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27. IX. 16

Aus Nebel entwickelt sich wunderschöner Tag u. wolkenloser Himmel.

— das zweite Handelsunterseeboot „Bremen“ dürfte in Amerika nun endlich angekommen sein; noch doch ist darüber außer demjenigen, was das Reuter-Telegramm besagt, noch nichts Näheres bekannt. 1

*

Hier Auf der einen Seite Diebstahl geistigen Eigentums, begangen von Staat u. Gesellschaft – dort auf der anderen Fideikommiß, das Grund u. Boden für alle Fälle künftigen Geschlechter des Eigentümers festlegt. —

*

Im Großen wie im Kleinen: die Sozietät der Reichen (die Form politischer Verkörperung gleichgiltig): schenkt den Armen am liebsten diejenigen geistigen Güter, auf die sie selbst keinen Wert legt u. behält nach Wucherart, wie wir sie soeben im Kriege kennen gelernt haben, gerade dasjenige für sich, was die Armen noch haben, nämlich: Grund, Boden, Lebensmittel usw. —

— Wer einmal Grund u. Boden an sich gerissen, hat schon dadurch gleichsam künstlich das allgemeine Angebot der Natur an die Menschen verringert, nicht anders als die Lebensmittelhändler, die auf unerlaubte Weise das Angebot verringern, um höhere Preise zu erzielen. —

*

„Menschliche Schwäche“, „menschliche Fehler“, wofür Menschen so gerne Nachsicht erbitten, blos Euphemismus für Unfähigkeit, sowie Liebe Euphemismus für Geschlechtsschweinerei aus Unfähigkeit ist.

*

{447} Durch Zufall erfahre ich von der Bedienerin, daß die Hausbesorgerin jenes Handtuch noch nicht abgeliefert hat, das sie gemäß unseres Auftrags in der Streichergasse vor unserer Abreise abgeben sollte; erst heute habe ich es urgirt u. zurückerhalten! —

Lie-Liechen überbringt die Putzerin (s. u. 25.) die Wäsche, wobei es sich herausstellt, daß eine Serviette u. drei Lappen überhaupt fehlen u. ein Taschentuch vertauscht wurde. Darüber zur Rede gestellt bemerkt die Ueberbringerin zunächst, sie könne sich das nicht erklären, da augenblicklich überhaupt keine Wäsche in der Putzerei sei; auf unsere Vorbehaltung aber, wie d eann aber dennoch ein fremdes Sacktuch mitkommen gegeben werden konnte, wußte sie nichts zu erwidern. Nichtsdestoweniger konnte sie die Bemerkung nicht unterdrücken, daß möglicherweise Lie-Liechen die Serviette u. die Lappen überhaupt nicht zur Wäsche gegeben, nur auf dem Zettel notiert hätte. Schließlich mußte Lie-Liechen zu einem Geldabzug schreiten, was sich die Ueberbringerin umso eher gefallen lassen durfte konnte, als sie in dem Betrag sicher genug preistreiberische Ueberzahlung empfangen hatte, so daß den eigentlichen Verlust doch nur Lie-Liechen trägt, die mindestens 3 Kronen bezahlen mußte müßte, um zu einem ähnlichen Stück zu gelangen. Nicht übel nahm sich auch der Einwand aus, „daß nicht alle Herrschaften die Wäsche übernehmen u. überhaupt nicht mißtrauisch seien“. Kaufmannsmoral: Für den Verlust könne das Geschäft gar nichts, u. die Herrschaft würde es habe einen solchen als Fügung des Schicksals ohneweiters hinzunehmen! —

*

© Transcription Marko Deisinger.

September 27, 1916.

From the mists, a very beautiful day and cloudless sky unfold.

