Downloads temporarily removed for testing purposes

7.

Vom magistratischen Bezirksamt Vorladung für den 11. —

Breisach sendet den schuldigen Rest von 20 Kronen nach. —

— Frau Deutsch kommt zu Tisch mit. —

— Frau Colbert erscheint zur Stunde nicht, was mich einigermaßen nervös macht, da ich wieder vor der Unannehmlichkeit einer Auseinandersetzung zu stehen fürchte.

*

Die Rede König Ludwig wird bekannt, in der zum erstenmal die Idee einer Annektion [sic] proklamiert wird zum Zwecke der Erlangung einer Rheinmündung. 1

Ein glücklicher Augenblick meines Lebens! Endlich ein Zeichen, daß die Deutschen Besinnung genug haben, inmitten einer Welt, die verschiedene Prinzipien heuchlerischerweise durcheinander wirft , (wie das Nationalitäten-Prinzip, Slavismus, Imperialismus, u. s. w.), im Grunde aber nur Eroberungskriege führt, – inmitten einer Welt, die sich nicht genugtun kann darin, ihrer erprobten Unfähigkeit billigste Vorteile zu verschaffen, aus einfacher Lebensrücksicht daran zu denken, sich ebenfalls zu vergrößern, schon um nicht wertvolle Elemente an die unfähigen Nationen u. Rassen über Wasser schicken zu müssen.

*

{945} Die „Arbeiter Ztg.;“ protestiert gegen die Annektionsgelüste [sic]! 2 Ja, der salbungsvolle Arbeiterpfaffe würde freilich – befragt, weshalb die Arbeiterpartei nicht für das allgemeine u. direkte Wahlrecht agitiere, – sicher zur Antwort bringen, daß sie das ja nicht mehr nötig habe, die Zeit habe sich geändert; aber zu borniert ist er um zu verstehen, daß sich auch gegenüber dem Anfangsstadium des Krieges das gegenwärtige dadurch unterscheidet, daß inzwischen die Gelüste Rußlands nach den Dardanellen, Englands nach verschiedenen afrikanischen u. asiatischen Inseln Kolonien u. sonstigen Absatzgebieten, Italiens nach der ganzen Adria hervorgebrochen sind, die nun wohl auch Deutschland bestimmen dürfen, seinerseits den Gelüsten entgegenzuwirken, was ja nur dadurch geschehen kann, daß es selbst annektiert.

*

Lesenswerter Aufsatz im „Berl. Tgbl.“ von Fritz Mautner 3 mit einiger Ueberschätzung des italienischen Volkes. Schade, daß auch diesem Autor nicht die leiseste Erkenntnis davon aufdämmert, wie sehr all das politische Treiben doch nur durch die letzte Wurzel der Fähigkeit bezw. Unfähigkeit bestimmt wird. Selbst das erotische Moment ist in dieser Wurzel eingeschlossen in dem Sinne, daß Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Erotik sicher eine der Hauptrollen spielt.

*

© Transcription Marko Deisinger.

7.

From the magistrates' district office, summons for the 11th. —

Breisach sends the 20 Kronen he owes. —

— Mrs. Deutsch joins me for lunch. —

— Mrs. Colbert does not appear for her lesson, which makes me somewhat nervous, as I am afraid that the unpleasantness of a disagreement is imminent.

*

King Ludwig's speech is published, in which the idea of an annexation is proclaimed for the first time, for the purpose of acquiring the Rhein estuary. 1

A happy moment in my life! Finally a sign that the Germans have enough sense – in the midst of a world that hypocritically throws various principles together (such as the nationality principle, [Pan-]Slavism, Imperialism, and so on) but is only conducting a war of conquest in principle, in the midst of a world that does not tire of creating the cheapest advantages of its proven incapacity – to think, from the simple consideration of their own lives, of likewise enlarging themselves, already so as not to have to send valuable elements to the incapable nations and races overseas.

*

{945} The Arbeiter-Zeitung protests against the eagerness for annexation! 2 So, then, the ingratiating workers' priests would of course – if they were asked why the Workers' Party was not agitating for universal and direct suffrage – surely answer that they no longer need it, as the times have changed; but they are too blinkered to understand that the present state of the war differs from the initial stage insofar as Russia's craving for the Dardanelles, England's for various African and Asian colonies and other trading areas, and Italy's for the entire Adriatic have since come to the fore; these now surely may also allow Germany to decide for its part to resist these urges, which can only happen if it likewise practices annexation.

*

Worthwhile essay in the Berliner Tageblatt by Fritz Mautner, 3 with a certain amount of overvaluation of the Italian people. A pity that not even this author has the faintest understanding of how all their political action is determined only by the ultimate root of capability, or in this case incapability. Even the erotic impulse is contained in this root, in the sense that capability and incapability play one of the principal parts in eroticism.

*

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Eine wichtige Rede des Königs von Bayern," Neue Freie Presse, No. 18243, June 7, 1915, morning edition, p. 2.

2 "Die ‚Zukunft des Ostens' und der Sozialismus," Arbeiter-Zeitung, No. 156, June 7, 1915, 27th year, p. 3. "König Ludwig für Annexionen," Arbeiter-Zeitung, No. 157, June 8, 1915, 27th year, pp. 3-4.

3 Fritz Mauthner, "Das italienische Volk," Berliner Tageblatt, No. 284, 44th year, June 6, 1915, morning edition, pp. [9-10].