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31. X. 16

Vom Bankverein 34 59.42 Kronen erhalten. — An Frl. Freund (Br.): bitte um ihren Besuch Donnerstag um ½11h.

*

{490} An Dodi (Br., Lie-Liechen): Dank für Eiersendung u. Bitte um 5–10 kg Kartoffel. — Mittelmann im Caféhaus 10 Kr. — Frau D. zu Tisch u. im Caféhaus. — Ein Redakteur de rsN. W. Tgbl.“ hat eine Aktion zugunsten „eines Frühstücks für arme Schulkinder“ eingeleitet; die Idee gefiel allgemein u. man sammelt Geld. Mit der Aktion selbst konnte leider aber noch nicht begonnen werden, da noch das Geld zu knapp ist. 1 Man könnte dazu sagen: die Stadt Wien fühlt offenbar vor allem die Verpflichtung, vor allem den Industriellen u. Millionären ihr Frühstück zu decken, – erst nach ihnen, lange nach ihnen kommen die armen Schulkinder. Auch Desgleichen scheint es Ansicht auch der Regierung zu sein, daß mit der Ausspeisung nicht begonnen werden d aürfe, ehe die unsere lieben Millionäre u. Lebensmittelhändler nicht noch weitere Millionen gesammelt h abätten. —

— Vor Gericht stand kürzlich ein polnischer Goldarbeiter aus Warschau als Zeuge gegen seine Bedienerin, die er wegen Diebstahl verklagt hatte. Da stellt sich gemäß seines eigenen Geständnisses heraus, daß der Pole eine Beziehung zur 17-jährigen Bedienerin unterhielt, ihr einen Wochenlohn von – 2 Kronen zahlte, von ihr auch sonst verschiedene Dienste in Anspruch nahm, um sich in den Besitz größerer Lebensmittelvorräte zu setzen, daß er aber schließlich auch den Lohn verweigerte u. die Bedienerin verklagte, weil sie ihm einiges aus dem Lebensmittelvorrat, sowie noch außerdem eine Violine entwendete. Die Angeklagte verteidigte sich mit dem Einwand, daß sie sich für den entgangenen Lohn irgendwie schadlos halten mußte, worauf der Pole replizierte, dies berechtige ja nicht zum Diebstahl! Das Amüsanteste aber war, daß auf Befragen des Richters nach seiner Herkunft u. Nationalität der Pole erwiderte: „Ich bin, Herr Richter, ein edler Pole“!! 2 Dies ist B beiläufig auch die Signatur aller edeln Engländer, Franzosen u. Italiener! —

Man frage nur einen Kaufmann oder Industriellen nach seinem „Ehe-Gewinn“ – sicher wird er das Wort als eine gröbliche Beleidigung empfinden u. auch hinstellen selbst noch dann, wenn dem Tatbestand nach eine eheliche Verbindung auf Basis eines Geldgewinnes, also was man kurz wirklich auch Ehegewinn nennen könnte, vorliegt. {491} Irgend eine undefinierbarer Vorstellung Gedankengang wird dann ohne Zweifel den Kaufmann erkennen ahnen lassen, daß Ehe u. Gewinn nicht emals zu einem Begriff u. Wort vereint werden dürfen, daß er trotz allem gegenteiligen Schein sowohl vor sich selbst, als vor den anderen an der Fiktion festhalten müsse, daß er die Ehe nur aus Neigung u. nicht aus Gewinnsucht eingegangen habe. Und just der Krieg gestattet ihm, wie glaubt er, die Bildung der widerwärtigsten contra dictio in adjecto, die je Sprache u. Logik aufwiesen, des Begriffes: „Kriegsgewinn“! Noch hat er nicht einmal gelernt, bei diesem Wort ebenso wie beim „Ehegewinn“ zusammenzuzucken, sich eines solchen Gewinnes zu schämen u. es schon die Zumutung als beleidigend zu empfinden, wenn ihm ein Kriegsgewinn zugemutet würde. Einen Ehegewinn verwirft er bereits, wenn nicht in der Praxis, so doch mindestens in Gedanken, Kriegsgewinn nicht einmal noch in Gedanken. Ein zweiter Moses müßte erstehen, um erst die Heiligkeit des auf Schlachtfeldern vergossenen Blutes den Krämern so einzuhämmern, bis ihnen die Lust vergeht, einen Gewinn gutzuheißen, der aus solchen Blutquellen fließt. —

