10. V. 16 Wolkenlos!
— Wilsons Antwort trifft ein! Er nimmt den deutschen Standpunkt an, u. erlaubt sich aber nach seiner gewohnte rn Art ein neues Attentat auf die Logik, indem er zum Schlusse bemerkt, daß „das Verhalten einer anderen Regierung“ an dem Zustand, wie er durch das Nachgeben Deutschlands erreicht worden, in diesem [illeg]Zusammenhange nichts zu sagen haben werde. 1 Man kann es nur vielleicht einem übermäßigen Whiskygenuß zuschreiben, wenn der Präsident die Bedingung, die Deutschland in seiner Note gestellt hat, daß es nämlich den Wünschen Wilsons nachgebe, vorausgesetzt, daß {230} er seinerseits die Rechte Deutschlands auf neutrale Gesinnung durch energisches Vorgehen gegen England betätigen werde – so versteht, als ob nicht er selbst zur Neutralität verpflichtet wäre, sondern als neutral befunden werden müßte selbst dann, wenn er das Verhalten einer anderen Regierung, obgleich es völkerrechtswidrig ist, dennoch unkorrigiert läßt. Ja, seinerseits fühlt sich Wilson zu keiner Leistung verpflichtet u. alle Menschlichkeit findet er darin allein bestätigt, wenn ihm gestattet wird so neutral zu sein, wie es für sein Geschäft paßt, also einseitig feindlich wider Deutschland, freundlich wider England. Was das Verhalten einer anderen Regierung mit seiner Neutralität zu tun habe, scheint Herr Wilson in einem offenbar betrunkenen Zustand zu fragen. Er findet keinen Zusammenhang u. trotz so vieler Verbrechen wider die Menschlichkeit, worunter nicht die kleinsten die ständigen Attentate gegen Logik u. gute Sitten der Sprache, noch immer die pathetische Deklamation von absoluter Menschlichkeit usw. usw.! Der Amerikaner bringt es eben fertig, Whisky-Trunkenheit für eine Gottestrunkenheit auszugeben! — *König Ludwig wettert wider den Lebensmittelwucher, die er Landesverräter nennt. 2 Jämmerlichen Eindruck aber macht es, wenn er an die zuständigen Behörden appelliert, damit sie dem schädlichen Treiben ein Ende bereiten. Darf sich ein König so ohnmächtig zeigen? — *Lie-Liechen tritt in einen Laden ein, um Brot zu kaufen. Ursprünglich hält die KGreislerin [sic] das Brot verborgen; da Lie-Liechen es aber erblickt, meint sie, sie wäre bereit, ein halbes abzugeben. Als aber Lie-Liechen einwendet, daß es ihr doch einerlei sein müßte, ob sie 2 halbe Brote an 2 Personen oder ein ganzes an eine Person gebe, nachdem das Verbot, ein ganzes Brot abzugeben, aufgehoben wurde, versteht sich endlich {231} die Greislerin [sic] auch zu diesem Standpunkt, nur fordert sie von Lie-Liechen den Preis zweier Halben Brote für ein ganzes, was eine Differenz von 2 Hellern ausmacht. *Frl. König sagt ab. — *Die Juden: Man denke sich, es lebten unter uns noch die Griechen oder Römer u. sprächen ihr Griechisch wenn auch verdorben, rezitierten ihren Homer, läsen ihre Philosophen u. Dramatiker; würden wir da das Recht haben, von ihnen als von kulturell rückständigen Menschen zu sprechen, da wir heute doch auch selbst in den Schulen ihr Griechisch u. ihre Geistesprodukte uns anzueignen bestrebt sind? Mit welchem Rechte nennt man kulturell rückständig die Juden, wenn sie ihr [illeg]Hebräisch, ihre Bibel u. die übrige Literatur unter uns pflegen, also Güter, die auch wir alle ebenso wie sie mit ihnen pflegen? *Der Deutsche: Nennt sich leider auch selbst nüchtern u. läßt sich als nüchtern schelten. Nichts ist falscher als dieses! Sein Leben ist in Fleiß, Sitte, Treue, Tiefe u. Tüchtigkeit dahingelebte Poesie. Dagegen ist das angeblich poetischere Leben der Franzosen, Italiener, Engländer u. s. w. weil nur phrasen ergefüllte nüchternste Lüge. Phrase ist ja noch keine Poesie! — *Mischungen in Angriff genommen. — — Die W. R. W. erheben einen Kriegszuschlag von 40% u. erdreisten sich, die Preise noch außerdem im einzelnen zu erhöhen. Ich weise diese Zumutung zurück. — *Der Kaufmann: Lie-Liechen erzählt, der Eier- u. Butterhändler, bei dem sie einkauft, habe in Gegenwart von Kunden per Post eine Zuschrift erhalten, sie eingesehen u. dann laut gesagt: „Lieber sollten sie mir Eier u. Butter geben, dann zeichne ich die Anleihe“. {232} Man entnimmt, daß der [recte Der] reichgewordene Krämer hat sich also zur Zeichnung der Kriegsanleihe noch nicht entschlossen u. auch nicht entschließen