22.
Die ganze Nacht über heftiger Regen! Des morgens überrascht uns der Schnee in so tiefer Lage, wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben. — — Abmarsch des Batallions [sic] u. Einwaggonierung bei Regen. Wir verteilen Zigarretten [sic] u. machen leider schon gleich zu Beginn die traurige Erfahrung, daß Mittel, wie die unsrigen, gar nicht ausreichen, die Wünsche auch nur der kleinsten Abteilung zu befriedigen. Alle Hände strecken sich zu Lie-Liechen hin u. entgegen, so daß sie wird, da sie unmöglich dem Ansturm widerstehen kann, mit unserem Vorrat aber auch schon gleich bei den ersten Reihen fertig wird. Zweimal erneuern wir die Vorräte, schließlich war gieng der gesamte Vorrat im Dorf zuende u. nun gieng wir konnten es beim besten Willen nicht so weitertreiben. Unangenehm fiel uns auf, daß Herr Hofrat Wagner {1007} ein Einheimischer, in Begleitung seiner Frau mit Blumenkörben erschien u. nun Blumen an die Soldaten zur Verteilung brachte, als wären nur diese Gaben diejenigen, die den Soldaten am willkommensten sind! Noch unangenehmer fiel uns auf, daß sich sowohl der Oberinspektor als Dr. T. nach dem bekannten Cliché all der reichen Drückeberger vom Platze fernhielten. Noch iIn letzter Minute wurde eine fotografische Aufnahme gemacht u. nun ging es mit Hurra hinaus. Fast im selben Augenblick, da sich der Zug in Bewegung setzte, erschien der Patriot Tietze, der mit eigentümlicher Selbstironie einbekannte, daß er „zuerst gefrühstückt habe.“ Als Da ich ihm zunächst sehr sanft ziemlich unsanft zuleibe rückte, u. sodann auch, indem ich eigens von unserem kleinen Geschenk spreche, indirekt zur Rede stelle darüber, weshalb daß er selbst sich zurückgezogen hätte, meinte er: „Ich habe ja dem Hauptmann gesagt, es muß ein großer Vorrat beschaffen [sic] werden.“ Wie man nun sieht, derselbe Jargon bei allen reichen Leuten [recte .] [recte ] dSie erteilen Ratschläge den Bedürftigen u. – frühstücken im übrigen. Ebensowenig hielt ich mit meiner Meinung gegenüber dem Oberinspektor zurück, der meinen Vorwurf verstand, u. jedoch gleichsam zur seiner Rechtfertigung einige materielle Daten seines nur allzu begrenzten knappen Einkommens zum Besten gab. *Endlich telegraphische Antwort von Floriz, die beruhigend wirkt. — — Auch die 2. politische Note wird fertig u. Lie-Liechen macht sich an die Arbeit. Inzwischen bessert sich auch das Wetter. *Die Rede Bethmann-Hollwegs 1 überaus wirksam in ihren Enthüllungen u. Feststellungen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
22.
Throughout the night, a heavy rain! In the morning, we are surprised to see the snow at a low level, such as we have not seen it previously. — — Decampment of the battalion, and boarding of the train carriages, in the rain. We distribute cigarettes and recognize even at the very beginning that, unfortunately, the sort of measures we are providing do not in any way satisfy the wishes even of the smallest section. Every hand stretches towards Lie-Liechen so that she is unable to withstand the onrush and our supply already runs out by the first few rows. We renew our supplies twice, but in the end the entire supply in the village is exhausted and, with the best will in the world, we are unable to do anything further. It displeased us that Councilor Wagner {1007} a local resident, appeared accompanied by his wife with a flower basket and now brought flowers to distribute to the soldiers, as if these gifts were the most welcome ones to the soldiers! We were even more displeased that both the Chief Inspector and Dr. Tietze, in accordance with the well-known cliché, kept all of the rich malingerers at a distance. At the last minute, a photograph was taken, and now there were cries of "Hurrah." Almost at the same moment that the train began to move, Patriot Tietze appeared, admitting with characteristic self-irony, that he "had first had breakfast." As I bore down on him somewhat rudely and then, by speaking specifically about our little present, also confronted him indirectly about his having withdrawn, he said: "I indeed told the captain that a great provision must be provided." As one now sees, the same jargon by all rich people: they distribute words of advice to the needy and go and have their breakfast. No less did I hold back my opinion regarding the Chief Inspector, who understood my criticism, and yet – almost in his defense – shared a few material facts about his all-too-meager income. *Finally a reply by telegraph from Floriz, which has a soothing effect. — — The second political footnote is also finished, and Lie-Liechen gets to work on it. In the meantime, the weather also improves. *Bethmann-Hollweg's speech 1 thoroughly effective in its revelations and declarations. *
© Translation William Drabkin. |
