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26. +5°.

— BriefOJ 12/9, [13] von Karpath: Mittelmann sei seit Sonntag nicht auffindbar; er befürchtet, es sei ihm ein Unglück zugestossen. Abends mit Lie-Liechen ins Café Girsch u. Alberthof, 1 wo uns K. 's Angaben leider bestätigt werden u. wir außerdem die erfreuliche Wahrnehmung machen, daß man mit ziemlichem Respekt von M. {114} spricht. Letzterer Umstand schließt aber Caféhausschulden aus, so daß meine Vermutung eines Selbstmordes einer tatsächlichen Begründung entbehren würde. An Karpath nachts pn. Brief: erkläre vor einem Rätsel zu stehen, da offenbar eine Grundlage für Selbstmord fehlt. —

*

In den „Signalen“ denunziert Dr. Scheuer den jungen Dirigentennachwuchs als unberufen, klagt bei dieser Gelegenheit über den Niedergang der Dirigierkunst u. singt so förmlich eine Nänie, 2 ohne zu ahnen, daß die Zerstörung ja nur gerade durch Skribler seines Schlages herbeigeführt wurde, die das böse Beispiel gezeigt haben, wie man ohne jegliche Berufung u. Kenntnis sich plötzlich mit einem Satze über sämtliche Pflichten der Betätigung in der Kunst, sei es spielend, dirigierend, theoretisierend oder lehrend, zum obersten Richter auf Leben u. Tod über sämtliche in diesem Sinne Ausübenden aus Eigenem macht. Gegenüber dem Verbrechen des Journalismus, der auch Meister zu richten sich anmaßt, ist die Tätigkeit eines unberufenen Dirigenten wahrlich das kleinere Vergehen. —

*

Frau Pairamall trägt dem Frl. Kahn eine Mitwirkung am Kammermusik-Abend bei einem reichen Türken um das Honorar von 15 Kronen an. Ich gebe ihr die [illeg]wohlverdiente Ohrfeige, die nicht minder drastisch wirkte, weil ich sie in folgende Formel umsetzte: (Der Reiche) Was würde ein Kaufmann sagen, wenn ein Käufer einträte u. sich die besten teuersten Waren vorlegen ließe, um schließlich die schlechtesten um billigsten Preis zu erwerben? Ich denke die Erfahrung hat die Kaufleute gelehrt, sich zuerst bei dem Käufer darnach zu erkundigen, wie viel er überhaupt ausgeben wolle u., wornach er dann die vorzulegenden Waren wählt. Mit den Reichen sollten ähnlich die Künstler umgehen, sich vorerst bei ihnen nach der Höhe des Honorars erkundigen, das {115} sie ausgeben wollen u. darnach ihre Leistung eventuell verweigern. Für keinen Fall sollten sie es gestatten, daß der Reiche auch ohne [illeg]Ansehung der Ware nur vom Standpunkt seines billigsten Honorars ausgehe u. unverschämterweise dafür gleichwohl das Beste einfordere. —

*

Der Reiche gibt gerne viel Geld aus, wo er wünscht, daß man sehe wie viel er eben ausgeben kann. Dafür sucht er es dort zu ersparen, wo der Ertrag des Geldes überhaupt nicht gesehen werden kann, also vor allem in geistigen Dingen; in solchen Fällen bettelt er unverschämt u. ringt schmutzigerweise um Geldersparnis. Er entblödet sich bei solcher Gelegenheit nicht einmal zu verstehen zu geben, daß das Auftraten der Künstler in seinem Kreise ihm Zutritt auch zu anderen reichen Kreisen verschaffe. Da ist es denn Pflicht des Künstlers die Geistesgegenwart zu haben, sich von der versprechenden Geste des Schnorrers nicht irreführen zu lassen u. er mag etwa erwidern: So käme ich denn wieder auf Reiche ihres Schlages, also wieder nur auf Bettler u. Schnorrer, womit mir aber nicht gedient wäre. Die Reichen sollen eben stehen lassen, was sie nicht bezahlen können. —