will. In der bestialischen Auffassung des Krämers versteht er den Staat als eine Institution, die sich um ihn zu drehen hat. Von Pflichten dem Staate gegenüber ahnt nicht einmal noch sein Gewissen etwas. — *Menschentode: dDa es den Tieren an Bewußtsein fehlt, fehlt es ihnen gewiß daher auch an Pietät gegenüber Verstorbenen. Pietät ein Bestandteil menschlichen Bewußtseins. Indessen vermag auch das Bewußtsein, das sich der Mensch im Laufe der Jahrhunderte erworben hat, die Grenzen nicht zu überspannen u. es harrt seiner die Notwendigkeit, die Pietät auf ein Maß zu beschränken, wenn das Bewußtsein des Lebens weiterhin Geltung behalten soll. Eben das Bewußtsein, das Pietät lehrt, lehrt zugleich ja auch Pietät für die Gegenwart u. Zukunft des eigenen Lebens u. legt, indem sie [recte es] die Pflicht zum Leben einfordert, das Maß für die Pietät fest. Auf Umwegen also auch über das Bewußtsein gelangt der Mensch dennoch unter das Joch der Natur u. er wiederholt schließlich, wenn auch allerdings mit erhöhtem Bewußtsein, was wir bei den Tieren wahrnehmen, daß die Lebenden an den Toten achtlos vorübergehen. *Der Reiche: Wäre Trägheit infolge Unfähigkeit nicht eine den Menschen meist angeborene Eigenschaft, so würde es sicherlich zu den Standeskennzeichen auch der Reichen gehören zu arbeiten u. ebenso in der ersten Reihe der Arbeiter gehören zu stehen, wie sie im Theater oder bei sonstigen Schaustellungen in der ersten Parquettreihe [sic] sich zur Schau ausstellen. Indem die Reichen sich der Trägheit ergeben, tun sie blos, als würden sie den Reichtum als Mittel zur Nicht-Arbeit gebrauchen, während in Wahrheit die Sache so steht, daß sie dadurch nur etwas zu beschönigen beabsichtigen, was sich nicht beschönigen läßt, nämlich daß sie zur Arbeit überhaupt unfähig sind. Denn, Menschen die zur Arbeit {233} fähig sind, wollen auch bei Reichtum arbeiten, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß auf die Dauer selbst Arbeitslustige an Energie einbüßen, wenn ihnen die Mittel zur Bequemlichkeit allzu reichlich fließen. Die Parole der Welt müßte lauten: Die Arbeit in Mode bringen! — *Englisch-amerikanisch: Herr Lansing meint, ein Vertrag mit England lasse es nicht zu, daß Amerika von England nach Belieben dies oder jenes fordere, wie Deutschland es wünscht. 3 Echt amerikanisches Strolchtum: Auf der einen Seite behauptet Wilson, das Recht auf Menschlichkeit sei eine absolute Sache, das Völkerrecht stehe über Verträgen u. Deutschland müsse einfach die Pflicht der Menschlichkeit erfüllen. iIm Augenblicke aber, da man von ihm Erfüllung der Menschlichkeitsgesetze fordert u. erwartet, erklärt Lansing Aanderseits, daß Amerika an Verträge gebunden sei! Er gibt also zu, daß Amerika mit England Verträge habe, die über dem Völkerrecht u. über den gröbsten Verletzungen der Menschlichkeitsgesetze stehen. Der eine Engländer Anglo-Am. spricht vom absoluten Charakter der Menschlichkeitsgesetze, der andere vom relativen Charakter – sie Beide aber wollen für Menschen, für Logiker, für ehrlich u. Ehrenmänner angesehen werden! Es läßt sich also denken – u. dieses ist ja der Hauptinhalt der englisch-amerikanischen Entwicklungsgeschichte, – daß der englische Kaufmann ein Menschlichkeitspostulat als solches nicht gelten läßt, sobald er einen Vertrag auf Aufhebung desselben geschlossen hat. Es Das erinnert an die Verträge über den Sklavenhandel! Der Kaufmann bringt es eben fertig den Sklavenvertrag hoch höher zu halten, blos weil er Vertrag ist, als das, was Inhalt des Vertrages ist, nämlich das Menschenleben! Wenn er nur einen Vertrag abgeschlossen hat, meint der Krämer, dann hört auch jedes Verbrechen auf eo ipso ein Verbrechen zu sein. In Vertragsform meint er, gibt es kein Verbrechen. So denkt er, lebt er, handelt er, bis er selbst, auf irgend eine Weise abgeohrfeigt wie ein Excrement in d enie Kanal Kanäle der Vergangenheit geworfen wird! — *{234} König Ludwig erklärt, Deutschland wolle nur einen Frieden, der seine Stellung gegenüber der gegenwärtigen verbessert. 4 Hat nicht der König früher dröhnender gesprochen oder täusche ich mich? *Ein augenblicklich gefeierter Spruchdichter, Wertheimer, sagt: „Die Reichen leben standesgemäß, aber sie geben nicht standesgemäß.“ Ich füge hinzu: Und selbst wenn sie zudringlicher u. schamloser betteln, als der ärmste der Bettler nur betteln kann, bilden sie sich ein, bloß erst standesgemäß zu nehmen! — *
