26. XI.
Früh mit Lie-Liechen auf dem Ostbahnhof. Mit Hilfe der Marschroute überwindet die Schwester die Schwierigkeiten, in Wien überhaupt aufgenommen zu werden. So peinlich das Verlassen gewohnter {785} heimatlicher Verhältnisse ist, so übertrieben ist dennoch in diesem Falle, so lange nämlich der Schwager den ausgiebigen monatlichen Gehalt hat, die Nervosität seiner Familie. *Nach Tisch Mittelmann, der mir eine Bitte Karpaths überbringt, die Zuwendung an den „Merker“ druckfertig zu machen. Diese Zuwendung eines Schmierers, der nicht einmal meine Briefe ordentlich gelesen hat, versetzt mich in größte Aufregung, zumal M. weder meine, noch die um so viel ruhigere einleuchtende Darstellung Lie-Liechens begreifen wollte, daß ja mit meinem 2. Briefe Karpaths Wunsch eben schon längst erfüllt worden sei, daß er also um etwas bittet, was er schon erhalten hat. Symptomatisch war dabei das Verhalten M. s, der durchaus verhüten wollte, daß Karpath nur ja kein Unrecht geschehe! , Ddas Unrecht aber, das mir Karpath zugefügt, prinzipiell ignorierte. *Extraausgaben melden große Erfolge in Serbien, noch größere in Russisch-Polen; ebenso den Rückzug der Russen aus den Karpathen. 1 *„Berl. Tgbl.“ publiziert unter dem Titel „Aufklärungssünden“ von Max Dessois einen Artikel, der den deutschen Aufklärern Mangel an Takt vorwirft. Die Neutralen, meint er, seien in solcher Weise nicht zu überzeugen; sie brauchen keine Belehrung, nur wünschen sie, wie sie sagen, in ihrer Sprache, nach Maßgabe ihrer Eigenheit art eine Aufklärung über die Wahrheit! 2 Habe ich nun nicht Recht wenn ich sage, die Tragödie Deutschlands ist die eines genialen Volkes, denn worauf denn anders läuft die Forderung der Neutralen hinaus, als daß man in der Sprache ihrer Unbildung u. ihrer geistigen wie sittlichen Minderwertigkeit einfach nur das bestätigt , u. [illeg]zugibt, was sie mit ihren Gehirnen erraffen u. glauben, also nur dasjenige, was sie den lumpigen Franzosen, Engländern u. Russen glauben. Es führt eben kein Weg vom Genie zum Nicht-Genie! Die Losung des Nicht-Genies ist ein für allemal die eines Bettlers: genau so , wie der Bettler, noch so reichlich beschenkt, nach zwei Minuten den splendidesten Schenker nicht wiedererkennt, ebensowenig erkennen jetzt die an Deutschland stark verschuldeten Nationen u. Rassen die deutsche Ueberlegenheit, Wahrheitsliebe u. Aufrichtigkeit! {786} Sie kennen jetzt Deutschland nicht – bis zur nächsten Schenkung, nur aus Wahlverwandtschaft mit den anderen Menschen-Tieren, u. dagegen gibt es keine andere Hilfe als morden, sengen, niederdrücken! *
© Transcription Marko Deisinger. |
November 26.
Early with Lie-Liechen to the Eastern Railway Station. With the help of the walking route, my sister overcomes the difficulties of being received in Vienna at all. As painful as it may be to leave one's familiar {785} home life, the family's nervousness is nonetheless equally exaggerated, so long as my brother-in-law has a generous monthly salary. *After lunch, Mittelmann transmits to me a request from Karpath to prepare the contribution to Der Merker for publication. This contribution by a scribbler who hasn't even read my letters properly causes me great upset, all the more so as Mittelmann did not wish to understand either my enlightening explanation, or Lie-Liechen's so much calmer one, that with my second letter Karpath's wish had already long been fulfilled, and that he was thus asking for something that he had already received. Symptomatic of the situation was Mittelmann's behavior, who completely wished to avoid an injustice being done to Karpath but essentially ignored the injustice that Karpath had done to me. *Extra editions report great successes in Serbia, and even great ones in Russian Poland; likewise, the retreat of the Russians from the Carpathian Mountains. 1 *The Berliner Tageblatt publishes an article by Max Dessois entitled "Aufklärungssünden" ["Sins of explanation"] in which the German scouts are criticized for their lack of prudence. The neutral countries, the author says, will not be convinced by this tactic; they do not need any education, they only wish – as they say – for an explanation of the truth, in their language and in accordance with their idiosyncrasy! 2 Am I not right, then, when I say that the tragedy of Germany is that of a genius-imbued people; for how can one otherwise explain the demand of the neutral countries to have simply confirmed and admitted, in the language of their ignorance and in their intellectual and moral inferiority, that which they gather and believe with their brains, that is, only that which they believe of the shabby French, English and Russians. No path at all leads from the genius to the non-genius! The sign of the non-genius is, once and forever, that of a beggar: just as the beggar, however amply he may be gifted, fails to recognize the most splendid giver after two minutes, so little do the nations and races who are strongly indebted to Germany recognize German superiority, sincerity, and love of the truth! {786} They do not now know Germany – not until the next act of giving, only out of elective affinity with other human animals; and against this there is no help other than to murder, to pillage, to oppress! *
