Downloads temporarily removed for testing purposes

6. VIIIIX. 15

Zwei Karten von Sophie über St. Anton – Antwort an sie. — Lie-Liechen reklamiert bei Frau Schuler zwei Wäschestücke. — Brief an Mama mit Gratulation zum Neujahrstage. 1

— Endlich Rast!!

*

Breisach jun. bittet um eine Unterredung. Pneumatische Bestellung für den nächsten Vorm.

*

Dernburgs Rede über den deutschen Kaufmann im Auslande macht den denkbar schlechtesten Eindruck. Der Fluch des kaufmännischen Denkens macht sich leider auch an Dernburg selbst stark bemerkbar. Nur der Geschäfte halber rät er den deutschen Kaufleuten, ihr Deutschtum zu verleugnen u. den Romanen, die eben einmal als die ersten der Welt genommen werden wollen, sich zu unterordnen! Er predigt, der deutsche Kaufmann möge mehr als Freund denn als Lehrmeister gegenüber den anderen Nationen auftreten! Kein Zweifel, daß der ehemalige Bankdirektor die Sachlage verkennt; denn so gut er den Romanen oder Engländern ihre Eitelkeit zubilligt, um derentwillen die Deutschen den ekelhaften Servilismus fortsetzen sollten, müßte er daraus doch den Schluss ziehen, daß eine solche Eitelkeit mit Vorteilen verbunden ist, die sich eben in der Untertänigkeit der Deutschen ausdrücken. Warum aber zögert Dernburg, den Deutschen das Selbstbewußtsein zuzubilligen, das, seiner eigenen Denkweise gemäß, ihnen doch auch wieder Vorteile bringen müßte, die sich im Servilismus der Romanen ausdrücken würde. Herr Dernburg erkennt offenbar nicht das 1x1 der Welt, daß der Begabtere schon durch seine Existenz ein Dorn im Auge ist, daß daher aber sein Auftreten nur wenig in die Waagschale fällt. Der Deutsche sei Freund oder Lehrmeister – der Unbegabung der Franzosen, Engländer, Italiener u. wie sie alle heißen mögen ist erst dann Genüge geschehen, wenn Deutschland einfach nicht mehr auf der Welt existiert. Und zu der Aufhebung der Existenz ist der Servilismus, wie ihn Dernburg empfiehlt, sicher der erste Schritt. {1018} Die Art Dernburgs erinnert übrigens an diejenige des oben geschilderten Reisenden, der meinte: „Wenn ich so sprechen würde, könnte ich mich begraben lassen“, 2 u. der aus echt deutschem Servilismus lieber den Romanen u. Engländern feige den ersten Platz überließ. Man müßte Dernburg fragen, ob es in Ordnung u. ersprießlich wäre, wenn z. B. ein General die Zartheit anwenden würde, sich nicht eben als General vorzustellen – oder es höre Dernburg auf, seinen Rang als Kolonial-Minister vorzustellen! Wohin doch kaufmännisches Denken führt, zu welchen Abstrusitäten, falscher Praxis, falscher individueller sowohl, als selbst moralischer Praxis! Nein! Jeder bekenne offen seinen Rang, falsche Demut führt zu gar nichts u. macht den Tieferstehenden nicht um einen Deut besser. Jeder an seinem Platze! —

*

© Transcription Marko Deisinger.

September 6, 1915.

Two postcards from Sophie via St. Anton – reply to her. — Lie-Liechen claims compensation from Mrs. Schuler for two pieces of laundry. — Letter to Mama with best wishes for New Year's Day. 1

— Peace at last!!

*

Breisach (son) asks to meet me. Request by pneumatic mail for the following morning.

*

Dernburg's speech about the German businessman abroad makes the worst possible impression. The curse of commercial thinking is something that, unfortunately, is strongly observable even in Dernburg. It is only for sake of business dealings that he advises the German merchants to deny their Germanness and to subordinate themselves to the Latins, who want to be regarded as the foremost nations of the world! He preaches that the German businessman might act more like a friend to other nations than their mentor! No doubt, the former bank director is ignorant of the true state of affairs; for as much as he admits the vanity of the Latins and the English, for whose sake the Germans should continue their odious servility, he would have to draw the conclusion from this that such vanity is bound up with advantages that are verily expressed in the subservience of the Germans. But why does Dernburg hesitate to concede that the Germans have the self-confidence which, in accordance with his own way of thinking, would also have to bring them advantages that would be expressed in the servility of the Latins. Mr. Dernburg apparently does not understand the times-table of the world: that the more gifted person, by his existence alone, is a thorn in the eye and that his presence therefore does not do much to upset the balance of things. The German may be friend or mentor – for the ungiftedness of the French, English, Italians, or whatever else they may be called, enough will be done only if Germany simply no longer exists in the world. And the servility that Dernburg recommends is surely the first step in the annulment of existence. {1018} Dernburg's manner reminds me moreover of that of the traveler, portrayed earlier, who said: "Were I to speak in that way, I might as well be buried" 2 and who, out of genuine German servility, cowardly preferred to relinquish first place to the Latins and the English. One would have to ask Dernburg whether it would be appropriate and beneficial if, say, a general were to be so kind as not to present himself as a general – or if Dernburg ceased to present himself in the rank of colonial minister! Yet where business-like thinking leads, to what abstractions, false practice, false individual practice as much as even moral practice! No! Everyone should openly acknowledge his rank; false modesty leads nowhere at all and makes those of lower standing not one bit better. Everyone in his place! —

*

© Translation William Drabkin.