© Transcription Marko Deisinger. |
May 10, 1916, cloudless!
— Wilson's reply arrives! He accepts the German standpoint but allows himself, in his usual way, to make a new assault on logic by observing that "the behavior of another government" towards the situation, as it has been reached by Germany's concession, will have nothing to say in this connection. 1 One can perhaps attribute it to an excessive enjoyment of whisky if the president understands the conditions which Germany has set out in its note – that it would agree to Wilson's wishes on the understanding that, {230} for his part, he would exercise the rights of Germany to neutral intention by energetic dealings against England – as if he himself were not committed to neutrality but would have to be judged neutral even when he allows the behavior of another government to go uncorrected even though it contravenes international law. Indeed, Wilson for his part does not feel obliged to achieve anything; and he finds the whole of humanity confirmed only if he is permitted to be as neutral as necessary to suit his business, thus one-sidedly opposed to Germany and friendly to England. What the behavior of another government may have to do with his neutrality is something that Wilson seems to question, in a state of evident drunkenness. He finds no coherence; and this in spite of so many crimes against humanity, not least among which are the constant attacks on logic and good manners in speech, to say nothing of the pathetic declamation of absolute humanity, and so on and so forth! The American even manages to make intoxication from whisky out to be an intoxication with God! — *King Ludwig rails against the food profiteers, whom he calls betrayers of the country. 2 It makes a pathetic impression, however, that he appeals to the authorities responsible for this, asking them to put an end to this damaging practice. Can the king show himself to be so powerless? — *Lie-Liechen enters a shop to buy bread. Initially the proprietress keeps the bread hidden; but when Lie-Liechen sees it, the lady says that she would be prepared to give her half a loaf. When, however, Lie-Liechen objects on the grounds that it must surely not matter whether she sells two half-loaves to two people or a whole loaf to one, the ban on selling whole loaves having been lifted, {231} the shopkeeper finally comes around to accepting her argument – only she asks Lie-Liechen to pay the price of two half loaves, instead of a whole one, which makes a difference of 2 Heller. *Miss König cancels. — *The Jews: imagine that there still lived among us Greeks or Romans who spoke their Greek, even if corrupted, recited their Homer, read their philosophers and dramatists; would we have the right to speak of them as culturally backward people, as even today we ourselves strive in our schools to make their Greek and their intellectual products our own? With what right can one call the Jews culturally backwards, if they practice their Hebrew, their Bible and the remaining literature among us, i.e. goods that we all, too, practice with them? *The German: he unfortunately calls even himself mundane, and allows himself to be berated for being mundane. Nothing is further from the truth! His life is lived in industry, convention, faithfulness, profoundness and poetry born of virtue. By contrast, the supposedly more poetic life of the French, Italians, English, and so on, is the most prosaic lie, because it is filled only with phrases. A phrase is by no means poetry! — *Mixture [combining of the species] taken up. — — The laundry company imposes a wartime surcharge of 40% and has the audacity to additionally raise the prices of individual items. I reject this impertinence. — *The businessman: Lie-Liechen tells me that the egg and butter merchant where she shops has, in the presence of customers, received a letter in the post, examined it, and then said aloud: "They should rather give me eggs and butter, then I will subscribe to a loan." {232} The shopkeeper who