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2. IX. 14

Gegen Abend erscheint als erste Extraausgabe die der „N. Fr. Pr.“, die von einem vollständigen Sieg über den rechten russischen Flügel berichtet, dagegen von einer bedrohlichen Lage vonbei Lemberg, also im Centrum spricht. 1 die Nachricht ging in die Glieder, doch weniger war ich persönlich von der schwierigen Lage des Centrums berührt, als von dem Kontrast einerseits der durch die Blätter tagelang lançierten u. wohl auch unzensurierten Erwartungen u. andererseits der endgiltigen Mitteilung des Generalstabes. In anbetracht [sic] der Zensurierungspraxis, müßte ich mir sagen also des Umstandes, daß alle sowohl von den Kriegsberichterstattern selbst vorgebrachten Andeutungen , als auch Zitate anderer Blätter , die das Ggünstigste Resultat auf der ganzen Linie in Aussicht stellten, kann die speziell Lemberg betreffende Mitteilung völlig unerwartet. Es ist tief bedauerlich, daß der Kaiser den Dank an die Presse so vorzeitig voreilig abgestattet hat , u. daß die Regierung den Blättern das Pürschen [sic] auf Stimmung noch immer erlaubt. Ich verkenne nicht den Wert suggestiver Tätigkeit, doch habe sie sich ausschließlich auf Erzeugung guten Mutes zu beschränken, nicht aber auf falsche Nachrichten hinauszulaufen. Schließlich gibt es jetzt angesichts des Krieges nur das „Volk“, u. nicht, wie ich es schon in der Sonntagsgesellschaft aussprach, ein „Publikum“; es handelt sich nicht um einen speziellen Ausschnitt, einen enge nren Kreis des , Volkes, dem über irgend eine ihn allein interessierende Angelegenheit Bericht erteilt wird, sondern um das ganze Volk, das nur das eine Interesse hat: die Wahrheit über den Stand der Dinge zu erfahren.

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Am Ausgang des Krieges, er falle wie er will, steht wieder der Krämer als faktischer oder eingebildeter „Mittelpunkt der Welt“; in seinem Namen allein werden dann Forderungen erhoben, Grenzen gezogen, Entschädigungen verabreicht werden, u. Alles, was da Waren erzeugt u. vertreibt, wird wieder dominierend an die Oberfläche treten. Angesichts des Betragens der Krämerwelt aber, vor allem der englischen u. dann auch der inländischen, wäre es doch endlich von höchstem Nutzen, wenn man die wahre Bedeutung der Krämerei im Menschheitsgetriebe festlegen würde: Wie immer man die Welt auffaßt, kann doch nicht zugegeben werden, daß gerade nur der Krämer die Hauptrolle spiele; denn geht es so fort, wie bisher, würde der Krämer auch den lieben Herrgott selbst für einen Krämer u. nicht für einen Schöpfer halten. Und hier darf wohl die Religion einsetzen u. sagen, wenn Gott eine schöpferische Potenz ist u. den Menschen nach seinem Ebenbilde gemacht hat, so wollte er vor Allem den schöpfer- {679} ischen Menschen , u. nicht denjenigen, der das von vom schöpferischen Menschen Geschaffenes nur mit billiger Mühe, aber desto höherem Ertrag bloß vertreibt. Auch dieses gehört in das Kapitel von der Pflicht zur Bescheidenheit, zurals der Selbsterkenntnis des Wortes u. zur Abrüstung der Eitelkeit und Arroganz, von der ich kürzlich dem Redakteur der „Frankf. Ztg.“ schrieb. 2

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© Transcription Marko Deisinger.

September 2, 1914.

