24. V. 16 Leicht bewölkter Himmel;
nachmittags gegen ½2h furchtbarer Hagelschlag, auf allerdings sehr beschränktem in Ort u. in sehr beschränkter Zeit. *Bethmann-Hollwegs Erklärung durch Wiegands Feder schnellt den Größenwahn der Journalisten zu den Sternen empor. Speziell die „N. Fr. Pr.“ weiß sich vor Stolz über „die Mission der Presse“ nicht zu fassen, fantasiert von einer „Staatnotwendigkeit der Presse“, von dem Dienst der Menschheit gegenüber in Sachen des Friedens, spricht von „Mitwirkung“, „Unterredung“, „Publizistik“ u. entfernt sich damit solchen u. ähnlichen Schlagworten der Eitelkeit immer mehr von der Wahrheit, obgleich sie im Laufe desselben Aufsatzes zu wiederholten malen selbst Worte z. B. wie „überbracht“ „übermittelt“ gebraucht, also Worte, die die Tätigkeit der Presse ja viel ungleich richtiger kennzeichnen. 1 Die Presse hat offenbar scheint schon vergessen zu haben, daß am Kriege ja niemand so schuldiger ist, als sie selbst. Ja, wenn es ums Zerstören geht, da glaube ich gerne, daß die Presse auch mitwirken kann; aber beim Wiederaufbau von Dingen ist sie die Letzte, die irgend einen Beitrag leisten kann, außer der einer Vermittlung von Nachrichten. Da müssen Schwert, Organisationsgehirne, unausgesetzte Beamtentätigkeit dafür sorgen , u. sich hierbei vor der Presse eher inacht [sic] nehmen, als sie benutzen! — *Ehedem, im Mittelalter, mögen auf ein Tal 5–10 Raubritter gegangen sein – heute gehen solcher Raubritter schon nur auf eine Gasse mehr als hundert! — *{260} Die Armut macht den Betroffenen in den meisten Fällen ärmer noch dadurch, daß sie körperliche u. wie geistige Folgen nach sich zieht, die ihm das Fortkommen im Leben immer mehr erschweren. nNicht anders ist es Aaber auch mit den Folgen des Reichtums: er auch dieser reduziert das Gehirn, den Charakter, nur daß dadurch er leider nicht auch das Fortkommen behindert wird. Auf rach yitischen Beinen geht es sich schwer, mit rach yitischen Gehirnen aber kommt man doch vorwärts. Einmal aber wird auch diese Differenz mehr oder weniger friedlich beigelegt werden müssen! — *Wilson hält eine Wahlrede, in der er plötzlich sein Herz für „Menschlichkeit“ entdeckt, die als geschichtliche Wahrheit festlegt, daß Amerika nicht allein von den Engländern gegründet worden sei; in der er weiterhin erklärt, die Völker müßten untereinander beratschlagen, da sie einander nicht überwältigen können u. schließlich die heilige Schrift in den Mund nimmt „….“ 2 – doch da kann man mit dem abgefeimten Schurken wirklich wirklich [sic] nicht keinen Schritt mehr weiter gehen! Deutschland wäre seines Ranges unwürdig, wollte es je diesem Strolche vergessen, was er am Gewissen hat!! — *Doppelte Moral des Staates u. der Einzelindividuen? Sicher nirgends Moral überhaupt irgend eine, geschweige eine doppelte! Das ist die Lösung der Frage. (Vgl. „März“, letzte Nummer! 3 ). *Die Liebe macht blind, sagt man; so macht also der Haß sehend – oder nicht? *In vino veritas – man kann auch wahrer zu sagen: in bello veritas! — *Der Staat vergibt Adel u. er kennt unterscheidet Geburts- sowie Geldadel. – Nur der Geist nobilitiert sich selbst. ; Aaber dahin wird er es wohl nie bringen, daß man mit so viel Neugier {261} die geistigen Schlösser betrachtet, als man die Schlösser des Geburts- u. Geldadels zu sehen sich beeilt! *Frl. König fragt im Namen ihrer Mutter an, ob sie den letzten Monat bezahlen müßte, wenn sie erholungshalber verreisen würde. Ich entzog ein für allemal den Boden solcher Fragen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
May 24, 1916. Partly cloudy sky;
towards 1:30 in the afternoon a terrifying hailstorm, in any event of very limited in range and duration. *Bethmann-Hollweg's declaration, by Wiegand's hand, accelerates the megalomania of journalists up to the stars. In particular the Neue Freie Presse in its pride is unable to understand "the mission of the press"; it fantasizes about a "state necessity of the presses," of the service to humanity in matters of peace, it speaks of "collaboration," "interview," "publicity" and distances itself evermore from the truth with these and similar catchwords of vanity, even though in the course of the same essay it repeatedly uses words like "delivered" and "transmitted," that is, words which far more correctly describe the activity of the press. 