has grown rich has thus not yet decided to subscribe to the war bonds. In his bestial mentality, the shopkeeper understands the state as an institution that has to revolve around him. Of duties to the state, his conscience does not yet have any idea. — *Death of human beings: since animals are lacking in conscience, they thus also lack reverence for the dead. Reverence is a component of human conscience. Nonetheless even conscience, which man has acquired over the course of centuries, cannot overstep the boundaries; and necessity is bound to restrict reverence to a certain quantity if consciousness of life is to retain further value. Even the conscience that reverence teaches us at the same time teaches us reverence for the present and future of our own life and, by demanding the obligation to live, determines the measure of reverence. By an indirect route, thus even in consciousness, man nonetheless makes his way under the yoke of nature, and he ultimately repeats, albeit with greater conscience, that which perceived in animals: that the living pass over the dead with negligence. *The rich man: if laziness as result of incapability were not one of the most innate characteristics of people, then it would surely be one of the signs of rank, even among the rich, to work and likewise to stand in the front row of the workers, as they present themselves in the theatre or in the first row of the orchestra. Since the rich are given to laziness, they merely behave as if they use their wealth as a means for not working, whereas in truth the matter stands thus: that they are only intent on whitewashing something that cannot be whitewashed, namely that they are utterly incapable of work. For people who are capable of work {233} wish also to work, even if it cannot be denied that, in the long run, even people who are keen to work must forfeit energy if the means for comfort flow all too abundantly. The watchword ought to be: make work fashionable! — *English-American: Mr. Lansing says that a treaty with England does not mean that America should demand at its pleasure this or that from England, as Germany wishes. 3 Genuine American thuggery: on the one hand Wilson believes that the right to humanity is an absolute matter, international law stands above treaties, and Germany must simply fulfill its obligation to humanity. But in the moment in which he is asked to fulfill the laws of humanity, Lansing explains that America is nonetheless bound by treaties! He admits, then, that America has treaties with England that stand above international law and above the crudest breaches of the laws of humanity. The one Anglo-American speaks of the absolute character of the laws of humanity, the other of their relative character – both, however, wish to be regarded as human beings, as logicians, as men of honor! One can imagine – and herein lies the main content of the history of English-American relations – that the English businessman does not subscribe to a postulate of humanity once he has concluded a treaty that rescinds it. This is reminiscent of the treaties regarding the slave trade! The businessman is able to regard a slave treaty, merely for being a treaty, more highly than the actual content of the treaty, namely, human life! So long as he has concluded an agreement, the businessman says, then every crime ceases to be a crime by that fact alone. Under the rubric ["]treaty,["] he says, there is no such thing as a crime. So he thinks, so he lives, so he bargains, until he himself gets some sort of box on the ears and is thrown like a piece of excrement into the canals, as in olden times! — *{234} King Ludwig declares that Germany wishes only for a peace that improves its position in relationship to its present situation. 4 Didn't the King speak earlier in a more vigorous way, or am I deceiving myself? *A currently celebrated aphorist named Wertheimer says: "The wealthy live in accordance with their means, but they do not give in accordance with their means." To which I would add: and even if they beg more aggressively and shamelessly than only the poorest of beggars can beg, they imagine themselves only to be taking in accordance with their means! — *
