5. II. 16 -1°.
— Der Held der vorerwähnten Tragödie klagt auf Aberkennung der ehelichen Geburt des Kindes u. zugleich auf Ehetrennung. 1 *Von Karpath Br.; inliegend eine Karte des Neffen Mittelmanns, der sich zur Aussage selbst gemeldet hat. — — Frau Deutsch gibt uns den Abend frei (K.), zu dem sie uns ursprünglich gebeten hatte. — An Fr. D. Brief mit Empfehlung an Herrn Klein, Mannheim. — *Frl. Birnbaum erscheint zum zweitenmal; ich erkläre ihr aber die Unmöglichkeit des Verfahrens, lehne ab, sie an Stelle der Mutter vorübergehend in den Unterricht einzugliedern, motiviere die Ablehnung mit schlagenden Gründen im Laufe einer Stunde. Da das Fräulein gestand, sich dabei nichts gedacht zu haben, so empfand ich destomehr Anreiz ihr eine gebührende Lektion zu erteilen. Und als ich gar Tränen in ihren Augen bemerkte, habe ich auch diese Kronzeugen verletzter Eitelkeit mir erst recht als Ansporn genommen, um dem Anstand zum Siege gegenüber dem Attentat des Schmutzes zu verhelfen. Aus allem, was das Fräulein sprach, ergab sich ein bedenklicher Mangel an moralischer Gesinnung, auch eine starke Dosis jener Unverfrorenheit, wie sie reichen Menschen nur zu oft eigen ist. So meinte sie z. B., ich würde die Sache zu ernst nehmen, worauf ich aber erwiderte, daß umgekehrt ich ihr gar nicht nachdrücklich genug empfehlen könne, sie ebenso ernst zu nehmen. Die Geschmacklosigkeiten erreichten ihren Höhepunkt, als sie mir im Namen der Mutter deren Bitte überbrachte, zu den Stunden hinüberzukommen, was ich natürlich ablehnte. Was beiden Frauenzimmern vorschwebte war offenbar das Ideal, mir eine Ausnahme vorzustellen, deren Kosten freilich nur ich selbst zu tragen hätte. *{127} In Amerika fühlen sich die Bürger englischer Abstammung trotz neuer staatlicher Gebundenheit nach wie vor als Engländer; nur der Deutsche übertreibt die Tugend der Treue u. Hingabe an das neue Vaterland dadurch, daß er lieber sein Deutschtum verleugnet, als den Staatsgedanken verrät. In seiner moralischen Unbescholtenheit ahnt er nicht, daß er seine Tugend nicht an einen amerikanischen, sondern eben nur an einen englischen Staat vergeudet, wodurch er aber in Widerspruch zu seiner eigenen Absicht gerät. Es zeigt sich auch an diesem Beispiel wieder, wie wenig absolut moralische Grundsätze zu gelten haben, daß erst die Umstände geprüft werden müssen, unter denen Tugend geübt werden soll. *
© Transcription Marko Deisinger. |
February 5, 1916, -1°.
— The hero of the previously mentioned tragedy sues for the revocation of the legitimacy of his child and, at the same time, for divorce. 1 *Letter from Karpath which contains a postcard from Mittelmann's nephew, who has himself reported to give a declaration. — — Mrs. Deutsch (postcard) gives us the evening off, on which she had originally invited us. — To Mrs. Deutsch, a letter with greetings to Mr. Klein of Mannheim. — *Miss Birnbaum appears for the second time; but I explain to her that what she is doing is impossible. I refuse to let her temporarily take over her mother's place, and in the course of her lesson I justify the refusal with compelling reasons. As the girl admitted not to have given the matter any thought, I felt all the more incentive to teach her a proper lesson. And when I noticed there were even tears in her eyes, I took even these crown witnesses of injured vanity more than ever as an incentive to assist my sense of fair play to secure victory against the attempted act of greed. Everything that the girl said gave evidence of a considerable lack of moral rectitude, also a strong dose of that impertinence which is found only too often in rich people. Thus, for example, I was taking the matter too seriously, whereupon I replied that, on the contrary, I could not recommend emphatically enough that she takes the matter just as seriously. Here poor taste reached its high point when she conveyed to me, on behalf of her mother, the wish that she could attend her mother's lessons, something that I naturally rejected. What the two females had in mind was apparently the ideal of proposing a special arrangement whose costs I alone would have to bear. *{127} In America, citizens of English origin, in spite of their new national allegiance, still feel themselves as English; only the Germans overexaggerate the virtues of faith in and dedication to the new fatherland, in that they would rather deny their Germanness than betray the ideals of their [new] country. In their moral integrity, they are unaware that they are wasting their virtue not on an American nation, but merely on an English one. In doing so, they get into a conflict with their own intention. This example again shows what little validity absolute moral principles have if the conditions must first be examined under which virtue is supposed to be practiced. *