— Den Gegensatz von Materialismus u. Idealismus leugnet der Materialist; er versteht ihn eben schon deshalb nicht, weil er alle Eigenschaften, die dem Idealisten zugeschrieben werden, ohneweiters auch für sich selbst schon in Anspruch nimmt. Nur Der [recte der] Idealist habe Seele, habe Güte, sagt man, so behauptet darauf erwidert der Materialist nun, so habe wohl auch er habe Güte u. Seele so gut als der Idealist, kurz nichts wird dem Idealisten nachgerühmt, was nicht der Materialist auch sich selbst nachgesagt wissen wollte. Wie sollte er dann aber einen den Unterschied begreifen? So müßte Mman ihn vor allem zwingen zuzugeben, daß ein Unterschied gemacht werden müsse zwischen einem, der den Nutzen vom Standpunkt der Allgemeinheit betrachtet u. dem andern, der ihn blos vom persönlichen Standpunkt nimmt; u. zwar zu diesem Zwecke wären Beispiele zunächst von großen Helden anzuführen, die sich für die Allgemeinheit geopfert haben, u. an diesen Bespielen ihnen gemessen wäre festzustellen, was Nutzen der Allgemeinheit bedeute im Gegensatz zum Egoismus (, bis er endlich unter der Wucht), wie der persönliche Nutzen in den meisten Fällen nicht ein- {492} mal gut begriffener wohlverstandener Nutzen ist. Der krasse Abstand zu von einem großen Helden ist eben am besten geeignet, den prinzipiellen Unterschied zwischen Materialismus u. Idealismus überhaupt erst klarzumachen. Ist der Materialist nun aber einmal dazu gebracht worden, einen solchen Unterschied einzusehen, so tun es dann in der Folge wohl auch minder gewaltige Beispiele menschlichen Idealismus, bis er endlich unter der Wucht von Beweisen sowohl den Unterschied in seiner Haltung als auch das Bedenkliche derselben zuzugeben gezwungen ist. Dann mag man ihm ruhig ins Gesicht sagen, daß er – so wie er eben beschaffen ist – noch überhaupt keine Seele besitze, noch kein rechter Mensch sei, kein rechter Vater, keine rechte Mutter, kein rechter Freund usw. —

— Contra Traub („Berl. Tgbl.“ vom 31. X. 16): 3 Wenn der Kern in Luther s reformatorischen Ideen darauf hinauslief, daß vor allem die Gesinnung gottgefällig sein müsse, weshalb z. B. das gute Werk eines bösen Menschen noch durchaus nicht als ein wirklich gutes Werk zu bezeichnen wäre, so muß darauf entschieden geantwortet werden: Nur die Tat allein kann die Gesinnung erweisen u. erweist sie auch. Der Fall aber, wo ein sonst böser Mensch ein gutes Werk stiftet, wird weniger vom Standpunkt der Gesinnung gegen den bösen Menschen erledigt, als vielmehr wieder nur vom Standpunkt der von ihm sonst in die Welt gesetzten Taten, deren er doch sicher mehrere andere u. schlechtere vollbracht haben muss, wenn man ihn als einen bösen Menschen nun schon einmal bezeichnet hat. Die Gesinnung allein zu jenem Organ zu machen, worin allein sich die Beziehung des Menschen zu Gott u. den Mitmenschen ausdrückt, ist sogar ein verhängnisvoller Fehler, denn darnach wäre es wohl möglich, sich unter dem Titel der Gesinnung (s. „Schöne Seele“ Goethe, Wi. Meister 4 ) so mancher gebotener Pflichten zu entziehen, ohne daß dem betreffenden Menschen daraus ein Vorwurf gemacht werden dürfte. Es gibt eben mehr als blos die Pflicht zur Gesinnung, nämlich eine Pflicht zur Tat. —