© Translation William Drabkin. |
10. V. 16 Wolkenlos!
— Wilsons Antwort trifft ein! Er nimmt den deutschen Standpunkt an, u. erlaubt sich aber nach seiner gewohnte rn Art ein neues Attentat auf die Logik, indem er zum Schlusse bemerkt, daß „das Verhalten einer anderen Regierung“ an dem Zustand, wie er durch das Nachgeben Deutschlands erreicht worden, in diesem [illeg]Zusammenhange nichts zu sagen haben werde. 1 Man kann es nur vielleicht einem übermäßigen Whiskygenuß zuschreiben, wenn der Präsident die Bedingung, die Deutschland in seiner Note gestellt hat, daß es nämlich den Wünschen Wilsons nachgebe, vorausgesetzt, daß {230} er seinerseits die Rechte Deutschlands auf neutrale Gesinnung durch energisches Vorgehen gegen England betätigen werde – so versteht, als ob nicht er selbst zur Neutralität verpflichtet wäre, sondern als neutral befunden werden müßte selbst dann, wenn er das Verhalten einer anderen Regierung, obgleich es völkerrechtswidrig ist, dennoch unkorrigiert läßt. Ja, seinerseits fühlt sich Wilson zu keiner Leistung verpflichtet u. alle Menschlichkeit findet er darin allein bestätigt, wenn ihm gestattet wird so neutral zu sein, wie es für sein Geschäft paßt, also einseitig feindlich wider Deutschland, freundlich wider England. Was das Verhalten einer anderen Regierung mit seiner Neutralität zu tun habe, scheint Herr Wilson in einem offenbar betrunkenen Zustand zu fragen. Er findet keinen Zusammenhang u. trotz so vieler Verbrechen wider die Menschlichkeit, worunter nicht die kleinsten die ständigen Attentate gegen Logik u. gute Sitten der Sprache, noch immer die pathetische Deklamation von absoluter Menschlichkeit usw. usw.! Der Amerikaner bringt es eben fertig, Whisky-Trunkenheit für eine Gottestrunkenheit auszugeben! — *König Ludwig wettert wider den Lebensmittelwucher, die er Landesverräter nennt. 2 Jämmerlichen Eindruck aber macht es, wenn er an die zuständigen Behörden appelliert, damit sie dem schädlichen Treiben ein Ende bereiten. Darf sich ein König so ohnmächtig zeigen? — *Lie-Liechen tritt in einen Laden ein, um Brot zu kaufen. Ursprünglich hält die KGreislerin [sic] das Brot verborgen; da Lie-Liechen es aber erblickt, meint sie, sie wäre bereit, ein halbes abzugeben. Als aber Lie-Liechen einwendet, daß es ihr doch einerlei sein müßte, ob sie 2 halbe Brote an 2 Personen oder ein ganzes an eine Person gebe, nachdem das Verbot, ein ganzes Brot abzugeben, aufgehoben wurde, versteht sich endlich {231} die Greislerin [sic] auch zu diesem Standpunkt, nur fordert sie von Lie-Liechen den Preis zweier Halben Brote für ein ganzes, was eine Differenz von 2 Hellern ausmacht. *Frl. König sagt ab. — *Die Juden: Man denke sich, es lebten unter uns noch die Griechen oder Römer u. sprächen ihr Griechisch wenn auch verdorben, rezitierten ihren Homer, läsen ihre Philosophen u. Dramatiker; würden wir da das Recht haben, von ihnen als von kulturell rückständigen Menschen zu sprechen, da wir heute doch auch selbst in den Schulen ihr Griechisch u. ihre Geistesprodukte uns anzueignen bestrebt sind? Mit welchem Rechte nennt man kulturell rückständig die Juden, wenn sie ihr [illeg]Hebräisch, ihre Bibel u. die übrige Literatur unter uns pflegen, also Güter, die auch wir alle ebenso wie sie mit ihnen pflegen? *Der Deutsche: Nennt sich leider auch selbst nüchtern u. läßt sich als nüchtern schelten. Nichts ist falscher als dieses! Sein Leben ist in Fleiß, Sitte, Treue, Tiefe u. Tüchtigkeit dahingelebte Poesie. Dagegen ist das angeblich poetischere Leben der Franzosen, Italiener, Engländer u. s. w. weil nur phrasen ergefüllte nüchternste Lüge. Phrase ist ja noch keine Poesie! — *Mischungen in Angriff genommen. — — Die W. R. W. erheben einen Kriegszuschlag von 40% u. erdreisten sich, die Preise noch außerdem im einzelnen zu erhöhen. Ich weise diese Zumutung zurück. — *Der Kaufmann: Lie-Liechen erzählt, der Eier- u. Butterhändler, bei dem sie einkauft, habe in Gegenwart von Kunden per Post eine Zuschrift erhalten, sie eingesehen u. dann laut gesagt: „Lieber sollten sie mir Eier u. Butter geben, dann zeichne ich die Anleihe“. {232} Man entnimmt, daß der [recte Der] reichgewordene Krämer hat sich also zur Zeichnung der Kriegsanleihe noch nicht entschlossen u. auch nicht entschließen will. In der bestialischen Auffassung des Krämers versteht er den Staat als eine Institution, die sich um ihn zu drehen