14.
Beide Kaiser publizieren Handschreiben an Conrad von Hötzendorf, 1 worin sie ihm gleicherweise ihren Dank für den genialen Entwurf der west-galizischen Schlacht abstatten. 4 So schlug also die Stunde des Lobes auch für diesen Mann, der vom Anfang bescheiden im Hintergrunde wirkte hinter Erzherzogen, hinter Deutschlands Heerführern u. der, so genial er seine Pflicht erfüllt haben mag, k gleichwohl keine Gelegenheit fand, auf einen Erfolg hinzuweisen, der Aug’ u. Ohr verwirrt. Welch’ bitteres Unrecht wäre diesem Manne geschehen, wenn durch Zufall die west-galizische Schlacht weniger triumphalen Verlauf gezeigt hätte, als sie tatsächlich zeigt. *Die Zeitungen melden den Rücktritt Salandra’s. 2 Fast sieht es aus, als würden die italienischen Minister mit ihren ehemaligen Verbündeten Trics gemeiner Bauernfänger treiben: Erst tritt Salandra vor, um durch Drohungen bedeutende Zugeständnisse zu erpressen, hernach macht er Platz für Giollitti oder einen anderen, der mit neuen Trics neue weitere Zugeständnisse erpressen will. All’ dies nennen die Italiener „Wahrung nationaler Interessen“ u. alle Charakterlosigkeit des Wegelagerertums scheinen {926} sie moralisch wie rechtlich für viel einwandfreier zu halten als das bis dahin in allen Staaten geltende Gesetz der Mitgift, wonach Oesterreich zu den italienischen Provinzen vor Jahrhunderten gekommen ist: tu felix austria nube. 3 Für alle Fälle erweist sich das Nationalitäten-Prinzip als absurd, da es, wie im Falle Italien [,] angerufen wird, um eine gemeine Erpressung zu heiligen. — *Die Blätter berichten von einer neuen Städtegründung in Amerika, die unter dem Gesichtspunkt des Kino-Prinzipes ausschließlich für Kinozwecke erfolgt ist. 5 Darnach wäre die Stadt von Tag zu Tag ebenso wandelbar wie ein Film! Wie sich aber ein solcher Trieb je in Kultur umsetzen könnte, darüber sich Gedanken zu machen reichen freilich amerikanische Gehirne nicht aus! *Im Restaurant zahlen wir das Rindfleisch mit noch höherem Preis, mit 1.50 Kronen – denn was wäre die Welt, wenn sie das Idol des Kaufmannes, das Risiko, nicht höher schätzen würde, als Religion, Staat, Familie, Kunst[,] Wissenschaft, Hunger, u. s. f. *Des Abends erfahren wir auch im Caféhaus ein ähnliches Probestückchen kaufmännischer Denkweise: Trotz wiederholten Urgenzen kann sich weder der Besitzer des Caféhauses noch der Kellner dazu entschließen, ein 2. Exemplar des „8 Uhr-Blatt8 Uhr-Blattes“ um den Preis von 6 Hellern zu beschaffen. Und lieber riskiert er, daß der Gast wegbleibt (was m . E. ein größerer Verlust als 6 Heller für ihn bedeutet) bevor er die Risiko-Idee mit 6 Hellern belastet. — — Um ½7h abends ein prachtvolles leider zu kurzes Gewitter. *
© Transcription Marko Deisinger. |
14.