Towards evening the Neue freie Presse reports in its first extra edition the "complete victory" over the right wing of the Russian army, but also of the threatening situation in Lemberg – that is, in the center. 1 The news penetrated my bones, but I was personally moved less by the difficult situation in the center than by the contrast of, on the one hand, the expectations launched daily by the newspapers (and probably censored, too), and, on the other, the final communication of the general staff. In consideration of the censorship practice – i.e. of the circumstance that all indications, not only those aired by the war correspondents but also quotations from other papers that held out the prospect of a favorable result across the board – the communication that concerns Lemberg in particular was completely unexpected. It is deeply regrettable that the Emperor conveyed his gratitude to the press so prematurely, and that the government still continues to permit the newspapers to furtively seek to gain a positive mood. I do not deny the value of suggestive activity, yet it should be restricted exclusively to generating positive courageous feelings, but not to result in the reporting of false news. Finally, with respect to the war, there is now only the "people" and not, as I already said at the party on Sunday, an "audience"; it is not a question of a special cross-section, a narrow group among the people to whom a matter of interest to them alone will be reported, but rather the people as a whole who have only the one concern: to learn the truth about how matters stand.

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At the outbreak of a war, however it occurs, the small trader again represents the factual or self-imagined "midpoint of the world"; in his name alone demands are made, boundaries drawn, and compensation administered. And everything in the way of products that are manufactured and marketed will always return to dominate the surface. With respect to the behavior of the world of traders, however, above all the English but then also the domestic, it would be of the greatest value if one were finally to determine the true significance of his profession in the workings of humanity: however, one understands the world, it cannot be conceded that the trader plays the primary role; for if things continue as they have been going on up to now, the trader would take our dear God himself for a trader and not for a creator. And here, religion could perhaps be brought to bear on the matter and say that, if God is a creative power and has made people in his image, then he wished above all for a creative people, {679} and not those who merely market the work of creative people merely with cheap effort, but all the greater profit. This too belongs in the chapter on the duty to be modest, as the act of self-recognition and the dismantling of vanity and arrogance, about which I wrote to the editor of the Frankfurter Zeitung . 2

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© Translation William Drabkin.

2. IX. 14

Gegen Abend erscheint als erste Extraausgabe die der „N. Fr. Pr.“, die von einem vollständigen Sieg über den rechten russischen Flügel berichtet, dagegen von einer bedrohlichen Lage vonbei Lemberg, also im Centrum spricht. 1 die Nachricht ging in die Glieder, doch weniger war ich persönlich von der schwierigen Lage des Centrums berührt, als von dem Kontrast einerseits der durch die Blätter tagelang lançierten u. wohl auch unzensurierten Erwartungen u. andererseits der endgiltigen Mitteilung des Generalstabes. In anbetracht [sic] der Zensurierungspraxis, müßte ich mir sagen also des Umstandes, daß alle sowohl von den Kriegsberichterstattern selbst vorgebrachten Andeutungen , als auch Zitate anderer Blätter , die das Ggünstigste Resultat auf der ganzen Linie in Aussicht stellten, kann die speziell Lemberg betreffende Mitteilung völlig unerwartet. Es ist tief bedauerlich, daß der Kaiser den Dank an die Presse so vorzeitig voreilig abgestattet hat , u. daß die Regierung den Blättern das Pürschen [sic] auf Stimmung noch immer erlaubt. Ich verkenne nicht den Wert suggestiver Tätigkeit, doch habe sie sich ausschließlich auf Erzeugung guten Mutes zu beschränken, nicht aber auf falsche Nachrichten hinauszulaufen. Schließlich gibt es jetzt angesichts des Krieges nur das „Volk“, u. nicht, wie ich es schon in der Sonntagsgesellschaft aussprach, ein „Publikum“; es handelt sich nicht um einen speziellen Ausschnitt, einen enge nren Kreis des , Volkes, dem über irgend eine ihn allein interessierende Angelegenheit Bericht erteilt wird, sondern um das ganze Volk, das nur das eine Interesse hat: die Wahrheit über den Stand der Dinge zu erfahren.