hat. Von Pflichten dem Staate gegenüber ahnt nicht einmal noch sein Gewissen etwas. — *Menschentode: dDa es den Tieren an Bewußtsein fehlt, fehlt es ihnen gewiß daher auch an Pietät gegenüber Verstorbenen. Pietät ein Bestandteil menschlichen Bewußtseins. Indessen vermag auch das Bewußtsein, das sich der Mensch im Laufe der Jahrhunderte erworben hat, die Grenzen nicht zu überspannen u. es harrt seiner die Notwendigkeit, die Pietät auf ein Maß zu beschränken, wenn das Bewußtsein des Lebens weiterhin Geltung behalten soll. Eben das Bewußtsein, das Pietät lehrt, lehrt zugleich ja auch Pietät für die Gegenwart u. Zukunft des eigenen Lebens u. legt, indem sie [recte es] die Pflicht zum Leben einfordert, das Maß für die Pietät fest. Auf Umwegen also auch über das Bewußtsein gelangt der Mensch dennoch unter das Joch der Natur u. er wiederholt schließlich, wenn auch allerdings mit erhöhtem Bewußtsein, was wir bei den Tieren wahrnehmen, daß die Lebenden an den Toten achtlos vorübergehen. *Der Reiche: Wäre Trägheit infolge Unfähigkeit nicht eine den Menschen meist angeborene Eigenschaft, so würde es sicherlich zu den Standeskennzeichen auch der Reichen gehören zu arbeiten u. ebenso in der ersten Reihe der Arbeiter gehören zu stehen, wie sie im Theater oder bei sonstigen Schaustellungen in der ersten Parquettreihe [sic] sich zur Schau ausstellen. Indem die Reichen sich der Trägheit ergeben, tun sie blos, als würden sie den Reichtum als Mittel zur Nicht-Arbeit gebrauchen, während in Wahrheit die Sache so steht, daß sie dadurch nur etwas zu beschönigen beabsichtigen, was sich nicht beschönigen läßt, nämlich daß sie zur Arbeit überhaupt unfähig sind. Denn, Menschen die zur Arbeit {233} fähig sind, wollen auch bei Reichtum arbeiten, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß auf die Dauer selbst Arbeitslustige an Energie einbüßen, wenn ihnen die Mittel zur Bequemlichkeit allzu reichlich fließen. Die Parole der Welt müßte lauten: Die Arbeit in Mode bringen! — *Englisch-amerikanisch: Herr Lansing meint, ein Vertrag mit England lasse es nicht zu, daß Amerika von England nach Belieben dies oder jenes fordere, wie Deutschland es wünscht. 3 Echt amerikanisches Strolchtum: Auf der einen Seite behauptet Wilson, das Recht auf Menschlichkeit sei eine absolute Sache, das Völkerrecht stehe über Verträgen u. Deutschland müsse einfach die Pflicht der Menschlichkeit erfüllen. iIm Augenblicke aber, da man von ihm Erfüllung der Menschlichkeitsgesetze fordert u. erwartet, erklärt Lansing Aanderseits, daß Amerika an Verträge gebunden sei! Er gibt also zu, daß Amerika mit England Verträge habe, die über dem Völkerrecht u. über den gröbsten Verletzungen der Menschlichkeitsgesetze stehen. Der eine Engländer Anglo-Am. spricht vom absoluten Charakter der Menschlichkeitsgesetze, der andere vom relativen Charakter – sie Beide aber wollen für Menschen, für Logiker, für ehrlich u. Ehrenmänner angesehen werden! Es läßt sich also denken – u. dieses ist ja der Hauptinhalt der englisch-amerikanischen Entwicklungsgeschichte, – daß der englische Kaufmann ein Menschlichkeitspostulat als solches nicht gelten läßt, sobald er einen Vertrag auf Aufhebung desselben geschlossen hat. Es Das erinnert an die Verträge über den Sklavenhandel! Der Kaufmann bringt es eben fertig den Sklavenvertrag hoch höher zu halten, blos weil er Vertrag ist, als das, was Inhalt des Vertrages ist, nämlich das Menschenleben! Wenn er nur einen Vertrag abgeschlossen hat, meint der Krämer, dann hört auch jedes Verbrechen auf eo ipso ein Verbrechen zu sein. In Vertragsform meint er, gibt es kein Verbrechen. So denkt er, lebt er, handelt er, bis er selbst, auf irgend eine Weise abgeohrfeigt wie ein Excrement in d enie Kanal Kanäle der Vergangenheit geworfen wird! — *{234} König Ludwig erklärt, Deutschland wolle nur einen Frieden, der seine Stellung gegenüber der gegenwärtigen verbessert. 4 Hat nicht der König früher dröhnender gesprochen oder täusche ich mich? *Ein augenblicklich gefeierter Spruchdichter, Wertheimer, sagt: „Die Reichen leben standesgemäß, aber sie geben nicht standesgemäß.“ Ich füge hinzu: Und selbst wenn sie zudringlicher u. schamloser betteln, als der ärmste der Bettler nur betteln kann, bilden sie sich ein, bloß erst standesgemäß zu nehmen! — *
© Transcription Marko Deisinger. |
May 10, 1916, cloudless!
