1. April 1917 +3°, sehr schöner Tag;
vor Tisch einstündiger Spaziergang, Spaziergang auch nach dem Caféhaus u. dann zum drittenmal auch noch nach der Jause im botanischen Garten, wo schon Crocus das Licht der Welt erblickt hat. — Im Kranz-Prozess schießen die Sensationen, eine um die andere, mit unheimlicher Drastik empor: auch die Ministerien haben ganz unglaublich unsaubere Praktiken geübt, ja sogar scheint eine Zeugenaussage, die bereits das Gewicht einer Gerichtsurkunde hatte, nachträglich vom Justizminister über Wunsch des Finanz- u. Handelsministers gefälscht worden zu sein. Ein in seiner Ehre hartbedrängter Rittmeister hat diese Tatsache zum Besten gegeben. Die Minister wurden für morgen als Zeugen vorgeladen. 1 Man darf auf den Ausgang dieser Ereignisse überaus gespannt sein. Für alle Fälle hat bereits der Leitartikler der „N. Fr. Pr.“ die Nachrufsformel für diese häßlichen Ereignisse geprägt. 2 Eine w schwere Krise sei es, meint er, in die die Kaufmannschaft, durch überschüssigen Geldumlauf in Versuchung gebracht, {637} gestürzt sei. Ja, die menschliche Schwäche ist sei es, predigt meint er predigerhaft! Unerklärlich bleibt es, wie ein Mensch, der, ohne irgendwie das Wachstum seines Kapitals zu gefährden, jeden Wunsch, jede Laune sich zehnfach gestatten dürf ete, dennoch so rücksichts- u. sittenlos dem Gelde nachlaufe. Doch Sicher wäre aber früher übel angekommen derjenige, der eben demselben Schmierer gegenüber eine Anklage wider die oesterreichische Unmoral erhoben hätte. —© Transcription Marko Deisinger. |
April 1, 1917. +3°, a very fine day.
Before lunch, an hour's walk, a walk also after coffee, and then for a third time after teatime in the Botanical Garden, where a crocus has already seen the light of day. — In the Kranz trial the sensations mount up, one after another, with amazing drama: even the ministries have perpetrated quite unbelievably shabby practices; indeed a witness statement, which already had the force of a legal document, was subsequently forged by the Minister of Justice, against the wishes of the Minister for Finance and Trade. A cavalry captain, hard-pressed in his honor, revealed this fact. The ministers have been summoned for tomorrow, as witnesses. 1 One can only wonder at the outcome of these events. In any event, the author of the lead article in the Neue freie Presse has already shaped the form of the obituary of these ugly events. 2 A difficult crisis has been precipitated, he says, in which the business community has been led into temptation by an excessive cash flow. {637} Indeed, this is human weakness, he says preachingly! It remains to be explained how a person who could allow himself every indulgence ten times over without endangering the growth of his capital in any way, could nonetheless chase after money so carelessly and immorally. Surely infamy would have earlier come to the one who had raised a complaint about Austrian immorality against the same corrupt person. —© Translation William Drabkin. |
1. April 1917 +3°, sehr schöner Tag;
vor Tisch einstündiger Spaziergang, Spaziergang auch nach dem Caféhaus u. dann zum drittenmal auch noch nach der Jause im botanischen Garten, wo schon Crocus das Licht der Welt erblickt hat. — Im Kranz-Prozess schießen die Sensationen, eine um die andere, mit unheimlicher Drastik empor: auch die Ministerien haben ganz unglaublich unsaubere Praktiken geübt, ja sogar scheint eine Zeugenaussage, die bereits das Gewicht einer Gerichtsurkunde hatte, nachträglich vom Justizminister über Wunsch des Finanz- u. Handelsministers gefälscht worden zu sein. Ein in seiner Ehre hartbedrängter Rittmeister hat diese Tatsache zum Besten gegeben. Die Minister wurden für morgen als Zeugen vorgeladen. 1 Man darf auf den Ausgang dieser Ereignisse überaus gespannt sein. Für alle Fälle hat bereits der Leitartikler der „N. Fr. Pr.“ die Nachrufsformel für diese häßlichen Ereignisse geprägt. 2 Eine w schwere Krise sei es, meint er, in die die Kaufmannschaft, durch überschüssigen Geldumlauf in Versuchung gebracht, {637} gestürzt sei. Ja, die menschliche Schwäche ist sei es, predigt meint er predigerhaft! Unerklärlich bleibt es, wie ein Mensch, der, ohne irgendwie das Wachstum seines Kapitals zu gefährden, jeden Wunsch, jede Laune sich zehnfach gestatten dürf ete, dennoch so rücksichts- u. sittenlos dem Gelde nachlaufe. Doch Sicher wäre aber früher übel angekommen derjenige, der eben demselben Schmierer gegenüber eine Anklage wider die oesterreichische Unmoral erhoben hätte. —© Transcription Marko Deisinger. |
April 1, 1917. +3°, a very fine day.
Before lunch, an hour's walk, a walk also after coffee, and then for a third time after teatime in the Botanical Garden, where a crocus has already seen the light of day. — In the Kranz trial the sensations mount up, one after another, with amazing drama: even the ministries have perpetrated quite unbelievably shabby practices; indeed a witness statement, which already had the force of a legal document, was subsequently forged by the Minister of Justice, against the wishes of the Minister for Finance and Trade. A cavalry captain, hard-pressed in his honor, revealed this fact. The ministers have been summoned for tomorrow, as witnesses. 1 One can only wonder at the outcome of these events. In any event, the author of the lead article in the Neue freie Presse has already shaped the form of the obituary of these ugly events. 2 A difficult crisis has been precipitated, he says, in which the business community has been led into temptation by an excessive cash flow. {637} Indeed, this is human weakness, he says preachingly! It remains to be explained how a person who could allow himself every indulgence ten times over without endangering the growth of his capital in any way, could nonetheless chase after money so carelessly and immorally. Surely infamy would have earlier come to the one who had raised a complaint about Austrian immorality against the same corrupt person. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Der Prozess gegen Dr. Josef Kranz und seine Mitbeschuldigten," Neue Freie Presse, No. 18897, April 1, 1917, morning edition, pp. 9-13. 2 "Strafverfahren gegen den Verwaltungsrat der Depositenbank Schönwald. Wegen des Verdachtes einer betrügerischen Handlung und einer falschen Zeugenaussage," Neue Freie Presse, No. 18897, April 1, 1917, morning edition, p. 1. |