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20. VII. 16

Ueber nNacht schwerster Regen; auch tagsüber hält er an, zuweilen mit katastrophalem Charakter. — In einer Zeitung stand zu lesen: Der Juli dieses Jahres ist seit dem Jahre 1845 der niederschlagsreichste! — Wilhelm Meister, IV19–20. 1

VII. Abschnitt beendet, VIII. in Angriff genommen. —

— Der Herr Kaplan erzählt, daß einige russische Gefangene ins Moostal geflüchtet wären, weil sie annahmen, hinter dem Berge läge die Schweiz, sie wären aber abends ins Lager zurückgekommen u. hätten getan, als wären sie gar nicht weg gewesen. Von einem anderen russischen Gefangenen, der auch hier her angehalten wurde, erzählt der Kaplan, er, Vater von 5 Kindern, sei von Kitzbüchel 9 Tage hergegangen, mit einem Stück Brot u. zwei Kilo Butter. Das Brot hätte er nur brockenweise gegessen, die Butter aber unberührt noch bis St. A. gebracht. —

*

Die „Norddeutsche Ztg.“ bringt eine amtliche Berichtigung des Jellicoe-Berichtes. 2 Was sich England an Verdrehungen geleistet hat, um nicht nur sein Volk, sondern auch die Geschichte zu foppen, ist unglaublich genug, aber noch unglaublicher ist, daß England diese Fopperei, so lange es Macht hat, als Wahrheit unter den Engländern u. england-freundlichen Staaten wird bewahren können. —

*

{347} Der Reiche: Ist schon allein durch die Art, wie er zu Geld, sei es auf dem Wege einer Erbschaft oder eines Geschäftes[,] gelangt ist, im Kern abgestumpft. Indem er seine eigene Existenz zur Voraussetzung derjenigen der Armen emporhebt umfälscht, wird er leicht unter dem Vorwand des eines Altruismus [illeg]blutrünstig mit Absicht, gewissen- u. skrupellos. Daher die Erscheinung, daß der Kaufmann die Verkörperung der Rücksichtslosigkeit ist. England spielt in der Geschichte der Menschheit einen ebenso nur rücksichtslosen „Kaufmann“ (s. Citat von Kant). —

*

Gott ist eine Vorstellung de rs Menschen; Reich u. arm sind ebenfalls ihre seine Vorstellungen. Stellen Stellt er sich nun die Menschen Gott in seinem Reichtum etwa so vor, wie sie er d ieen Rreichen Menschen neben sich kennen gelernt haben hat oder so anders u. zwar, daß der reiche Mensch Gott ganz u. gar unähnlich sieht? Ist Wenn aber letzteres der Fall ist, wie fasst dann der Mensch den Begriff „reich“? Ich glaube zu allererste muss dieser Begriff revidiert werden, ehe wenn die Menschheit irgend einen weitern [sic] Schritt unternimmt. machen soll.

*

Rosegger „Meine Ferien”; eine außerordentlich humorvolle echt dichterische Leistung.

Aus „Ueber das Fremdenbuch in den Alpen“: „Hieronymus Lorm erzählt von einem Wiener Millionär, welcher nach einem köstlichen Diner in einer reich u. weich austapezierten Tragbahre von zwei seiner gallonierten Diener sich auf den Lindkogel bei Baden tragen ließ u. dort ins Fremdenbuch schrieb : „Wie wenig braucht der Mensch[,] um glücklich zu sein!“[“]. 3

Daselbst: „Unter dem den Namen dreier Herren, welche sich am 18 . September 1840 in welscher Sprache eingetragen hatten, steht folgendes Denkmal: „ Fuhren auf dem Grundelsee zwei Stunden lang, ohne die Schiffleute zu bezahlen, indem sie schändlich davonliefen!“. 4

*

{348} „Turandot“ flüchtig nachgelesen, darauf aber nur durch Zufall gekommen, weil ursprünglich mit „Braut von Messina“ 5 verwechselt, die ich eigentlich lesen wollte. —

*

Wieder abends u. nachts starker Regen. —

*

© Transcription Marko Deisinger.

July 20, 1916.