— Wilson's reply arrives! He accepts the German standpoint but allows himself, in his usual way, to make a new assault on logic by observing that "the behavior of another government" towards the situation, as it has been reached by Germany's concession, will have nothing to say in this connection. 1 One can perhaps attribute it to an excessive enjoyment of whisky if the president understands the conditions which Germany has set out in its note – that it would agree to Wilson's wishes on the understanding that, {230} for his part, he would exercise the rights of Germany to neutral intention by energetic dealings against England – as if he himself were not committed to neutrality but would have to be judged neutral even when he allows the behavior of another government to go uncorrected even though it contravenes international law. Indeed, Wilson for his part does not feel obliged to achieve anything; and he finds the whole of humanity confirmed only if he is permitted to be as neutral as necessary to suit his business, thus one-sidedly opposed to Germany and friendly to England. What the behavior of another government may have to do with his neutrality is something that Wilson seems to question, in a state of evident drunkenness. He finds no coherence; and this in spite of so many crimes against humanity, not least among which are the constant attacks on logic and good manners in speech, to say nothing of the pathetic declamation of absolute humanity, and so on and so forth! The American even manages to make intoxication from whisky out to be an intoxication with God! — *King Ludwig rails against the food profiteers, whom he calls betrayers of the country. 2 It makes a pathetic impression, however, that he appeals to the authorities responsible for this, asking them to put an end to this damaging practice. Can the king show himself to be so powerless? — *Lie-Liechen enters a shop to buy bread. Initially the proprietress keeps the bread hidden; but when Lie-Liechen sees it, the lady says that she would be prepared to give her half a loaf. When, however, Lie-Liechen objects on the grounds that it must surely not matter whether she sells two half-loaves to two people or a whole loaf to one, the ban on selling whole loaves having been lifted, {231} the shopkeeper finally comes around to accepting her argument – only she asks Lie-Liechen to pay the price of two half loaves, instead of a whole one, which makes a difference of 2 Heller. *Miss König cancels. — *The Jews: imagine that there still lived among us Greeks or Romans who spoke their Greek, even if corrupted, recited their Homer, read their philosophers and dramatists; would we have the right to speak of them as culturally backward people, as even today we ourselves strive in our schools to make their Greek and their intellectual products our own? With what right can one call the Jews culturally backwards, if they practice their Hebrew, their Bible and the remaining literature among us, i.e. goods that we all, too, practice with them? *The German: he unfortunately calls even himself mundane, and allows himself to be berated for being mundane. Nothing is further from the truth! His life is lived in industry, convention, faithfulness, profoundness and poetry born of virtue. By contrast, the supposedly more poetic life of the French, Italians, English, and so on, is the most prosaic lie, because it is filled only with phrases. A phrase is by no means poetry! — *Mixture [combining of the species] taken up. — — The laundry company imposes a wartime surcharge of 40% and has the audacity to additionally raise the prices of individual items. I reject this impertinence. — *The businessman: Lie-Liechen tells me that the egg and butter merchant where she shops has, in the presence of customers, received a letter in the post, examined it, and then said aloud: "They should rather give me eggs and butter, then I will subscribe to a loan." {232} The shopkeeper who has grown rich has thus not yet decided to subscribe to the war bonds. In his bestial mentality, the shopkeeper understands the state as an institution that has to revolve around him. Of duties to the state, his conscience does not yet have any idea. — *Death of human beings: since animals are lacking in conscience, they thus also lack reverence for the dead. Reverence is a component of human conscience. Nonetheless even