25. VIII. 16 Wolkenlos!

Nach Pettneu, von dort per Bahn zurück. — Seit einigen Tagen fällt uns eine intensivere Geschäftigkeit der Schwalben auf; heute morgens war das Treiben besonders lebhaft u. lustig! Wie die weißen Bäuchlein auf dem blauen Himmelsgrund blitzten u. schwirrten, wie sie andauernd hell zwitscherten, das alles brachte in die Luft freudige Bewegung, die sich unwillkürlich den Menschen mitteilen mußte. — Von Fr. Deutsch K.; meldet ihre Abreise nach Wien u. Ausflug auf den Semmering. — Nach Tisch im Garten, Lie-Liechen schreibend, ich lesend. — nach der Jause, die wir ebenfalls im Garten einnehmen, auf die Eugenterasse [sic], wo wir Josua, Kap. 1–8 1 lesen. Anschließend Spaziergang über die Stockibrücke u. zurück. — Josua: 2 dreimalige Wiederholungen: Auftrag des Herrn, Auftrag Josuas, im Namen des Herrn u. Schilderung der Ausführung. Vielleicht läuft die Uebersetzung des Jordans, die in Form eines Wunders dargestellt wird, nur auf eine einfache Kriegslist hinaus: Josua mag eine Brücke auf Steinen über den Jordan haben schlagen lassen; für den Gebrauch der Feinde aber, um ihm ihnen Angst einzujagen, verbreitete er das Märchen, sein Herr sei trockenen Fußes durch den Jordan gegangen, welches Märchen er eigens sogar noch durch die das Ze ein Zeugnis der Steine unterstützt hat, mit denen er die Erinnerung an das Wunder ver- {392} bunden wissen wollte. Deutlich wird doch übrigens in der Darstellung immer wieder die Angst der Feinde als Hauptmotiv herangezogen, wie denn auch die Beeinflussung der sStimmung bei de rn Geg ennern noch heute eine Hauptrolle in der Kriegführung spielt. Man sehe nur, welche List die Kriegsführenden anwenden, um einander Angst einzujagen: man sprengt Lügen, Gerüchte, aufgebauschte Daten aus u. dgl. m. 3

Achans 4 Diebstahl; immerhin ein Dokument für Josuas Streben, Zucht in seinem Heere aufrecht zu erhalten. Das Eingeständnis der Steinigung Achans spielt dabei eine sekundäre Rolle. 5

*

Die meiste Schwierigkeit in der Führung der Konversation rührt daher, daß kreuzweise zwei Themen angeschlagen werden, die beide schon allein deshalb nicht ausgetragen werden können, weil sich mit den Dingen plötzlich auch die beiden Personen unauflöslich verquickt haben. Besonders klar sieht man das Uebel an einer häuslichen Scene: Der Mann erhebt einen Vorwurf wider seine Frau; sie nun aber, statt dessen Berechtigung entweder einzuräumen oder abzulehnen, erhebt nun auch ihrerseits auch wieder einen Vorwurf gegen ihn. Mann u. Frau gehen je länger je weiter auseinander u. finden sich nicht wieder zusammen. Man muß hiebei unterscheiden, daß objektiv jeder von ihnen wohl auch Recht haben könnte, u. nur subjektiv besteht die Verfehlung darin, daß ein zweites Thema, ein zweiter Vorwurf erhoben wird, noch ehe der erste irgendwie berichtigt wurde. Erhebt z. B. der Mann wider die Frau den Vorwurf, sie sei nicht pünktlich, so kann er auch dieser Vorwurf selbst auch noch dann objektiv begründet sein, wenn der Mann subjektiv sich auch selbst ebenfalls der Unpünktlichkeit schuldig macht. Es wäre nun Sache der Frau, den begründeten Vorwurf für ihren Teil zunächst anzunehmen, u. sofort worauf stünde ihr das Recht sofort zustünde, nun ihrerseits wider den Mann ähnliche Vorwurfe u. zwar mit genau demselben Rechte zu erheben. – Kritik, gesprochene oder geschriebene, bewegt sich zumeist in ähnlichen Fehlern! 6

*

© Transcription Marko Deisinger.

August 25, 1916. Cloudless!