Very heavy rain overnight; it persists also during the day, at times with catastrophic character. — In a newspaper one can read that this has been the rainiest July since 1945! — Wilhelm Meister, IV19–20. 1

Part VII finished, Part VIII taken up. —

— Mr. Kaplan says that a few Russian prisoners had escaped to the Moos Valley because they believed that Switzerland lay behind the mountain; they returned to the camp in the evening and pretended that they had not gone away at all. Of another Russian prisoner, who had also been held there, Kaplan recounts that he, the father of five children, travelled from Kitzbühel for nine days with a piece of bread and two kilograms of butter. He ate the bread only bit by bit but brought the butter untouched to St. Anton. —

*

The Norddeutsche Zeitung publishes an official correction to the Jellicoe Report. 2 The contortions that England has achieved in order to fool not only its people but also history, is unbelievable enough; but what is even more incredible is that England, so long as it has power, will be able to keep presenting this foolery as the truth to the English and to the states friendly to England. —

*

{347} The rich man: merely by the way in which he arrives at his money, be it by inheritance or by a business, he is in essence blunted. By falsifying his own existence as a prerequisite to the lives of the poor, he easily becomes intentionally bloodthirsty, unprincipled, unscrupulous under the pretense of an altruism. Thus the phenomenon that the businessman is the embodiment of thoughtlessness. In the history of humanity, England plays the role merely of a thoughtless "businessman" (see the quotation from Kant). —

*

God is a representation of the human being; rich and poor alike are his representations. Now, does God imagine himself in his kingdom rather as he has come to know the rich people next to him? Or differently, so that the rich person sees God in an entirely dissimilar way? But if the latter is true, how does a person understand the term "rich"? I believe that this term must be revised if humanity is intent on taking a further step.

*

Rosegger, My Holidays; an extremely humorous, truly poetic accomplishment.

From "The Guest-Book in the Alps": "Hieronymus Lorm writes about a Viennese millionaire who, following a sumptuous dinner, was carried in a richly, softly upholstered reclining chair by two servants in wide-brimmed hats to the Lindkogel near Baden, and there wrote in the guest-book: 'How little a person needs to be happy!'" 3

In the same work: "Under the names of three gentlemen who had written in a foreign language on September 18, 1840, there stands the following testament: 'We were taken by boat on the Grundlsee for two hours without paying the crew, as they ran off disgracefully!'" 4

*

{348} Turandot read hastily, but I came to it only by chance because I had confused it with The Bride of Messina, 5 which was what I really wanted to read. —

*

Heavy rain again in the evening and night. —

*

© Translation William Drabkin.

20. VII. 16

Ueber nNacht schwerster Regen; auch tagsüber hält er an, zuweilen mit katastrophalem Charakter. — In einer Zeitung stand zu lesen: Der Juli dieses Jahres ist seit dem Jahre 1845 der niederschlagsreichste! — Wilhelm Meister, IV19–20. 1

VII. Abschnitt beendet, VIII. in Angriff genommen. —

— Der Herr Kaplan erzählt, daß einige russische Gefangene ins Moostal geflüchtet wären, weil sie annahmen, hinter dem Berge läge die Schweiz, sie wären aber abends ins Lager zurückgekommen u. hätten getan, als wären sie gar nicht weg gewesen. Von einem anderen russischen Gefangenen, der auch hier her angehalten wurde, erzählt der Kaplan, er, Vater von 5 Kindern, sei von Kitzbüchel 9 Tage hergegangen, mit einem Stück Brot u. zwei Kilo Butter. Das Brot hätte er nur brockenweise gegessen, die Butter aber unberührt noch bis St. A. gebracht. —

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Die „Norddeutsche Ztg.“ bringt eine amtliche Berichtigung des Jellicoe-Berichtes. 2 Was sich England an Verdrehungen geleistet hat, um nicht nur sein Volk, sondern auch die Geschichte zu foppen, ist unglaublich genug, aber noch unglaublicher ist, daß England diese Fopperei, so lange es Macht hat, als Wahrheit unter den Engländern u. england-freundlichen Staaten wird bewahren können. —

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{347} Der Reiche: Ist schon allein durch die Art, wie er zu Geld, sei es auf dem Wege einer Erbschaft oder eines Geschäftes[,] gelangt ist, im Kern abgestumpft. Indem er seine eigene Existenz zur Voraussetzung derjenigen der Armen emporhebt umfälscht, wird er leicht unter dem Vorwand des eines Altruismus [illeg]blutrünstig mit Absicht, gewissen- u. skrupellos. Daher die Erscheinung, daß der Kaufmann die Verkörperung der Rücksichtslosigkeit ist. England spielt in der Geschichte der Menschheit einen ebenso nur rücksichtslosen „Kaufmann“ (s. Citat von Kant). —

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Gott ist eine Vorstellung de rs Menschen; Reich u. arm sind ebenfalls ihre seine Vorstellungen. Stellen Stellt er sich nun die Menschen Gott in seinem Reichtum etwa so vor, wie sie er d ieen Rreichen Menschen neben sich kennen gelernt haben hat oder so anders u. zwar, daß der reiche Mensch Gott ganz u. gar unähnlich sieht? Ist Wenn aber letzteres der Fall ist, wie fasst dann der Mensch den Begriff „reich“? Ich glaube zu allererste muss dieser Begriff revidiert werden, ehe wenn die Menschheit irgend einen weitern [sic] Schritt unternimmt. machen soll.

