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14. +6°.

— Im Archiv; die Lektüre der rev. Abschr. [von Beethovens Eroica] abgeschlossen. Die Orig.-Stimmen Haßlinger leider nicht gefunden, auch weiß ich nichts näheres vom Autograph selbst. Die erste Partiturausgabe von Simrock nachhause genommen. Schließlich Mandyczewski gedankt u. ihm beste Wünsche für seine Genesung ausgesprochen.

*

{161} Die Presse benimmt sich, je länger der Krieg dauert, desto zudringlicher, unverschämter u., was niemals verziehen werden sollte, leider auch immer dümmer. In der „Voss. Ztg.“ dringt der Herausgeber, Bernhard, auf den Kanzler, daß er endlich „spreche“ u. um des Nachdrucks willen verweist er darauf, daß ja auch militärische Situationen besprochen werden. 1 Unsinn! Als ob die militärischen Aktionen verraten würden in dem Augenblick, da sie erst ins Auge gefasst werden oder sich gar im ersten Stadium der Ausführung befinden; . Freilich, wenn die Aktionen so weit gediehen sind, daß die Schlacht im Gange ist, ist das Zuschauen, Zuhören u. Beschwatzen nicht mehr zu behindern. Wie kann man aber diplomatische Aktionen damit vergleichen, wie kann man sie dem Auge oder der Neugier blosstellen, wenn sie von vornherein eine locale Umgrenzung, wie etwa die eines Schlachtfeldes ausschließen. Herr Bernhard braucht aber Leitartikel; er selbst will sprechen, u. da er nicht weiß was, so möchte er gerne mit des Reichskanzlers Munde sprechen. Ein bBilliges Reden! — Die „Arbeiter Ztg.;“ zitiert aus dem Aufsatz eines gesinnungsverwandten Blattes, dessen Verfasser allen Ernstes als Friedensbasis empfiehlt: England bleibe bei der Seeherrschaft, Deutschland beim Militarismus! 2 Diesem Idioten scheint also noch nicht einmal aufgegangen zu sein, daß Deutschlands Militarismus ja niemand außer eben die Deutschen selbst einem Zwange unterwirft, wogegen Englands Seeherrschaft eine Oberherrschaft über sämtliche Nationen u. Rassen bedeutet. —

*

Im Schwange sind gegenwärtig Volkswohlfahrtstagungen; dort wird viel gesprochen, als könnte mit Reden geholfen werden. Den Rednern ist es aber bekannt, daß es sich ja nur um das nötige Geld handelt u. daß dieses weder vom Staat, noch von Privaten aufzubringen sein wird. Folglich steckt in allen diesen Unternehmungen meiner Meinung nach mehr Cynismus, als man gemeinhin anzunehmen geneigt wäre. {162} Denn sofern den Rednern die Erkenntnis geläufig ist, daß Tuberculose am besten durch gesundes Wohnungswesen, gute Ernährung bekämpft wird, wozu aber Geld die erste Voraussetzung ist, ist es dann nicht eine blose Wichtigtuerei, wenn man blos von der Notwendigkeit einer guten Wohnung u. Ernährung spricht, statt eben nur davon, wie das Geld eben zwangsweise eingetrieben werden könnte? Der Staat, der das Leben seiner Mitbürger im Kriegsfall in Anspruch nimmt, müßte, schon [illeg]um diesen Anspruch zu seiner eigenen Zufriedenheit realisieren zu können, doch wohl auch für die Gesundheit seiner Bürger sorgen. — Im „N. W. Tgbl.“ spricht Dr. Stekel von der gesundheitlichen Wirkung eines im Laufe des Tages glücklich genossenen Rausches, sei es welcher Art immer. 3 Die Idee ist zu naheliegend u. von der Natur aus biologisch derart sichergestellt, daß sich in seiner Art wohl jedes Individuum um einen solchen Rausch bemüht. Es fiel dem Verfasser daher auch nicht schwer, zu seinem Gedanken passende Zitate bedeutender Denker oder Dichter zu finden. Und doch verkennt er den tieferen Sinn der zitierten Stellen, wenn er meint, daß der Mensch auch in seinem Lustbedürfnis Abwechslung braucht, d. h., daß die Lust de sr Menschen darin vor allem d enie Gegenstand Gegenstände wechseln mußen [sic], wenn sie nicht anders ihre Fähigkeit einbüßen sollte. 4 Die Wahrheit liegt vielmehr so: Ist die Lust blos genießend u. entbehrt sie eines schöpferischen Akzentes, also jener schöpferischen Kraft, die den Gegenstand der Lust durchdringt, mit Erkenntnis aufnimmt u. pflegt (sei es welche Pflicht, welcher Gegenstand immer), so geht die Lust an ihrer Passivität nur zu bald zugrunde. Irrational geworden mündet sie in die übrige Irrationalität des Lebens u. macht den Menschen müde, wie eben alle Systemlosigkeit überhaupt. Alles Freischwebende ohne Ziel ist nämlich in dieser Hinsicht Ausdruck des Chaotischen u. daher eine Bürde. Man stelle sich eine {163} Frau vor, die Männer sucht, weil sie keinen zu besitzen vermag oder einen Mann, der nach Frauen jagt, weil er eben so wenig Frauen zu besitzen vermag weiß. In solchen Fällen macht gerade die Abwechslung müde, weil sie ein schöpferisches Durchdringen der Pflicht, des Gegenstandes ausschließt. In diesem Sinne darf man die Neurotiker als Personen bezeichnen, die einfach an ihrem Durchschnittsmenschentum erkrankt sind.