To Pettneu, returning by train. — For several days we have been struck by the swallows' rather intensive business; this morning their activity was especially lively and amusing! How their white tummies flashed and whirred against the blue background of the sky, how they kept twittering brightly, all this brought into the air a delightful movement that had to be involuntarily communicated to humans. — Postcard from Mrs. Deutsch; she reports her return to Vienna and an excursion to the Semmering. — In the garden after lunch, Lie-Liechen writing, I reading. — After the teatime snack, which we also take in the garden, to the Eugen terrace, where we read the Book of Joshua, chapters 1–8 1 , followed by a walk over the Stocki Bridge and back. — Joshua: 2 threefold repetitions: the Lord's command, Joshua's command in the name of the Lord, and the portrayal of its execution. Perhaps the crossing of the River Jordan, which is portrayed as a miracle, amounts to nothing more than a war stratagem: Joshua may have built a bridge of stones over the Jordan; for the purposes of his enemies, to instill fear in them, he expanded the tale: his Lord went through the Jordon with dry feet, a tale that he supported even more by testimony of the stones, with which he wished to connect the remembrance of the miracle. {392} In addition, the fear of his enemies is clearly and repeatedly invoked as the principal motive, just as the influence of the mood upon the enemies even today plays a major part in the conduct of the war. One can only see what artifice those who wage war apply in order to instill fear in one another: one disperses lies, rumors, exaggerated statistics, and much else of the kind. 3

Achan's 4 theft; nonetheless a document of Joshua's striving to maintain discipline in his army. The confession of the stoning of Achan plays a secondary role here. 5

*

The greatest difficulty in the conduct of conversation comes from the taking up of two themes at cross purposes, neither of which can be carried out for the simple reason that two people who are conversing suddenly mix themselves up in the matters. One sees the difficulty particularly clearly in a domestic scene: a man raises an objection against his wife; but the woman, instead of either acknowledging or repudiating his charge, in turn raises an objection against him. The husband and wife continue to argue at length and are unable to reach an agreement. One must make a distinction here: objectively both of them may well be in the right, and the breach consists only subjectively in the raising of a second objection before the first has been resolved in any way. If, for example, the husband objects to his wife's lack of punctuality, this objection itself cannot also be founded objectively if the man is, subjectively, likewise guilty of lack of punctuality. It would now be for the wife first to accept the substantiated criticism for her part, whereupon she would be entitled to raise similar objections against her husband, and indeed with exactly the same justification. – Criticism, whether spoken or written, is usually articulated under similarly erroneous conditions! 6

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© Translation William Drabkin.

25. VIII. 16 Wolkenlos!

Nach Pettneu, von dort per Bahn zurück. — Seit einigen Tagen fällt uns eine intensivere Geschäftigkeit der Schwalben auf; heute morgens war das Treiben besonders lebhaft u. lustig! Wie die weißen Bäuchlein auf dem blauen Himmelsgrund blitzten u. schwirrten, wie sie andauernd hell zwitscherten, das alles brachte in die Luft freudige Bewegung, die sich unwillkürlich den Menschen mitteilen mußte. — Von Fr. Deutsch K.; meldet ihre Abreise nach Wien u. Ausflug auf den Semmering. — Nach Tisch im Garten, Lie-Liechen schreibend, ich lesend. — nach der Jause, die wir ebenfalls im Garten einnehmen, auf die Eugenterasse [sic], wo wir Josua, Kap. 1–8 1 lesen. Anschließend Spaziergang über die Stockibrücke u. zurück. — Josua: 2 dreimalige Wiederholungen: Auftrag des Herrn, Auftrag Josuas, im Namen des Herrn u. Schilderung der Ausführung. Vielleicht läuft die Uebersetzung des Jordans, die in Form eines Wunders dargestellt wird, nur auf eine einfache Kriegslist hinaus: Josua mag eine Brücke auf Steinen über den Jordan haben schlagen lassen; für den Gebrauch der Feinde aber, um ihm ihnen Angst einzujagen, verbreitete er das Märchen, sein Herr sei trockenen Fußes durch den Jordan gegangen, welches Märchen er eigens sogar noch durch die das Ze ein Zeugnis der Steine unterstützt hat, mit denen er die Erinnerung an das Wunder ver- {392} bunden wissen wollte. Deutlich wird doch übrigens in der Darstellung immer wieder die Angst der Feinde als Hauptmotiv herangezogen, wie denn auch die Beeinflussung der sStimmung bei de rn Geg ennern noch heute eine Hauptrolle in der Kriegführung spielt. Man sehe nur, welche List die Kriegsführenden anwenden, um einander Angst einzujagen: man sprengt Lügen, Gerüchte, aufgebauschte Daten aus u. dgl. m. 3

Achans 4 Diebstahl; immerhin ein Dokument für Josuas Streben, Zucht in seinem Heere aufrecht zu erhalten. Das Eingeständnis der Steinigung Achans spielt dabei eine sekundäre Rolle. 5