— Die Reichen: Wie wenig Selbstzweck das Geld sein kann, zeigt uns das Leben der Reichen am besten. Wäre Geld Selbstzweck, so würden sie nach Art der typischen Geizhälse sich mit ihrem {493} Geld u. ihre mr Familie mitten unter den Menschen vergraben u. lediglich der Erfüllung der notwendigen Bedürfnisse leben, die das Geld noch lange nicht aus seinem Versteck hervorholen müßte. Dagegen sehen wir aber die Reichen meist für den Schein leben, schöne Villen bauen, schöne Gärten anlegen u. pflegen, ins Theater gehn [sic], Frau u. Kinder zur Kunst führen u. was dergleichen mehr. Geht nicht daraus aber hervor, daß bBegeben sich die Reichen nicht aber dadurch sich auf Gebiete, die mit dem Gelde noch keineswegs in einem organischen Zusammenhang stehen? Sind doch nicht so weit ausgreifende Genüsse vielmehr eher bereits wahre Luxusbedürfnisse weniger als elementare Bedürfnisse, als? Wie reimt man dann aber den Widerspruch, den die Reichen begehen, wenn sie solchen Genüssen nachstreben, nachlaufen, in einem aber die Berechtigung derselben überhaupt zu bestreiten belieben? Immer wieder fragen sie, wozu denn die Kunst wäre u. vergessen, daß sie ein Hauptteil ihres Lebens damit zubringen, Genüssen der Kunst nachzugehen statt blos in Geschäftsbriefen auch des ab[en]ds zu lesen. Indessen muss man aus der fatalen Frage: wozu?, die sie allen jenen Dingen entgegenhalten, die nicht unmittelbar in ihren Geldbetrieb einmünden, mindestens so viel schließen, daß ihr Anteil an der Kunst nur ein Scheinanteil, ein aufgezwungenes Modebedürfnis ist, das der Grundlage im eigenen Innern entbehrt. Daher auch die Manieren, die sie den schönen Dingen gegenüber betätigen. Im Grunde nur des Umgangs mit dem Gelde gewohnt, gewohnt vor allem, das Geld als Anschaffungsmittel zu verwerten, übertragen sie Umfangsformen aus dem Anschaffungsverkehr unmittelbar auch auf geistige Gebiete. Daher ihr Wahn, daß man auch geistigen Inhalt einkauft in dem Augenblick schon wirklich erstanden hat, sowie da man nur das Geld auf den Tisch gezahlt, ähnlich wie man eine Ware ersteht, sobald man nur den Preis auf den Laden erlegt. Das Gesetz des Warenverkehrs: Geld hin zum Verkäufer, Ware her zum Käufer halten sie auch auf geistigem Gebiete für möglich u. gestehen sich nicht einmal noch den Gedanken zu ein, daß zum Erwerb geistiger Güter auf Seite des Erwerbenden außer Geld noch Talent, Zeit, Geduld u. Fleiß gehören! — 5

*

{494}

© Transcription Marko Deisinger.

October 31, 1916.

3459.42 Kronen received from the Bankverein. — Letter to Miss Freund: I request that she visits me on Thursday at 10:30.

*

{490} To Dodi (letter from Lie-Liechen): thanks for sending the eggs, and a request for 5 to 10 kilograms of potatoes. — Mittelmann at the coffee house: 10 Kronen. — Mrs. Deutsch at lunch and in the coffee house. — An editor at the Neues Wiener Tagblatt has organized the initiative of "a breakfast for poor schoolchildren"; the idea was generally welcomed and money is being collected. But the initiative itself cannot, unfortunately, be started as there is not enough money. 1 One could say this about it: the city of Vienna evidently feels bound above all to cover the costs of breakfast for its industrialists and millionaires – only after them, long after them, do the poor schoolchildren come. The same seems to be the view also of the government, that the feeding may not begin before our dear millionaires and grocers have collected further millions —

— Recently a Polish goldsmith from Warsaw appeared in court as a witness against his servant, whom he had taken to court on account of theft. It turned out that, by his own admission, the Pole maintained a relationship with the 17-year-old servant, paid her a weekly salary of 2 Kronen, and called upon her for various other services in order to gain possession of greater provisions of food. But in the end he also withheld her wage because she stole a few things from the food provision, as well as a violin. The accused defended herself by arguing that she had to somehow cover herself against the lost salary, whereupon the Pole replied, ["]This does not justify theft!["] The most amusing thing, however, was that the Pole, when asked by the judge about his origins and nationality, replied: "I am, Your Honour, a Polish nobleman"!! 2 This, by the way, is also the signature of the entire English, French, and Italian nobility! —

Just ask a businessman or an industrialist about his "marriage profit" and he will surely feel this word as a crude insult, and also regard it as such, even when the fact of a marriage bond on the basis of financial gain – in short, what can actually be called a "marriage profit" – is evident. {491} Some sort of undefinable thought process will doubtless then lead the businessman to imagine that marriage and profit may never be combined to form a concept or word; that in spite of all appearances to the contrary, before himself as much as before others, he must hold onto the fiction that marriage comes only from fondness and not from a desire for profit. And the war itself ought to allow him, so he believes, the image of the most reprehensible contradiction in terms that speech and logic has ever produced: the concept of "war profit"! But he has still not learnt to wince at the term and likewise at "marriage profit," to feel ashamed of such a profit, and already to find the impertinence insulting. He will already condemn a marriage profit, at least in thought if not in practice; war profit will not even enter his mind. A second Moses would have to arise to drive home to them the sanctity of blood shed on battlefields, to the extent that they lose their appetite for making a profit that flows from such sources of blood. —