— The second merchant submarine Bremen ought now to have finally arrived in America; and yet nothing further is known about it than what Reuter's telegram reports. 1

*

On the one hand, theft of intellectual property, committed by state and society – on the other hand, entailment, which affirms land for all future generations of property owners. —

*

In the large as in the small: the society of rich people (whatever form of political embodiment): they give to the poor those intellectual goods upon which they themselves place no value, and retain for themselves in an exploitative manner, as we have just experienced in the war, just those things that the poor still have: land, etc. —

— Anyone who once seizes land for himself has, already by so doing, limited what nature can supply to people no differently from the suppliers of food who, without permission, diminish the supply in order to gain higher prices. —

*

"Human weakness," "human error," for which people so willingly plead for understanding: merely a euphemism for inability, just as love is a euphemism for sexual selfishness out of inability.

*

{447} By chance I hear from the maid that the caretaker has still not dispatched that handkerchief that she was supposed to give us in accordance with our agreement made in the Streichergasse before our departure; only today have I chased and received it! —

— The laundress (see under September 25) hands Lie-Liechen the laundry, whereby it turns out that that a napkin and three cloths are completely missing and one handkerchief has been mixed up. When asked about it, the delivery girl at first notes that she cannot explain it, as there is at present no laundry at all at the laundry company; but when we objected about how a handkerchief not belonging to us could have been included, she was unable to reply. Nonetheless she could not underemphasize that Lie-Liechen may not have put the napkin and cloths in the wash at all, but only noted them on the list. In the end Lie-Liechen would have to apply for a reimbursement, something that could have pleased the delivery girl all the more so since she had received what is, surely enough, an extortionate overpayment; and so that the actual loss must be borne only by Lie-Liechen, who would have to pay at least 3 Kronen in order to obtain a similar piece. Even the objection, "that not all authorities who take in laundry and are in general not distrustful," was not taken badly. Business morality: the shop can do nothing about the loss, the customer must accept such a thing as an act of fate! —

*

© Translation William Drabkin.

27. IX. 16

Aus Nebel entwickelt sich wunderschöner Tag u. wolkenloser Himmel.

— das zweite Handelsunterseeboot „Bremen“ dürfte in Amerika nun endlich angekommen sein; noch doch ist darüber außer demjenigen, was das Reuter-Telegramm besagt, noch nichts Näheres bekannt. 1

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Hier Auf der einen Seite Diebstahl geistigen Eigentums, begangen von Staat u. Gesellschaft – dort auf der anderen Fideikommiß, das Grund u. Boden für alle Fälle künftigen Geschlechter des Eigentümers festlegt. —

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Im Großen wie im Kleinen: die Sozietät der Reichen (die Form politischer Verkörperung gleichgiltig): schenkt den Armen am liebsten diejenigen geistigen Güter, auf die sie selbst keinen Wert legt u. behält nach Wucherart, wie wir sie soeben im Kriege kennen gelernt haben, gerade dasjenige für sich, was die Armen noch haben, nämlich: Grund, Boden, Lebensmittel usw. —

— Wer einmal Grund u. Boden an sich gerissen, hat schon dadurch gleichsam künstlich das allgemeine Angebot der Natur an die Menschen verringert, nicht anders als die Lebensmittelhändler, die auf unerlaubte Weise das Angebot verringern, um höhere Preise zu erzielen. —

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„Menschliche Schwäche“, „menschliche Fehler“, wofür Menschen so gerne Nachsicht erbitten, blos Euphemismus für Unfähigkeit, sowie Liebe Euphemismus für Geschlechtsschweinerei aus Unfähigkeit ist.