The two emperors publish handwritten letters to Conrad von Hötzendorf, 1 in which they convey in the same way their gratitude for his ingenious plan of the Battle of Western Galicia. 2 Thus struck the hour of praise for this man, too, who from the beginning worked in the background, behind archdukes, and behind Germany's military leaders, and who – though he fulfilled his duties with such genius – nonetheless never found the opportunity to refer to a success that dazzled the eye and the ear. What a bitter injustice would have been done to this man if, by chance, the west Galician battle had taken a less triumphant course than it actually did. *The newspapers report Salandra's resignation. 3 It almost seems as if the Italian ministers are behaving like confidence men, by playing tricks on their previous allies: at first Salandra appears, in order to extort significant concessions by making threats; subsequently he makes way for Giolitti or someone else, who will use new tricks to extort further concessions. All of this the Italians call "preservation of national interests"; and all the unprincipledness of this highwayman activity {926} they seem to regard as morally and legally less objectionable than the principle of dowry by which Austria came to the Italian provinces centuries ago: tu felix austria nube. 4 In any case the nationality principle proves absurd since, in the case of Italy, it is invoked to sanctify a common extortion. — *The newspapers report the founding of a new city in America which, from the point of view of the cinema principle, has been achieved entirely for cinematic purposes. 5 Accordingly, the city can be changed from one day to the next, just like a film! Yet how such a practice could ever take root in culture, that is something about which American brains would of course never trouble themselves to be concerned! *At the restaurant, we pay even more for beef: 1.50 Kronen – for what would the world be if it did not value the idol of the businessman – risk – higher than religion, state, family, art, science, hunger, and so on. *In the evening, we experience a similar little specimen of business mentality at the coffee house: in spite of repeated reminders, neither the owner of the coffee house nor the waiter decides to obtain a second copy of the 8-Uhr-Blatt for the price of 6 Heller. And he would rather risk losing his guest (which in my opinion would mean a greater loss for him than 6 Heller) than burden the idea of risk with 6 Heller. — — At 6:30 in the evening, a magnificent thunderstorm, albeit too brief. *
© Translation William Drabkin. |
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Beide Kaiser publizieren Handschreiben an Conrad von Hötzendorf, 1 worin sie ihm gleicherweise ihren Dank für den genialen Entwurf der west-galizischen Schlacht abstatten. 4 So schlug also die Stunde des Lobes auch für diesen Mann, der vom Anfang bescheiden im Hintergrunde wirkte hinter Erzherzogen, hinter Deutschlands Heerführern u. der, so genial er seine Pflicht erfüllt haben mag, k gleichwohl keine Gelegenheit fand, auf einen Erfolg hinzuweisen, der Aug’ u. Ohr verwirrt. Welch’ bitteres Unrecht wäre diesem Manne geschehen, wenn durch Zufall die west-galizische Schlacht weniger triumphalen Verlauf gezeigt hätte, als sie tatsächlich zeigt. *Die Zeitungen melden den Rücktritt Salandra’s. 2 Fast sieht es aus, als würden die italienischen Minister mit ihren ehemaligen Verbündeten Trics gemeiner Bauernfänger treiben: Erst tritt Salandra vor, um durch Drohungen bedeutende Zugeständnisse zu erpressen, hernach macht er Platz für Giollitti oder einen anderen, der mit neuen Trics neue weitere Zugeständnisse erpressen will. All’ dies nennen die Italiener „Wahrung nationaler Interessen“ u. alle Charakterlosigkeit des Wegelagerertums scheinen {926} sie moralisch wie rechtlich für viel einwandfreier zu halten als das bis dahin in allen Staaten geltende Gesetz der Mitgift, wonach Oesterreich zu den italienischen Provinzen vor Jahrhunderten gekommen ist: tu felix austria nube. 3 Für alle Fälle erweist sich das Nationalitäten-Prinzip als absurd, da es, wie im Falle Italien [,] angerufen wird, um eine gemeine Erpressung zu heiligen. — *Die Blätter berichten von einer neuen Städtegründung in Amerika, die unter dem Gesichtspunkt des Kino-Prinzipes ausschließlich für Kinozwecke erfolgt ist. 5 Darnach wäre die Stadt von Tag zu Tag ebenso wandelbar wie ein Film! Wie sich aber ein solcher Trieb je in Kultur umsetzen könnte, darüber sich Gedanken zu machen reichen freilich amerikanische Gehirne nicht aus! *Im Restaurant zahlen wir das Rindfleisch mit noch höherem Preis, mit 1.50 Kronen – denn was wäre die Welt, wenn sie das Idol des Kaufmannes, das Risiko, nicht höher schätzen würde, als Religion, Staat, Familie, Kunst[,] Wissenschaft, Hunger, u. s. f. *Des Abends erfahren wir auch im Caféhaus ein ähnliches Probestückchen kaufmännischer Denkweise: Trotz wiederholten Urgenzen kann sich weder der Besitzer des Caféhauses noch der Kellner dazu entschließen, ein 2. Exemplar des „8 Uhr-Blatt8 Uhr-Blattes“ um den Preis von 6 Hellern zu beschaffen. Und lieber riskiert er, daß der Gast wegbleibt (was m . E. ein größerer Verlust als 6 Heller für ihn bedeutet) bevor er die Risiko-Idee mit 6 Hellern belastet. — — Um ½7h abends ein prachtvolles leider zu kurzes Gewitter. *
© Transcription Marko Deisinger. |
14.