1 The press seems already to have forgotten that, in a war, no one must behave more responsibly than itself. Indeed, when it is a matter of destruction, then I would gladly believe that the press can play its role; but by the rebuilding of things, it is the last that can make any contribution, apart from the dissemination of news. For that, the sword, organizational brains, and incessant official activity must take charge and, in so doing, be more wary of the press rather than making use of it! — *In olden times, in the Middle Ages, perhaps five or ten robber barons might have gone into a valley – today such robber barons go into a single side-street, numbering more than a hundred! — *{260} Poverty usually makes those afflicted by it even poorer by bringing about bodily and spiritual consequences that make progress in life more difficult. It is no different, however, with the consequences of wealth: this, too, reduces a person's brain and character, except that it doesn't, unfortunately, hinder his progress. It is difficult to walk on rickety legs, but one can move forwards on a rickety brain. At some point, however, even this difference will have to be more or less quietly set aside! — *Wilson is holding a referendum in which he suddenly discovers his heart for "humanity" and maintains, as a historical truth, that America was not founded entirely by the English; in further declaring that the peoples must consult with each other as they are unable to overpower one another, and finally gives voice to the holy scripture "…" 2 – and yet one cannot really take a step further with the cunning rogue! Germany would be unworthy of its rank were it ever to forget what sort of conscience this thug has!! — *Double morality of the state and their individuals? Surely no morality at all anywhere, to say nothing a doubled one! That is the solution to the question. (Cf. März , most recent issue!). 3 *Love makes us blind, it is said; does hate then enable us to see, or not? *In wine there is truth – it would be truer to say: in war there is truth! — *The state is forgoing the honor of nobility and is distinguishing nobility by birth from nobility by wealth. Only the intellect is itself ennobling; but we will never get to the point at which one will contemplate the castles of the intellect with so much curiosity {261} as one hurries to see the castles of the nobly born and the nobly rich! *Miss König asks, on behalf of her mother, whether she has to pay for the last month [of lessons] if she has to go away to recover her health. I put an end to such questions, once and for all. *
© Translation William Drabkin. |
24. V. 16 Leicht bewölkter Himmel;
nachmittags gegen ½2h furchtbarer Hagelschlag, auf allerdings sehr beschränktem in Ort u. in sehr beschränkter Zeit. *Bethmann-Hollwegs Erklärung durch Wiegands Feder schnellt den Größenwahn der Journalisten zu den Sternen empor. Speziell die „N. Fr. Pr.“ weiß sich vor Stolz über „die Mission der Presse“ nicht zu fassen, fantasiert von einer „Staatnotwendigkeit der Presse“, von dem Dienst der Menschheit gegenüber in Sachen des Friedens, spricht von „Mitwirkung“, „Unterredung“, „Publizistik“ u. entfernt sich damit solchen u. ähnlichen Schlagworten der Eitelkeit immer mehr von der Wahrheit, obgleich sie im Laufe desselben Aufsatzes zu wiederholten malen selbst Worte z. B. wie „überbracht“ „übermittelt“ gebraucht, also Worte, die die Tätigkeit der Presse ja viel ungleich richtiger kennzeichnen. 1 Die Presse hat offenbar scheint schon vergessen zu haben, daß am Kriege ja niemand so schuldiger ist, als sie selbst. Ja, wenn es ums Zerstören geht, da glaube ich gerne, daß die Presse auch mitwirken kann; aber beim Wiederaufbau von Dingen ist sie die Letzte, die irgend einen Beitrag leisten kann, außer der einer Vermittlung von Nachrichten. Da müssen Schwert, Organisationsgehirne, unausgesetzte Beamtentätigkeit dafür sorgen , u. sich hierbei vor der Presse eher inacht [sic] nehmen, als sie benutzen! — *Ehedem, im Mittelalter, mögen auf ein Tal 5–10 Raubritter gegangen sein – heute gehen solcher Raubritter schon nur auf eine Gasse mehr als hundert! — *{260} Die Armut macht den Betroffenen in den meisten Fällen ärmer noch dadurch, daß sie körperliche u. wie geistige Folgen nach sich zieht, die ihm das Fortkommen im Leben immer mehr erschweren. nNicht anders ist es Aaber auch mit den Folgen des Reichtums: er auch dieser reduziert das Gehirn, den Charakter, nur daß dadurch er leider nicht auch das Fortkommen behindert wird. Auf rach yitischen Beinen geht es sich schwer, mit rach yitischen Gehirnen aber kommt man doch vorwärts. Einmal aber wird auch diese Differenz mehr oder weniger friedlich beigelegt werden müssen! — *Wilson hält eine Wahlrede, in der er plötzlich sein Herz für „Menschlichkeit“ entdeckt, die als geschichtliche Wahrheit festlegt, daß Amerika nicht allein von den Engländern gegründet worden sei; in der er weiterhin erklärt, die Völker müßten untereinander beratschlagen, da sie einander nicht überwältigen können u. schließlich die heilige Schrift in den Mund nimmt „….