten.
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© Transcription Marko Deisinger. |  
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            October 17, 1912. 
          
            War in the Balkans! Basically a war of race and
               religion. The problem becomes difficult only because one is unable to work out the
               way in which the booty is to be divided. In particular, the Slavs (that is, the
                  Balkan
                  states and Russia), the Germanic nations (the Germans and the
               English), and finally also the Roman nations (the French and Italians) would gladly
               expel the Turks from Europe if their mutual interests were not in
               conflict. Thus, for example, England, which is a Germanic state, is allied with
                  Russia (a
               Slavic state) and France (a Roman state) in order to weaken the other
               Germanic state – Germany – in the contest. But if the Turkish spoils
               came under consideration, then England would have to take the side of Germany against
                  Russia,
               which, being the most powerful Slavic state, must be prevented from becoming even
               more powerful than it already is from the spoils of war, etc.Where,
               however, such impure causes are at work a healthy outcome is not to be expected.
               Moreover, wars of race and religion cannot be eradicated: the time will never come in
               which people are so tolerant that similar wars will be spared. Finally, all religions
               as are found in Europe today are beyond the stage of conquests; the
               initial power of incitement has long since been extinguished in them, and it is only
               human inertia that drags it through the centuries. Accordingly, one must wonder why
               racial and religious strife is still in vogue; but one comes closer to the truth if
               one disregards the age of religion, and seeks the solution elsewhere. And indeed this
               consists of the following: no religion can be established unless {252}
               the person to whom it is intended is given to believe that he is in possession of the
               one true, best religion. It is only vanity, not understanding, that mediates between
               the founder and his first disciples. The founder must expressly ensure that he is
               giving them a "better religion" than other people received
               from other founders. This
               flattery on the part of the founder triggers in the disciple the vanity of a new, more valuable possession, and
               now he believes that he has the "best" religion because this
               was assured to him by the founder. Without realizing that the appeal to his vanity
               was a necessary command, he gets involved in war and feuds, ostensibly for the
                  best religion, but, in
               truth, for the delusion, which is so flatteringly soothing, that only he and his
               fellow believers are in possession of the better faith.
 The case is by no
               means different from, say, the institution of marriage. Here, too, the understanding
               of the essence of the institution is not an issue for the majority of husbands and
               wives, not therefore its ethical and constitutional aspects, but rather the vanity of
               participating in this institution. From this it is clear that, whenever man and wife
               live in wedlock, they will turn up their noses in vain pride at all the other
               numerous partnerships in which other persons of male and female gender seek their
               salvation, without considering that, as far as the ethical core of the matter is
               concerned, so many of these partnerships are not only equivalent to a formal marriage
               but actually outclass them. Only that which they have themselves do they regard as
               good; and therefore the arrangements of others, merely on account of its being
               different, are of less value. This promotes vanity: one not only cares merely about
               oneself, one feels also to be superior.
 * 
© Translation William Drabkin. |  |