The two emperors publish handwritten letters to Conrad von Hötzendorf, 1 in which they convey in the same way their gratitude for his ingenious plan of the Battle of Western Galicia. 2 Thus struck the hour of praise for this man, too, who from the beginning worked in the background, behind archdukes, and behind Germany's military leaders, and who – though he fulfilled his duties with such genius – nonetheless never found the opportunity to refer to a success that dazzled the eye and the ear. What a bitter injustice would have been done to this man if, by chance, the west Galician battle had taken a less triumphant course than it actually did. *The newspapers report Salandra's resignation. 3 It almost seems as if the Italian ministers are behaving like confidence men, by playing tricks on their previous allies: at first Salandra appears, in order to extort significant concessions by making threats; subsequently he makes way for Giolitti or someone else, who will use new tricks to extort further concessions. All of this the Italians call "preservation of national interests"; and all the unprincipledness of this highwayman activity {926} they seem to regard as morally and legally less objectionable than the principle of dowry by which Austria came to the Italian provinces centuries ago: tu felix austria nube. 4 In any case the nationality principle proves absurd since, in the case of Italy, it is invoked to sanctify a common extortion. — *The newspapers report the founding of a new city in America which, from the point of view of the cinema principle, has been achieved entirely for cinematic purposes. 5 Accordingly, the city can be changed from one day to the next, just like a film! Yet how such a practice could ever take root in culture, that is something about which American brains would of course never trouble themselves to be concerned! *At the restaurant, we pay even more for beef: 1.50 Kronen – for what would the world be if it did not value the idol of the businessman – risk – higher than religion, state, family, art, science, hunger, and so on. *In the evening, we experience a similar little specimen of business mentality at the coffee house: in spite of repeated reminders, neither the owner of the coffee house nor the waiter decides to obtain a second copy of the 8-Uhr-Blatt for the price of 6 Heller. And he would rather risk losing his guest (which in my opinion would mean a greater loss for him than 6 Heller) than burden the idea of risk with 6 Heller. — — At 6:30 in the evening, a magnificent thunderstorm, albeit too brief. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Anerkennungsschreiben der Kaiser Franz Josef und Wilhelm an General Conrad v. Hötzendorf," Neue Freie Presse, No. 18221, May 15, 1915, morning edition, p. 2. 4 Part of a longer proverb, Bella gerant alii, tu felix Austria nube! ("Let others wage war; you, happy Austria, marry!") 2 The Gorlice–Tarnów Offensive of May 1915 was a major German military success. It was conceived to relieve pressure from the Russian army on Austria-Hungary along the Eastern Front, and caused the total collapse of the Russian lines and their retreat far into their own country. 3 "Demission des Ministeriums Salandra. Meldung der Agenzia Stefani," Neue Freie Presse, No. 18220, May 14, 1915, evening edition, p. 1. 5 "Die Universalstadt," Neues Wiener Tagblatt, No. 133, May 14, 1915, 49th year, evening edition, p. 4. |