— The materialist denies the contradiction between materialism and idealism; he does not understand it for the very reason that he automatically attributes to himself all the qualities that are attached to an idealist. Only the idealist has a soul and is benevolent, it is said; to this the materialist replies that he, too, is as benevolent and has as much a soul as the idealist. In short, nothing will be credited to the idealist that the materialist would not wish to say also about himself. But then how should he understand the difference? Above all, he must be persuaded to admit that a distinction must be made between someone who considers gain from the standpoint of the community and the other who gains merely from a personal standpoint. To this purpose one could offer examples of great heroes who sacrificed themselves for the general cause; and measured against these, one could determine what gain for the community means, in contrast to self-interest, which is what personal gain is in the majority of cases in which gain is not properly understood. {492} The great distance that sets a great hero apart is actually best suited to clarifying the principal difference between materialism and idealism in the first place. But once the materialist is made to realize such a difference, then in the course of events less powerful examples of human idealism will probably work, too, until finally, under the force of evidence, he will be persuaded to admit both the difference in his behavior and also its cause for concern. Then one can simply say to his face that he – as he is actually constituted – does not yet possess a soul at all, is not a true person, not a true father, not a true mother, not a true friend, and so on. —

— Contra Traub ( Berliner Tageblatt from October 31, 1916). 3 If the essence of Luther 's reformational ideas amounted to the idea that one's attitude must above all be pleasing in the eyes of God – for which reason, for example, the good work of a wicked person cannot by any means be regarded as a truly good work – then one must reply decisively to this as follows: only the deed itself is capable of determining the attitude. The case in which an otherwise wicked person performs a good deed will be dealt with against the wicked man less from the standpoint of attitude, but much more from the standpoint only of the deeds that he has otherwise perpetrated in the world, of which he must surely have committed more bad ones if he is to be regarded as a wicked person in the first place. To turn attitude into an instrument in which the relationship of a person to God and his fellow men is expressed is actually a disastrous mistake; for accordingly it would surely be possible to shirk many an expected obligation under the pretense of attitude (see "Beautiful Souls" in Goethe's Wilhelm Meister 4 ), without a criticism being capable of being made against the person concerned. There is more than merely the obligation of attitude, namely, the obligation of doing. —

— The rich: as little an end in itself, money can be is something that is best shown to us by the lives of rich people. If money were an end in itself, they would, with their typical miserly mentality, bury themselves {493} with their money and family, beneath society at large, and simply fulfill the necessities of life, which would not in any event require the money to be taken from its hiding place. On the contrary, however, we see rich people living mainly for sake of appearance: they build beautiful villas, lay and cultivate beautiful gardens, go to the theatre, lead their wives and children towards art, and much else. But do not the rich thus tread on territories that do not in any way stand in an organic relationship to money? Are not such far-reaching pleasures more true luxury desires than elementary needs? How can one then reconcile the contradiction that the rich perpetrate when they strive and run after such pleasures, but at the same time like to dispute the justification for these things? Time and again they ask what the purpose of art might be, and they forget that they spend the major part of their lives following the pleasures of art instead of merely reading business letters even in the evening. Nonetheless one must conclude from the fatal question: "to what purpose?" – which they apply to all those things that do not flow directly into their monetary actions – at least this much: that their participation in art is only an illusory participation, a forced necessity of fashion that dispenses with the foundations in its own inner sense. Hence also the manners they practice towards beautiful things. Basically accustomed only to dealing with money, above all valuing money as a means of acquirement, they transfer forms of behavior from the purchasing business directly onto spiritual territories. Thus their delusion that one has actually acquired even spiritual content in the moment in which one has laid their money on the table, similar to the way in which one acquires a product as soon as one has paid the price of it to the shop. The law of trading in commodities – money to the seller, goods to the buyer – they believe is applicable on the spiritual level; and they are still unable to acknowledge that the acquisition of spiritual goods requires not only money from the acquiring party but also talent, time, patience, and hard work! — 5

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{494}

© Translation William Drabkin.

31. X. 16

Vom Bankverein 34 59.42 Kronen erhalten. — An Frl. Freund (Br.): bitte um ihren Besuch Donnerstag um ½11h.