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Am Ausgang des Krieges, er falle wie er will, steht wieder der Krämer als faktischer oder eingebildeter „Mittelpunkt der Welt“; in seinem Namen allein werden dann Forderungen erhoben, Grenzen gezogen, Entschädigungen verabreicht werden, u. Alles, was da Waren erzeugt u. vertreibt, wird wieder dominierend an die Oberfläche treten. Angesichts des Betragens der Krämerwelt aber, vor allem der englischen u. dann auch der inländischen, wäre es doch endlich von höchstem Nutzen, wenn man die wahre Bedeutung der Krämerei im Menschheitsgetriebe festlegen würde: Wie immer man die Welt auffaßt, kann doch nicht zugegeben werden, daß gerade nur der Krämer die Hauptrolle spiele; denn geht es so fort, wie bisher, würde der Krämer auch den lieben Herrgott selbst für einen Krämer u. nicht für einen Schöpfer halten. Und hier darf wohl die Religion einsetzen u. sagen, wenn Gott eine schöpferische Potenz ist u. den Menschen nach seinem Ebenbilde gemacht hat, so wollte er vor Allem den schöpfer- {679} ischen Menschen , u. nicht denjenigen, der das von vom schöpferischen Menschen Geschaffenes nur mit billiger Mühe, aber desto höherem Ertrag bloß vertreibt. Auch dieses gehört in das Kapitel von der Pflicht zur Bescheidenheit, zurals der Selbsterkenntnis des Wortes u. zur Abrüstung der Eitelkeit und Arroganz, von der ich kürzlich dem Redakteur der „Frankf. Ztg.“ schrieb. 2

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© Transcription Marko Deisinger.

September 2, 1914.

Towards evening the Neue freie Presse reports in its first extra edition the "complete victory" over the right wing of the Russian army, but also of the threatening situation in Lemberg – that is, in the center. 1 The news penetrated my bones, but I was personally moved less by the difficult situation in the center than by the contrast of, on the one hand, the expectations launched daily by the newspapers (and probably censored, too), and, on the other, the final communication of the general staff. In consideration of the censorship practice – i.e. of the circumstance that all indications, not only those aired by the war correspondents but also quotations from other papers that held out the prospect of a favorable result across the board – the communication that concerns Lemberg in particular was completely unexpected. It is deeply regrettable that the Emperor conveyed his gratitude to the press so prematurely, and that the government still continues to permit the newspapers to furtively seek to gain a positive mood. I do not deny the value of suggestive activity, yet it should be restricted exclusively to generating positive courageous feelings, but not to result in the reporting of false news. Finally, with respect to the war, there is now only the "people" and not, as I already said at the party on Sunday, an "audience"; it is not a question of a special cross-section, a narrow group among the people to whom a matter of interest to them alone will be reported, but rather the people as a whole who have only the one concern: to learn the truth about how matters stand.

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At the outbreak of a war, however it occurs, the small trader again represents the factual or self-imagined "midpoint of the world"; in his name alone demands are made, boundaries drawn, and compensation administered. And everything in the way of products that are manufactured and marketed will always return to dominate the surface. With respect to the behavior of the world of traders, however, above all the English but then also the domestic, it would be of the greatest value if one were finally to determine the true significance of his profession in the workings of humanity: however, one understands the world, it cannot be conceded that the trader plays the primary role; for if things continue as they have been going on up to now, the trader would take our dear God himself for a trader and not for a creator. And here, religion could perhaps be brought to bear on the matter and say that, if God is a creative power and has made people in his image, then he wished above all for a creative people, {679} and not those who merely market the work of creative people merely with cheap effort, but all the greater profit. This too belongs in the chapter on the duty to be modest, as the act of self-recognition and the dismantling of vanity and arrogance, about which I wrote to the editor of the Frankfurter Zeitung . 2

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Das Ergebnis der achttägigen Schlacht im Norden," Neue Freie Presse, No. 17968, September 2, 1914, special edition, p. 1. This article and Schenker’s entry refer to the Battle of Galicia (August 23 to September 11, 1914), a larger series of battles between Russia and Austria-Hungary during the early stages of World War I. The Austro-Hungarian armies were initially successful (Battles of Kraśnik and Komarów), but finally defeated (Battles of Gnila Lipa and Rawa) and forced out of Galicia, while the Russians captured Lemberg and, for approximately nine months, ruled Eastern Galicia.

2 Covering letter written on September 2 concerning his manuscript „Das deutsche Genie in Kampf u. Sieg“OJ 21/2, [1], which Schenker submitted to the Frankfurter Zeitung on September 7, and which was returned rejected on September 26 (OJ 11/18).