*

Die Unreife des Menschen tritt leider auch dort hervor, wo er einer Hilfe bedarf u. sogar in einem Augenblick, wo er eine ihm wirklich dargebotene Hilfe zu empfangen sich anschickt. Gewohnt, selbst Hilfe weniger in Tat als nur in Versprechen, also in Worten zu leisten, findet er sich nicht zurecht, wenn ihm plötzlich eine wirkliche Tat dargereicht wird. Es fehlt ihm dann der Klang der Worte, die ihm vertraut sind, u. so sehr auch der Instinkt doch weit eher nach einer Tat Bedürfnis hat, läßt er durchblicken, daß ihm auch schon die Worte genügen würden, u. lieber würde er die Tat vermissen, wenn um sein Ohr nur das Lab- {116} sal dummer Worte schwirrt. Dies ist die Art, in der sich die Menschen gewöhnlich mit- u. untereinander abfinden. —

© Transcription Marko Deisinger.

26, +5°.

— LetterOJ 12/9, [13] from Karpath: Mittelmann has not been seen since Sunday; he fears that he has met with an accident. In the evening with Lie-Liechen to the Café Girsch and Alberthof [recte Alserhof], 1 where Karpath's report is, unfortunately confirmed; we also gain the favorable impression that Mittelmann is spoken of with considerable respect. {114} The last point, however, excludes the coffee house from any responsibility, so that my suspicion of suicide would be would be lacking an actual motivation. At night, a pneumatic letter sent to Karpath, in which I declare myself to be confronted with a puzzle, as there is apparently no basis for suicide. —

*

In the Signale für die musikalische Welt , Dr. Scheyer denounces the up and coming generation of conductors as unqualified; uses the opportunity to complain about the decline of the art of conducting, and verily sings a funeral song, 2 without realizing that the destruction has indeed only been brought about by scribblers of his sort, who have shown a bad example of how, in a single sentence about the collective responsibilities of activity in the art – whether playing, conducting, theorizing or teaching – one without any calling or knowledge can suddenly make oneself the foremost life-and-death judge of all who practice in these fields. Compared to the crime of journalism, which presumes to judge even masters, the activity of an unqualified conductor is surely the less significant offense. —

*

Mrs. Pairamall engages Miss Kahn in a collaboration in a chamber music evening at the home of a wealthy Turk, for a fee of 15 Kronen. I give her well-deserved slap in the face, which has a no less drastic effect because I explained it as follows: (the rich) what would a businessman say if a buyer takes me in and was shown the best, most expensive products, only in the end to acquire the worst products at the cheapest price? I think that the experience would teach business people to enquire first of the buyer how much he wants to spend in the first place, after which he can choose the products that are displayed. With the rich, artists should behave in a similar way, enquiring first about the size of the fee that they wish to pay {115} and to offer their services accordingly, or possible withhold them. Under no circumstance should they allow the rich man to proceed on the basis of the cheapest fee even without knowledge of the product, and nonetheless to unashamedly demand the best. —

*

The rich man is happy to spend a lot of money when he wishes that others see how much he has actually spent. Conversely he seeks to save where the expenditure of money will not be seen at all, above all in intellectual things; in such cases he begs unashamedly and struggles greedily to save money. In such cases he has the effrontery not even to admit that the presence of artists in his circle also gives him access to other wealthy circles. It is then the duty of the artist to have the presence of mind not to be led astray by the gesture of promise on the part of the scrounger; and he might reply along these lines: "Thus I would again encounter rich people of your ilk, that is, only more beggars and scroungers, by which I would not be served." The rich should just keep their hands of what they cannot pay for. —

*

The immaturity of people unfortunately manifests itself even when they need help, and actually at the moment where he is in a position to receive help that is on offer. Accustomed as they are to offer help less in acts than in mere promises, i.e. in words, they feel uncomfortable when a helping hand is suddenly extended to them. They then lack the sound of the words with which they can feel comfortable; and however much their instinct has the much greater need for an act, they indicate that the words are alone sufficient; and they would rather forgo the act if only the comfort of silly words buzzes around their ears. {116} This is the way in which people usually deal and come to terms with one another. —

© Translation William Drabkin.