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{490} An Dodi (Br., Lie-Liechen): Dank für Eiersendung u. Bitte um 5–10 kg Kartoffel. — Mittelmann im Caféhaus 10 Kr. — Frau D. zu Tisch u. im Caféhaus. — Ein Redakteur de rsN. W. Tgbl.“ hat eine Aktion zugunsten „eines Frühstücks für arme Schulkinder“ eingeleitet; die Idee gefiel allgemein u. man sammelt Geld. Mit der Aktion selbst konnte leider aber noch nicht begonnen werden, da noch das Geld zu knapp ist. 1 Man könnte dazu sagen: die Stadt Wien fühlt offenbar vor allem die Verpflichtung, vor allem den Industriellen u. Millionären ihr Frühstück zu decken, – erst nach ihnen, lange nach ihnen kommen die armen Schulkinder. Auch Desgleichen scheint es Ansicht auch der Regierung zu sein, daß mit der Ausspeisung nicht begonnen werden d aürfe, ehe die unsere lieben Millionäre u. Lebensmittelhändler nicht noch weitere Millionen gesammelt h abätten. —

— Vor Gericht stand kürzlich ein polnischer Goldarbeiter aus Warschau als Zeuge gegen seine Bedienerin, die er wegen Diebstahl verklagt hatte. Da stellt sich gemäß seines eigenen Geständnisses heraus, daß der Pole eine Beziehung zur 17-jährigen Bedienerin unterhielt, ihr einen Wochenlohn von – 2 Kronen zahlte, von ihr auch sonst verschiedene Dienste in Anspruch nahm, um sich in den Besitz größerer Lebensmittelvorräte zu setzen, daß er aber schließlich auch den Lohn verweigerte u. die Bedienerin verklagte, weil sie ihm einiges aus dem Lebensmittelvorrat, sowie noch außerdem eine Violine entwendete. Die Angeklagte verteidigte sich mit dem Einwand, daß sie sich für den entgangenen Lohn irgendwie schadlos halten mußte, worauf der Pole replizierte, dies berechtige ja nicht zum Diebstahl! Das Amüsanteste aber war, daß auf Befragen des Richters nach seiner Herkunft u. Nationalität der Pole erwiderte: „Ich bin, Herr Richter, ein edler Pole“!! 2 Dies ist B beiläufig auch die Signatur aller edeln Engländer, Franzosen u. Italiener! —

Man frage nur einen Kaufmann oder Industriellen nach seinem „Ehe-Gewinn“ – sicher wird er das Wort als eine gröbliche Beleidigung empfinden u. auch hinstellen selbst noch dann, wenn dem Tatbestand nach eine eheliche Verbindung auf Basis eines Geldgewinnes, also was man kurz wirklich auch Ehegewinn nennen könnte, vorliegt. {491} Irgend eine undefinierbarer Vorstellung Gedankengang wird dann ohne Zweifel den Kaufmann erkennen ahnen lassen, daß Ehe u. Gewinn nicht emals zu einem Begriff u. Wort vereint werden dürfen, daß er trotz allem gegenteiligen Schein sowohl vor sich selbst, als vor den anderen an der Fiktion festhalten müsse, daß er die Ehe nur aus Neigung u. nicht aus Gewinnsucht eingegangen habe. Und just der Krieg gestattet ihm, wie glaubt er, die Bildung der widerwärtigsten contra dictio in adjecto, die je Sprache u. Logik aufwiesen, des Begriffes: „Kriegsgewinn“! Noch hat er nicht einmal gelernt, bei diesem Wort ebenso wie beim „Ehegewinn“ zusammenzuzucken, sich eines solchen Gewinnes zu schämen u. es schon die Zumutung als beleidigend zu empfinden, wenn ihm ein Kriegsgewinn zugemutet würde. Einen Ehegewinn verwirft er bereits, wenn nicht in der Praxis, so doch mindestens in Gedanken, Kriegsgewinn nicht einmal noch in Gedanken. Ein zweiter Moses müßte erstehen, um erst die Heiligkeit des auf Schlachtfeldern vergossenen Blutes den Krämern so einzuhämmern, bis ihnen die Lust vergeht, einen Gewinn gutzuheißen, der aus solchen Blutquellen fließt. —

