17. 11°, schönes mildes Wetter.
— Wenn das Eigentum der einzige Gesichtspunkt der Kultur ist, den bis heute – übrigens ganz im Sinne nur der Besitzenden – der Staat durchsetzen konnte, so kann man dies auch so ausdrücken, daß der Kaufmann allein die vorläufig durchgesetzte Erscheinung im Staate ist. Es hat aber auch der Kaufmann kein weiteres Interesse daran, andere Gesichtspunkte der Kultur durchzu- {674} setzen, zumal er sie ja selbst noch gar nicht kennt. — Die ethischen Anweisungen der Religion sind aussichtslos, weil zu allgemein. Sie lösen insbesondere nicht das Problem, wie der Nächste, Dritte, in den Bund zu gewinnen wäre, wenn schon zwei die Anweisungen zur Erfüllung gebracht haben. Dazu kommt, daß es so viele Wahrheiten als Situationen gibt, daß keine noch so große Allgemeinheit der Anweisung zu den Besonderheiten hinleitet, daß man daher sich immer von der Religion im Stiche gelassen glaubt, wenn man vor einer Situation ratlos dasteht. Im verfließenden Leben ständig verfließende Augenblickswahrheiten – dies alles zusammen ist erst die Wahrheit. Aber vor Anbetung des Begriffes u. Gebotes Wahrheit die verfließenden Wahrheitselemente nicht zu erkennen[,] fördert weder Religion noch Leben. — — — Hans Weisse ersucht durch Fr. Gutherz (Br.) um ein Wiedersehen, erscheint aber vor der bestimmten Stunde um 10¼h. Wir holen Lie-Liechen ab u. spazieren bis 11h. Er hat uns allerhand schmutzige Schnurren aus dem Zusammensein im Sommer mit der Familie Schöller erzählt. — Empfindlichkeit könnte man als eine Mobilisierung aller psychischen u. physischen Kräfte an einer urwinzigen Stelle bezeichnen; im Mißverhältnis eben zwischen der Winzigkeit der Stelle u. dem Aufwand der Verteidigung liegt das Lächerliche der Empfindlichkeit. — Abbreviation begonnen. © Transcription Marko Deisinger. |
17. 11°, fair weather, mild.
— If property is the only aspect of culture that until now – and, moreover, as understood only by the owner – the state is able to establish, then one can express this also in the following way: that the businessman alone is, for the present, the generally accepted manifestation in the state. But even the businessman has no further interest in asserting other aspects of culture, {674} all the more so since he himself does not know them at all. — The ethical instructions of religion are futile because they are too general. In particular they do not solve the problem of how a next, third person, would be brought into the covenant if two had already brought their instructions to fulfillment. Moreover, there are just as many truths as there are situations, so that no generality of instruction, however great, can lead to the particulars of the situation. Thus one always believes to be let down by religion when one stands perplexed before a situation. As life passes by, momentary truths are constantly passing by – these, taken together, are what constitutes truth. But to recognize the fleeting elements of truth, when one is worshipping the concept and commandment of truth, is something that neither religion nor life encourages. — — Hans Weisse, via a letter from Mrs. Gutherz, seeks a rendezvous; but he appears before the appointed hour, at 10:15. We collect Lie-Liechen and go for a walk until 11 o'clock. He recounted all sorts of unpleasant anecdotes from the time he spent during the summer with the Schöller family. — Sensitivity could be described as a mobilization of all psychic and physical powers in a tiny place; it is, verily, in the disproportion between the tininess of the place and the extravagance of the defense, that the ludicrousness of sensitivity lies. — " Abbreviation " begun. © Translation William Drabkin. |
17. 11°, schönes mildes Wetter.
— Wenn das Eigentum der einzige Gesichtspunkt der Kultur ist, den bis heute – übrigens ganz im Sinne nur der Besitzenden – der Staat durchsetzen konnte, so kann man dies auch so ausdrücken, daß der Kaufmann allein die vorläufig durchgesetzte Erscheinung im Staate ist. Es hat aber auch der Kaufmann kein weiteres Interesse daran, andere Gesichtspunkte der Kultur durchzu- {674} setzen, zumal er sie ja selbst noch gar nicht kennt. — Die ethischen Anweisungen der Religion sind aussichtslos, weil zu allgemein. Sie lösen insbesondere nicht das Problem, wie der Nächste, Dritte, in den Bund zu gewinnen wäre, wenn schon zwei die Anweisungen zur Erfüllung gebracht haben. Dazu kommt, daß es so viele Wahrheiten als Situationen gibt, daß keine noch so große Allgemeinheit der Anweisung zu den Besonderheiten hinleitet, daß man daher sich immer von der Religion im Stiche gelassen glaubt, wenn man vor einer Situation ratlos dasteht. Im verfließenden Leben ständig verfließende Augenblickswahrheiten – dies alles zusammen ist erst die Wahrheit. Aber vor Anbetung des Begriffes u. Gebotes Wahrheit die verfließenden Wahrheitselemente nicht zu erkennen[,] fördert weder Religion noch Leben. — — — Hans Weisse ersucht durch Fr. Gutherz (Br.) um ein Wiedersehen, erscheint aber vor der bestimmten Stunde um 10¼h. Wir holen Lie-Liechen ab u. spazieren bis 11h. Er hat uns allerhand schmutzige Schnurren aus dem Zusammensein im Sommer mit der Familie Schöller erzählt. — Empfindlichkeit könnte man als eine Mobilisierung aller psychischen u. physischen Kräfte an einer urwinzigen Stelle bezeichnen; im Mißverhältnis eben zwischen der Winzigkeit der Stelle u. dem Aufwand der Verteidigung liegt das Lächerliche der Empfindlichkeit. — Abbreviation begonnen. © Transcription Marko Deisinger. |
17. 11°, fair weather, mild.
— If property is the only aspect of culture that until now – and, moreover, as understood only by the owner – the state is able to establish, then one can express this also in the following way: that the businessman alone is, for the present, the generally accepted manifestation in the state. But even the businessman has no further interest in asserting other aspects of culture, {674} all the more so since he himself does not know them at all. — The ethical instructions of religion are futile because they are too general. In particular they do not solve the problem of how a next, third person, would be brought into the covenant if two had already brought their instructions to fulfillment. Moreover, there are just as many truths as there are situations, so that no generality of instruction, however great, can lead to the particulars of the situation. Thus one always believes to be let down by religion when one stands perplexed before a situation. As life passes by, momentary truths are constantly passing by – these, taken together, are what constitutes truth. But to recognize the fleeting elements of truth, when one is worshipping the concept and commandment of truth, is something that neither religion nor life encourages. — — Hans Weisse, via a letter from Mrs. Gutherz, seeks a rendezvous; but he appears before the appointed hour, at 10:15. We collect Lie-Liechen and go for a walk until 11 o'clock. He recounted all sorts of unpleasant anecdotes from the time he spent during the summer with the Schöller family. — Sensitivity could be described as a mobilization of all psychic and physical powers in a tiny place; it is, verily, in the disproportion between the tininess of the place and the extravagance of the defense, that the ludicrousness of sensitivity lies. — " Abbreviation " begun. © Translation William Drabkin. |