© Translation William Drabkin. |
5. II. 16 -1°.
— Der Held der vorerwähnten Tragödie klagt auf Aberkennung der ehelichen Geburt des Kindes u. zugleich auf Ehetrennung. 1 *Von Karpath Br.; inliegend eine Karte des Neffen Mittelmanns, der sich zur Aussage selbst gemeldet hat. — — Frau Deutsch gibt uns den Abend frei (K.), zu dem sie uns ursprünglich gebeten hatte. — An Fr. D. Brief mit Empfehlung an Herrn Klein, Mannheim. — *Frl. Birnbaum erscheint zum zweitenmal; ich erkläre ihr aber die Unmöglichkeit des Verfahrens, lehne ab, sie an Stelle der Mutter vorübergehend in den Unterricht einzugliedern, motiviere die Ablehnung mit schlagenden Gründen im Laufe einer Stunde. Da das Fräulein gestand, sich dabei nichts gedacht zu haben, so empfand ich destomehr Anreiz ihr eine gebührende Lektion zu erteilen. Und als ich gar Tränen in ihren Augen bemerkte, habe ich auch diese Kronzeugen verletzter Eitelkeit mir erst recht als Ansporn genommen, um dem Anstand zum Siege gegenüber dem Attentat des Schmutzes zu verhelfen. Aus allem, was das Fräulein sprach, ergab sich ein bedenklicher Mangel an moralischer Gesinnung, auch eine starke Dosis jener Unverfrorenheit, wie sie reichen Menschen nur zu oft eigen ist. So meinte sie z. B., ich würde die Sache zu ernst nehmen, worauf ich aber erwiderte, daß umgekehrt ich ihr gar nicht nachdrücklich genug empfehlen könne, sie ebenso ernst zu nehmen. Die Geschmacklosigkeiten erreichten ihren Höhepunkt, als sie mir im Namen der Mutter deren Bitte überbrachte, zu den Stunden hinüberzukommen, was ich natürlich ablehnte. Was beiden Frauenzimmern vorschwebte war offenbar das Ideal, mir eine Ausnahme vorzustellen, deren Kosten freilich nur ich selbst zu tragen hätte. *{127} In Amerika fühlen sich die Bürger englischer Abstammung trotz neuer staatlicher Gebundenheit nach wie vor als Engländer; nur der Deutsche übertreibt die Tugend der Treue u. Hingabe an das neue Vaterland dadurch, daß er lieber sein Deutschtum verleugnet, als den Staatsgedanken verrät. In seiner moralischen Unbescholtenheit ahnt er nicht, daß er seine Tugend nicht an einen amerikanischen, sondern eben nur an einen englischen Staat vergeudet, wodurch er aber in Widerspruch zu seiner eigenen Absicht gerät. Es zeigt sich auch an diesem Beispiel wieder, wie wenig absolut moralische Grundsätze zu gelten haben, daß erst die Umstände geprüft werden müssen, unter denen Tugend geübt werden soll. *
© Transcription Marko Deisinger. |
February 5, 1916, -1°.
— The hero of the previously mentioned tragedy sues for the revocation of the legitimacy of his child and, at the same time, for divorce. 1 *Letter from Karpath which contains a postcard from Mittelmann's nephew, who has himself reported to give a declaration. — — Mrs. Deutsch (postcard) gives us the evening off, on which she had originally invited us. — To Mrs. Deutsch, a letter with greetings to Mr. Klein of Mannheim. — *Miss Birnbaum appears for the second time; but I explain to her that what she is doing is impossible. I refuse to let her temporarily take over her mother's place, and in the course of her lesson I justify the refusal with compelling reasons. As the girl admitted not to have given the matter any thought, I felt all the more incentive to teach her a proper lesson. And when I noticed there were even tears in her eyes, I took even these crown witnesses of injured vanity more than ever as an incentive to assist my sense of fair play to secure victory against the attempted act of greed. Everything that the girl said gave evidence of a considerable lack of moral rectitude, also a strong dose of that impertinence which is found only too often in rich people. Thus, for example, I was taking the matter too seriously, whereupon I replied that, on the contrary, I could not recommend emphatically enough that she takes the matter just as seriously. Here poor taste reached its high point when she conveyed to me, on behalf of her mother, the wish that she could attend her mother's lessons, something that I naturally rejected. What the two females had in mind was apparently the ideal of proposing a special arrangement whose costs I alone would have to bear. *{127} In America, citizens of English origin, in spite of their new national allegiance, still feel themselves as English; only the Germans overexaggerate the virtues of faith in and dedication to the new fatherland, in that they would rather deny their Germanness than betray the ideals of their [new] country. In their moral integrity, they are unaware that they are wasting their virtue not on an American nation, but merely on an English one. In doing so, they get into a conflict with their own intention. This example again shows what little validity absolute moral principles have if the conditions must first be examined under which virtue is supposed to be practiced. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Aus dem Gerichtssaale. Zur Ehetragödie des Arztes Dr. Richard Strauß," Neue Freie Presse, No. 18483, February 5, 1916, evening edition, p. 13. |