— Den Gegensatz von Materialismus u. Idealismus leugnet der Materialist; er versteht ihn eben schon deshalb nicht, weil er alle Eigenschaften, die dem Idealisten zugeschrieben werden, ohneweiters auch für sich selbst schon in Anspruch nimmt. Nur Der [recte der] Idealist habe Seele, habe Güte, sagt man, so behauptet darauf erwidert der Materialist nun, so habe wohl auch er habe Güte u. Seele so gut als der Idealist, kurz nichts wird dem Idealisten nachgerühmt, was nicht der Materialist auch sich selbst nachgesagt wissen wollte. Wie sollte er dann aber einen den Unterschied begreifen? So müßte Mman ihn vor allem zwingen zuzugeben, daß ein Unterschied gemacht werden müsse zwischen einem, der den Nutzen vom Standpunkt der Allgemeinheit betrachtet u. dem andern, der ihn blos vom persönlichen Standpunkt nimmt; u. zwar zu diesem Zwecke wären Beispiele zunächst von großen Helden anzuführen, die sich für die Allgemeinheit geopfert haben, u. an diesen Bespielen ihnen gemessen wäre festzustellen, was Nutzen der Allgemeinheit bedeute im Gegensatz zum Egoismus (, bis er endlich unter der Wucht), wie der persönliche Nutzen in den meisten Fällen nicht ein- {492} mal gut begriffener wohlverstandener Nutzen ist. Der krasse Abstand zu von einem großen Helden ist eben am besten geeignet, den prinzipiellen Unterschied zwischen Materialismus u. Idealismus überhaupt erst klarzumachen. Ist der Materialist nun aber einmal dazu gebracht worden, einen solchen Unterschied einzusehen, so tun es dann in der Folge wohl auch minder gewaltige Beispiele menschlichen Idealismus, bis er endlich unter der Wucht von Beweisen sowohl den Unterschied in seiner Haltung als auch das Bedenkliche derselben zuzugeben gezwungen ist. Dann mag man ihm ruhig ins Gesicht sagen, daß er – so wie er eben beschaffen ist – noch überhaupt keine Seele besitze, noch kein rechter Mensch sei, kein rechter Vater, keine rechte Mutter, kein rechter Freund usw. —

— Contra Traub („Berl. Tgbl.“ vom 31. X. 16): 3 Wenn der Kern in Luther s reformatorischen Ideen darauf hinauslief, daß vor allem die Gesinnung gottgefällig sein müsse, weshalb z. B. das gute Werk eines bösen Menschen noch durchaus nicht als ein wirklich gutes Werk zu bezeichnen wäre, so muß darauf entschieden geantwortet werden: Nur die Tat allein kann die Gesinnung erweisen u. erweist sie auch. Der Fall aber, wo ein sonst böser Mensch ein gutes Werk stiftet, wird weniger vom Standpunkt der Gesinnung gegen den bösen Menschen erledigt, als vielmehr wieder nur vom Standpunkt der von ihm sonst in die Welt gesetzten Taten, deren er doch sicher mehrere andere u. schlechtere vollbracht haben muss, wenn man ihn als einen bösen Menschen nun schon einmal bezeichnet hat. Die Gesinnung allein zu jenem Organ zu machen, worin allein sich die Beziehung des Menschen zu Gott u. den Mitmenschen ausdrückt, ist sogar ein verhängnisvoller Fehler, denn darnach wäre es wohl möglich, sich unter dem Titel der Gesinnung (s. „Schöne Seele“ Goethe, Wi. Meister 4 ) so mancher gebotener Pflichten zu entziehen, ohne daß dem betreffenden Menschen daraus ein Vorwurf gemacht werden dürfte. Es gibt eben mehr als blos die Pflicht zur Gesinnung, nämlich eine Pflicht zur Tat. —