*

© Transcription Marko Deisinger.

14. +6°.

— At the Archive; the study of the revised copy [of Beethoven's Eroica] completed. The first edition of the parts, published by Haslinger, unfortunately not found; and I know nothing in particular about the autograph itself. The first edition of the score, published by Simrock, taken home. Finally I thanked Mandyczewski and expressed my best wishes for his recovery.

*

{161} The longer the war goes on, the more the press becomes more intrusive, more insolent, and unfortunately – something that should never be excused – more stupid. In the Vossische Zeitung , the editor, Bernhard, urges the chancellor finally to "speak"; and for sake of emphasis he points out that even military situations should be discussed. 1 Nonsense! As if military actions should be revealed at the moment in which they are first conceived, or are even at the first stage of being carried out. Of course, if the actions have progressed so far that the battle is already underway, then observing, listening and cajoling should no longer be impeded. But how can one compare diplomatic actions with that; how can one expose them to the eye or to curiosity, if they preclude at the outset a local delimitation such as a battlefield. Mr. Bernhard, however, needs lead articles; he himself wishes to speak. And since he doesn't know what to say, he would gladly like to speak with the imperial chancellor's voice. Cheap talk! — The Arbeiter-Zeitung quotes from an article published in a like-minded paper, whose author recommends, in all seriousness, as a basis of peace: leave England to its command of the seas, Germany to its militarism! 2 It hasn't even dawned on this idiot that no one should subject Germany's militarism to any form of coercion, except the Germans themselves, whereas England's command of the seas signifies a dominion over all nations and races. —

*

At present, conferences devoted to the welfare of the people are fashionable. There a great deal is spoken, as if help could be given by talking. But the speakers know that it is only a question of the money that is necessary, and that this can be procured neither from the state nor from private persons. It follows, in my opinion, that more cynicism lies behind all these enterprises than one is generally inclined to suppose. {162} For insofar as it is commonly recognized by the speakers that tuberculosis is best combatted by good living conditions and a healthy diet – for which, however, money is the first presupposition – is it not mere pomposity if one only speaks of the necessity of a good living accommodation and nourishment, rather than actually just asking how the money can actually be collected? The state which makes use of the lives of its citizens in times of war should, just to be able to realize this entitlement to its own satisfaction, also look after the health of its citizens. — In the Neues Wiener Tagblatt , Dr. Stekel speaks of the health benefits of intoxication enjoyed once in the course of the day, whatever form it may take. 3 The idea is too obvious, and biologically guaranteed by nature such that probably every individual will, in his own way, strive for such an intoxication. Thus the author also has little difficulty finding quotations of major thinkers and poets to support his thinking. And yet he misses the deeper meaning of the quoted passages when he says that people, even in their need for pleasure, need variety. That is, people need above all variety; that is, the objects [of their pleasure] need to change if that pleasure is not to sacrifice its effectiveness. 4 The truth is rather different: if the pleasure is merely to be enjoyed and dispenses with a creative impulse – that is, that creative power that pervades the object of desire and acquires and practices it with understanding (regardless of what obligation, what object) – then the desire will soon perish as a result of its passivity. Having become irrational, it will flow into the remaining irrationality of life and make people tired, as does all disorderliness. Everything that floats freely without purpose is namely, in this respect, an expression of the chaotic, and thus a burden. {163} Imagine a woman who seeks after men because she is unable to possess any man, or a man who chases after women because he is just as little capable of possess women. In such cases, variety itself is tiring because it excludes a creative penetration of the obligation, of the object. In this sense, one can define neurotics as people who simply suffer from their human mediocrity.

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© Translation William Drabkin.

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— Im Archiv; die Lektüre der rev. Abschr. [von Beethovens Eroica] abgeschlossen. Die Orig.-Stimmen Haßlinger leider nicht gefunden, auch weiß ich nichts näheres vom Autograph selbst. Die erste Partiturausgabe von Simrock nachhause genommen. Schließlich Mandyczewski gedankt u. ihm beste Wünsche für seine Genesung ausgesprochen.