6. VIIIIX. 15

Zwei Karten von Sophie über St. Anton – Antwort an sie. — Lie-Liechen reklamiert bei Frau Schuler zwei Wäschestücke. — Brief an Mama mit Gratulation zum Neujahrstage. 1

— Endlich Rast!!

*

Breisach jun. bittet um eine Unterredung. Pneumatische Bestellung für den nächsten Vorm.

*

Dernburgs Rede über den deutschen Kaufmann im Auslande macht den denkbar schlechtesten Eindruck. Der Fluch des kaufmännischen Denkens macht sich leider auch an Dernburg selbst stark bemerkbar. Nur der Geschäfte halber rät er den deutschen Kaufleuten, ihr Deutschtum zu verleugnen u. den Romanen, die eben einmal als die ersten der Welt genommen werden wollen, sich zu unterordnen! Er predigt, der deutsche Kaufmann möge mehr als Freund denn als Lehrmeister gegenüber den anderen Nationen auftreten! Kein Zweifel, daß der ehemalige Bankdirektor die Sachlage verkennt; denn so gut er den Romanen oder Engländern ihre Eitelkeit zubilligt, um derentwillen die Deutschen den ekelhaften Servilismus fortsetzen sollten, müßte er daraus doch den Schluss ziehen, daß eine solche Eitelkeit mit Vorteilen verbunden ist, die sich eben in der Untertänigkeit der Deutschen ausdrücken. Warum aber zögert Dernburg, den Deutschen das Selbstbewußtsein zuzubilligen, das, seiner eigenen Denkweise gemäß, ihnen doch auch wieder Vorteile bringen müßte, die sich im Servilismus der Romanen ausdrücken würde. Herr Dernburg erkennt offenbar nicht das 1x1 der Welt, daß der Begabtere schon durch seine Existenz ein Dorn im Auge ist, daß daher aber sein Auftreten nur wenig in die Waagschale fällt. Der Deutsche sei Freund oder Lehrmeister – der Unbegabung der Franzosen, Engländer, Italiener u. wie sie alle heißen mögen ist erst dann Genüge geschehen, wenn Deutschland einfach nicht mehr auf der Welt existiert. Und zu der Aufhebung der Existenz ist der Servilismus, wie ihn Dernburg empfiehlt, sicher der erste Schritt. {1018} Die Art Dernburgs erinnert übrigens an diejenige des oben geschilderten Reisenden, der meinte: „Wenn ich so sprechen würde, könnte ich mich begraben lassen“, 2 u. der aus echt deutschem Servilismus lieber den Romanen u. Engländern feige den ersten Platz überließ. Man müßte Dernburg fragen, ob es in Ordnung u. ersprießlich wäre, wenn z. B. ein General die Zartheit anwenden würde, sich nicht eben als General vorzustellen – oder es höre Dernburg auf, seinen Rang als Kolonial-Minister vorzustellen! Wohin doch kaufmännisches Denken führt, zu welchen Abstrusitäten, falscher Praxis, falscher individueller sowohl, als selbst moralischer Praxis! Nein! Jeder bekenne offen seinen Rang, falsche Demut führt zu gar nichts u. macht den Tieferstehenden nicht um einen Deut besser. Jeder an seinem Platze! —

*

© Transcription Marko Deisinger.

September 6, 1915.

Two postcards from Sophie via St. Anton – reply to her. — Lie-Liechen claims compensation from Mrs. Schuler for two pieces of laundry. — Letter to Mama with best wishes for New Year's Day. 1

— Peace at last!!

*

Breisach (son) asks to meet me. Request by pneumatic mail for the following morning.

*

Dernburg's speech about the German businessman abroad makes the worst possible impression. The curse of commercial thinking is something that, unfortunately, is strongly observable even in Dernburg. It is only for sake of business dealings that he advises the German merchants to deny their Germanness and to subordinate themselves to the Latins, who want to be regarded as the foremost nations of the world! He preaches that the German businessman might act more like a friend to other nations than their mentor! No doubt, the former bank director is ignorant of the true state of affairs; for as much as he admits the vanity of the Latins and the English, for whose sake the Germans should continue their odious servility, he would have to draw the conclusion from this that such vanity is bound up with advantages that are verily expressed in the subservience of the Germans. But why does Dernburg hesitate to concede that the Germans have the self-confidence which, in accordance with his own way of thinking, would also have to bring them advantages that would be expressed in the servility of the Latins. Mr. Dernburg apparently does not understand the times-table of the world: that the more gifted person, by his existence alone, is a thorn in the eye and that his presence therefore does not do much to upset the balance of things. The German may be friend or mentor – for the ungiftedness of the French, English, Italians, or whatever else they may be called, enough will be done only if Germany simply no longer exists in the world. And the servility that Dernburg recommends is surely the first step in the annulment of existence. {1018} Dernburg's manner reminds me moreover of that of the traveler, portrayed earlier, who said: "Were I to speak in that way, I might as well be buried" 2 and who, out of genuine German servility, cowardly preferred to relinquish first place to the Latins and the English. One would have to ask Dernburg whether it would be appropriate and beneficial if, say, a general were to be so kind as not to present himself as a general – or if Dernburg ceased to present himself in the rank of colonial minister! Yet where business-like thinking leads, to what abstractions, false practice, false individual practice as much as even moral practice! No! Everyone should openly acknowledge his rank; false modesty leads nowhere at all and makes those of lower standing not one bit better. Everyone in his place! —

*

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Rosh Hashanah, the Jewish New Year, which in 1915 fell on September 9.

2 See diary entry for August 25, 1915.