18.

Brief an Hugo Heller mit der Eröffnung, daß auch Dir. Hertzka seine Mitwirkung 1 angeboten.

*

Gerne beschenken reichere Menschen die Bettler so, daß sie die Pein der Beschämung über sich ergehen lassen müssen. Stehen nun sie selbst aber bettelnd u. schmarotzend vor dem Genie da, so fordern sie dringend, daß ihnen das Beschämende des Beschenktwerdens erspart werde; oder anders: die Reichen als Bettler wollen nehmen, ohne daß man davon spricht, ohne daß man es merkt; dagegen soll es alle Welt sehen, wenn gelegentlich sie ein paar lumpige Groschen verabreichen.

*

Wahrheit hört nicht auf Wahrheit zu sein, wenn sie, statt splitternackt, im schönen Gewände erscheint. Ob ich jemand die Mitteilung einer Tatsache in dürftigen oder besser toilettirten Worten mache, ändert an demselben Sachverhalt gar nichts, höchstens stimmt der Genuss des hinzutretenden Reizes zum Dank gegen den Autor. Im selben Maße, als die Wahrheit schön auszusprechen schwieriger ist, als sie blos überhaupt auszusprechen, erregt es den Neid derjenigen, die blos letzteres können gegenüber jenen, die das erstere vollbringen.
So war Ibsen der Verkünder der nacktesten Wahrheit – unsere Meister dagegen, zumal Schiller, Verkünder einer zugleich schön ausgesprochenen Wahrheit. Kein Wunder, wenn die durch die Schönheit zu Neid herausgeforderte Menschheit die Wahrheit besser bei Ibsen, als bei Schiller findet.
Auch dem Schauspieler erwächst bei Schiller die ungleich schwierigere Aufgabe, nicht nur die schönen Verse schön zu sprechen, sondern zugleich auch wahr. Daß eine solche Leistung, wenn sie gelänge, doppelten Anspruch auf Anerkennung hätte als jene, die im Dienste Ibsens blos die Wahrheit ausspräche, versteht sich von selbst.

*{254}

© Transcription Marko Deisinger.

18.

Letter to Hugo Heller, opening with the remark that Director Hertzka has offered to take part. 1

*

Wealthy people give to beggars in such a way that they must endure the pain of humiliation. But when they themselves appear before the genius, as beggars and parasites, they urgently demand being spared the humiliation of being in receipt of a gift. Put another way: the rich, as beggars, want to take without anyone speaking about it, without anyone noticing it; on the contrary, the whole world is supposed to notice if they happen to administer a few miserable pennies.

*

The truth does not cease to be the truth if, instead of appearing stark naked, it is dressed in fine clothes. Whether I communicate a fact to someone in shabbily or better groomed words does not change anything at all about the same fact; at most, the enjoyment of the added charm works against the author for the pains that he has taken. To the extent that it is more difficult to speak the truth in fine words than merely to speak it at all, those who can merely do the latter become envious of those who are capable of the former.
Thus Ibsen was the herald of the naked truth – our masters on the other hand, especially Schiller, heralds of a truth which, at the same time, was beautifully expressed. No wonder that humanity, provoked by beauty to become envious, prefer Ibsen's truth to Schiller's.
For the actor, too, Schiller sets the incomparably more difficult task of not only speaking the beautiful verses not only beautifully but also truthfully. It goes without saying that such an accomplishment, when carried out successfully, has twice the claim to recognition than that which merely speaks the truth in the service of Ibsen.

*{254}

© Translation William Drabkin.

18.

Brief an Hugo Heller mit der Eröffnung, daß auch Dir. Hertzka seine Mitwirkung 1 angeboten.

*

Gerne beschenken reichere Menschen die Bettler so, daß sie die Pein der Beschämung über sich ergehen lassen müssen. Stehen nun sie selbst aber bettelnd u. schmarotzend vor dem Genie da, so fordern sie dringend, daß ihnen das Beschämende des Beschenktwerdens erspart werde; oder anders: die Reichen als Bettler wollen nehmen, ohne daß man davon spricht, ohne daß man es merkt; dagegen soll es alle Welt sehen, wenn gelegentlich sie ein paar lumpige Groschen verabreichen.

*

Wahrheit hört nicht auf Wahrheit zu sein, wenn sie, statt splitternackt, im schönen Gewände erscheint. Ob ich jemand die Mitteilung einer Tatsache in dürftigen oder besser toilettirten Worten mache, ändert an demselben Sachverhalt gar nichts, höchstens stimmt der Genuss des hinzutretenden Reizes zum Dank gegen den Autor. Im selben Maße, als die Wahrheit schön auszusprechen schwieriger ist, als sie blos überhaupt auszusprechen, erregt es den Neid derjenigen, die blos letzteres können gegenüber jenen, die das erstere vollbringen.
So war Ibsen der Verkünder der nacktesten Wahrheit – unsere Meister dagegen, zumal Schiller, Verkünder einer zugleich schön ausgesprochenen Wahrheit. Kein Wunder, wenn die durch die Schönheit zu Neid herausgeforderte Menschheit die Wahrheit besser bei Ibsen, als bei Schiller findet.
Auch dem Schauspieler erwächst bei Schiller die ungleich schwierigere Aufgabe, nicht nur die schönen Verse schön zu sprechen, sondern zugleich auch wahr. Daß eine solche Leistung, wenn sie gelänge, doppelten Anspruch auf Anerkennung hätte als jene, die im Dienste Ibsens blos die Wahrheit ausspräche, versteht sich von selbst.

*{254}

© Transcription Marko Deisinger.

18.

Letter to Hugo Heller, opening with the remark that Director Hertzka has offered to take part. 1

*

Wealthy people give to beggars in such a way that they must endure the pain of humiliation. But when they themselves appear before the genius, as beggars and parasites, they urgently demand being spared the humiliation of being in receipt of a gift. Put another way: the rich, as beggars, want to take without anyone speaking about it, without anyone noticing it; on the contrary, the whole world is supposed to notice if they happen to administer a few miserable pennies.

*

The truth does not cease to be the truth if, instead of appearing stark naked, it is dressed in fine clothes. Whether I communicate a fact to someone in shabbily or better groomed words does not change anything at all about the same fact; at most, the enjoyment of the added charm works against the author for the pains that he has taken. To the extent that it is more difficult to speak the truth in fine words than merely to speak it at all, those who can merely do the latter become envious of those who are capable of the former.
Thus Ibsen was the herald of the naked truth – our masters on the other hand, especially Schiller, heralds of a truth which, at the same time, was beautifully expressed. No wonder that humanity, provoked by beauty to become envious, prefer Ibsen's truth to Schiller's.
For the actor, too, Schiller sets the incomparably more difficult task of not only speaking the beautiful verses not only beautifully but also truthfully. It goes without saying that such an accomplishment, when carried out successfully, has twice the claim to recognition than that which merely speaks the truth in the service of Ibsen.

*{254}

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 That is, to take part in the planned Organization of Creative and Recreative Artists.