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— BriefOJ 12/9, [13] von Karpath: Mittelmann sei seit Sonntag nicht auffindbar; er befürchtet, es sei ihm ein Unglück zugestossen. Abends mit Lie-Liechen ins Café Girsch u. Alberthof, 1 wo uns K. 's Angaben leider bestätigt werden u. wir außerdem die erfreuliche Wahrnehmung machen, daß man mit ziemlichem Respekt von M. {114} spricht. Letzterer Umstand schließt aber Caféhausschulden aus, so daß meine Vermutung eines Selbstmordes einer tatsächlichen Begründung entbehren würde. An Karpath nachts pn. Brief: erkläre vor einem Rätsel zu stehen, da offenbar eine Grundlage für Selbstmord fehlt. —

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In den „Signalen“ denunziert Dr. Scheuer den jungen Dirigentennachwuchs als unberufen, klagt bei dieser Gelegenheit über den Niedergang der Dirigierkunst u. singt so förmlich eine Nänie, 2 ohne zu ahnen, daß die Zerstörung ja nur gerade durch Skribler seines Schlages herbeigeführt wurde, die das böse Beispiel gezeigt haben, wie man ohne jegliche Berufung u. Kenntnis sich plötzlich mit einem Satze über sämtliche Pflichten der Betätigung in der Kunst, sei es spielend, dirigierend, theoretisierend oder lehrend, zum obersten Richter auf Leben u. Tod über sämtliche in diesem Sinne Ausübenden aus Eigenem macht. Gegenüber dem Verbrechen des Journalismus, der auch Meister zu richten sich anmaßt, ist die Tätigkeit eines unberufenen Dirigenten wahrlich das kleinere Vergehen. —

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Frau Pairamall trägt dem Frl. Kahn eine Mitwirkung am Kammermusik-Abend bei einem reichen Türken um das Honorar von 15 Kronen an. Ich gebe ihr die [illeg]wohlverdiente Ohrfeige, die nicht minder drastisch wirkte, weil ich sie in folgende Formel umsetzte: (Der Reiche) Was würde ein Kaufmann sagen, wenn ein Käufer einträte u. sich die besten teuersten Waren vorlegen ließe, um schließlich die schlechtesten um billigsten Preis zu erwerben? Ich denke die Erfahrung hat die Kaufleute gelehrt, sich zuerst bei dem Käufer darnach zu erkundigen, wie viel er überhaupt ausgeben wolle u., wornach er dann die vorzulegenden Waren wählt. Mit den Reichen sollten ähnlich die Künstler umgehen, sich vorerst bei ihnen nach der Höhe des Honorars erkundigen, das {115} sie ausgeben wollen u. darnach ihre Leistung eventuell verweigern. Für keinen Fall sollten sie es gestatten, daß der Reiche auch ohne [illeg]Ansehung der Ware nur vom Standpunkt seines billigsten Honorars ausgehe u. unverschämterweise dafür gleichwohl das Beste einfordere. —

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Der Reiche gibt gerne viel Geld aus, wo er wünscht, daß man sehe wie viel er eben ausgeben kann. Dafür sucht er es dort zu ersparen, wo der Ertrag des Geldes überhaupt nicht gesehen werden kann, also vor allem in geistigen Dingen; in solchen Fällen bettelt er unverschämt u. ringt schmutzigerweise um Geldersparnis. Er entblödet sich bei solcher Gelegenheit nicht einmal zu verstehen zu geben, daß das Auftraten der Künstler in seinem Kreise ihm Zutritt auch zu anderen reichen Kreisen verschaffe. Da ist es denn Pflicht des Künstlers die Geistesgegenwart zu haben, sich von der versprechenden Geste des Schnorrers nicht irreführen zu lassen u. er mag etwa erwidern: So käme ich denn wieder auf Reiche ihres Schlages, also wieder nur auf Bettler u. Schnorrer, womit mir aber nicht gedient wäre. Die Reichen sollen eben stehen lassen, was sie nicht bezahlen können. —

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Die Unreife des Menschen tritt leider auch dort hervor, wo er einer Hilfe bedarf u. sogar in einem Augenblick, wo er eine ihm wirklich dargebotene Hilfe zu empfangen sich anschickt. Gewohnt, selbst Hilfe weniger in Tat als nur in Versprechen, also in Worten zu leisten, findet er sich nicht zurecht, wenn ihm plötzlich eine wirkliche Tat dargereicht wird. Es fehlt ihm dann der Klang der Worte, die ihm vertraut sind, u. so sehr auch der Instinkt doch weit eher nach einer Tat Bedürfnis hat, läßt er durchblicken, daß ihm auch schon die Worte genügen würden, u. lieber würde er die Tat vermissen, wenn um sein Ohr nur das Lab- {116} sal dummer Worte schwirrt. Dies ist die Art, in der sich die Menschen gewöhnlich mit- u. untereinander abfinden. —

© Transcription Marko Deisinger.