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Die meiste Schwierigkeit in der Führung der Konversation rührt daher, daß kreuzweise zwei Themen angeschlagen werden, die beide schon allein deshalb nicht ausgetragen werden können, weil sich mit den Dingen plötzlich auch die beiden Personen unauflöslich verquickt haben. Besonders klar sieht man das Uebel an einer häuslichen Scene: Der Mann erhebt einen Vorwurf wider seine Frau; sie nun aber, statt dessen Berechtigung entweder einzuräumen oder abzulehnen, erhebt nun auch ihrerseits auch wieder einen Vorwurf gegen ihn. Mann u. Frau gehen je länger je weiter auseinander u. finden sich nicht wieder zusammen. Man muß hiebei unterscheiden, daß objektiv jeder von ihnen wohl auch Recht haben könnte, u. nur subjektiv besteht die Verfehlung darin, daß ein zweites Thema, ein zweiter Vorwurf erhoben wird, noch ehe der erste irgendwie berichtigt wurde. Erhebt z. B. der Mann wider die Frau den Vorwurf, sie sei nicht pünktlich, so kann er auch dieser Vorwurf selbst auch noch dann objektiv begründet sein, wenn der Mann subjektiv sich auch selbst ebenfalls der Unpünktlichkeit schuldig macht. Es wäre nun Sache der Frau, den begründeten Vorwurf für ihren Teil zunächst anzunehmen, u. sofort worauf stünde ihr das Recht sofort zustünde, nun ihrerseits wider den Mann ähnliche Vorwurfe u. zwar mit genau demselben Rechte zu erheben. – Kritik, gesprochene oder geschriebene, bewegt sich zumeist in ähnlichen Fehlern! 6

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© Transcription Marko Deisinger.

August 25, 1916. Cloudless!

To Pettneu, returning by train. — For several days we have been struck by the swallows' rather intensive business; this morning their activity was especially lively and amusing! How their white tummies flashed and whirred against the blue background of the sky, how they kept twittering brightly, all this brought into the air a delightful movement that had to be involuntarily communicated to humans. — Postcard from Mrs. Deutsch; she reports her return to Vienna and an excursion to the Semmering. — In the garden after lunch, Lie-Liechen writing, I reading. — After the teatime snack, which we also take in the garden, to the Eugen terrace, where we read the Book of Joshua, chapters 1–8 1 , followed by a walk over the Stocki Bridge and back. — Joshua: 2 threefold repetitions: the Lord's command, Joshua's command in the name of the Lord, and the portrayal of its execution. Perhaps the crossing of the River Jordan, which is portrayed as a miracle, amounts to nothing more than a war stratagem: Joshua may have built a bridge of stones over the Jordan; for the purposes of his enemies, to instill fear in them, he expanded the tale: his Lord went through the Jordon with dry feet, a tale that he supported even more by testimony of the stones, with which he wished to connect the remembrance of the miracle. {392} In addition, the fear of his enemies is clearly and repeatedly invoked as the principal motive, just as the influence of the mood upon the enemies even today plays a major part in the conduct of the war. One can only see what artifice those who wage war apply in order to instill fear in one another: one disperses lies, rumors, exaggerated statistics, and much else of the kind. 3

Achan's 4 theft; nonetheless a document of Joshua's striving to maintain discipline in his army. The confession of the stoning of Achan plays a secondary role here. 5

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The greatest difficulty in the conduct of conversation comes from the taking up of two themes at cross purposes, neither of which can be carried out for the simple reason that two people who are conversing suddenly mix themselves up in the matters. One sees the difficulty particularly clearly in a domestic scene: a man raises an objection against his wife; but the woman, instead of either acknowledging or repudiating his charge, in turn raises an objection against him. The husband and wife continue to argue at length and are unable to reach an agreement. One must make a distinction here: objectively both of them may well be in the right, and the breach consists only subjectively in the raising of a second objection before the first has been resolved in any way. If, for example, the husband objects to his wife's lack of punctuality, this objection itself cannot also be founded objectively if the man is, subjectively, likewise guilty of lack of punctuality. It would now be for the wife first to accept the substantiated criticism for her part, whereupon she would be entitled to raise similar objections against her husband, and indeed with exactly the same justification. – Criticism, whether spoken or written, is usually articulated under similarly erroneous conditions! 6

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Joshua: "The Book of Joshua" from the Old Testament.

2 See footnote 1

3 Marginal remark in Schenker's hand: Bibel ("the Bible").

4 Achan: a figure who appears in the Book of Joshua in the Hebrew Bible in connection with the fall of Jericho and conquest of Ai. After the Battle of Jericho Joshua led the destruction of Jericho, then moved on to Ai, a small neighboring city to the west. However, they were defeated with thirty-six Israelite deaths. The defeat was attributed to Achan taking an "accursed thing" from Jericho, and was followed by Achan and his family being stoned to death to restore God's favor.


5 Marginal remark in Schenker's hand: Bibel ("the Bible").

6 Marginal remark in Schenker's hand: Ehe, Gesellsch[aft,] Kritik (marriage, society, critique).