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Die ganze Nacht über heftiger Regen! Des morgens überrascht uns der Schnee in so tiefer Lage, wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben. — — Abmarsch des Batallions [sic] u. Einwaggonierung bei Regen. Wir verteilen Zigarretten [sic] u. machen leider schon gleich zu Beginn die traurige Erfahrung, daß Mittel, wie die unsrigen, gar nicht ausreichen, die Wünsche auch nur der kleinsten Abteilung zu befriedigen. Alle Hände strecken sich zu Lie-Liechen hin u. entgegen, so daß sie wird, da sie unmöglich dem Ansturm widerstehen kann, mit unserem Vorrat aber auch schon gleich bei den ersten Reihen fertig wird. Zweimal erneuern wir die Vorräte, schließlich war gieng der gesamte Vorrat im Dorf zuende u. nun gieng wir konnten es beim besten Willen nicht so weitertreiben. Unangenehm fiel uns auf, daß Herr Hofrat Wagner {1007} ein Einheimischer, in Begleitung seiner Frau mit Blumenkörben erschien u. nun Blumen an die Soldaten zur Verteilung brachte, als wären nur diese Gaben diejenigen, die den Soldaten am willkommensten sind! Noch unangenehmer fiel uns auf, daß sich sowohl der Oberinspektor als Dr. T. nach dem bekannten Cliché all der reichen Drückeberger vom Platze fernhielten. Noch iIn letzter Minute wurde eine fotografische Aufnahme gemacht u. nun ging es mit Hurra hinaus. Fast im selben Augenblick, da sich der Zug in Bewegung setzte, erschien der Patriot Tietze, der mit eigentümlicher Selbstironie einbekannte, daß er „zuerst gefrühstückt habe.“ Als Da ich ihm zunächst sehr sanft ziemlich unsanft zuleibe rückte, u. sodann auch, indem ich eigens von unserem kleinen Geschenk spreche, indirekt zur Rede stelle darüber, weshalb daß er selbst sich zurückgezogen hätte, meinte er: „Ich habe ja dem Hauptmann gesagt, es muß ein großer Vorrat beschaffen [sic] werden.“ Wie man nun sieht, derselbe Jargon bei allen reichen Leuten [recte .] [recte ] dSie erteilen Ratschläge den Bedürftigen u. – frühstücken im übrigen. Ebensowenig hielt ich mit meiner Meinung gegenüber dem Oberinspektor zurück, der meinen Vorwurf verstand, u. jedoch gleichsam zur seiner Rechtfertigung einige materielle Daten seines nur allzu begrenzten knappen Einkommens zum Besten gab. *Endlich telegraphische Antwort von Floriz, die beruhigend wirkt. — — Auch die 2. politische Note wird fertig u. Lie-Liechen macht sich an die Arbeit. Inzwischen bessert sich auch das Wetter. *Die Rede Bethmann-Hollwegs 1 überaus wirksam in ihren Enthüllungen u. Feststellungen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
22.
Throughout the night, a heavy rain! In the morning, we are surprised to see the snow at a low level, such as we have not seen it previously. — — Decampment of the battalion, and boarding of the train carriages, in the rain. We distribute cigarettes and recognize even at the very beginning that, unfortunately, the sort of measures we are providing do not in any way satisfy the wishes even of the smallest section. Every hand stretches towards Lie-Liechen so that she is unable to withstand the onrush and our supply already runs out by the first few rows. We renew our supplies twice, but in the end the entire supply in the village is exhausted and, with the best will in the world, we are unable to do anything further. It displeased us that Councilor Wagner {1007} a local resident, appeared accompanied by his wife with a flower basket and now brought flowers to distribute to the soldiers, as if these gifts were the most welcome ones to the soldiers! We were even more displeased that both the Chief Inspector and Dr. Tietze, in accordance with the well-known cliché, kept all of the rich malingerers at a distance. At the last minute, a photograph was taken, and now there were cries of "Hurrah." Almost at the same moment that the train began to move, Patriot Tietze appeared, admitting with characteristic self-irony, that he "had first had breakfast." As I bore down on him somewhat rudely and then, by speaking specifically about our little present, also confronted him indirectly about his having withdrawn, he said: "I indeed told the captain that a great provision must be provided." As one now sees, the same jargon by all rich people: they distribute words of advice to the needy and go and have their breakfast. No less did I hold back my opinion regarding the Chief Inspector, who understood my criticism, and yet – almost in his defense – shared a few material facts about his all-too-meager income. *Finally a reply by telegraph from Floriz, which has a soothing effect. — — The second political footnote is also finished, and Lie-Liechen gets to work on it. In the meantime, the weather also improves. *Bethmann-Hollweg's speech 1 thoroughly effective in its revelations and declarations. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Eine denkwürdige Rede des deutschen Reichskanzlers" and "Rede des Reichskanzlers" Neue Freie Presse, No. 18317, August 20, 1915, morning edition, pp. 1-5. |