— Die Reichen: Wie wenig Selbstzweck das Geld sein kann, zeigt uns das Leben der Reichen am besten. Wäre Geld Selbstzweck, so würden sie nach Art der typischen Geizhälse sich mit ihrem {493} Geld u. ihre mr Familie mitten unter den Menschen vergraben u. lediglich der Erfüllung der notwendigen Bedürfnisse leben, die das Geld noch lange nicht aus seinem Versteck hervorholen müßte. Dagegen sehen wir aber die Reichen meist für den Schein leben, schöne Villen bauen, schöne Gärten anlegen u. pflegen, ins Theater gehn [sic], Frau u. Kinder zur Kunst führen u. was dergleichen mehr. Geht nicht daraus aber hervor, daß bBegeben sich die Reichen nicht aber dadurch sich auf Gebiete, die mit dem Gelde noch keineswegs in einem organischen Zusammenhang stehen? Sind doch nicht so weit ausgreifende Genüsse vielmehr eher bereits wahre Luxusbedürfnisse weniger als elementare Bedürfnisse, als? Wie reimt man dann aber den Widerspruch, den die Reichen begehen, wenn sie solchen Genüssen nachstreben, nachlaufen, in einem aber die Berechtigung derselben überhaupt zu bestreiten belieben? Immer wieder fragen sie, wozu denn die Kunst wäre u. vergessen, daß sie ein Hauptteil ihres Lebens damit zubringen, Genüssen der Kunst nachzugehen statt blos in Geschäftsbriefen auch des ab[en]ds zu lesen. Indessen muss man aus der fatalen Frage: wozu?, die sie allen jenen Dingen entgegenhalten, die nicht unmittelbar in ihren Geldbetrieb einmünden, mindestens so viel schließen, daß ihr Anteil an der Kunst nur ein Scheinanteil, ein aufgezwungenes Modebedürfnis ist, das der Grundlage im eigenen Innern entbehrt. Daher auch die Manieren, die sie den schönen Dingen gegenüber betätigen. Im Grunde nur des Umgangs mit dem Gelde gewohnt, gewohnt vor allem, das Geld als Anschaffungsmittel zu verwerten, übertragen sie Umfangsformen aus dem Anschaffungsverkehr unmittelbar auch auf geistige Gebiete. Daher ihr Wahn, daß man auch geistigen Inhalt einkauft in dem Augenblick schon wirklich erstanden hat, sowie da man nur das Geld auf den Tisch gezahlt, ähnlich wie man eine Ware ersteht, sobald man nur den Preis auf den Laden erlegt. Das Gesetz des Warenverkehrs: Geld hin zum Verkäufer, Ware her zum Käufer halten sie auch auf geistigem Gebiete für möglich u. gestehen sich nicht einmal noch den Gedanken zu ein, daß zum Erwerb geistiger Güter auf Seite des Erwerbenden außer Geld noch Talent, Zeit, Geduld u. Fleiß gehören! — 5

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© Transcription Marko Deisinger.

October 31, 1916.

3459.42 Kronen received from the Bankverein. — Letter to Miss Freund: I request that she visits me on Thursday at 10:30.

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{490} To Dodi (letter from Lie-Liechen): thanks for sending the eggs, and a request for 5 to 10 kilograms of potatoes. — Mittelmann at the coffee house: 10 Kronen. — Mrs. Deutsch at lunch and in the coffee house. — An editor at the Neues Wiener Tagblatt has organized the initiative of "a breakfast for poor schoolchildren"; the idea was generally welcomed and money is being collected. But the initiative itself cannot, unfortunately, be started as there is not enough money. 1 One could say this about it: the city of Vienna evidently feels bound above all to cover the costs of breakfast for its industrialists and millionaires – only after them, long after them, do the poor schoolchildren come. The same seems to be the view also of the government, that the feeding may not begin before our dear millionaires and grocers have collected further millions —

— Recently a Polish goldsmith from Warsaw appeared in court as a witness against his servant, whom he had taken to court on account of theft. It turned out that, by his own admission, the Pole maintained a relationship with the 17-year-old servant, paid her a weekly salary of 2 Kronen, and called upon her for various other services in order to gain possession of greater provisions of food. But in the end he also withheld her wage because she stole a few things from the food provision, as well as a violin. The accused defended herself by arguing that she had to somehow cover herself against the lost salary, whereupon the Pole replied, ["]This does not justify theft!["] The most amusing thing, however, was that the Pole, when asked by the judge about his origins and nationality, replied: "I am, Your Honour, a Polish nobleman"!! 2 This, by the way, is also the signature of the entire English, French, and Italian nobility! —

Just ask a businessman or an industrialist about his "marriage profit" and he will surely feel this word as a crude insult, and also regard it as such, even when the fact of a marriage bond on the basis of financial gain – in short, what can actually be called a "marriage profit" – is evident. {491} Some sort of undefinable thought process will doubtless then lead the businessman to imagine that marriage and profit may never be combined to form a concept or word; that in spite of all appearances to the contrary, before himself as much as before others, he must hold onto the fiction that marriage comes only from fondness and not from a desire for profit. And the war itself ought to allow him, so he believes, the image of the most reprehensible contradiction in terms that speech and logic has ever produced: the concept of "war profit"! But he has still not learnt to wince at the term and likewise at "marriage profit," to feel ashamed of such a profit, and already to find the impertinence insulting. He will already condemn a marriage profit, at least in thought if not in practice; war profit will not even enter his mind. A second Moses would have to arise to drive home to them the sanctity of blood shed on battlefields, to the extent that they lose their appetite for making a profit that flows from such sources of blood. —