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{447} Durch Zufall erfahre ich von der Bedienerin, daß die Hausbesorgerin jenes Handtuch noch nicht abgeliefert hat, das sie gemäß unseres Auftrags in der Streichergasse vor unserer Abreise abgeben sollte; erst heute habe ich es urgirt u. zurückerhalten! —

Lie-Liechen überbringt die Putzerin (s. u. 25.) die Wäsche, wobei es sich herausstellt, daß eine Serviette u. drei Lappen überhaupt fehlen u. ein Taschentuch vertauscht wurde. Darüber zur Rede gestellt bemerkt die Ueberbringerin zunächst, sie könne sich das nicht erklären, da augenblicklich überhaupt keine Wäsche in der Putzerei sei; auf unsere Vorbehaltung aber, wie d eann aber dennoch ein fremdes Sacktuch mitkommen gegeben werden konnte, wußte sie nichts zu erwidern. Nichtsdestoweniger konnte sie die Bemerkung nicht unterdrücken, daß möglicherweise Lie-Liechen die Serviette u. die Lappen überhaupt nicht zur Wäsche gegeben, nur auf dem Zettel notiert hätte. Schließlich mußte Lie-Liechen zu einem Geldabzug schreiten, was sich die Ueberbringerin umso eher gefallen lassen durfte konnte, als sie in dem Betrag sicher genug preistreiberische Ueberzahlung empfangen hatte, so daß den eigentlichen Verlust doch nur Lie-Liechen trägt, die mindestens 3 Kronen bezahlen mußte müßte, um zu einem ähnlichen Stück zu gelangen. Nicht übel nahm sich auch der Einwand aus, „daß nicht alle Herrschaften die Wäsche übernehmen u. überhaupt nicht mißtrauisch seien“. Kaufmannsmoral: Für den Verlust könne das Geschäft gar nichts, u. die Herrschaft würde es habe einen solchen als Fügung des Schicksals ohneweiters hinzunehmen! —

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© Transcription Marko Deisinger.

September 27, 1916.

From the mists, a very beautiful day and cloudless sky unfold.

— The second merchant submarine Bremen ought now to have finally arrived in America; and yet nothing further is known about it than what Reuter's telegram reports. 1

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On the one hand, theft of intellectual property, committed by state and society – on the other hand, entailment, which affirms land for all future generations of property owners. —

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In the large as in the small: the society of rich people (whatever form of political embodiment): they give to the poor those intellectual goods upon which they themselves place no value, and retain for themselves in an exploitative manner, as we have just experienced in the war, just those things that the poor still have: land, etc. —

— Anyone who once seizes land for himself has, already by so doing, limited what nature can supply to people no differently from the suppliers of food who, without permission, diminish the supply in order to gain higher prices. —

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"Human weakness," "human error," for which people so willingly plead for understanding: merely a euphemism for inability, just as love is a euphemism for sexual selfishness out of inability.

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{447} By chance I hear from the maid that the caretaker has still not dispatched that handkerchief that she was supposed to give us in accordance with our agreement made in the Streichergasse before our departure; only today have I chased and received it! —

— The laundress (see under September 25) hands Lie-Liechen the laundry, whereby it turns out that that a napkin and three cloths are completely missing and one handkerchief has been mixed up. When asked about it, the delivery girl at first notes that she cannot explain it, as there is at present no laundry at all at the laundry company; but when we objected about how a handkerchief not belonging to us could have been included, she was unable to reply. Nonetheless she could not underemphasize that Lie-Liechen may not have put the napkin and cloths in the wash at all, but only noted them on the list. In the end Lie-Liechen would have to apply for a reimbursement, something that could have pleased the delivery girl all the more so since she had received what is, surely enough, an extortionate overpayment; and so that the actual loss must be borne only by Lie-Liechen, who would have to pay at least 3 Kronen in order to obtain a similar piece. Even the objection, "that not all authorities who take in laundry and are in general not distrustful," was not taken badly. Business morality: the shop can do nothing about the loss, the customer must accept such a thing as an act of fate! —

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Meldung über ein deutsches Handelsunterseeboot auf Rhode Island. Vom Reuterschen Bureau," Neue Freie Presse, No. 18715, September 27, 1916, morning edition, p. 2. In late summer 1916 the blockade-breaking German merchant submarine Bremen departed for the USA, but did not complete this voyage. Her fate is a mystery.