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{161} Die Presse benimmt sich, je länger der Krieg dauert, desto zudringlicher, unverschämter u., was niemals verziehen werden sollte, leider auch immer dümmer. In der „Voss. Ztg.“ dringt der Herausgeber, Bernhard, auf den Kanzler, daß er endlich „spreche“ u. um des Nachdrucks willen verweist er darauf, daß ja auch militärische Situationen besprochen werden. 1 Unsinn! Als ob die militärischen Aktionen verraten würden in dem Augenblick, da sie erst ins Auge gefasst werden oder sich gar im ersten Stadium der Ausführung befinden; . Freilich, wenn die Aktionen so weit gediehen sind, daß die Schlacht im Gange ist, ist das Zuschauen, Zuhören u. Beschwatzen nicht mehr zu behindern. Wie kann man aber diplomatische Aktionen damit vergleichen, wie kann man sie dem Auge oder der Neugier blosstellen, wenn sie von vornherein eine locale Umgrenzung, wie etwa die eines Schlachtfeldes ausschließen. Herr Bernhard braucht aber Leitartikel; er selbst will sprechen, u. da er nicht weiß was, so möchte er gerne mit des Reichskanzlers Munde sprechen. Ein bBilliges Reden! — Die „Arbeiter Ztg.;“ zitiert aus dem Aufsatz eines gesinnungsverwandten Blattes, dessen Verfasser allen Ernstes als Friedensbasis empfiehlt: England bleibe bei der Seeherrschaft, Deutschland beim Militarismus! 2 Diesem Idioten scheint also noch nicht einmal aufgegangen zu sein, daß Deutschlands Militarismus ja niemand außer eben die Deutschen selbst einem Zwange unterwirft, wogegen Englands Seeherrschaft eine Oberherrschaft über sämtliche Nationen u. Rassen bedeutet. —

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Im Schwange sind gegenwärtig Volkswohlfahrtstagungen; dort wird viel gesprochen, als könnte mit Reden geholfen werden. Den Rednern ist es aber bekannt, daß es sich ja nur um das nötige Geld handelt u. daß dieses weder vom Staat, noch von Privaten aufzubringen sein wird. Folglich steckt in allen diesen Unternehmungen meiner Meinung nach mehr Cynismus, als man gemeinhin anzunehmen geneigt wäre. {162} Denn sofern den Rednern die Erkenntnis geläufig ist, daß Tuberculose am besten durch gesundes Wohnungswesen, gute Ernährung bekämpft wird, wozu aber Geld die erste Voraussetzung ist, ist es dann nicht eine blose Wichtigtuerei, wenn man blos von der Notwendigkeit einer guten Wohnung u. Ernährung spricht, statt eben nur davon, wie das Geld eben zwangsweise eingetrieben werden könnte? Der Staat, der das Leben seiner Mitbürger im Kriegsfall in Anspruch nimmt, müßte, schon [illeg]um diesen Anspruch zu seiner eigenen Zufriedenheit realisieren zu können, doch wohl auch für die Gesundheit seiner Bürger sorgen. — Im „N. W. Tgbl.“ spricht Dr. Stekel von der gesundheitlichen Wirkung eines im Laufe des Tages glücklich genossenen Rausches, sei es welcher Art immer. 3 Die Idee ist zu naheliegend u. von der Natur aus biologisch derart sichergestellt, daß sich in seiner Art wohl jedes Individuum um einen solchen Rausch bemüht. Es fiel dem Verfasser daher auch nicht schwer, zu seinem Gedanken passende Zitate bedeutender Denker oder Dichter zu finden. Und doch verkennt er den tieferen Sinn der zitierten Stellen, wenn er meint, daß der Mensch auch in seinem Lustbedürfnis Abwechslung braucht, d. h., daß die Lust de sr Menschen darin vor allem d enie Gegenstand Gegenstände wechseln mußen [sic], wenn sie nicht anders ihre Fähigkeit einbüßen sollte. 4 Die Wahrheit liegt vielmehr so: Ist die Lust blos genießend u. entbehrt sie eines schöpferischen Akzentes, also jener schöpferischen Kraft, die den Gegenstand der Lust durchdringt, mit Erkenntnis aufnimmt u. pflegt (sei es welche Pflicht, welcher Gegenstand immer), so geht die Lust an ihrer Passivität nur zu bald zugrunde. Irrational geworden mündet sie in die übrige Irrationalität des Lebens u. macht den Menschen müde, wie eben alle Systemlosigkeit überhaupt. Alles Freischwebende ohne Ziel ist nämlich in dieser Hinsicht Ausdruck des Chaotischen u. daher eine Bürde. Man stelle sich eine {163} Frau vor, die Männer sucht, weil sie keinen zu besitzen vermag oder einen Mann, der nach Frauen jagt, weil er eben so wenig Frauen zu besitzen vermag weiß. In solchen Fällen macht gerade die Abwechslung müde, weil sie ein schöpferisches Durchdringen der Pflicht, des Gegenstandes ausschließt. In diesem Sinne darf man die Neurotiker als Personen bezeichnen, die einfach an ihrem Durchschnittsmenschentum erkrankt sind.