— The materialist denies the contradiction between materialism and idealism; he does not understand it for the very reason that he automatically attributes to himself all the qualities that are attached to an idealist. Only the idealist has a soul and is benevolent, it is said; to this the materialist replies that he, too, is as benevolent and has as much a soul as the idealist. In short, nothing will be credited to the idealist that the materialist would not wish to say also about himself. But then how should he understand the difference? Above all, he must be persuaded to admit that a distinction must be made between someone who considers gain from the standpoint of the community and the other who gains merely from a personal standpoint. To this purpose one could offer examples of great heroes who sacrificed themselves for the general cause; and measured against these, one could determine what gain for the community means, in contrast to self-interest, which is what personal gain is in the majority of cases in which gain is not properly understood. {492} The great distance that sets a great hero apart is actually best suited to clarifying the principal difference between materialism and idealism in the first place. But once the materialist is made to realize such a difference, then in the course of events less powerful examples of human idealism will probably work, too, until finally, under the force of evidence, he will be persuaded to admit both the difference in his behavior and also its cause for concern. Then one can simply say to his face that he – as he is actually constituted – does not yet possess a soul at all, is not a true person, not a true father, not a true mother, not a true friend, and so on. —

— Contra Traub ( Berliner Tageblatt from October 31, 1916). 3 If the essence of Luther 's reformational ideas amounted to the idea that one's attitude must above all be pleasing in the eyes of God – for which reason, for example, the good work of a wicked person cannot by any means be regarded as a truly good work – then one must reply decisively to this as follows: only the deed itself is capable of determining the attitude. The case in which an otherwise wicked person performs a good deed will be dealt with against the wicked man less from the standpoint of attitude, but much more from the standpoint only of the deeds that he has otherwise perpetrated in the world, of which he must surely have committed more bad ones if he is to be regarded as a wicked person in the first place. To turn attitude into an instrument in which the relationship of a person to God and his fellow men is expressed is actually a disastrous mistake; for accordingly it would surely be possible to shirk many an expected obligation under the pretense of attitude (see "Beautiful Souls" in Goethe's Wilhelm Meister 4 ), without a criticism being capable of being made against the person concerned. There is more than merely the obligation of attitude, namely, the obligation of doing. —

— The rich: as little an end in itself, money can be is something that is best shown to us by the lives of rich people. If money were an end in itself, they would, with their typical miserly mentality, bury themselves {493} with their money and family, beneath society at large, and simply fulfill the necessities of life, which would not in any event require the money to be taken from its hiding place. On the contrary, however, we see rich people living mainly for sake of appearance: they build beautiful villas, lay and cultivate beautiful gardens, go to the theatre, lead their wives and children towards art, and much else. But do not the rich thus tread on territories that do not in any way stand in an organic relationship to money? Are not such far-reaching pleasures more true luxury desires than elementary needs? How can one then reconcile the contradiction that the rich perpetrate when they strive and run after such pleasures, but at the same time like to dispute the justification for these things? Time and again they ask what the purpose of art might be, and they forget that they spend the major part of their lives following the pleasures of art instead of merely reading business letters even in the evening. Nonetheless one must conclude from the fatal question: "to what purpose?" – which they apply to all those things that do not flow directly into their monetary actions – at least this much: that their participation in art is only an illusory participation, a forced necessity of fashion that dispenses with the foundations in its own inner sense. Hence also the manners they practice towards beautiful things. Basically accustomed only to dealing with money, above all valuing money as a means of acquirement, they transfer forms of behavior from the purchasing business directly onto spiritual territories. Thus their delusion that one has actually acquired even spiritual content in the moment in which one has laid their money on the table, similar to the way in which one acquires a product as soon as one has paid the price of it to the shop. The law of trading in commodities – money to the seller, goods to the buyer – they believe is applicable on the spiritual level; and they are still unable to acknowledge that the acquisition of spiritual goods requires not only money from the acquiring party but also talent, time, patience, and hard work! — 5

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Wiener Angelegenheiten. Frühstück für die Schulkinder," Neues Wiener Tagblatt, No. 286, October 15, 1916, 50th year, pp. 9-10.

2 "Der edle Pole," Neues Wiener Journal, No. 8264, October 31, 1916, 24th year, p. 12.

3 This article has not been traced; it may have appeared in different edition of the newspaper, or in a different newspaper.

4 "Confessions of a Beautiful Soul": the title of Book 6 of Goethe's Wilhelm Meister's Apprenticeship, first published in 1795–96.

5 On p. 493, in the upper margin, Schenker has written Abs [probably short for Abends] Geschäftsbriefe lesen, "to read business letters in the evening."