26, +5°.

— LetterOJ 12/9, [13] from Karpath: Mittelmann has not been seen since Sunday; he fears that he has met with an accident. In the evening with Lie-Liechen to the Café Girsch and Alberthof [recte Alserhof], 1 where Karpath's report is, unfortunately confirmed; we also gain the favorable impression that Mittelmann is spoken of with considerable respect. {114} The last point, however, excludes the coffee house from any responsibility, so that my suspicion of suicide would be would be lacking an actual motivation. At night, a pneumatic letter sent to Karpath, in which I declare myself to be confronted with a puzzle, as there is apparently no basis for suicide. —

*

In the Signale für die musikalische Welt , Dr. Scheyer denounces the up and coming generation of conductors as unqualified; uses the opportunity to complain about the decline of the art of conducting, and verily sings a funeral song, 2 without realizing that the destruction has indeed only been brought about by scribblers of his sort, who have shown a bad example of how, in a single sentence about the collective responsibilities of activity in the art – whether playing, conducting, theorizing or teaching – one without any calling or knowledge can suddenly make oneself the foremost life-and-death judge of all who practice in these fields. Compared to the crime of journalism, which presumes to judge even masters, the activity of an unqualified conductor is surely the less significant offense. —

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Mrs. Pairamall engages Miss Kahn in a collaboration in a chamber music evening at the home of a wealthy Turk, for a fee of 15 Kronen. I give her well-deserved slap in the face, which has a no less drastic effect because I explained it as follows: (the rich) what would a businessman say if a buyer takes me in and was shown the best, most expensive products, only in the end to acquire the worst products at the cheapest price? I think that the experience would teach business people to enquire first of the buyer how much he wants to spend in the first place, after which he can choose the products that are displayed. With the rich, artists should behave in a similar way, enquiring first about the size of the fee that they wish to pay {115} and to offer their services accordingly, or possible withhold them. Under no circumstance should they allow the rich man to proceed on the basis of the cheapest fee even without knowledge of the product, and nonetheless to unashamedly demand the best. —

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The rich man is happy to spend a lot of money when he wishes that others see how much he has actually spent. Conversely he seeks to save where the expenditure of money will not be seen at all, above all in intellectual things; in such cases he begs unashamedly and struggles greedily to save money. In such cases he has the effrontery not even to admit that the presence of artists in his circle also gives him access to other wealthy circles. It is then the duty of the artist to have the presence of mind not to be led astray by the gesture of promise on the part of the scrounger; and he might reply along these lines: "Thus I would again encounter rich people of your ilk, that is, only more beggars and scroungers, by which I would not be served." The rich should just keep their hands of what they cannot pay for. —

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The immaturity of people unfortunately manifests itself even when they need help, and actually at the moment where he is in a position to receive help that is on offer. Accustomed as they are to offer help less in acts than in mere promises, i.e. in words, they feel uncomfortable when a helping hand is suddenly extended to them. They then lack the sound of the words with which they can feel comfortable; and however much their instinct has the much greater need for an act, they indicate that the words are alone sufficient; and they would rather forgo the act if only the comfort of silly words buzzes around their ears. {116} This is the way in which people usually deal and come to terms with one another. —

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Probably the Café Alserhof, Alser Straße 23, Vienna 8 (Josefstadt) or the Café Alsergrund at Sechsschimmelgasse 23, Vienna 9 (Alsergrund). Both are situated close to the Café Girsch at Sechsschimmelgasse 7 (Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Handels- und Gewerbe-Adreßbuch für die k. k. Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien. 1915, 57th year, vol. 2, pp. 1148, 1150).

2 Moriz Scheyer, "Der Dirigentenbourgeois," Signale für die musikalische Welt, 74th year, No. 2 (January 12, 1916), pp. 17-20.