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© Transcription Marko Deisinger.

14. +6°.

— At the Archive; the study of the revised copy [of Beethoven's Eroica] completed. The first edition of the parts, published by Haslinger, unfortunately not found; and I know nothing in particular about the autograph itself. The first edition of the score, published by Simrock, taken home. Finally I thanked Mandyczewski and expressed my best wishes for his recovery.

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{161} The longer the war goes on, the more the press becomes more intrusive, more insolent, and unfortunately – something that should never be excused – more stupid. In the Vossische Zeitung , the editor, Bernhard, urges the chancellor finally to "speak"; and for sake of emphasis he points out that even military situations should be discussed. 1 Nonsense! As if military actions should be revealed at the moment in which they are first conceived, or are even at the first stage of being carried out. Of course, if the actions have progressed so far that the battle is already underway, then observing, listening and cajoling should no longer be impeded. But how can one compare diplomatic actions with that; how can one expose them to the eye or to curiosity, if they preclude at the outset a local delimitation such as a battlefield. Mr. Bernhard, however, needs lead articles; he himself wishes to speak. And since he doesn't know what to say, he would gladly like to speak with the imperial chancellor's voice. Cheap talk! — The Arbeiter-Zeitung quotes from an article published in a like-minded paper, whose author recommends, in all seriousness, as a basis of peace: leave England to its command of the seas, Germany to its militarism! 2 It hasn't even dawned on this idiot that no one should subject Germany's militarism to any form of coercion, except the Germans themselves, whereas England's command of the seas signifies a dominion over all nations and races. —

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At present, conferences devoted to the welfare of the people are fashionable. There a great deal is spoken, as if help could be given by talking. But the speakers know that it is only a question of the money that is necessary, and that this can be procured neither from the state nor from private persons. It follows, in my opinion, that more cynicism lies behind all these enterprises than one is generally inclined to suppose. {162} For insofar as it is commonly recognized by the speakers that tuberculosis is best combatted by good living conditions and a healthy diet – for which, however, money is the first presupposition – is it not mere pomposity if one only speaks of the necessity of a good living accommodation and nourishment, rather than actually just asking how the money can actually be collected? The state which makes use of the lives of its citizens in times of war should, just to be able to realize this entitlement to its own satisfaction, also look after the health of its citizens. — In the Neues Wiener Tagblatt , Dr. Stekel speaks of the health benefits of intoxication enjoyed once in the course of the day, whatever form it may take. 3 The idea is too obvious, and biologically guaranteed by nature such that probably every individual will, in his own way, strive for such an intoxication. Thus the author also has little difficulty finding quotations of major thinkers and poets to support his thinking. And yet he misses the deeper meaning of the quoted passages when he says that people, even in their need for pleasure, need variety. That is, people need above all variety; that is, the objects [of their pleasure] need to change if that pleasure is not to sacrifice its effectiveness. 4 The truth is rather different: if the pleasure is merely to be enjoyed and dispenses with a creative impulse – that is, that creative power that pervades the object of desire and acquires and practices it with understanding (regardless of what obligation, what object) – then the desire will soon perish as a result of its passivity. Having become irrational, it will flow into the remaining irrationality of life and make people tired, as does all disorderliness. Everything that floats freely without purpose is namely, in this respect, an expression of the chaotic, and thus a burden. {163} Imagine a woman who seeks after men because she is unable to possess any man, or a man who chases after women because he is just as little capable of possess women. In such cases, variety itself is tiring because it excludes a creative penetration of the obligation, of the object. In this sense, one can define neurotics as people who simply suffer from their human mediocrity.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Georg Bernhard, "Los vom Schweigen," Vossische Zeitung, No. 133, March 13, 1916, morning edition, pp. [1-2].

2 "Vor der Reichstagstagung," Arbeiter-Zeitung, No. 74, March 14, 1916, 28th year, p. 1.

3 Wilhelm Stekel, "Der Rausch des Tages" (Feuilleton), Neues Wiener Tagblatt, No. 74, March 14, 1916, 50th year, pp. 3-5.

4 Schenker's pencil corrections to this sentence have not been carried out fully; the translation is thus only an approximation of the revised text.