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Rosegger „Meine Ferien”; eine außerordentlich humorvolle echt dichterische Leistung.

Aus „Ueber das Fremdenbuch in den Alpen“: „Hieronymus Lorm erzählt von einem Wiener Millionär, welcher nach einem köstlichen Diner in einer reich u. weich austapezierten Tragbahre von zwei seiner gallonierten Diener sich auf den Lindkogel bei Baden tragen ließ u. dort ins Fremdenbuch schrieb : „Wie wenig braucht der Mensch[,] um glücklich zu sein!“[“]. 3

Daselbst: „Unter dem den Namen dreier Herren, welche sich am 18 . September 1840 in welscher Sprache eingetragen hatten, steht folgendes Denkmal: „ Fuhren auf dem Grundelsee zwei Stunden lang, ohne die Schiffleute zu bezahlen, indem sie schändlich davonliefen!“. 4

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{348} „Turandot“ flüchtig nachgelesen, darauf aber nur durch Zufall gekommen, weil ursprünglich mit „Braut von Messina“ 5 verwechselt, die ich eigentlich lesen wollte. —

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Wieder abends u. nachts starker Regen. —

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© Transcription Marko Deisinger.

July 20, 1916.

Very heavy rain overnight; it persists also during the day, at times with catastrophic character. — In a newspaper one can read that this has been the rainiest July since 1945! — Wilhelm Meister, IV19–20. 1

Part VII finished, Part VIII taken up. —

— Mr. Kaplan says that a few Russian prisoners had escaped to the Moos Valley because they believed that Switzerland lay behind the mountain; they returned to the camp in the evening and pretended that they had not gone away at all. Of another Russian prisoner, who had also been held there, Kaplan recounts that he, the father of five children, travelled from Kitzbühel for nine days with a piece of bread and two kilograms of butter. He ate the bread only bit by bit but brought the butter untouched to St. Anton. —

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The Norddeutsche Zeitung publishes an official correction to the Jellicoe Report. 2 The contortions that England has achieved in order to fool not only its people but also history, is unbelievable enough; but what is even more incredible is that England, so long as it has power, will be able to keep presenting this foolery as the truth to the English and to the states friendly to England. —

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{347} The rich man: merely by the way in which he arrives at his money, be it by inheritance or by a business, he is in essence blunted. By falsifying his own existence as a prerequisite to the lives of the poor, he easily becomes intentionally bloodthirsty, unprincipled, unscrupulous under the pretense of an altruism. Thus the phenomenon that the businessman is the embodiment of thoughtlessness. In the history of humanity, England plays the role merely of a thoughtless "businessman" (see the quotation from Kant). —

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God is a representation of the human being; rich and poor alike are his representations. Now, does God imagine himself in his kingdom rather as he has come to know the rich people next to him? Or differently, so that the rich person sees God in an entirely dissimilar way? But if the latter is true, how does a person understand the term "rich"? I believe that this term must be revised if humanity is intent on taking a further step.

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Rosegger, My Holidays; an extremely humorous, truly poetic accomplishment.

From "The Guest-Book in the Alps": "Hieronymus Lorm writes about a Viennese millionaire who, following a sumptuous dinner, was carried in a richly, softly upholstered reclining chair by two servants in wide-brimmed hats to the Lindkogel near Baden, and there wrote in the guest-book: 'How little a person needs to be happy!'" 3

In the same work: "Under the names of three gentlemen who had written in a foreign language on September 18, 1840, there stands the following testament: 'We were taken by boat on the Grundlsee for two hours without paying the crew, as they ran off disgracefully!'" 4

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{348} Turandot read hastily, but I came to it only by chance because I had confused it with The Bride of Messina, 5 which was what I really wanted to read. —

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Heavy rain again in the evening and night. —

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Wilhelm Meister's Apprenticeship), vol. 1, first published in 1795 (Berlin: Johann Friedrich Unger).

2 "Zum Bericht Jelicoes," Norddeutsche Allgemeine Zeitung, No. 199, July 20, 1916, 55th year, second edition, pp. [1-2].

3 Peter Rosegger,"Ueber das Fremdenbuch in den Alpen," in: Meine Ferien (Vienna, Pest, Leipzig: Hartleben, 1883), pp. 133-134.

4 Ibidem, p. 126.

5 Die Braut von Messina (1803) and Turandot (after Carlo Gozzi, 1801): plays by Friedrich Schiller.