“ 2 – doch da kann man mit dem abgefeimten Schurken wirklich wirklich [sic] nicht keinen Schritt mehr weiter gehen! Deutschland wäre seines Ranges unwürdig, wollte es je diesem Strolche vergessen, was er am Gewissen hat!! — *Doppelte Moral des Staates u. der Einzelindividuen? Sicher nirgends Moral überhaupt irgend eine, geschweige eine doppelte! Das ist die Lösung der Frage. (Vgl. „März“, letzte Nummer! 3 ). *Die Liebe macht blind, sagt man; so macht also der Haß sehend – oder nicht? *In vino veritas – man kann auch wahrer zu sagen: in bello veritas! — *Der Staat vergibt Adel u. er kennt unterscheidet Geburts- sowie Geldadel. – Nur der Geist nobilitiert sich selbst. ; Aaber dahin wird er es wohl nie bringen, daß man mit so viel Neugier {261} die geistigen Schlösser betrachtet, als man die Schlösser des Geburts- u. Geldadels zu sehen sich beeilt! *Frl. König fragt im Namen ihrer Mutter an, ob sie den letzten Monat bezahlen müßte, wenn sie erholungshalber verreisen würde. Ich entzog ein für allemal den Boden solcher Fragen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
May 24, 1916. Partly cloudy sky;
towards 1:30 in the afternoon a terrifying hailstorm, in any event of very limited in range and duration. *Bethmann-Hollweg's declaration, by Wiegand's hand, accelerates the megalomania of journalists up to the stars. In particular the Neue Freie Presse in its pride is unable to understand "the mission of the press"; it fantasizes about a "state necessity of the presses," of the service to humanity in matters of peace, it speaks of "collaboration," "interview," "publicity" and distances itself evermore from the truth with these and similar catchwords of vanity, even though in the course of the same essay it repeatedly uses words like "delivered" and "transmitted," that is, words which far more correctly describe the activity of the press. 1 The press seems already to have forgotten that, in a war, no one must behave more responsibly than itself. Indeed, when it is a matter of destruction, then I would gladly believe that the press can play its role; but by the rebuilding of things, it is the last that can make any contribution, apart from the dissemination of news. For that, the sword, organizational brains, and incessant official activity must take charge and, in so doing, be more wary of the press rather than making use of it! — *In olden times, in the Middle Ages, perhaps five or ten robber barons might have gone into a valley – today such robber barons go into a single side-street, numbering more than a hundred! — *{260} Poverty usually makes those afflicted by it even poorer by bringing about bodily and spiritual consequences that make progress in life more difficult. It is no different, however, with the consequences of wealth: this, too, reduces a person's brain and character, except that it doesn't, unfortunately, hinder his progress. It is difficult to walk on rickety legs, but one can move forwards on a rickety brain. At some point, however, even this difference will have to be more or less quietly set aside! — *Wilson is holding a referendum in which he suddenly discovers his heart for "humanity" and maintains, as a historical truth, that America was not founded entirely by the English; in further declaring that the peoples must consult with each other as they are unable to overpower one another, and finally gives voice to the holy scripture "…" 2 – and yet one cannot really take a step further with the cunning rogue! Germany would be unworthy of its rank were it ever to forget what sort of conscience this thug has!! — *Double morality of the state and their individuals? Surely no morality at all anywhere, to say nothing a doubled one! That is the solution to the question. (Cf. März , most recent issue!). 3 *Love makes us blind, it is said; does hate then enable us to see, or not? *In wine there is truth – it would be truer to say: in war there is truth! — *The state is forgoing the honor of nobility and is distinguishing nobility by birth from nobility by wealth. Only the intellect is itself ennobling; but we will never get to the point at which one will contemplate the castles of the intellect with so much curiosity {261} as one hurries to see the castles of the nobly born and the nobly rich! *Miss König asks, on behalf of her mother, whether she has to pay for the last month [of lessons] if she has to go away to recover her health. I put an end to such questions, once and for all. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Der deutsche Reichskanzler über die Voraussetzungen des Friedens. Eine Antwort auf die Erklärungen des englischen Staatssekretärs," Neue Freie Presse, No. 18590, May 24, 1916, morning edition, p. 1. 2 "Wilsons Anbot einer Friedensvermittlung Amerikas," Neue Freie Presse, No. 18590, May 24, 1916, evening edition, p. 2. 3 Wilhelm Nestle, "Politik und Moral," März 10 (May 20, 1916), pp. 126-134. |