conscience, which man has acquired over the course of centuries, cannot overstep the boundaries; and necessity is bound to restrict reverence to a certain quantity if consciousness of life is to retain further value. Even the conscience that reverence teaches us at the same time teaches us reverence for the present and future of our own life and, by demanding the obligation to live, determines the measure of reverence. By an indirect route, thus even in consciousness, man nonetheless makes his way under the yoke of nature, and he ultimately repeats, albeit with greater conscience, that which perceived in animals: that the living pass over the dead with negligence. *The rich man: if laziness as result of incapability were not one of the most innate characteristics of people, then it would surely be one of the signs of rank, even among the rich, to work and likewise to stand in the front row of the workers, as they present themselves in the theatre or in the first row of the orchestra. Since the rich are given to laziness, they merely behave as if they use their wealth as a means for not working, whereas in truth the matter stands thus: that they are only intent on whitewashing something that cannot be whitewashed, namely that they are utterly incapable of work. For people who are capable of work {233} wish also to work, even if it cannot be denied that, in the long run, even people who are keen to work must forfeit energy if the means for comfort flow all too abundantly. The watchword ought to be: make work fashionable! — *English-American: Mr. Lansing says that a treaty with England does not mean that America should demand at its pleasure this or that from England, as Germany wishes. 3 Genuine American thuggery: on the one hand Wilson believes that the right to humanity is an absolute matter, international law stands above treaties, and Germany must simply fulfill its obligation to humanity. But in the moment in which he is asked to fulfill the laws of humanity, Lansing explains that America is nonetheless bound by treaties! He admits, then, that America has treaties with England that stand above international law and above the crudest breaches of the laws of humanity. The one Anglo-American speaks of the absolute character of the laws of humanity, the other of their relative character – both, however, wish to be regarded as human beings, as logicians, as men of honor! One can imagine – and herein lies the main content of the history of English-American relations – that the English businessman does not subscribe to a postulate of humanity once he has concluded a treaty that rescinds it. This is reminiscent of the treaties regarding the slave trade! The businessman is able to regard a slave treaty, merely for being a treaty, more highly than the actual content of the treaty, namely, human life! So long as he has concluded an agreement, the businessman says, then every crime ceases to be a crime by that fact alone. Under the rubric ["]treaty,["] he says, there is no such thing as a crime. So he thinks, so he lives, so he bargains, until he himself gets some sort of box on the ears and is thrown like a piece of excrement into the canals, as in olden times! — *{234} King Ludwig declares that Germany wishes only for a peace that improves its position in relationship to its present situation. 4 Didn't the King speak earlier in a more vigorous way, or am I deceiving myself? *A currently celebrated aphorist named Wertheimer says: "The wealthy live in accordance with their means, but they do not give in accordance with their means." To which I would add: and even if they beg more aggressively and shamelessly than only the poorest of beggars can beg, they imagine themselves only to be taking in accordance with their means! — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Die Antwort Amerikas an Deutschland," Neues Wiener Tagblatt, No. 129, May 10, 1916, 50th year, p. 1. 2 See Rudolf Kobatsch, "Die Ernährungspolitik der Stadt Wien. Zur heutigen Gemeinderatssitzung," Neues Wiener Tagblatt, No. 131, May 12, 1916, 50th year, p. 6. 3 "Eine Erklärung Lansings zur amerikanischen Note. Hinweis auf englische Vertragsverpflichtungen," Neue Freie Presse, No. 18577, May 11, 1916, morning edition, p. 2. 4 "Eine Rede des Königs von Bayern," Neues Wiener Tagblatt, No. 130, May 11, 1916, 50th year, p. 7. |