© Translation William Drabkin. |
26. XI.
Früh mit Lie-Liechen auf dem Ostbahnhof. Mit Hilfe der Marschroute überwindet die Schwester die Schwierigkeiten, in Wien überhaupt aufgenommen zu werden. So peinlich das Verlassen gewohnter {785} heimatlicher Verhältnisse ist, so übertrieben ist dennoch in diesem Falle, so lange nämlich der Schwager den ausgiebigen monatlichen Gehalt hat, die Nervosität seiner Familie. *Nach Tisch Mittelmann, der mir eine Bitte Karpaths überbringt, die Zuwendung an den „Merker“ druckfertig zu machen. Diese Zuwendung eines Schmierers, der nicht einmal meine Briefe ordentlich gelesen hat, versetzt mich in größte Aufregung, zumal M. weder meine, noch die um so viel ruhigere einleuchtende Darstellung Lie-Liechens begreifen wollte, daß ja mit meinem 2. Briefe Karpaths Wunsch eben schon längst erfüllt worden sei, daß er also um etwas bittet, was er schon erhalten hat. Symptomatisch war dabei das Verhalten M. s, der durchaus verhüten wollte, daß Karpath nur ja kein Unrecht geschehe! , Ddas Unrecht aber, das mir Karpath zugefügt, prinzipiell ignorierte. *Extraausgaben melden große Erfolge in Serbien, noch größere in Russisch-Polen; ebenso den Rückzug der Russen aus den Karpathen. 1 *„Berl. Tgbl.“ publiziert unter dem Titel „Aufklärungssünden“ von Max Dessois einen Artikel, der den deutschen Aufklärern Mangel an Takt vorwirft. Die Neutralen, meint er, seien in solcher Weise nicht zu überzeugen; sie brauchen keine Belehrung, nur wünschen sie, wie sie sagen, in ihrer Sprache, nach Maßgabe ihrer Eigenheit art eine Aufklärung über die Wahrheit! 2 Habe ich nun nicht Recht wenn ich sage, die Tragödie Deutschlands ist die eines genialen Volkes, denn worauf denn anders läuft die Forderung der Neutralen hinaus, als daß man in der Sprache ihrer Unbildung u. ihrer geistigen wie sittlichen Minderwertigkeit einfach nur das bestätigt , u. [illeg]zugibt, was sie mit ihren Gehirnen erraffen u. glauben, also nur dasjenige, was sie den lumpigen Franzosen, Engländern u. Russen glauben. Es führt eben kein Weg vom Genie zum Nicht-Genie! Die Losung des Nicht-Genies ist ein für allemal die eines Bettlers: genau so , wie der Bettler, noch so reichlich beschenkt, nach zwei Minuten den splendidesten Schenker nicht wiedererkennt, ebensowenig erkennen jetzt die an Deutschland stark verschuldeten Nationen u. Rassen die deutsche Ueberlegenheit, Wahrheitsliebe u. Aufrichtigkeit! {786} Sie kennen jetzt Deutschland nicht – bis zur nächsten Schenkung, nur aus Wahlverwandtschaft mit den anderen Menschen-Tieren, u. dagegen gibt es keine andere Hilfe als morden, sengen, niederdrücken! *
© Transcription Marko Deisinger. |
November 26.
Early with Lie-Liechen to the Eastern Railway Station. With the help of the walking route, my sister overcomes the difficulties of being received in Vienna at all. As painful as it may be to leave one's familiar {785} home life, the family's nervousness is nonetheless equally exaggerated, so long as my brother-in-law has a generous monthly salary. *After lunch, Mittelmann transmits to me a request from Karpath to prepare the contribution to Der Merker for publication. This contribution by a scribbler who hasn't even read my letters properly causes me great upset, all the more so as Mittelmann did not wish to understand either my enlightening explanation, or Lie-Liechen's so much calmer one, that with my second letter Karpath's wish had already long been fulfilled, and that he was thus asking for something that he had already received. Symptomatic of the situation was Mittelmann's behavior, who completely wished to avoid an injustice being done to Karpath but essentially ignored the injustice that Karpath had done to me. *Extra editions report great successes in Serbia, and even great ones in Russian Poland; likewise, the retreat of the Russians from the Carpathian Mountains. 1 *The Berliner Tageblatt publishes an article by Max Dessois entitled "Aufklärungssünden" ["Sins of explanation"] in which the German scouts are criticized for their lack of prudence. The neutral countries, the author says, will not be convinced by this tactic; they do not need any education, they only wish – as they say – for an explanation of the truth, in their language and in accordance with their idiosyncrasy! 2 Am I not right, then, when I say that the tragedy of Germany is that of a genius-imbued people; for how can one otherwise explain the demand of the neutral countries to have simply confirmed and admitted, in the language of their ignorance and in their intellectual and moral inferiority, that which they gather and believe with their brains, that is, only that which they believe of the shabby French, English and Russians. No path at all leads from the genius to the non-genius! The sign of the non-genius is, once and forever, that of a beggar: just as the beggar, however amply he may be gifted, fails to recognize the most splendid giver after two minutes, so little do the nations and races who are strongly indebted to Germany recognize German superiority, sincerity, and love of the truth! {786} They do not now know Germany – not until the next act of giving, only out of elective affinity with other human animals; and against this there is no help other than to murder, to pillage, to oppress! *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Große Erfolge der Deutschen in Russisch-Polen", "Niederlage der Russen in den Karpathen" and "Neue Erfolge in Serbien," Wiener Allgemeine Zeitung, No. 10991, November 26, 1914, special edition, p. 1. 2 Max Dessoir, "Aufklärungssünden," Berliner Tageblatt, No. 599, 42nd year, November 25, 1914, morning edition, pp. [1–2]. |